Arbeitszeiten bei Berufsanfängern

Arbeit ist das halbe Leben

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 6 Minuten
In der Verwaltung arbeitet man von zwölf bis mittags, in der Großkanzlei eher bis Mitternacht, und als Richter kann man sich die Zeit frei einteilen, ist aber trotzdem immer zu langsam - so die gängigen Vorurteile zur Arbeitslast in juristischen Berufen. LTO hat mit fünf jungen Juristen gesprochen und nachgefragt, was es mit Überstunden und Work-Life-Balance wirklich auf sich hat.

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Stefan Beilitz (Name von d. Redaktion geändert) hat einen persönlichen Rekord: 36 Stunden durcharbeiten, ohne Schlaf, ohne Pause, "aber mit einer Menge Kaffee", erzählt er. Der 31-Jährige ist seit 2,5 Jahren als Associate bei einer internationalen Großkanzlei im Bereich M&A tätig, wo die Arbeitslast gerade vor Abschluss wichtiger Transaktionen oft absolute Spitzenwerte erreicht. "Es gibt mehrfach pro Jahr Phasen, wo ich für einige Wochen im Schnitt 14 Stunden pro Tag arbeite, teils auch an den Wochenenden. Aber darauf war ich vorbereitet, man weiß ja, worauf man sich in diesem Geschäft einlässt." In gewisser Weise findet der junge Anwalt die Zeiten niedriger Auslastung sogar frustrierender. Wenn nämlich gerade Flaute in der Abteilung ist, dann könnte er an sich auch schon um 15:00 Feierabend machen. Kann er aber nicht, denn es herrscht "Facetime", also obligatorische Präsenzzeit, welche die Associates bis wenigstens 19:00 an die Büroräume bindet. "Man könnte es auch Facebooktime nennen", kommentiert Beilitz lakonisch, "denn damit verbringt man dann meist seine Nachmittage. Dieses Nichtstun ist anstrengender - und vor allem viel frustrierender - als die eigentliche Arbeit, weil es so sinnlos ist." Aber so ist es nun einmal, wenn man von seinen Kollegen keine neunmalklugen Kommentare über angebliche "halbe Tage" ernten möchte, die ja bekanntlich gegen 18:00 enden. Und die Partner erwarten zwar, dass man allzeit bereit ist, wenn Not am Mann ist, pochen aber auch in ruhigen Zeiten auf ein Minimum von 50 Wochenstunden. "Immerhin habe ich das Glück, einen sehr korrekten Partner erwischt zu haben, der die Anforderungen in puncto Facetime nicht überspannt und darauf achtet, dass Urlaub auch genommen wird. Es gibt Kollegen, die hatten seit ich hier arbeite noch keinen freien Tag", so Beilitz.

Ich kann mir frei aussuchen, wie ich meine 14 Arbeitsstunden über den Tag verteile

Sorgen über fremdbestimmte Arbeitszeiten sind Jan Rudolph fremd. Nach dem 2. Staatsexamen hat er sich seinen früheren Ausbildern aus der Anwaltsstation angeschlossen, und ist gemeinsam mit diesen in der zivilrechtlichen Sozietät Wittkop/Keller/Rudolph/Krewerth tätig. "Hier sagt mir keiner, wann und von wo aus ich zu arbeiten habe. Es ist natürlich zweckmäßig, während der üblichen Bürozeiten vor Ort zu sein, damit man Mandanten gegebenenfalls spontan empfangen kann, aber im Grunde bin ich in der Zeiteinteilung völlig frei." "Völlig frei" ist allerdings ein relativer Begriff, denn auch Rudolph arbeitet kaum jemals weniger als 50, in Extremfällen bis zu 90 Stunden pro Woche: "Da kann ich mir dann nur noch aussuchen, ob ich von 8:00 bis 22:00, oder doch lieber von 9:00 bis 23:00 Uhr hinter den Akten sitzen will". Doch immerhin bedeutet mehr Arbeit in seinem Fall auch ganz unmittelbar mehr Geld auf dem Konto, und in ruhigeren Phasen muss er niemandem vorspielen, gerade beschäftigt zu sein. Dennoch kann Rudolph die eigene Berufswahl nur unter Vorbehalt empfehlen: "Ich hatte als selbständiger Anwalt bereits sehr gute Voraussetzungen, weil ich in eine bestehende Sozietät mit netten Kollegen einsteigen konnte, was zu Anfang gerade bei der Mandatsfindung unheimlich hilfreich ist. Trotzdem arbeite ich unterm Strich nicht weniger als Großkanzlei-Anwälte, verdiene aber nur einen kleinen Bruchteil von deren Gehalt. Dieser Job ist etwas für Individualisten, die ihr eigenes Ding machen und ihr eigener Chef sein wollen, aber bestimmt nichts für Leute, die auf eine entspannte Zeit oder das große Geld hoffen - vor allem in den ersten Jahren." Man muss gut organisiert und entscheidungsfreudig sein, sonst geht man unter
Auch Thomas Menke, Richter am Amtsgericht Düsseldorf, kann seinen Job eher wegen der Flexibilität und persönlichen Gestaltungsfreiheit als wegen des Geldes oder der Arbeitszeiten empfehlen. Immerhin: Nach 3,5 Jahren ist er mittlerweile bei durchschnittlich 45 bis 50 Wochenstunden angekommen und verdient nach eigener Rechnung in etwa 17 Euro netto pro Stunde. "Man wird in dem Beruf nicht reich, aber auch nicht arm - und man hat die Perspektive, ein Leben zu führen, das Zeit für Hobbies und Familie lässt." Eine Perspektive, die in den ersten Berufsjahren jedoch noch in weiter Ferne zu liegen scheint. "Die ersten sechs Monate waren der pure Horror", erinnert sich Menke, "und auch danach wurde es nur sehr allmählich besser. Man hat zwar Kollegen, die man um Rat fragen kann, aber im Wesentlichen ist man doch auf sich allein gestellt. Als ich als Beisitzer in meine erste Zivilkammer kam, warteten im Dezernat 300 offene Fälle auf mich, zuzüglich der Neueingänge. Ich habe damals ohne Ausnahme 80-Stunden-Wochen geschoben, um der Verfahrensmasse irgendwie Herr zu werden. Und das ist keine Negativausnahme, sondern bei jungen Kollegen leider der Normalfall." Die Work-Life-Balance, die viele sich von der Arbeit als Richter versprechen, stellt sich erst mit der Entwicklung einer routinierten Fallbearbeitung ein und erfordert auch dann bisweilen eine gewisse Kaltschnäuzigkeit. "Irgendwann sieht man einfach ein, dass es zeitlich nicht möglich ist, jeden Fall bis in die feinsten juristischen Verästelungen zu durchdenken. Man muss gut organisiert und entscheidungsfreudig sein und darf sein Privatleben der Suche nach der absolut perfekten rechtlichen Lösung nicht opfern, sonst geht man in diesem Job unter."

