Die juristische Presseschau vom 1. bis 4. Januar 2016: Pres­se­kon­trolle in Polen / Neue EU-Ver­fas­sung? / Gefälschte Erin­ne­rung

04.01.2016

Polen beschränkt die Pressefreiheit, die EU-Kommission erwägt ein drastischeres Vorgehen. Außerdem in der Presseschau: Freizügigkeit für Flüchtlinge, Manifest der digitalen Freiheit und die vermeintliche Erinnerung an eine Straftat.

Thema des Tages

Polen – Pressefreiheit: Kurz vor Jahresende hat das polnische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Pressefreiheit stark einschränkt. So wird etwa die Leitung öffentlich-rechtlicher Medienanstalten nicht mehr vom Rundfunkrat, sondern dem Minister für Staatsvermögen eingesetzt. Dazu schreiben u.a. Samstags-SZ (Nadia Pantel) und Samstags-taz (Jürgen Kruse) und Montags-taz (Gabriele Lesser). Alexander Mühlauer (Samstags-SZ) fordert ein strenges Vorgehen der EU, denn die Entwicklung in Polen greife die europäische Identität an. Thomas Ludwig (HBl) meint, auch aufgrund der Gefahr ähnlicher Entwicklungen in andreren Ländern sei vehementes Vorgehen gefragt.

Polen – Rechtsstaatsmechanismus: Laut FAS (Thomas Gutschker - Onlinemeldung) will die EU-Kommission am 13. Januar beraten, ob der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus eingesetzt werden soll. Seit 2014 kann damit bei Gefahr der Verletzung europäischer Grundwerte ein mehrstufiges Verfahren eingeleitet werden. Dieses kann in ein Artikel-7-Verfahren münden. Damit wären Sanktionen bis hin zum Stimmverlust in EU-Gremien möglich. Dazu schreiben auch Montags-taz (Eric Bonse) und Montags-SZ (Alexander Mühlauer) und HBl (Peter Thelen). Alexander Mühlauer (Montags-SZ) meint: "Noch nie ist ein Mitgliedsland auf diese Weise sanktioniert worden. Wenn Polen nicht einlenkt, ist es das erste."

Polen – Verfassungsgericht: Mit der kurz vor Weihnachten erfolgten Neuordnung des Verfassungsgerichts befasst sich der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm in der Montags-FAZ. Ein Gesetz, das dem Verfassungsgericht seine Arbeit faktisch unmöglich macht, könne selbst verfassungswidrig sein, das Gesetz sei jedoch nur Symptom. Das eigentliche Problem sei, dass sich in vielen jungen Demokratien, wie auch Polen, noch kein ausreichendes Demokratieverständnis und eine entsprechende Verfassungskultur entwickelt hätten. 

Polen – Venedig-Kommission: Polen hat hinsichtlich des Umbaus des Verfassungsgerichts Anfragen an die Venedig-Kommission des Europarates zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit gesandt. Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz schreibt auf verfassungsblog.de in englischer Sprache, es deute vieles darauf hin, dass die Kommission mit gezielt mangelhaften Informationen zu einer positiven Äußerung gebracht und instrumentalisiert werden soll.

Rechtspolitik

Freizügigkeit für Flüchtlinge: Rechtsprofessor Jürgen Bast erklärt im Interview mit der Montags-taz (Christian Rath) seinen Vorschlag, dass im Einreiseland nur das Asylverfahren stattfinden soll und ein anerkannter Flüchtling anschließend Freizügigkeit in der gesamten EU erhält. Das entlaste die EU-Randstaaten und sei auch für die Integration der Flüchtlinge vorteilhaft. Eine planwirtschaftliche Zwangsverteilung von Flüchtlingen lehnt Bast ab.

Obergrenze und Fußfessel: Heribert Prantl (Montags-SZ) wirft der CSU vor, populistisch rechtswidrige Forderungen stellen. Eine fixe Obergrenze für Flüchtlinge und das Abweisen von Menschen ohne Papieren verstoße nicht zuletzt gegen das Asylgrundrecht. Eine Fußfessel für "verurteilte Gefährder" sei verfehlt, weil es die nicht gebe. Eine Fußfessel für reine Gefährder sei als vorweggenommene Strafe rechtsstaatlich bedenklich und praktisch nutzlos.

Verjährung bei Raubkunst: Rechtsanwalt Gunnar Schnabel meint im Focus, dass in der Raubkunstdebatte und in der Auseinandersetzung mit dem Fall Gurlitt ein entscheidender Punkt untergegangen sei: Antragsteller scheitern an der Verjährung von Rückgabeansprüchen, daher sei die Verjährung hier abzuschaffen.

Digitale Freiheit: Neun Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen haben in der aktuellen Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" ein "Digitales Manifest" veröffentlicht mit Forderungen und Vorschlägen zum Schutz der Freiheit im digitalen Zeitalter. Ulf von Rauchhaupt (FAS) kritisiert die Vorschläge, die ihrerseits Freiheiten opferten und umfassenden Datenzugriff durch staatliche Institutionen erleichterten.

Ersatzstimme: Stimmen für Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, bleiben ohne Wirkung. Um das auszugleichen, könnte eine Ersatzstimme bestehen, die nur für den Fall der Wirkungslosigkeit der Hauptstimme gezählt wird. Einen dahingehenden Gesetzesvorschlag der Piraten-Partei wird nun der Landtag in Schleswig-Holstein beraten. Mit wenig Aussicht auf Erfolg, meint Heribert Prantl (Montags-SZ), aber eine "pfiffige Idee" sei es trotzdem.

EU-Reform-Konvent: Eine überfraktionelle Arbeitsgruppe von EU-Abgeordneten, die "Spinelli-Gruppe", will 2016 einen Konvent zum Umbau der EU einberufen lassen. Die Veränderungsbedürfnisse seien allen bewusst und nach dem letzten Konvent, der die gescheiterte EU-Verfassung entwarf, sei ein neuer Anlauf erforderlich. Das meldet der Focus (mm).

Prostituiertenschutzgesetz: Die Montags-taz (Dinah Riese) befasst sich mit der Anmeldepflicht im geplanten Prostituiertenschutzgesetz. Experten aus Beratungsstellen sehen darin keinerlei Schutz, da sich Opfer den Beamten in einem Kurzgespräch nicht anvertrauten. In Österreich habe sich gezeigt, dass auch Opfer von Menschenhandel angemeldet würden.

Wlan-Haftung: Die Montags-SZ (Helmut Martin-Jung) zeigt den Sachstand bei der geplanten Regelung zur Haftung von Wlan-Betreibern auf. Nicht nur, weil der Bundesrat die Haftungsregelung ablehnt, werde Deutschland auf offene Wlan-Netze noch eine Weile warten müssen. Auch die Koppelung an die geplante Regelung zur Löschpflicht von illegalen Inhalten durch Anbieter von Internetspeicherdiensten könne das Gesetz noch ausbremsen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 4. Januar 2016: Pressekontrolle in Polen / Neue EU-Verfassung? / Gefälschte Erinnerung . In: Legal Tribune Online, 04.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18015/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

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