Die Arbeit als Menschenrechtler
In der juristischen Ausbildung spielen Menschenrechte eher eine Nebenrolle. Nur, wer seinen Schwerpunkt im Völkerrecht absolviert, setzt sich schon vertieft mit den Rechten aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) auseinander. Mit Blick auf die aktuellen globalen Krisen steht jedoch fest: Der Bedarf an engagierten Menschenrechtler:innen wächst – und damit auch die Berufsperspektiven für Jurist:innen.
Jurist:innen können etwa bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Amnesty International oder der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) arbeiten. Daneben bieten etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) spannende Arbeitsmöglichkeiten. Aber auch im klassischen Anwaltsberuf kann man sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen.
Menschenrechte vor Gericht verteidigen
Genau das macht Rechtsanwalt Stefan von Raumer, der sich schon im Studium auf Internationales Recht und Völkerrecht spezialisiert hat. Seine beruflichen Wurzeln liegen im Vermögens- und Restitutionsrecht, wo er insbesondere Rückgabe- und Entschädigungsansprüche sogenannter Alteigentümer, deren früheres Eigentum sich auf dem Boden der DDR befand, gerichtlich durchgesetzt hat. 1997 erhob er seine erste Individualbeschwerde vor dem EGMR. Seitdem ist er neben dem Verfassungsrecht auch im Bereich der EMRK tätig. Von Raumer ist überzeugt: "Das ist der spannendste Beruf der Welt".
Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Individualbeschwerden beim EGMR stellen heute den Hauptteil seiner Arbeit dar. Inhaltlich umfasst dies neben den "klassischen" Menschenrechten wie dem Recht auf Leben oder dem Meinungsäußerungsrecht u.a. auch das Zwangsvollstreckungs- und Eigentumsrecht. "Dass diesbezüglich nach Erschöpfung des Instanzenzuges und nach erfolgloser Verfassungsbeschwerde noch eine Rechtsschutzmöglichkeit vor dem EGMR besteht, ist einem Großteil der Anwaltschaft leider nicht bewusst", bedauert von Raumer.
Beschwerden führt er meist gegen deutsche Behörden und Gerichtsentscheidungen, oft aber auch gegen Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten des Europarates. So hat der Rechtsanwalt mehrere Individualbeschwerden gegen Litauen erhoben. Dabei geht es um die Abschiebung zahlreicher russischer und belarussischer Staatsangehöriger, die, so sagt von Raumer, in ihren Heimatländern gefährdet sind und keine Gefahr für die nationale Sicherheit Litauens darstellen.
Hat die Beschwerde Aussicht auf Erfolg?
Was für Studierende den Einstieg in eine verfassungsrechtliche Klausur darstellt, ist für von Raumer der erste Arbeitsschritt. Anfragen erhält er häufig von Kanzleien, die im Instanzenzug erfolglos waren und nun für ihre Mandantschaft wissen wollen, ob es sinnvoll ist, eine Verfassungs- oder Individualbeschwerde einzulegen.
Von Raumer muss sich also in den "manchmal fremden – Instanzenzug einarbeiten, den Sachverhalt und die tragenden Argumente erfassen und anschließend prüfen, ob eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts oder eines Konventionsrechts vorliegt", erklärt er. Dabei gibt es Besonderheiten zu beachten. So dürfen sich sowohl Verfassungs- als auch Menschenrechtsbeschwerden ausschließlich auf Argumente stützen, die bereits im Instanzenzug der Sache nach vorgetragen wurden. Sehr gute Kenntnisse der Rechtsprechung der entsprechenden Gerichte sind unerlässlich.
Mit welchen Kosten ist zu rechnen? Rechtsanwalt von Raumer antwortet gegenüber LTO: "Ich passe die Vergütung immer an den Einzelfall, insbesondere den erforderlichen Arbeitsaufwand an, berücksichtige dabei aber auch die wirtschaftliche Lage meiner Mandantschaft. Allgemein muss man bei einer Verfassungs- oder Menschenrechtsbeschwerde mit mindestens 10.000 Euro rechnen, es können aber auch Honorare von 30.000 Euro oder mehr anfallen."
"Menschenrechtsarbeit geht weit über die anwaltlichen Tätigkeiten hinaus", betont von Raumer. Neben seinem Anwaltsdasein ist er Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des DAV sowie des Human Rights Committee des Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE). So unterstützt er u.a. Anwält:innen in der Ukraine, dem Iran und Afghanistan.
Beim EGMR in Straßburg arbeiten
Neben dem EGMR sitzt in Straßburg auch dessen Dachorganisation: der Europarat. Dort arbeiten ebenfalls Menschenrechtler:innen aus ganz Europa. Mehr über die Arbeit bei anderen EU-Institutionen könnt Ihr hier erfahren.
Die 46 Richter:innen am EGMR werden auf Vorschlag ihres jeweiligen Heimatstaats durch die Parlamentarische Versammlung des Europarats gewählt, der Vertreter aller Vertragsstaaten angehören. Die Vorschläge erarbeitet in Deutschland das Bundesministerium der Justiz (BMJ), gesetzlich geregelt ist dieses Verfahren nicht. Für Deutschland ist seit 2019 Frau Professorin Anja Seibert-Fohr als Richterin am EGMR.
