Die juristische Presseschau vom 25. August 2021: Dat­teln IV vor dem OVG NRW / OLG Ham­burg zu Betriebs­sch­lie­ßungs­ver­si­che­rung / Viel­falt als Staats­ziel?

25.08.2021

OVG NRW steht vor Urteil zur planerischen Zulässigkeit eines Kohlekraftwerks. OLG Hamburg lehnt Ansprüche aus Betriebsschließungsversicherung für coronabedingte Schließungen ab und Migrantenorganisationen fordern Förderung von Vielfalt.

Thema des Tages

OVG NRW – Datteln IV: Voraussichtlich am morgigen Donnerstag entscheidet das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen über die Rechtmäßigkeit eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes als Grundlage des im vergangenen Jahr ans Netz gegangenen Steinkohlekraftwerks Datteln IV. LTO (Tanja Podolski) rekapituliert die zahlreichen gegen den Bau des Kraftwerks angestrengten Verfahren und die verschiedenen planerischen Vorgaben. So sei der ursprüngliche Bebauungsplan vom gleichen Gericht bereits 2009 für unwirksam erklärt worden. Die damalige rot-grüne Landesregierung habe daraufhin eine sogenannte Zielabweichungsentscheidung getroffen, nach der ein neuer Bebauungsplan erstellt wurde. Um diesen geht es im aktuellen Verfahren. Sollte dieser als rechtswidrig eingestuft werden, müsste das Kraftwerk aber noch nicht sofort vom Netz. Zuvor stehe noch die gerichtliche Entscheidung über dessen immissionsschutzrechtliche Genehmigung aus. Die entsprechende Verhandlung sei aber noch nicht terminiert.

Rechtspolitik

Partizipation und Vielfalt: In Berlin hat die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen ihren Entwurf für ein Bundespartizipationsgesetz vorgestellt. Die geplante gleichberechtigte Teilhabe und Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte solle unter anderem durch eine Quotenregelung für den Zugang zum öffentlichen Dienst erreicht werden, schreibt die SZ (Sara Maria Behbehani). Daneben solle das Grundgesetz durch ein neues Staatsziel ergänzt werden, das die Vielfalt der Bevölkerung anerkenne.

Lieferketten und Menschenrechte: Rechtsanwältin Birgit Spießhofer argumentiert im FAZ-Einspruch, dass das aktuell sichtbar werdende Desaster des westlichen Versuchs, in Afghanistan ein demokratiebasiertes "nation building" zu betreiben, die Aussichtslosigkeit der hehren Vorgaben des jüngst verabschiedeten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes unterstreicht. Angesichts der Unsicherheiten der Maßstabsbestimmungen bei der "Pflichtwidrigkeit des Unterlassens" könne wohl kein deutsches Unternehmen mehr in Afghanistan tätig sein.

Cannabis: In einem Kommentar lobt Ronen Steinke (SZ) die Drogenbeauftragte des Bundes, Daniela Ludwig (CSU), für ihren Vorschlag, den Besitz kleinster Mengen Cannabis als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Angesichts internationaler "guter Erfahrungen" bei der Entkriminalisierung des Kiffens stelle sich die Idee gleichwohl als "letzte Aufwallung einer gescheiterten Politik", konkret "der deutschen Cannabis-Prohibition", dar.

EU-Ethikbehörde: Nach Darstellung der FAZ (Hendrick Kafsack) wird das Europäische Parlament im nächsten Monat über die Einführung einer neuen Ethikbehörde abstimmen. Bisherige Ethikregeln für Parlamentarier und Kommissionsmitglieder seien zwar scharf, würden aber nicht konsequent umgesetzt. Eine Initiative, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügt, plane nun ein gemeinsames Ethik-Gremium für Parlament und Kommission, das aus neun unabhängigen Mitgliedern besteht. Dieses Gremium solle Sanktionsempfehlungen abgeben, die dann von der Kommissionspräsidentin oder dem Parlamentspräsidenten verhängt werden sollen.

