Die juristische Presseschau vom 27. April 2012: NSU-Ausschuss fragt Zeugen – EU will Fluggastdaten – BVerfG prüft Wartesemester

27.04.2012

Warum blieb der Nationalsozialistische Untergrund so lange unentdeckt? Die Frage beschäftigt den Untersuchungsaussschuss des Bundestages und ist in den Medien Tagesthema. Außerdem geht es um  Fluggastdaten, Drogenpolitik, Hochschulzulassung, Doping und das Sierra-Leone-Tribunal. Die Polizei wird übrigens nicht nur beleidigt, sondern ist auch mal richtig höflich.

NSU-Ausschuss: Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Nationalsozialistischen Untergrund hat am Donnerstag die ersten Zeugen befragt. Das ist sowohl in der SZ als auch in der taz das Thema des Tages. In der SZ gehen Hans Leyendecker/John Goetz/Nicolas Richter der Frage nach, warum die Polizei so lange im Dunkeln tappte und Tanjev Schultz beleuchtet das zögerliche Vorgehen des Verfassungsschutzes. In der taz sieht Wolf Schmidt durch die Zeugenaussagen die "miese Zusammenarbeit" von Verfassungsschutz und Polizeibehörden bestätigt. Schmidt schildert außerdem das Vorgehen der Profiler im Rahmen der Mord-Ermittlungen.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Fluggastdaten: Nach dem umstrittenen Abkommen mit den USA zur Speicherung von Fluggastdaten wollen die EU-Mitgliedsstaaten nun selbst ein entsprechendes System einführen. Die FAZ (Nikolas Busse) erläutert das Vorhaben. Heribert Prantl (SZ) übt scharfe Kritik an der Sicherheitspolitik der EU und sieht das Bundesverfassungsgericht in die Rolle der "unbeugsamen Gallier" gedrängt – in Karlsruhe werde vergeblich versucht Freiheit und Privatsphäre zu verteidigen.

Schengen-Abkommen: Die erneute Debatte um mögliche Grenzkontrollen im Schengen-Raum fasst die FAZ (Nikolas Busse) zusammen. Günther Nonnenmacher (FAZ) schlägt in einem knappen Kommentar vor, die Mitgliedsstaaten müssten die Möglichkeit bekommen bei "akutem Bedarf" Grenzkontrollen einzuführen, die EU müsse die Maßnahmen jedoch überprüfen können.

Vorratsdatenspeicherung: Die Frist der EU-Kommission zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ist in der Nacht zum Freitag abgelaufen. Den Streit zwischen Innen- und Justizministerium und das Szenario eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik, schildert Die Welt (Stefanie Bolzen/Martin Lutz).

Drogenpolitik: Wie Drogenproduzenten Rechtslücken im Betäubungsmittelrecht ausnutzen erklärt der Rechtswissenschaftler Dieter Müller auf lto.de.

Weitere Themen - Justiz

BVerfG prüft Hochschulzulassung: Das Bundesverfassungsgericht wird sich mit den jahrelangen Wartezeiten etwa bei Medizin-Studiengängen befassen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nimmt an, dass die Gestaltung des Auswahlverfahrens die Berufsfreiheit verletzt und hat die Frage deshalb den Verfassungrichtern vorgelegt. Die taz (Christian Rath) berichtet.

BVerfG zur Meinungsfreiheit: Eine abfällige Äußerung über einen Polizisten, die mit den Worten "Ehrliche Meinung meinerseits" eingeleitet wird, darf nicht von den Strafgerichten als unwahre Tatsachenbehauptung interpretiert werden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht. Udo Vetter (lawblog.de) kommentiert: "Dass in der Entscheidung aus Karlsruhe nicht das Wort Rechtsbeugung auftaucht, liegt nur an der vornehmen Zurückhaltung des Verfassungsgerichts."

Extremismusklausel: Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden zur sogenannten Extremismusklausel, befürchtet Martin Kaul (taz) eine präziserer und schärfere Klausel als bisher. Familienministerin Schröder sei "nicht zu doof für Jura", sondern "dreister, als es dieser Gesellschaft guttut".

Tätowierer Fall: Das Landgericht Berlin hat einen Tätowierer wegen Totschlags zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt, der seinen Berufskollegen mit 50 Beilhieben getötet und zerstückelt hat. Die Welt (Cornelia Herold/Jutta Schütz) berichtet von dem Prozess.

