Die juristische Presseschau vom 27. November 2019: Frei­spruch für Voll­zugs­beamte / Mie­ten­de­ckel für Berlin / Frei­heit für Jens Söring

27.11.2019

Der BGH hebt die Verurteilung von JVA-Beamten wegen fahrlässiger Tötung auf. Außerdem in der heutigen Presseschau: Der Berliner Senat beschließt den umstrittenen Mietendeckel und in den USA kommt der als Mörder verurteilte Jens Söring frei.

Thema des Tages

BGH zu Vollzugsbeamten: Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung zweier leitender Vollzugsbeamter wegen fahrlässiger Tötung aufgehoben. Ihnen war zum Vorwurf gemacht worden, dass ein Häftling, für dessen offenen Vollzug sie verantwortlich waren, während eines Freigangs einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht hatte. Die Beamten hätten bei ihrer Entscheidung für eine Vollzugslockerung allerdings keine Pflichten verletzt, so die taz (Christian Rath). Der ihnen zur Verfügung stehende Beurteilungsspielraum umfasse eine Abwägung zwischen dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und dem Resozialisierungsanspruch des Gefangenen. Er werde nicht dadurch überspannt, dass sich eine Prognose im Nachhinein als unzutreffend erwiesen habe. Der Bericht von lto.de gibt auch Reaktionen zur Entscheidung wieder. Sowohl die Verteidigung als auch der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) betonten die nun beseitigte Verunsicherung von Justizbeamten.

Rechtspolitik

Mietendeckel: Der Berliner Senat hat den sogenannten Mietendeckel beschlossen, berichten lto.de und taz-Berlin (Bert Schulz). Das Abgeordnetenhaus werde sich Mitte Dezember mit dem Entwurf befassen, die CDU der Hauptstadt habe derweil eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Auf verfassungsblog.de legen Florian Rödl, Maike von Restorff und Selma Gather, Rechtsprofessor bzw. Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, dar, warum das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz für den "Deckel" tatsächlich besitze.

Kinderrechte: Über den Entwurf einer Verfassungsergänzung zu einer besseren Sichtbarmachung von Kinderrechten und die Kritik hieran berichten nun auch Tsp (Jost Müller-Neuhof) und Welt (Sabine Menkens). Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) kommentiert, dass das Grundgesetz "nicht für solche Richtungsentscheidungen" tauge. Der Vorschlag belege, dass "die Erwartungen an die Verfassung … völlig überfrachtet" seien.

Wiederaufnahme von Strafverfahren: Überlegungen des Bundesjustizministeriums, die Wiederaufnahme von Strafverfahren bei Vorliegen neuer Beweismittel wie etwa DNA-Spuren zu erleichtern, kritisiert Jost Müller-Neuhof (Tsp) in einem Kommentar. Auch wenn es für diese Möglichkeit etwa bei Mordfällen internationale Beispiele gebe, entwerte sie jeden Freispruch. Dabei gehöre gerade die Berechenbarkeit und prinzipielle Unantastbarkeit von Urteilen "zum Markenkern des nationalen Justizsystems".

Hartz-IV-Sanktionen: Der SZ (Wolfgang Janisch/Henrike Roßbach) liegt ein Weisungsentwurf des Bundesarbeitsministeriums zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz-IV-Sanktionen vor. Nach dem Papier seien bei einer "kumulativen Verletzung von Pflichten" der Leistungsempfänger auch weiterhin Sanktionen möglich, die die im Urteil behandelte 30%-Grenze überschreiten.

E-Evidence-Verordnung: Die SZ (Karoline Meta Beisel) schreibt über den Fortgang der von der EU-Kommission betriebenen Arbeit an einer E-Evidence-Verordnung. Das Vorhaben soll Ermittlern ermöglichen, bei schweren Straftaten die zu Verdächtigen gehörenden Datenspuren direkt bei einem Provider im EU-Ausland abzufragen. Für das EU-Parlament habe nun die Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) eine Stellungnahme vorgelegt, nach der die lokalen Justizbehörden in jedem Fall zu benachrichtigen sind.

Flaggenverbrennungen: Nach einer Meldung von zeit.de arbeitet das Bundesjustizministerium derzeit an einem Gesetzentwurf, nach dem das Verbrennen des Hoheitszeichens eines Staates als Straftat mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden soll.

Justiz

EuGH – DUH-Klagebefugnis: Eröffnet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz einem Verband wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH) die Befugnis, gegen die behördliche Zulassung sogenannter Thermofenster zu klagen? Diese Frage, die temperaturabhängige Abschalteinrichtungen bei Softwareupdates zu manipulierten Diesel-Motoren betrifft, wurde vom Verwaltungsgericht Schleswig verneint. Gleichzeitig wurde dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob sich eine Klagebefugnis auch unmittelbar aus Unionsrecht ergeben könne, schreibt lto.de (Alexander Cremer) in einer ausführlichen Darstellung der rechtlichen Problematik.

