BVerwG zu nicht bestandener Examensprüfung

Noch eine Chance für die ver­spä­tete Jura­stu­dentin?

von Marcel SchneiderLesedauer: 4 Minuten

Weil sie den Wiederbeginn ihrer mündlichen Prüfung knapp verpasste, fiel eine Examenskandidatin durch – im letzten Versuch. Die Leipziger Richter entscheiden am Mittwoch nicht nur über prüfungsrechtliche Grundsätze, sondern eine Zukunft.

Wenige Minuten Verspätung könnten der Grund dafür sein, dass viele Jahre Studium völlig umsonst gewesen sind. Kein Wunder, dass der Fall einer Bielefelder Examenskandidatin so heftig umstritten ist. Am heutigen Mittwoch steht die Revision in Leipzig an.

Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wehrt sich die Frau gegen den Bescheid des Landesjustizprüfungsamtes (LJPA) des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen (Az. 6 C 3.18). Das LJPA hatte die staatliche Pflichtfachprüfung für nicht bestanden erklärt und sich dabei auf § 20 Abs. 1 Nr. 3 Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (JAG NRW) gestützt. Danach fällt ein Prüfling durch, wenn er ohne genügende Entschuldigung zu dem Termin für die mündliche Prüfung nicht oder nicht rechtzeitig erscheint oder den Termin nicht bis zum Ende der Prüfung wahrnimmt. Laut dem Bescheid hat die Frau die letztgenannte Alternative erfüllt.

Was war passiert? Nach dem Vortrag am Morgen, der in NRW als ein Teil der mündlichen Prüfung im ersten Examen vorgesehen ist, war die Kandidatin in die Pause gegangen. Für den Vormittag um 11.30 Uhr war das Prüfungsgespräch mit den anderen Teilnehmern angesetzt. Die Frau ging allerdings von 12.30 Uhr als Zeitpunkt für den Wiederbeginn der Prüfung aus und erschien – aus ihrer Perspektive 40 Minuten zu früh – erst um 11.50 Uhr an den geschlossenen Türen des Prüfungsraums, zu dem ihr die Wachtmeisterin sodann den Zutritt verwehrte. Zuvor hatte der Prüfungsvorsitzende noch bis 11.45 Uhr auf die Kandidatin warten lassen.

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Kein Wiedereinstieg in die Prüfung nach der ersten Fragerunde

Während nach Bekanntwerden des Falls gleich kontrovers diskutiert wurde, wie die Verspätung zu berechnen sei – waren nun lediglich fünf oder bereits 20 Minuten verstrichen? – und wie sich das womöglich auf die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses von der Prüfung auswirken könnte, wählten das Verwaltungsgericht (VG) Minden wie auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster einen anderen Ansatz und wiesen die Klage der Frau gegen den Bescheid ab.

Indem der Prüfungsvorsitzende nach dem Abwarten die Türen schließen ließ und das Prüfungsgespräch begann, habe er der Wachtmeisterin konkludent zu verstehen gegeben, Störungen im Interesse der Chancengleichheit der übrigen Teilnehmer zu unterbinden. Entsprechend habe die Wachtmeisterin der Examenskandidatin zu Recht den Zutritt zum Prüfungsraum verwehrt – auch wenn es sich von 11.45 Uhr bis 11.50 Uhr nur um eine kleine Verspätung gehandelt habe.

Ebenso entschieden beide Gerichte, dass die verspätete Kandidatin zu Recht auch nicht mehr zu den übrigen beiden Teilen des Prüfungsgesprächs zugelassen wurde. Zwar sei dieses in der Regel durch Pausen zwischen den einzelnen Fragerunden zu den großen Rechtsgebieten unterbrochen. Es bilde aber dennoch eine "untrennbare Einheit", was aus § 18 Abs. 3 S. 2 JAG NRW folge, der die Gewichtung der einzelnen Prüfungsleistungen im staatlichen Teil der ersten juristischen Prüfung regelt. Deshalb habe der Frau die verpasste Strafrechts-Fragerunde auch nicht mit null Punkten angerechnet werden dürfen, um sie im Anschluss an den Teilgesprächen zum Öffentlichen und dem Zivilrecht wieder teilnehmen zu lassen.

"Ein rechtlicher Grenzfall" – allerdings von grundsätzlicher Bedeutung

Rechtsanwalt Jan-Christian Hochmann von der Bielefelder Kanzlei Rostek wird die verspätete Kandidatin auch in Leipzig vertreten. Er sagt, dass es sich "rechtlich um einen Grenzfall" handele, und hält die Entscheidungen der Vorinstanzen "aufgrund der aktuell geltenden Prüfungsordnung für nachvollziehbar. Ich halte die Vorschriften aber für zu streng und deshalb für verfassungswidrig." Hochmann ist zuversichtlich: "Die Chancen sind dadurch gestiegen, dass die Revision durch das BVerwG überhaupt erst wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen wurde."

Auch Dr. Arne-Patrik Heinze von der gleichnamigen, aufs Prüfungsrecht spezialisierten Kanzlei in Hamburg glaubt, dass Prüflinge an den übrigen Fragerunden teilnehmen dürfen müssen, auch wenn sie eine oder zwei der vorherigen verpasst haben. Eine "untrennbare Einheit" der einzelnen Prüfungsabschnitte kann er nicht erkennen: "In § 18 Abs. 3 S. 2 JAG NRW sind auch die Aufsichtsarbeiten nur einheitlich genannt. Das würde - nimmt man eine 'untrennbaren Einheit' an -bedeuten, dass auch beim Versäumnis einer schriftlichen Aufsichtsarbeit oder beim Zuspätkommen zu einer solchen die anderen Aufsichtsarbeiten nicht mehr geschrieben werden dürften."

Verhaltener sieht die Sache Prof. Dr. Christian Birnbaum: "Wäre der Zugang zum Prüfungsraum nicht von der Wachtmeisterin, die allem Anschein nach rechtmäßig gehandelt hat, versperrt worden, hätte sich aller Erfahrung nach noch eine Lösung gefunden." Nachdem aber das Prüfungsgespräch im Strafrecht gelaufen "und die Kandidatin davon rechtmäßig ausgeschlossen worden war, gab es wohl keine realistische Möglichkeit mehr, sie nachträglich in die Prüfungskampagne zu integrieren", meint der Gründer der Kölner Kanzlei Birnbaum & Partner. Seiner Meinung könnte die Kandidatin auch im Laufe des Verfahrens einen taktischen Fehler gemacht haben: "Vor dem OVG hat sie anscheinend darauf verzichtet, Beweisanträge zu stellen, was die Rüge nicht hinreichender Sachaufklärung durch das Tatsachengericht praktisch ausschließt."

Die Verhandlung ist für den frühen Vormittag angesetzt, ihre Dauer nicht abzusehen. Zum Ergebnis später mehr an dieser Stelle bei LTO.

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