Die juristische Presseschau vom 24. April 2012: BGH stoppt Altersdiskriminierung – Kritik an Ariane Friedrich – Niemand will Kapmug

24.04.2012

Der Bundesgerichtshof bestätigt in einem Grundsatzurteil die Anwendbarkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf Führungskräfte. Außerdem in der Presseschau: Schwierigkeiten mit Sammelklagen, eine UN-Statistik zu organisierter Kriminalität, E-Zigaretten, einen Kodex für Versicherer und die Antwort auf die Frage, warum die nächste Kulturrevolution in Blau stattfindet.

BGH stoppt Alterdiskriminierung: Wird ein leitender Angestellter nach Ablauf eines Zeitvertrags nicht weiterbeschäftigt, weil er dem Arbeitgeber zu alt ist, liegt ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor. Über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Falle des Geschäftsführers der Kölner Klinik-Gesellschaft berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und die FAZ (Caroline Freisfeld): Das Urteil habe grundsätzliche Bedeutung, weil damit die Anwendbarkeit des AGG für Führungskräfte festgestellt worden sei.

Die SZ (cgn) widmet ihr Aktuelles Lexikon dem Begriff Altersdiskriminierung. bild.de porträtiert den Kläger Jekabs Leititis.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung: Laut zeit.de (Kai Biermann) wird die Bundesregierung bis zum Ablauf der Frist am Donnerstag kein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen und auch eine Strafzahlung in Kauf nehmen. Zu unterschiedliche seien die Auffassungen in dieser Frage.

Niemand will Kapmug: Eine Zwischenbilanz bezüglich der Wirksamkeit des Kapitalanlegermusterverfahrens-Gesetz (Kapmug) von 2004 zieht die SZ (Daniela Kuhr) in ihrem Wirtschaftsteil. Das Gesetz in seiner bisherigen Form, das Klagewellen verhindern helfen solle, erfülle nicht seinen Zweck. Der Tübinger Anwalt Andreas Tilp, Vertreter des Musterklägers im Telekom-Mammutverfahren, empfehle trotz gerade geplanter Modifikationen die vollständige Abschaffung.

Kodex für Versicherer: Laut einem Bericht der FTD (Herbert Fromme) beabsichtigt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), das Verkaufsgebaren seiner Mitgliedsunternehmen jährlich von externen Wirtschaftsprüfern kontrollieren zu lassen. Maßstab sei der "Verhaltenskodex für den Vertrieb von Versicherungsprodukten", der noch einmal strenger gefasst werden solle. Skeptiker aus der Branche fragten sich, wie und was zertifiziert werden kann.

Abstrakte Gefährdungsdelikte: Der Strafverteidiger und Professor für Wirtschaftsstrafrecht in München, Klaus Volk (Handelsblatt) untersucht in einem Gastbeitrag die problematische strafrechtliche Figur des abstrakten Gefährdungsdelikts. Wenn der Gesetzgeber Verhaltensweisen unabhängig von einer konkret eingetretenen Gefahr kriminalisiert, müsse er die Grenzen, beispielsweise im Wertpapierhandelsgesetz, hinreichend genau beschreiben.

Weitere Themen – Justiz

Verfassungsklage gegen Betreuungsgeld: Die taz (Christian Rath) bewertet die Chancen der von der SPD und Grünen avisierten Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld: Ein Erfolg sei keineswegs ausgemacht, gerade im Bereich der Familienpolitik gebe das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber große Spielräume bei der Gestaltung von Maßnahmepaketen.

NPD-Verbotsverfahren fraglich: Laut Focus-Print (jub) wackelt der Plan eines parteiübergreifenden Vorgehens bei einem erneuten NPD-Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht. Zum einen gebe das Verfahren gegen die NSU keine Hinweise auf Verbindungen der NPD zum rechten Terror, zum anderen befürchte man, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Verbot kippen könne.

BGH zu Neonazi-Radio: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen die Moderatoren und Administratoren eines im Internet präsentierten Neonazi-Radios wegen mangelhafter Beweisführung kassiert, berichtet spiegel.de (Benjamin Schulz). Jetzt müsse das Verfahren vor dem Landgericht Koblenz erneut durchgeführt werden.

OVG Münster zur E-Zigarette: In einer einstweiligen Verfügung hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen nicht mehr vor der so genannten E-Zigarette warnen darf, berichtet Udo Vetter (lawblog.de). Die Vorrichtung, bei der eine nikotinhaltige Flüssigkeit verdunstet, unterfiele nach Ansicht der Richter weder dem Arzneimittel- noch dem Medizinproduktgesetz.

