Die juristische Presseschau vom 24. Juli 2012: NPD-Verbot geschreddert? – Staaten arbeitsrechtlich nicht immun – Reli-Unterricht für's Kindeswohl

24.07.2012

Hat der Verfassungsschutz mit den NSU-Akten die Chancen des NPD-Verbotsverfahrens gleich mitgeschreddert? Außerdem in der Presseschau: Steuerreform gegen Cash-GmbHs, Wohnrechtsverzicht keine Schenkung, EuGH zur arbeitsrechtlichen Staatenimmunität, Religionsunterricht im Kindeswohl, Alpenkonvention contra Flächenfraß – und ein Anwalt, der ein Gerichtsurteil fälschte.

NPD-Verbotsverfahren: Wie die SZ (Jan Bielicki) berichtet, will die Bundesregierung trotz Bedenken aus der CSU am Verbotsverfahren gegen die NPD festhalten. CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl hatte zuvor die Chancen des Verbotsverfahren schwinden sehen, weil das Schreddern der NSU-Akten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz das Material des Geheimdienstes "natürlich angreifbarer als früher" gemacht hätte.

Jan Bielicki (SZ) glaubt nicht, dass das Verbot an der Vernichtung einiger weniger älterer Akten scheitern werde. Allerdings müsse das Verfahren nun um so gründlicher vorbereitet werden – "ausgerechnet" vom Verfassungsschutz.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Cash-GmbHs: Mit einer vom Bundesrat angeregten Änderung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes zur Verhinderung der steuerlichen Bevorzugung so genannter Cash-GmbHs setzt sich der Rechtsanwalt Alexander Knauss auf lto.de auseinander – und kritisiert die mit dem Reformvorschlag in seinen Augen verbundene zu weitgehende Einschränkung der unternehmerischen Freiheit.

Der Gesetzgeber wolle mit der Regelung dem Bundesverfassungsgericht zuvorkommen – es sei mit einer konkreten Normenkontrolle durch den Bundesfinanzhof zu rechnen, der das geltende Erbschaftsteuerrecht aufgrund verschiedener Möglichkeiten zur steuerfreien Übertragung von Vermögen für verfassungsrechtlich problematisch halte.

Beschneidungs-Gesetz: Christian Rath (taz) rechnet damit, dass das Bundesverfassungsgericht über das geplante Beschneidungs-Gesetz entscheiden wird und stellt die möglichen Verfahren vor, die zu einer Überprüfung führen könnten. Allerdings rechnet er nicht damit, dass das Gericht das Gesetz kippt.

Als "unglaublichen Vorgang" kritisiert derweil Heide Oestreich (taz) das Vorhaben, "Körperverletzung an Kindern zu legalisieren" und der Religionsfreiheit den Vorrang gegenüber der körperlichen Unversehrtheit zu gewähren.

Zinsmanipulation: Die EU-Kommission will Zinsmanipulationen künftig schärfer bestrafen. Als Konsequenz aus "Liborgate" soll für die Manipulation von Zins-Referenzsätzen künftig eine Gefängnisstrafe drohen. Es berichtet die taz.

Währenddessen weiß die SZ zu vermelden, dass die US-Justiz wegen der Libor-Manipulationen die ersten Haftbefehle gegen Bänker vorbereitet.

Verfassungsrichterwahl: Die Spitze der Unionsfraktion hat zurückhaltend auf den Vorstoß von Bundestagspräsident Norbert Lammert reagiert, die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts zu reformieren. Laut SZ meinte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Michael Grosse-Böhmer, die Besetzung des Gerichts dürfe aktuell "auf keinen Fall politisch instrumentalisiert werden".

Weitere Themen – Justiz

BayVerfGH – Stimmkreisreform: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat verschiedene Popularklagen zur Stimmkreisreform in Bayern verhandelt. Die Kläger kritisieren, dass die Reduktion der Mandate zu einer faktischen Zugangshürde von mehr als 5 Prozent der Stimmen führte, berichtet lto.de. Das Urteil sei für den 4. Oktober angekündigt worden.

