Interview mit der Jahrgangsbesten 2022 in Sachsen-Anhalt

Mit einem "Sehr gut" ans Ver­wal­tungs­ge­richt

Interview von Pauline Dietrich, LL.M.Lesedauer: 6 Minuten

Mit einem "Sehr gut" im zweiten Examen stehen alle Karrierewege offen - samt exzellenter Verhandlungsposition in Bezug auf Gehalt und andere Benefits. Doch Johanna Decher entschied sich für das Verwaltungsgericht - und ist glücklich dort.

LTO: Frau Dr. Decher, Sie haben mit 14,22 Punkten im Zweiten Staatsexamen eines der unglaublich seltenen "Sehr gut" geschafft – und sind damit Jahrgangsbeste 2022 in Sachsen-Anhalt. Ihnen standen alle Karrierewege offen – und jetzt sind Sie Richterin am Verwaltungsgericht in Halle. Haben Sie nie darüber nachgedacht, Ihre außerordentliche Verhandlungsposition zu nutzen und in die freie Wirtschaft zu gehen?

Dr. Johanna Decher: Nein, nachdem ich mein Examen in der Tasche hatte, nicht mehr. Zuvor habe ich es mir tatsächlich offengehalten, in welchen Beruf ich einmal gehen möchte. Ich habe es immer als großen Vorteil der juristischen Ausbildung gesehen, dass sie viele Karrierewege eröffnet und man sich nicht früh festlegen muss. Zum Beispiel habe ich während meiner Promotion im Energierecht durchaus daran gedacht, in die Energiewirtschaft zu gehen.

Im Referendariat haben mir dann aber sowohl die Station am Amtsgericht als auch meine Wahlstation am Verwaltungsgericht so viel Spaß gemacht, dass mir klar wurde: In einem Gericht bin ich richtig.

Ich sehe auch deutlich die Vorteile, die die Arbeit bei der Justiz für mich persönlich bringt. Ich habe ein vierjähriges Kind – und mit einer Familie bietet die Richterschaft deutlich angenehmere Arbeitsbedingungen als viele andere Optionen, die es noch gegeben hätte. Deshalb war ich sicher in meiner Entscheidung. Ich bin jetzt sehr glücklich in meinem Job.  Er bietet mir eine abwechslungsreiche Tätigkeit, mit der ich einen Beitrag in der Gesellschaft leisten kann und das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun.

Also ist die Familienfreundlichkeit der Justiz kein Klischee, sondern ein wirklicher Vorteil gegenüber der freien Wirtschaft?

Ja, auf jeden Fall, vor allem, wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten und zum Beispiel Oma und Opa nicht vor Ort sind. Wenn etwa morgens um 9 Uhr die Kita anruft, weil mein Sohn krank ist, dann ist es unkompliziert möglich, dass ich mich um mein Kind kümmere. Meine Kolleginnen und Kollegen haben dafür absolutes Verständnis und das ist klasse, wenn man weiß, dass der Arbeitgeber einem da den Rücken stärkt.

Dasselbe gilt für Nachmittagsaktivitäten, zum Beispiel der Sportkurs meines Sohnes, für den ich an einem Tag in der Woche nachmittags zeitiger Feierabend mache. Es ist so viel wert, solche Momente mit meinem Kind zusammen haben zu können – obwohl man Vollzeit arbeitet. Das macht die richterliche Unabhängigkeit möglich. Ich komme dann an anderen Tagen einfach früher, bleibe länger oder arbeite auch mal am Wochenende – und muss mich dafür nicht rechtfertigen. Die Justiz bietet da eine hohe Flexibilität, die an die Lebenssituation angepasst werden kann.

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"Ich wollte einfach nie Anwältin sein"

Laut EU-Kommission müssen deutsche Richter:innen und Staatsanwält:innen allerdings besser bezahlt werden. Empfinden Sie das genauso?

Das ist für mich schwierig zu beantworten, schließlich bin ich noch gar nicht so lange aus dem Referendariat raus – und die Besoldung kommt mir im Vergleich zur Unterhaltsbeihilfe nun wie ein Jackpot vor. Deshalb fühle ich mich im Moment sehr privilegiert besoldet – wie das in ein paar Jahren aussieht, kann ich natürlich jetzt nicht sagen.

Man sollte sich im Staatsdienst auch darüber bewusst sein, dass man mit der Pension im Alter abgesichert ist – das ist ein großer Vorteil. Generell ist man in der Justiz gut versorgt, zudem ist sie krisensicher. In der freien Wirtschaft dürfte das wohl oftmals anders aussehen.

Dort würde ich sicherlich ein Vielfaches verdienen, dessen bin ich mir bewusst, aber Geld ist nicht alles. Freizeit mit meiner Familie und Zufriedenheit in meinem Tun sind mir deutlich wichtiger. Ganz abgesehen davon: Ich wollte einfach nie Anwältin sein, das wusste ich schon recht früh in meiner juristischen Laufbahn. Das ist nicht der Job, der mir vorschwebt.

Aber irgendetwas kann sich die Justiz doch bestimmt vom Arbeitsumfeld in der freien Wirtschaft abschauen?