Prozess nach 29 Jahren: Ein Mann, der 1983 seine damalige Geliebte vergewaltigt und getötet haben soll, muss sich jetzt vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Totschlag vor. Dazu Die Welt (Vanessa Steinmetz).

Gießener Baby Leichen: Von den Ermittlungen der Gießener Staatsanwaltschaft nach dem Fund von drei Baby Leichen gegen die Mutter berichtet Die Welt (Hannelore Crolly).

Middelhoff will klagen: Der Ex-Arcandor-Manager Thomas Middelhoff hat seinerseits eine Schadensersatzklage gegen den ehemaligen Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg angekündigt, so zeit.de. Middelhoff wurde vom Landgericht Essen wegen Pflichtverletzungen beim Verkauf einer Karstadt-Immobilie zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.

Bohlen und Ernst August: Wie Bild weiß, wollen Dieter Bohlen und Prinz Ernst August von Hannover vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, um sich gegen Werbung der Zigarettenmarke Lucky Strike zu wehren. Der Bundesgerichtshof hatte die Werbeslogans für zulässig gehalten.

Ermittlung gegen Abou-Nagie: Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen den salafistischen Prediger Ibrahim Abou-Nagie wegen des Verdachts auf Leistungsbetrugs, erfuhr Bild. Erst vor kurzem war ein Ermittlungsverfahren, das sich auf Videobotschaften Abou-Nagies bezog, wegen schwerwiegender Ermittlungspannen eingestellt worden.

Schwerpunkt Dopingbekämpfung: Baden-Württemberg hat in Freiburg eine Schwerpunktsstaatsanwaltschaft zur Verfolgung von Dopingdelikten eingerichtet. Ihren Aufgabenbereich erklärt die taz (Christian Rath) im Sportteil.

Islamische Schlichter: Katja Gelinsky (FAZ) sieht in islamischen Schiedsgerichten eine "Gefahr für den Rechtsstaat". Die Entscheidung für einen sogenannten Friedensrichter sei immer eine Entscheidung "gegen das deutsche Rechtssystem".

Sicherungsverwahrung: Alice Bota (Die Zeit) begrüßt das Urteil des Landgerichts Karlsruhe, wonach vier ehemalige Sicherungsverwahrte Schmerzensgeld erhalten: "Kein Mensch darf nachträglich für etwas bestraft werden, wofür er nicht verurteilt wurde, ganz gleich, wie fürchterlich die Straftaten waren, die er begangen hat."

Weitere Themen – Recht in der Welt

Ex-Präsident Liberias verurteilt: Der frühere Staatschef Liberias, Charles Taylor, ist vor einem UN-Sondertribunal wegen Kriegsverbrechen in Sierra Leone verurteilt worden. Das Strafmaß steht noch nicht fest. Die Welt (Philipp Hedemann) gibt einen Überblick über den Fall. Die taz (Dominic Johnson) setzt sich auf einer Schwerpunktseite ausführlich mit dem Verfahren auseinander. Johannes Dieterich (FR) sieht in dem Urteil eine "Sternstunde", Sierra Leone dürfe nun "aufatmen". Stefan Klein (SZ) ist dagegen der Ansicht, auch für einen Freispruch hätte es gute Gründe gegeben, Taylor sei sein schlechter Ruf zum Verhängnis geworden.

Premier Pakistans verurteilt: Das Oberste Gericht Pakistans hat Premierminister Juzuf Raza Gilani wegen Missachtung der Justiz schuldig gesprochen – allerdings erhielt er lediglich eine symbolisches Strafmaß, das mit dem Ende der Verhandlung bereits erfüllt war. Es berichtet unter anderem die FAZ (Jochen Buchsteiner). Tobias Matern (SZ) hält das in seinem Kommentar für ein "absurdes Urteil".

Gemütliches Gefängnis: Die FTD (Claas Relotius) hat dem "liberalsten Gefängnis der Welt" auf der norwegischen Insel Bastöy einen Besuch abgestattet. Die Reportage findet sich in der Wochenendbeilage.

Das Letzte zum Schluss

Höfliche Polizei: In einer Villa im badischen Ettenheim vermutete die Polizei illegale Hundekämpfe – und kündigte offenbar höflich ihren Besuch an. Zum Durchsuchungstermin war der Besitzer dann allerdings ausgeflogen. Die ganze Geschichte hat lawblog.de (Udo Vetter).

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ak

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. April 2012: NSU-Ausschuss fragt Zeugen – EU will Fluggastdaten – BVerfG prüft Wartesemester . In: Legal Tribune Online, 27.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6090/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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