Moderate Arbeitszeiten vor allem außerhalb klassisch juristischer Berufe

Sind normale Arbeitszeiten für junge Juristen also wirklich ein frühestens nach einigen Jahren erreichbares Fernziel? Nicht, wenn man bereit ist, über den Tellerrand der klassisch juristischen Berufsbilder hinauszublicken, sagen Dr. Olivia Jazwinski und Verena Meurers. Die beiden Juristinnen vereinen drei Prädikatsexamina aufeinander und haben sich dennoch für Laufbahnen entschieden, die prinzipiell auch Nicht-Juristen offenstehen. Jazwinski arbeitet als persönliche Referentin des Rektors der Universität Duisburg-Essen, Meurers bekleidet dieselbe Funktion für den Kanzler der Universität Köln. Beide Stellen werden zwar nicht zwangsläufig, aber doch oft und gern mit Volljuristen besetzt. Während rechtliche Begutachtung für Meurers immerhin knapp die Hälfte ihrer Aufgaben ausmacht, stellt sie für Jazwinski kaum mehr als eine Randnote dar. "Als Referentin des Rektors ist man im Grunde Mädchen für alles", erklärt Jazwinski. "Meine Aufgaben reichen vom Verfassen von Reden über die Wahrnehmung repräsentativer Termine bis hin zur Leitung verschiedener Großprojekte, zum Beispiel eines Architekturwettbewerbs oder einer Imagekampagne der Uni." Und auch Meurers betont die Vielseitigkeit ihrer Arbeit: "Eine Universität besteht aus zahllosen Fakultäten und Funktionsträgern. Meine Aufgabe ist es, die immer wieder an einen Tisch zu bringen und aufeinander abzustimmen." Auch das klingt nicht nach wenig Arbeit, ist aber in einem vergleichsweise moderaten zeitlichen Rahmen zu bewältigen, der sich zumeist im Bereich von 40 bis 50 Wochenstunden bewegt. Für Jazwinski, die zuvor in einer größeren Wirtschaftskanzlei tätig war, und Meurers, die ein Jahr lang als Richterin arbeitete, ist der Zugewinn an Freizeit jedoch nicht einmal der größte Vorzug ihrer jetzigen Berufswahl: "Natürlich ist es schön, mehr Zeit für Hobbies, Freunde und Familie zu haben. Wichtiger als die Frage, wie lange man arbeitet, ist aber die Atmosphäre, in der man dies tut. Gerade in juristischen Jobs herrscht leider häufig eine ziemliche Verbissenheit und es gibt viele unausgesprochene soziale Zwänge; an der Uni geht es da deutlich freigeistiger und entspannter zu." Es gibt sie also, die Berufe mit annehmbarem Gehalt, individueller Freiheit und überschaubaren Arbeitszeiten - sie sind nur gut versteckt und oft eher abseits der ausgetretenen Pfade der juristischen Arbeitswelt zu finden.

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