Corona – 2G in HH: Ab dem kommenden Samstag ist es Publikumseinrichtungen in Hamburg erlaubt, nur noch Geimpfte und Genesene einzulassen. In Betrieben, die sich für das Modell entscheiden, ist dann auch nicht mehr Abstand zu halten, schreibt die FAZ (Matthias Wyssuwa) über das vom Senat der Hansestadt beschlossene, sogenannte 2G-Optionsmodell in der Hansestadt. Oliver Georgi (FAZ) sieht darin eine "Zweiklassengesellschaft". Angesichts ausreichender Impfmöglichkeiten könne sich aber freiwillig für oder gegen eine Impfung entschieden werden. Ebenso freiwillig sei auch das Leben mit den Konsequenzen der Entscheidung.

Justiz

OLG Hamburg zu Betriebsschließungsversicherung und Corona: Eine von einem Hotelbetrieb abgeschlossene Betriebsschließungsversicherung schützt vor behördlichen Anordnungen wegen einer aus dem betreffenden Betrieb stammenden Infektionsgefahr. Kein Versicherungsschutz besteht dagegen bei generellen, coronabedingten Betriebsschließungen. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamburg Mitte Juli nach systematischer und teleologischer Auslegung einschlägiger Bestimmungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Gegen die Entscheidung sei wegen grundsätzlicher Bedeutung Revision zugelassen worden, berichtet beck-aktuell (Holger Grams) und führt auch widersprechende Ansichten in Rechtsprechung und Literatur an.

BVerfG zu Steuerzinsen: Der in der vergangenen Woche veröffentlichte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum "evident realitätsfernen" Zinssatz für Steuernachzahlungen und -erstattungen wird von Rechtsanwalt Carsten Heinz im Recht und Steuern-Teil der FAZ vertieft vorgestellt. Auch wenn bei der angemahnten Gesetzesänderung ebenfalls mit einer typisierenden Verzinsung gerechnet werden müsse, "die sich eher am oberen Ende der Zinsspanne bewegen wird", sei die Entscheidung "aus Sicht der Steuerzahler" zu begrüßen.

BAG zu entsandten Pflegekräften: Rechtsanwalt Christian Reichel wirft im Recht und Steuern-Teil der FAZ einen vertieften Blick auf das Ende Juni ergangene Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum wirksamen Mindestlohnanspruch ausländischer Pflegekräfte, die hierzulande häusliche Betreuungsleistungen erbringen. Er prognostiziert, dass zukünftig noch mehr Pflegebedürftige versuchen, auf Dienstleistungsmodelle mit Selbständigen auszuweichen und gibt zu bedenken, dass auch in solchen Fällen der umfassenden 24-Stunden-Fremdbetreuung im häuslichen Umfeld Grenzen gesetzt seien.

OLG Frankfurt/M. zu Corona-Kinderimpfung: Sind sich die Eltern eines impfbereiten Kindes uneinig über die Impfung, ist die Entscheidungsbefugnis nach Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. jenem Elternteil zu übertragen, das sich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission orientiere. Hierbei sei auch der Kindeswille zu beachten. LTO berichtet.

LG Potsdam zu rechtsextremer Brandstiftung/Versicherungsfall: Nur eine Woche nach seiner strafrechtlichen Verurteilung hat das Landgericht Potsdam den früheren NPD-Funktionär Maik Schneider und zwei weitere Mittäter wegen der Inbrandsetzung einer Turnhalle nun auch zur Zahlung von knapp drei Millionen Euro Schadensersatz verurteilt. Der Betrag fließe an eine Versicherung, schreibt die FAZ.

AG Berlin-Tiergarten – Raser: Vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten ist ein Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, auf einer Straße im Innenstadtbereich mit bis zu 82 km/h unterwegs gewesen und einen Fußgänger, der die Straße überqueren wollte, überfahren zu haben, so spiegel.de. Der Angeklagte habe erklären lassen, dass er nach einem Tankstellenbesuch frustriert gewesen sei und sich daher von dort mit erhöhter Geschwindigkeit entfernt habe.