EuGH – LKW-Fahrer: In einem Verfahren zur Sozialversicherungspflicht international tätiger LKW-Fahrer hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Priit Pikamäe festgestellt, dass als Arbeitgeber das Unternehmen anzusehen ist, welchem die Betroffenen tatsächlich zur Verfügung stehen und von dem sie Weisungen empfangen. Nach dem Sitz dieses Unternehmens richte sich dann auch die Sozialversicherungspflicht. Etwaige anderslautende Vertragskonstruktionen seien wegen Rechtsmissbräuchlichkeit hinfällig. Der Gastbeitrag der Rechtsanwälte Angela Emmert und Lennard Lürwer stellt in der FAZ die Rechtsproblematik, auch mit Bezug auf den deutschen Mindestlohn, dar und drückt die Hoffnung aus, dass sich durch den EU-Mobilitätspakt die Wettbewerbsbedingungen in der Branche annähern werden.

EuGH – Musik-Uploads: Auf Vorlage des Bundesgerichtshofs verhandelte der Europäische Gerichtshof zu einer möglichen Haftung von Plattformen wie YouTube für Urheberrechtsverstöße durch ungenehmigte Musik-Uploads. tagesschau.de (Claudia Kornmeier) bringt einen Vorbericht.

BPatG – "Black Friday": Vor der für den kommenden Freitag in Einkaufszentren anstehenden Rabattaktion "Black Friday" erinnert die FAZ (Marcus Jung) daran, dass der beim Bundespatentgericht anhängige Streit über die Markeninhaberschaft der Bezeichnung "Black Friday" nach wie vor nicht entschieden ist. Eine "Super Union Holding" als Anmelderin der Wortmarke wehrt sich gegen die Löschung durch das Deutsche Paten- und Markenamt.

OLG S-H zu Diesel-Skandal: Ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines vom Diesel-Skandal betroffenen Fahrzeugs entfällt, wenn das Auto ohne Mindererlös weiterverkauft wurde. Dies entschied nach Meldung von lto.de das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht am vergangenen Freitag. Der unterlegene Kläger hatte seinen Audi bei einem Neukauf in Zahlung gegeben und erst anschließend Schadensersatz geltend gemacht.

OLG Celle zu Autobahnbetreiber: Eine gegen die Bundesrepublik erhobene, 778 Millionen Euro schwere Schadensersatzforderung des Autobahnbetreibers A1 bleibt vorerst unerfüllt. Wie schon die Vorinstanz entschied nun auch das Oberlandesgericht Celle, dass der Betreiber das sogenannte Verkehrsmengen-Risiko "ausschließlich und unbegrenzt" selbst übernommen habe. lto.de berichtet.

OVG NRW zu Prüfungs-Rücktritt: Als Dauererkrankung berechtigt eine ADHS-Störung nicht zum Rücktritt von einer Prüfung im Studiengang Bachelor of Laws. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu Beginn des Monats. Nach gegenwärtigem Forschungsstand sei die ADHS-Erkrankung bei Erwachsenen nicht heilbar, allenfalls ließe sich der Umgang mit Symptomen steuern, schreibt lto.de über die Entscheidung. Eine zum Prüfungsrücktritt berechtigende Erkrankung könne nur als zeitweise Zustandsbeeinträchtigung verstanden werden.

LG München I – Check24: Die vom Vergleichsportal Check24 im vergangenen Jahr angebotenen "Jubiläumsdeals" haben nach einer vorläufigen Einschätzung des Landgerichts München I gegen das sogenannte Provisionsabgabeverbot beim Versicherungsverkauf verstoßen, meldet die FAZ (Henning Peitsmeier). Die Urteilsverkündung ist auf den 4. Februar terminiert.

LG München I – Krankenpfleger: Über den Prozessauftakt im Verfahren gegen einen Krankenpfleger, dem am Landgericht München I der Mord von sechs Menschen vorgeworfen wird, berichten die FAZ (Karin Truscheit) und spiegel.de (Wiebke Ramm)Nach Darstellung der Anklageschrift soll der Angeklagte wegen Überforderung und weil er durch die Arbeit seine Nachtruhe gefährdet sah, von ihm betreuten Schützlingen Insulin verabreicht haben.

