Die juristische Presseschau vom 30. Mai 2012: US-Großkanzlei insolvent – Zwei weitere NSU-Verdächtige frei – Proberichter probt Rechtsbeugung

30.05.2012

Die amerikanische Großkanzlei Dewey & LeBoeuf meldet Insolvenz an. Außerdem in dieser Presseschau: EU-Patentgericht sucht Bleibe, Doppelbesteuerungsabkommen, Pflichtteilsrecht, ein Imam im Thüringer Strafvollzug, Insolvenztourismus in Europa, erhöhter Betreuungsaufwand und warum Mario Monti nach einer spektakulären Razzia Verzicht vorschlägt.

Gläubigerschutz für Dewey & LeBoeuf: Die renommierte Großkanzlei Dewey & LeBoeuf hat Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts beantragt, berichtet die SZ (Nikolaus Piper) in ihrem Wirtschaftsteil. Zu hohe Fixgehälter, Abwerbungskosten für Staranwälte und eine lediglich mit Krediten finanzierte Expansion nach der Fusion zweier kleinerer Firmen 2007 hätten zu 315 Millionen US-Dollar Schulden geführt.

spiegel.de (David Böcking) gibt Informationen zur Geschichte und zum illustren Mandantenstamm, zu dem unter anderem die Spielergewerkschaften der Basketball- und Baseballprofiligen gehört hätten.

Das Handelsblatt (Thomas Jahn) bringt ein Porträt des ehemaligen Chefs der Sozietät, Steven Davis: Der Jurist, den das US-Finanzministerium wegen der Manipulation von Finanzdaten angeklagt habe, sei"vom Größenwahn gestoppt" worden.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Insolvenztourismus: Rechtsanwalt Klaus U. Eyber (FAZ) kritisiert die für Gläubiger unfreundliche Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO). Diese ermögliche dem Schuldner das "forum shopping", die Verlagerung des Wohnsitzes in ein bestimmtes Land, um dort in den Genuss besonders schneller Insolvenzverfahren einschließlich Restschuldbefreiung zu kommen. Die Insolvenzverfahren einzelner Staaten hätten EU-weit Anerkennung zu finden, dies habe unter anderem das Oberlandesgericht Bamberg in einer Entscheidung 2010 festgestellt. Gläubigern werde es durch die Insolvenzverfahren nach ausländischem Recht nachhaltig erschwert, ihre Forderungen geltend zu machen.

BMJ verweigert ACTA-Auskünfte: Markus Beckedahl (netzpolitik.org) kritisiert die nach seiner Auffassung zögerliche und unvollständige Informationspolitik des Bundesjustizministeriums im Zusammenhang mit ACTA. Eine Anfrage der Gesellschaft für Informatik sei erst nach drei Monaten beantwortet worden, dem Netzaktivisten Mathias Schindler würden unter Hinweis auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit Dokumente zu den ACTA-Verhandlungen vorenthalten.

Genehmigungsverfahren bei Großprojekten: Im Rahmen eines Themenschwerpunkts zum Bau der geplanten neuen Stromtrassen weist das Handelsblatt (Heike Anger) auf die Schwierigkeiten bei den Genehmigungsverfahren bei Projekten dieser Größenordnung hin. Insbesondere Naturschutzaspekte könnten die Verfahren oft Jahre in die Länge ziehen. Daran werde auch das neue Netzausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg) wenig ändern.

EU-Patentgericht sucht Bleibe: Auf dem EU-Gipfel im Juni soll entschieden werden, ob das zu schaffende EU-Patentgericht seinen Sitz in Paris oder in München erhalten wird, berichtet das Handelsblatt (Thomas Ludwig). Ab 2014 soll es mittels einer einzigen Anmeldung möglich sein, ein Patent EU-weit schützen zu lassen, wobei Italien und Spanien sich an dem Verfahren nicht beteiligen, da das EU-Patent nur auf Deutsch, Französisch und Englisch angemeldet werden kann.

Weitere Themen – Justiz

Zwei weitere NSU-Verdächtige frei: Die Bundesanwaltschaft hat die Freilassung von Matthias D. und  Carsten S., zweier weiterer mutmaßlicher Unterstützer der NSU angeordnet, berichtet unter anderem der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt). Dabei werde Carsten S. zur Last gelegt, die Pistole Ceska mit Schalldämpfer besorgt zu haben, die bei neun der zehn Morde verwendet worden sei. Die SZ (Hans Leyendecker) führt aus, dass nach einer Expertise des Duisburger Psychiaters Leygraf im Verfahren gegen Carsten S. Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen werde.

Proberichter probt Rechtsbeugung: Die SZ (Wolfgang Janisch) bringt einen Vorbericht über einen Proberichter aus Eschwege, der sich vor dem Bundesgerichtshof wegen Rechtsbeugung verantworten muss. Der damals 33-Jährige* habe unter anderem 2009 einen Angeklagten bedroht und 30 Sekunden lang in eine Zelle gesperrt, als dieser sich standhaft geweigert habe, ein Exhibitionismusdelikt zuzugeben. Da es zu zahlreichen Übergriffen dieser Art gekommen sei, habe die Staatsanwaltschaft nach dem Freispruch durch das Landgericht Kassel erfolgreich Revision eingelegt.