Akteneinsicht im Zivilprozess: Einen auf Gesetz und Rechtsprechung beruhenden Überblick zu verschiedenen Modalitäten der Akteneinsichtsgewährung im Zivilprozess bringt zpoblog.de (Benedikt Windau).

Recht in der Welt

China – Datenschutz: Am 1. November tritt in China ein nun vom Ständigen Ausschuss des Volkskongresses verabschiedetes Datenschutzgesetz in Kraft, dass "auf den ersten Blick" der Europäischen Datenschutzgrundverordnung ähnele, schreibt die SZ (Christoph Giesen). Tatsächlich beschränkten sich die Bestimmungen zum Umgang mit personenbezogenen Daten auf private Unternehmen. Aufgrund des nationalen Sicherheitsgesetzes dürften staatliche Stellen auch "weiterhin jederzeit" Zugriff auf personenbezogene Daten verlangen.

Sonstiges

EU-Rechtsstaatsmechanismus: Am gestrigen Dienstag ist eine vom EU-Parlament der EU-Kommission gesetzte Frist für die Einleitung von Verfahren im Rahmen des 2020 beschlossenen Rechtsstaatsmechanismus ergebnislos abgelaufen. Der Mechanismus würde die Kürzung von EU-Geldern erlauben, wenn wegen Rechtsstaatsdefiziten der Missbrauch der Gelder droht. Innerhalb der nächsten zwei Monate könne das Parlament beim Europäischen Gerichtshof eine Untätigkeitsklage einreichen, berichtet LTO.

Negativzinsen: Rechtsprofessor Joachim Wieland widerspricht auf dem Verfassungsblog der von Paul Kirchhof vertretenen These, die Erhebung von Negativzinsen durch die Europäische Zentralbank sei ein verfassungswidriger Entzug der Substanz des Eigentums. Nach sowohl verfassungsrechtlicher Rechtsprechung als auch Grundrechtsdogmatik schütze Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz Besitz, Nutzung und Verfügungsgewalt über Eigentum. Eine "Wertsubstanz" hingegen sei der eigentumsrechtlichen Dogmatik fremd.

Corona – Haftungsrisiko Betriebsimpfung: Wer haftet, wenn bei einer Betriebsimpfung gegen das Coronavirus fehlerhaft aufgeklärt oder Impfstoff nicht ordnungsgemäß gelagert wird? Eine Leitentscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 1974 bezeichnete eine arbeitgeberseitig angebotene Grippeschutzimpfung als Maßnahme ohne betrieblichen Bezug, erläutern die Rechtsanwälte Kaspar B. Renfordt und Lisa-Marie Lang auf LTO. Ein etwaiger Impfschaden sei damit kein Versicherungsfall im Sinne des Sozialversicherungsrechts. Aktuellere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts machten die Einordnung vom Vorliegen eines Behandlungsvertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abhängig. Sie erlaubten eine Haftung des Arbeitgebers unter bestimmten Voraussetzungen aber auch bei Verneinung eines solchen Vertrages. Um auf der sicheren Seite zu stehen, empfehlen sich Organisationsmaßnahmen wie die Übertragung der Maßnahme auf externe Dienstleister.

Das Letzte zum Schluss

Schnäppchen: Wer noch ein originelles Geschenk für Weihnachten oder andere Gelegenheiten benötigt, sollte sich am 8. Oktober in Sacramento/USA einfinden. LTO berichtet, dass ein dortiges Auktionshaus insgesamt 174 Objekte aus dem Nachlass des berühmt-berüchtigten Gangsters Al Capone zu versteigern gedenkt. Im Angebot sind etwa ein Lieblingscolt Capones, aber auch eine diamantenbesetzte Streichholzschachtel.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. August 2021: Datteln IV vor dem OVG NRW / OLG Hamburg zu Betriebsschließungsversicherung / Vielfalt als Staatsziel? . In: Legal Tribune Online, 25.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45820/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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