Die sogenannten "Registry Lawyers" unterstützen die Richter:innen am EGMR bei der Entscheidungsfindung. Sie bearbeiten lediglich Beschwerden aus dem eigenen Heimatstaat. Registry Lawyers übernehmen die Kommunikation mit den Beschwerdeführenden und bereiten erste Entscheidungsentwürfe vor – mit Ausnahme der besonders komplexen Fälle der großen Kammer. Dort verfassen Registry Lawyers Gutachten zu einzelnen Rechtsfragen.
Arbeit als "Assistant Lawyer" mit erstem Staatsexamen
Für junge Jurist:innen gibt es unter dem "Assistant Lawyers Scheme" die Möglichkeit, für maximal vier Jahre von den Registry Lawyers zu lernen. Sie bearbeiten hauptsächlich Standardfälle oder offensichtlich unzulässige Beschwerden, meist unter Anleitung der Registry Lawyers.
Vorausgesetzt wird sowohl für Registry Lawyers als auch für Assistant Lawyers ein Universitätsabschluss, sodass auch das erste Staatsexamen ausreichend ist. Bewerben können sich ausschließlich Staatsangehörige eines Mitgliedstaats des Europarats. Daneben müssen Bewerber:innen sehr gute Kenntnisse in einer der offiziellen Arbeitssprachen, Englisch oder Französisch, nachweisen. Weitere Einstellungskriterien hängen von den jeweiligen Stellenangeboten ab.
Das Bewerbungsverfahren umfasst zudem ein Assessment Center. Dort warten Sprach- und Wissenstests sowie Simulationen verschiedener Arbeitssituationen auf die Kandidat:innen. Ist dieses erfolgreich gemeistert, werden die Bewerber:innen auf der sogenannten Preselection List aufgeführt und bei Bedarf zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Das Warten lohnt sich, in der Vergangenheit lag das Einstiegsgehalt für Registry und Assistant Lawyers bei knapp 4.500 Euro. Aufgrund einer Sondervereinbarung des Europarats fallen keine Steuern an.
Juristen als kritische Beobachter
Auch am DIMR sind Menschenrechtler:innen zu finden. Das DIMR ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution, die sich für die Wahrung und Förderung der Menschenrechte in Deutschland einsetzt. Unter anderem in seinem jährlichen Menschenrechtsbericht macht das Institut auf Missstände aufmerksam und gibt konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik.
"Wir sind als kritische Beobachter:innen tätig", erklärt Sophie Funke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut. Sie ist Teil der Monitoring-Stelle der UN-Kinderrechtskonvention des DIMR – eine von verschiedenen Themenabteilungen des Instituts. In einem kleinen Team setzt sie sich für die Wahrung internationaler Standards im Bereich der Kinderrechte ein.
Das DIMR übernimmt auf der einen Seite die Beobachtung der aktuellen Menschenrechtslage und Politikberatung gegenüber Bund, Ländern und Kommunen sowie internationalen Organisationen, wie den Vereinten Nationen (UN). Das Institut ist generell mit der Politik im Austausch, sei es in Anhörungen des Bundestags oder durch die Abgabe von Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen.
"Das Institut ist aber auch Brücke zwischen Staat und Zivilgesellschaft", betont Funke. "Dabei übernehmen wir eine Erklärungs- und Übersetzungsfunktion." Das DIMR setzt sich dafür ein, dass alle Menschen in Deutschland Zugang zu ihren Rechten erhalten. Neben der inhaltlichen Herausforderung, komplexe juristische Themen der Allgemeinheit zugänglich zu machen, müssen Jurist:innen am Institut gezielt verschiedene Zielgruppen ansprechen.
Jura, Sozial- und Politikwissenschaften
So entwickelte das DIMR beispielsweise eine Website, um geflüchtete Eltern darüber aufzuklären, dass ihnen ein Recht auf die Geburtsurkunde ihres in Deutschland geborenen Kindes zusteht. Das ist unter anderem wichtig für den Zugang zu Bildung und Sozialleistungen.
"Die abwechslungsreiche Arbeit gefällt mir besonders. Abhängig vom laufenden Projekt gestaltet sich die Arbeit täglich anders und neben Jura spielen auch Sozial- und Politikwissenschaften eine Rolle", berichtet Funke. Auch das Arbeitsumfeld gefällt ihr: "Ich bin umgeben von sehr engagierten Kolleg:innen aus unterschiedlichen Disziplinen. So stellen wir sicher, dass Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven analysiert werden. Wir lernen viel voneinander."
Wer sich eine berufliche Zukunft im Bereich der Menschenrechte vorstellen kann, sollte frühzeitig erste Erfahrungen in diesem Arbeitsfeld sammeln – sei es im Rahmen eines Praktikums oder des Referendariats. Dort wartet nicht nur spannende Arbeit, sondern vor allem ein Rechtsgebiet, das uns alle betrifft.
Michelle Sieburg studiert Jura an der Universität Heidelberg.
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