BVerfG – Doppelbesteuerungsabkommen Türkei: Rechtsanwalt Wolfram Vogel (FAZ) setzt sich mit einem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs auseinander. Das Gericht in München halte eine Norm für verfassungswidrig, die ein bestehendes Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abändere und will diese Frage vom Bundesverfassungsgericht geklärt haben. Konkret gehe es um die Steuerbarkeit von Einkünften, die ein Arbeitnehmer in der Türkei erzielt habe. Dieser sei im Rahmen des noch geltenden DBA von der Steuerpflicht in Deutschland befreit, auch wenn er in der Türkei seine Einkünfte nicht ordnungsgemäß versteuert habe. Eine deutsche Vorschrift, die das DBA umgehe, verstoße gegen den Grundsatz "pacta sunt servanda".

BVerfG – Revolutionäre Zellen: Die 79-jährige Sonja Suder, der zur Last gelegt wird, vor 34 Jahren zusammen mit ihrem Mann Mitglied der Revolutionären Zellen gewesen zu sein, befindet sich seit mehr als acht Monaten in Untersuchungshaft wegen hoher Fluchtgefahr. Wegen der überlangen Verfahrensdauer werde sich die Frau jetzt an das Bundesverfassungsgericht wenden, berichtet die FR (Andreas Förster). Anklage müsse spätestens nach sechs Monaten erhoben werden.

BGH – Erhöhter Betreuungsaufwand: Richter am Amtsgericht Hans-Otto Burschel (blog.beck.de) stellt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor. Das Gericht habe einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt einer Mutter bejaht. Auch Kinder im Alter von 17, 15 und 12 Jahren erforderten einen gewissen Aufwand bei der Betreuung, der in diesem Fall durch die Fahrten zu Sportveranstaltungen auch noch erhöht sei.

BGH – Ausweitung des Pflichtteilsrechts: Der Notar Prof. Herbert Grziwotz (lto.de) setzt sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auseinander, der den umstrittenen Pflichtteilsanspruch bei einer Schenkung auf Ungeborene ausgeweitet habe. Problematisch sei, dass Personen in den Genuss einer Vermögensbeteiligung kämen, bei denen es außer einer vagen Familiensolidarität keine echte Begründung für eine Nachlassbeteiligung gebe.

Imam im Strafvollzug: Über die ehrenamtliche Arbeit eines Imams im Strafvollzug in Thüringen berichtet die FAZ (Claus Peter Müller). Das Landesamt für Verfassungsschutz meine, Abdullah Dündar verfolge salafistische Ziele. Das Justizministerium sehe hingegen nicht, dass eine Gefahr von dem Mann ausgehe.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Philippinen – Amtsenthebung für Obersten Richter: Der Oberste Richter der Philippinen, Renato Corona, ist vom Senat seines Amtes enthoben worden, berichtet die FAZ (Till Fähnders). Der Jurist sei schuldig befunden worden, ein Vermögen von 2,4 Millionen US-Dollar nicht korrekt deklariert zu haben.

Italien – Sofri und Ginzburg: Patrick Bahners (FAZ) nimmt im Feuilleton die Freilassung des italienischen Journalisten Adriano Sofri im Januar diesen Jahres zum Anlass, sich mit Carlo Ginzburgs Buch "Der Richter und Historiker" auseinanderzusetzen. Sofri war 1991 wegen Anstiftung zum Polizistenmord verurteilt worden. Ginzburg hatte seinen Freund gegen die aus seiner Sicht inszenierten Tatvorwürfe verteidigt. Jetzt habe Perry Anderson Ginzburg dafür kritisiert, aus der Warte eines Verteidiger, nicht als Historiker seine berühmte Untersuchung geführt und damit gegen die methodologischen Grundsätze der Geschichtswissenschaft verstoßen zu haben.

Sonstiges

Todestag Johann Paul Anselm Ritter von Feuerbach: Der Publizist Jürgen Seul (lto.de) porträtiert den Mitverfasser des Bayerischen Strafgesetzbuches. Der Jurist habe 1806 das Verbot der Folter im Königreich durchgesetzt und den Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" geschaffen. Zeit seines Lebens sei Feuerbach für das Waisenkind Kaspar Hauser eingetreten, mit dessen Untersuchung er die moderne Kriminalpsychologie begründet habe. Am 29. Mai 1833 wurde er vergiftet.

Das Letzte zum Schluss

Mario Monti rät zum Verzicht: Zwei Tage nach der spektakulären Razzia im Trainingslager der italienischen Fußball-Nationalmannschaft im Rahmen von Ermittlungen wegen des Verdachts von Wettmanipulationen, regt Ministerpräsident Mario Monti eine mehrjährige Pause im italienischen Profifußball an. Das berichtet spiegel.de (Fabian Reinbold). Das Handelsblatt (Katharina Kort) gibt einen Überblick zu dem, was alles aus dem Ruder gelaufen ist seit dem letzten großen Fußballskandal im Lande des Calcio.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

*Anm. d. Red.: Die Presseschau enthielt zunächst fälschlicherweise die Angabe, der Richter auf Probe, der sich nach Angaben der SZ vor dem BGH wegen Rechtsbeugung verantworten muss, sei zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Taten 23 Jahre alt gewesen. Hierbei handelte es sich um einen Tippfehler, den wir zu entschuldigen bitten; die Änderung erfolgte noch am Tag der Veröffentlichung um 10:54 Uhr.


(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. Mai 2012: US-Großkanzlei insolvent – Zwei weitere NSU-Verdächtige frei – Proberichter probt Rechtsbeugung . In: Legal Tribune Online, 30.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6287/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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