Bei der Digitalisierung geht es bekanntlich in der Justiz nicht so schnell voran, wie in der freien Wirtschaft – und auch in meiner Zeit am Uni-Lehrstuhl ging vieles schneller. Ich habe aber schon das Gefühl, dass sich auch in der Justiz bei uns in Sachsen-Anhalt die Verantwortlichen große Mühe geben, die Digitalisierung voranzubringen. Ich denke, dass die Justiz die Probleme erkannt hat, auf einem zielführenden Weg ist und die Personen, die darüber zu entscheiden haben, ihr Möglichstes tun. Passieren muss aber auf jeden Fall etwas, sonst wird die Justiz den heutigen Anforderungen bald nicht mehr gerecht.

Dr. Johanna Decher. Foto: Privat

"Sachsen-Anhalt in Sachen Nachwuchs gut aufgestellt"

Wie sieht es denn mit der Arbeitsbelastung als Richterin aus – wünschen Sie sich mehr Kolleg:innen?

Das hängt sicherlich stark davon ab, an welchem Gericht man landet und ob es eine funktionierende Vertretungslösung gibt. Bei uns hier in Halle an der Saale gibt es das innerhalb der Kammer, sodass ich bislang noch nicht das Gefühl hatte, etwa nach meinem Urlaub unter Akten zu ersticken. Trotzdem gibt es hier natürlich im Arbeitsalltag mehr als genug zu tun. Und man darf bei aller Flexibilität durch die richterliche Unabhängigkeit auch nicht vergessen, dass diese auch in die andere Richtung vorausgesetzt wird. Wenn am Freitagvormittag ein Eilverfahren eingeht, das vor dem Wochenende noch entschieden werden muss, dann kann man als gesetzlicher Richter eben auch erst dann Feierabend machen, wenn der Beschluss an die Beteiligten versendet wurde. Auch diesen Aspekt einer Tätigkeit in der Justiz muss das private Umfeld mittragen.

Aus meiner Sicht macht die Justiz in Sachsen-Anhalt in Sachen Nachwuchs aber große Fortschritte und ist gut aufgestellt. So werden momentan mehr Nachwuchsjuristen eingestellt, als rein rechnerisch Bedarf da ist – einfach, um die in den kommenden Jahren anstehende Pensionierungswelle in unserem Bundesland auszugleichen.

Haben Sie noch einen Tipp: Wie schafft man überhaupt ein "Sehr gut" im Zweiten Staatsexamen?

Das werde ich tatsächlich sehr oft gefragt – und ich weiß leider nie, was ich darauf antworten soll. Tatsächlich bin ich in meinem Umfeld wohl am meisten von dem Ergebnis überrascht gewesen. Ich denke, ich habe schon im Studium sehr gute Grundlagen dafür legen können. Ich wurde finanziell von meinen Eltern unterstützt und habe das Studium irgendwie als meinen Job angesehen. Auch deshalb habe ich mich sehr gewissenhaft auf das erste Staatsexamen vorbereitet und dies im Referendariat fortgeführt – getreu dem Motto "Einfach machen" – auch wenn das vor allem während der pandemiebedingten Schließungen des Kindergartens viele Nachtschichten bedeutet hat.

Geholfen hat mir persönlich vor allem das Schreiben möglichst vieler Klausuren unter möglichst realistischen Examensbedingungen, also ausschließlich mit den erlaubten Hilfsmitteln. Letztlich bleibt die richtige Prüfungsvorbereitung immer eine Frage des eigenen Lerntyps.

Aber ob ich es nochmal so gut abschließen würde? Ich denke nicht, es hat nämlich auch sehr viel mit Glück zu tun. Es hängt immer von den konkreten Umständen ab.

"Im Alltag kann ich mir von meinem Examen nichts kaufen"

Sagt die Examensnote etwas darüber aus, ob man ein guter Richter oder eine gute Richterin ist?

Im Alltag kann ich mir von meinem Examen nichts kaufen. Da stehe ich vor denselben praktischen Fragen, wie alle Proberichterinnen und Proberichter, vor allem, was den Ablauf am Gericht angeht. Hier ist es besonders wichtig, auf erfahrene Kolleginnen und Kollegen und das vorhandene Wissen zurückgreifen zu können. Außerdem sollte man in der Lage sein, seine tägliche Arbeit selbst zu organisieren. Sehr gute Rechtskenntnisse sind allerdings für das Verständnis unumgänglich, von daher spielt die Examensnote natürlich auch eine Rolle.

Als Richterin nimmt man zudem eine soziale und gesellschaftliche Rolle ein – dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man diesen Job gut ausüben möchte. Es geht also nicht nur um das Recht, sondern auch darum, es den Verfahrensbeteiligten so verständlich wie möglich zu machen. Auch das macht meiner Meinung nach einen guten Richter oder eine gute Richterin aus – und entsprechend ist es mir wichtig, mir in den Verhandlungen dafür viel Zeit zu nehmen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Johanna Decher, LL.M.oec., ist seit Juni 2022 Richterin am Verwaltungsgericht Halle (Saale). Ihr Referendariat schloss sie mit 14,22 Punkten im Zweiten Staatsexamen ab. Sie ist Jahrgangsbeste 2022 in Sachsen-Anhalt und hat damit zugleich das beste Ergebnis in einem Zweiten Staatsexamen in Sachsen-Anhalt seit 1995 erreicht. Ihre Dissertationsschrift zu Fragen der Energiewende erscheint im Dezember 2022.

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