Keine Gleichbehandlung in der Schneiderei: Schamgefühl der weiblichen Kundschaft geht vor

Ein Salzburger Trachtenhersteller suchte als Vertretung für eine schwangere auf Frauenmode spezialisierte Schneiderin per Inserat eine "Schneidermeisterin". Der Trachtenhersteller wurde daraufhin von der Salzburger Gleichbehandlungsanwaltschaft verwarnt, da er Männer benachteilige. Diese Ungleichbehandlung der etwas anderen Art ist weniger neu, als man glauben mag.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beruht auf einer europäischen Richtlinie. Müsste ein Münchner Trachtenhersteller sich ebenfalls dem Vorwurf der unzulässigen Männerbenachteiligung stellen? Tatsächlich spricht einiges dafür: Nach § 11 AGG darf eine Stellenausschreibung nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG erfolgen. Ein Inserat ist daher grundsätzlich geschlechtsneutral auszuschreiben.

Dennoch muss kein Verstoß gegen das AGG vorliegen: Zwar lässt das nicht geschlechtsneutrale Inserat eine Benachteiligung von Männern vermuten. Eine unterschiedliche Behandlung von männlichen und weiblichen Beschäftigten ist jedoch gemäß § 8 Abs.1 AGG zulässig, wenn sie wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

So ist die unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt, wenn das andere Geschlecht die vertragsgemäße Tätigkeit nicht erbringen kann oder überwiegende öffentliche Schutzinteressen bestehen. Solche Umstände liegen hier nicht vor: Ohne Frage kann ein Schneidermeister die gleichen Leistungen erbringen wie eine Schneidermeisterin.

Schamgefühl kann unterschiedliche Behandlung rechtfertigen

Darauf kommt es jedoch nicht an: Entscheidend ist, dass die Tätigkeit einen direkten Bezug auf weibliche Kunden hat, denn bei der Stelle handelt es sich um eine Schwangerschaftsvertretung für eine auf Frauenmode spezialisierte Schneiderin. Die Tätigkeit setzt einen engen körperlichen Kontakt vor allem bei der Anprobe von Kleidung voraus und greift damit in die Intimsphäre der Kundinnen ein.

Der enge Kontakt bei unter Umständen nicht vollständig bekleidetem Auftreten berührt das Schamgefühl der weiblichen Kunden und beeinträchtigt ein unbefangenes und freies Verhalten. Hierdurch wird in das Recht der Kundinnen auf Achtung ihrer Würde und auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit eingegriffen. Ein männlicher Bewerber darf also abgelehnt werden.

Die Rechtsprechung hat das in vergleichbaren Fällen ähnlich entschieden: So hat das LAG Köln in einer Entscheidung von 1996 dargelegt, dass der Verkauf von Damenbadebekleidung ausschließlich durch Verkäuferinnen durchgeführt werden dürfe. Und kürzlich hat das BAG entschieden, dass in einem Mädcheninternat ausschließlich Erzieherinnen beschäftigt werden können und ein männlicher Bewerber abgelehnt werden dürfe.

In beiden Fällen begründeten die Richter ihre Entscheidung mit dem möglichen Schamgefühl der betroffenen Damen.

Ein Trost für alle Männer: Auch der umgekehrte Fall – die Ablehnung einer Frau wegen des möglichen Eingriffs in die Intimsphäre von Männern – ist denkbar. Schließlich ist es nicht so, dass Männer kein Schamgefühl besäßen.

Der Autor Christian Oberwetter ist u.a. Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg und Verfasser zahlreicher Fachpublikation im Arbeitsrecht

Zitiervorschlag

Christian Oberwetter, Keine Gleichbehandlung in der Schneiderei: Schamgefühl der weiblichen Kundschaft geht vor . In: Legal Tribune Online, 20.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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