BVerwG zur durchgefallenen Examenskandidatin

Eine Ver­spä­tung ist kein frei­wil­liger Prü­fungs­ab­bruch

von Marcel SchneiderLesedauer: 3 Minuten

Der aufsehenerregende Fall einer Bielefelder Jurastudentin ist höchstrichterlich entschieden: Wegen weniger Minuten Verspätung zum Prüfungsgespräch hätte das LJPA sie nicht gleich durchfallen lassen müssen, so die Leipziger Richter.

Landesrechtliche Vorschriften, die im Rahmen von berufsbezogenen Prüfungen Sanktionen vorsehen, unterliegen nach dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) strengen Anforderungen was ihre Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit angeht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am Mittwoch entschieden. Es hebt damit einen Bescheid des Landesjustizprüfungsamtes (LJPA) Nordrhein-Westfalen (NRW) auf und ändert die Urteile der Vorinstanzen ab (Urt. v. 27.02.2019, Az. 6 C 3.18).

Anlass zur Entscheidung gab der Fall einer Examenskandidatin in ihrem letzten Versuch der ersten Juristischen Prüfung. Am Tag der mündlichen Prüfung war sie unentschuldigt verspätet zum Prüfungsgespräch mit den anderen Teilnehmern erschienen, das bereits seit fünf Minuten lief. Sie durfte auch nicht zu den folgenden, durch Pausen voneinander getrennten Gesprächsabschnitten nachträglich in die Prüfung einsteigen. Das LJPA erklärte ihre staatliche Pflichtfachprüfung daraufhin für nicht bestanden und verwies dazu auf § 20 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 des Juristenausbildungsgesetzes (JAG) NRW. Danach fällt durch, wer ohne genügende Entschuldigung den Termin für die mündliche Prüfung nicht bis zu ihrem Ende wahrnimmt.

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BVerwG vermisst Verhältnismäßigkeit im Einzelfall

Das Verwaltungsgericht (VG) Minden und das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster hatten noch eine "untrennbare Einheit" der einzelnen Abschnitte des Prüfungsgesprächs angenommen. Entsprechend habe man der Kandidatin auch zu Recht den Wiedereinstieg in die nachfolgenden Gesprächsabschnitte verwehren und die gesamte staatliche Pflichtfachprüfung für nicht bestanden erklären dürfen.

Dieser Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 JAG NRW erteilten die Leipziger Richter aber nun eine Absage. Man hätte den Gesprächsabschnitt, den die Kandidatin verpasste, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mit null Punkten bewerten und sie an den übrigen Fragerunden teilnehmen lassen können.

Nach dem prüfungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot müssten zudem Normen, die Sanktionen vorsehen, dem Prüfling ermöglichen, negative Auswirkungen durch entsprechendes Verhalten zu vermeiden. So wie aber die Münsteraner Richter die Regelung auslegten, kommt sie nach Ansicht des BVerwG einer sanktionsrechtlichen Generalklausel gleich.

Zu Unrecht habe die Vorinstanz nämlich auch solche Fälle unter den § 20 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 JAG NRW gezählt, in denen dem Kandidaten die (weitere) Teilnahme an der Prüfung wegen vorwerfbaren Verhaltens – hier also der Verspätung der klagenden Frau – verweigert wird. Bei verfassungskonformer Auslegung erfasse sie aber nur solche Situationen, in denen ein Kandidat aus eigenem Entschluss aus der Prüfung aussteigt.

Verspätung ist kein freiwilliger Prüfungsabbruch

Letztlich verstoße § 20 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 JAG NRW in der Art und Weise, wie ihn das OVG auslegte, auch gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Norm solle solche Fälle sanktionieren, in denen ein Kandidat die laufende mündliche Prüfung bewusst abbricht, um womöglich in einem neuen Termin seine Erfolgschancen zu erhöhen. Bestrafe man aber auch Konstellationen, in denen sich der Kandidat geringfügig verspätet und immer noch an der Prüfung teilnehmen will, wiege das Nichtbestehen des gesamten staatlichen Pflichtfachteils zu schwer, so die Leipziger Richter.

Insgesamt, so das BVerwG, wird die Situation, in der sich die verspätete Kandidatin befand, bei richtiger Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 JAG NRW nicht erfasst. Die Norm genüge dem Bestimmtheitsgebot und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit erst dann, wenn man bei entsprechender Auslegung solche Fälle erfasse, in denen ein Prüfling aus der begonnenen Prüfung aus eigenem Entschluss aussteigt.

"Meine Mandantin neigt nach aktuellem Stand dazu, die neue Chance, die ihr dieses Urteil aus Leipzig verschafft, zu nutzen", sagt Jan-Christian Hochmann. Der Rechtsanwalt der Kanzlei Rostek, der die klagende Kandidatin vertritt, sieht sich in seiner Auffassung bestätigt: "Es ist völlig unverhältnismäßig, das Nichtbestehen der gesamten Pflichtfachprüfung als Sanktion auch auf Fälle mit wenigen Minuten Verspätung anzuwenden. Zweck der Norm ist doch vielmehr, die 'taktischen Abbrecher' davon abzuhalten, sich einen Vorteil zu verschaffen."

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