VG Berlin – Klimapolitik: Zu der abweisenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin auf die Klage von Klima-Aktivisten liegen nun die Gründe vor, schreibt Rechtsanwalt Thomas Lennarz in der FAZ. Das Gericht hatte – wie bereits das Gericht der Europäischen Union in einem ähnlich gelagerten Fall im Mai – eine Klagebefugnis verneint. Dass dies auch anders gehe, hätten dagegen die Anstrengungen eines niederländischen Umweltverbandes bewiesen. Im Verbund mit 900 Privatpersonen habe dieser durch alle Instanzen eine staatliche Verpflichtung erfochten, Treibhausgasemissionen stärker als bislang zu reduzieren.

Verfassungsrichter Maidowski: Bundesverfassungsrichter Ulrich Maidowski spricht mit dem SWR RadioReportRecht (Kerstin Anabah) über seine Arbeit, bei der das Asylrecht eine besondere Rolle einnimmt.

Recht in der Welt

EuGH – Europäischer Haftbefehl: Nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Unabhängigkeit deutscher, litauischer und österreichischer Staatsanwaltschaften wird das Gericht demnächst klären, ob französische, schwedische und belgische Anklagebehörden unabhängig genug sind, um einen Europäischen Haftbefehl ausstellen zu dürfen. Die anhängigen Vorabentscheidungsersuche stellt lto.de (Annelie Kaufmann) vor.

USA – Jens Söring: Der 1990 in den USA wegen der Ermordung der Eltern seiner damaligen Freundin zu zweimal lebenslanger Haft verurteilte Deutsche Jens Söring wird entlassen und nach Deutschland abgeschoben. Dies entschied die Bewährungskommission des US-Bundesstaates Virginia. Ein gleichzeitiger Antrag Sörings auf Begnadigung wurde derweil verworfen. Die jetzige Freilassung sei angemessen wegen des jugendlichen Alters zur Tatzeit und der Länge der verbüßten Strafe, schreibt die FAZ (Majid Sattar) über die Entscheidung der Kommission. Auch Sörings damalige Freundin komme frei und werde nach Kanada abgeschoben. In einer Seite Drei-Reportage beleuchtet die SZ (Karin Steinberger) auch Sörings jahrzehntelange Versuche einer juristischen Rehabilitation.

USA – Trump-Mitarbeiter: Der frühere Leiter der Rechtsabteilung des Weißen Hauses muss nach der Entscheidung eines Bundesgerichts der Vorladung eines Parlamentsausschusses Folge leisten und sich zu russischen Einflussnahmeversuchen auf die letzte Präsidentschaftswahl befragen lassen. Nach den Berichten von FAZ (Majid Sattar) und Hbl (Jens Münchrath) sei aber noch unklar, inwiefern diese Entscheidung Einfluss auf die Anhörungen zu einer Amtsenthebung Donald Trumps hat.

Sonstiges

Polizisten als Zeugen: Richter und Staatsanwälte halten Zeugenaussagen von Polizeibeamten für besonders zuverlässig und gewähren den Polizisten damit einen tatsächlich ungerechtfertigten Vertrauensvorschuss. Zu diesem Ergebnis kommt eine Dissertation des Rechtsanwalts Lukas Theune, die der Autor auf einer Veranstaltung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins in Berlin vorstellte. Aussagepsychologisch problematisch seien etwa der standardmäßige Blick in Ermittlungsakten vor der Vernehmung und die schiere Menge von Aussagen, schreibt lto.de (Annelie Kaufmann) über die Veranstaltung, bei der die These des Autors allerdings auch kritisiert wurde.

VVN/BdA: Nach Meldung der SZ (Ronen Steinke) hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) Widerspruch gegen einen Bescheid des Berliner Finanzamtes eingelegt, mit dem ihr der Gemeinnützigkeitsstatus aberkannt worden war. Das Finanzamt hatte sich bei der Entscheidung auf eine vom bayerischen Verfassungsschutz vorgenommene Einstufung des Vereins als "linksextrem beeinflusst" berufen. Nach dem separaten Kommentar von Ronen Steinke (SZ) dürfte auch die in Angriff genommene Reform des Gemeinnützigkeitsrechts an Entscheidungen wie der nun angefochtenen nicht viel ändern. Der bisherige Entwurf sehe Steuererleichterungen nur dann vor, wenn politische Betätigung in Vereinen "weit in den Hintergrund tritt". Offenbar wolle man politisches Engagement auf die Mitarbeit in Parteien beschränken.

Peter Biesenbach: Die FAZ (Reiner Burger) beschreibt eine "gefährliche Groteske" mit dem Potential eines Amtsverlustes für den nordrhein-westfälischen Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Der Minister stehe im Verdacht, bei einer Aussage im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur angeblichen Hacker-Attacke auf die frühere Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking (CDU) falsch ausgesagt zu haben.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. November 2019: Freispruch für Vollzugsbeamte / Mietendeckel für Berlin / Freiheit für Jens Söring . In: Legal Tribune Online, 27.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38909/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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