BGH zu Wohnrechtsverzicht: Der Verzicht auf ein Wohnrecht stellt nicht zwingend eine Schenkung dar. Ist das Wohnrecht wegen dauernden Pflegeheimaufenthalts "wertlos", ist der Verzicht darauf auch keine Schenkung, so der Bundesgerichtshof laut blog.beck.de (Claus-Henrik Horn).

BGH zu Arglistanfechtung: Das Handelsblatt (Hans Christian Müller) stellt eine jüngere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor, nach der von einer Kartellabsprache Geschädigte mittels der Arglisteinrede nachteilige Verträge im Nachhinein anfechten können. So könnten auch geschädigte "Häuslebauer" unmittelbar erfolgversprechend vor Gericht ziehen – der bisher schon mögliche Weg über Schadensersatzklagen sei nämlich "selten von Erfolg gekrönt" gewesen.

BGH – Anwaltswahl: Die FTD (Friederike Krieger/Anja Krüger) rechnet damit, dass der Bundesgerichtshof die Praxis von Rechtsschutzversicherern stoppen wird, ihre Kunden über Bonus-Malus-Systeme zu ihren Vertragsanwälten zu lenken. In Kürze werde der Gerichtshof über eine entsprechende Klage der Rechtsanwaltskammer München entscheiden.

EuGH zu Staatenimmunität: Ein Staat kann sich gegen arbeitsrechtliche Klagen eines Botschaftsmitarbeiters nicht auf seine Immunität berufen, wenn dieser keine hoheitlichen Tätigkeiten ausübt. Das hat laut FTD der Europäische Gerichtshof entschieden.

BVerwG – Telekom-Auskunftspflicht: Die FTD (Katharina Peuke) rechnet im Streit mehrerer kleiner Internet-Branchendienste gegen die Telekom um Auskunft über Teilnehmerdaten mit einem Sieg der "Kleinen" vor dem Bundesverwaltungsgericht. Zuvor habe der Europäische Gerichtshof im Vorlageverfahren entschieden, dass eine solche Auskunftspflicht nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoße.

BGH zu Filehoster-Haftung: Als "Urteil der Woche" bespricht der Rechtsanwalt Nils Rauer in der FTD die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Filehoster-Haftung.

LG Düsseldorf zur GEMA-Pflicht von Vermietern: Ein Clubbetreiber, der seine Räumlichkeiten für eine Party vermietet, ist nicht als deren Mitveranstalter anzusehen und haftet deswegen auch nicht für unbezahlte GEMA-Gebühren. Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf stellt internet-law.de (Thomas Stadler) vor.

Religionsunterrichtspflicht: Obwohl konfessionslos, müssen zwei Kinder aus der Nordeifel am Religionsunterricht und am Schulgottesdienst teilnehmen – weil dies dem Kindeswohl diene. Das hat einem Bericht der taz (Pascal Beucker) zufolge das örtliche Amtsgericht Monschau auf die Klage des Kindsvaters hin entschieden. Hintergrund sei ein Streit der getrennt lebenden Eltern über die religiöse Erziehung der Kinder.

Bundeswahlgesetz: Für "ausreichend fair" hält Christian Hesse, Professor für Mathematische Statistik an der Universität Stuttgart, in seinem Gastbeitrag für zeit.de die im letzten Jahr verabschiedete Wahlrechtsreform. Der Forscher war Gutachter der CDU/CSU-Fraktion in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das demnächst über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes entscheiden werde.

Klagen gegen griechischen Schuldenschnitt: Die Empfehlungen von Anlegerschützern zum juristischen Vorgehen gegen den griechischen Schuldenschnitt stellt das Handelsblatt (Laura de la Motte) vor. Trotz Bemühungen sei es schwierig, ein Musterurteil zu erstreiten, weil grundsätzlich bei jeder Anleihe eigens geklagt werden müsse.

In einem weiteren Artikel erklärt Laura de la Motte, wann man gegen eine Bank wegen Falschberatung vorgehen kann.

Alpenkonvention und Flächenfraß: Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof will ein Miesbacher im Wege der Popularklage gegen den zunehmenden Flächenfraß im bayerischen Alpenvorland vorgehen – gestützt auf die Alpenkonvention. Damit betrete er juristisches Neuland, weiß die SZ (Christian Sebald) im "München/Bayern"-Teil.

Witwenrente: Über den Kampf der Witwe eines Holocaust-Überlebenden um ihre Opferrente berichtet die taz (Wolf Schmidt). Der Streit dreht sich darum, ob der Tod ihres Ehemannes "verfolgungsbedingt" eingetreten sei – und werde nun vor dem Landgericht ausgetragen.

Jahresbericht Sozialgerichte: Die Sozialgerichtsbarkeit hat ihren Jahresbericht vorgelegt. Einen knappen Überblick gibt lto.de.

Kampf für Knast: Über den Kampf eines politischen Bündnisses für den Erhalt der Flensburger Justizvollzugsanstalt berichtet die FAZ (Anna Hansen-Nootbaar). Hintergrund der eher ungewöhnlichen Initiative sei die Erhaltung des Flensburger Landgerichtsstandorts.

Delisting: Nun setzt sich auch Rechtsanwalt Oliver Nordhues auf dem Handelsblatt Rechtsboard mit den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten Delisting von Aktiengesellschaften auseinander. Das Gericht habe einen "Rahmen für die weitere Rechtsentwicklung" gesetzt, "die keineswegs abgeschlossen" sei.

Weitere Themen – Recht in der Welt

USA – Aurora-Morde: Der mutmaßliche Kino-Mörder James Holmes wurde gestern erstmals vor Gericht angehört und verweigerte die Aussage. Über die Anhörung und die ihm drohende Todesstrafe berichtet spiegel.de.

Rumänien – Rechtsstaat in Gefahr: Die "Demontage des rumänischen Rechtsstaats" beklagt der Ostrechtler Axel Bormann auf lto.de. Das Land befinde sich auf dem Weg in eine "gelenkte Demokratie", die Regierung forciere eine "Erosion der verfassungsgemäßen Kompetenzverteilung" durch Notverordnungen und die Entmachtung des Verfassungsgerichts.

USA – Hinrichtung eines geistig Behinderten: Im US-Bundesstaat Georgia soll nach einer entsprechenden Hinrichtung in Texas laut FR in den nächsten Tagen der geistig behinderte Warren Hill hingerichtet werden. Zwar verbiete die US-Verfassung solche Hinrichtungen. Ein Gericht habe jedoch entschieden, dass die geistige Behinderung des Verurteilten nicht zweifelsfrei feststehe.

Sonstiges

Mordmotive: Anlässlich des Aurora-Kino-Attentats fragt sich Christian Geyer im FAZ-Feuilleton "Wie wird man zum Mörder?" und setzt sich mit den Erkenntnissen der forensischen Psychiatrie auseinander – die allerdings die Frage nach der Ursache eines Verbrechens auch nicht zu beantworten vermöge.

Das Letzte zum Schluss

Getürktes Urteil: Um seinen Mandanten ruhigzustellen, soll ein Göttinger Rechtsanwalt ein abweisendes Landgerichts-Urteil einfach selbst geschrieben haben – jedenfalls hat das betreffende Gericht keinerlei Kenntnis von dem entsprechenden Urteil. Über den skurrilen Fall schreibt lawblog.de (Udo Vetter).

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. Juli 2012: NPD-Verbot geschreddert? – Staaten arbeitsrechtlich nicht immun – Reli-Unterricht für's Kindeswohl . In: Legal Tribune Online, 24.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6684/ (abgerufen am: 14.05.2024 )

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