Siemens-Mitarbeiter unter Korruptionsverdacht: Vor dem Landgericht München müssen sich drei ehemalige Siemens-Mitarbeiter wegen des Vorwurfs der Korruption verantworten, berichtet die SZ (Klaus Ott) in ihrem Wirtschaftsteil. Sie sollen versucht haben, den kuwaitischen Energieminister zu bestechen. Anders als in anderen Fällen habe Siemens in diesem Fall konsequent selbst ermittelt; zudem sehe es so aus, als sei den Mitarbeitern in Kuwait eine Falle gestellt worden.

Renate Jaeger im Interview: In einem Gespräch auf der Recht-Seite der FTD (Anke Stachow) zieht die unabhängige Schlichterin der Anwaltschaft und vormalige Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Renate Jaeger, die Bilanz ihres ersten Jahres. Bei den 1.400 Fällen handele es sich meist um Beschwerden von Mandanten wegen der Höhe des Honorars.

Verena Becker und ein Turnschuh: Professor Henning Ernst Müller (blog.beck.de), Strafrechtler an der Universität Regensburg, setzt sich mit den schlampigen Ermittlungen im Fall des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback auseinander. Konkret geht es um den Abdrucks eines Turnschuhs, Größe 40, der nach der Tat in der Nähe des von den Tätern benutzten Motorrads gefunden worden war. Der Abdruck sei danach aber nicht mehr beachtet worden. Müller hält eine Zusammenarbeit von Verena Becker und dem Verfassungsschutz für wahrscheinlich.

Islamische Streitschlichter: Focus (Margarete van Ackeren, Katrin van Randenborgh) kritisiert in seiner Printausgabe die Funktionsweise von islamischen Streitschlichtern und bezieht sich dabei auf ein Buch des ehemaligen ARD-Journalisten Joachim Wagner. Es bestehe die Gefahr einer "islamischen Paralleljustiz" in Deutschland.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Islands Ministerpräsident frei: Islands früherer Ministerpräsident Geir Haarde ist vom Sondergericht "Landsdomur" in drei von vier Anklagepunkten freigesprochen worden und muss nicht ins Gefängnis. Wie die SZ (Gunnar Herrmann) berichtet, traf lediglich der Vorwurf zu, dass Haarde hinsichtlich der Finanzkrise und der möglichen Staatspleite sein Kabinett nicht hinreichend informiert hatte.

Gunnar Herrmann (SZ) bezeichnet das Verfahren als "Politisches Tribunal" und hält die Rechtsgrundlage, die von Island übernommene alte dänische Verfassung, für einen Anachronismus.

2,1 Billionen Dollar Jahresumsatz: spiegel.de (Nicolai Kwasniewski) stellt den ersten UNO-Bericht zu Organisierter Kriminalität vor. Weltweit seien im Jahr 2009 2,1 Billionen Dollar oder 3,6 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung durch kriminelle Geschäfte erwirtschaftet worden. Der Betrag sei größer als das Bruttoinlandsprodukt von Großbritannien.

Sonstiges

Bücher von Angeklagten: Der Focus (Sabrina Hoffmann) befasst sich in seiner Printausgabe mit ehemaligen Angeklagten, die über ihre Erfahrungen vor Gericht ein Buch geschrieben haben und nennt als Beispiele Amanda Knox und Jörg Kachelmann. Es sei ein heikles Geschäft für die Verlage, wenn jemand nur aus Mangel an Beweisen oder dem Grundsatz in dubio pro reo freigesprochen wurde.

Kritik an Ariane Friedrich: Die Entscheidung der Weltklassehochspringerin und gelernten Kriminalbeamtin Ariane Friedrich, eine Mail sexualisierten Inhalts  zusammen mit Klarnamen und Adresse des mutmaßlichen Urhebers auf Facebook zu veröffentlichen, wird weiterhin überwiegend kritisiert. Thomas Stadler (internet-law.de) verweist darauf, dass auch das Verbreiten wahrer Tatsachen in Ausnahmen seine Grenzen im Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts findet. spiegel.de (Christian Stöcker) hält es für wahrscheinlich, dass der so enttarnte Mann erfolgreich zivilrechtliche Ansprüche werde geltend machen kann.

Das Letzte zum Schluss

Kulturrevolution in Blau: Udo Vetter (lawblog.de) schildert, wie er am gestrigen Tage zum ersten Mal einen Staatsanwalt mit dezent blauer Krawatte beim Sitzungsdienst erlebt hat. Es sei zu hoffen, dass das Ende der weißen Krawatten auch das Ende der Roben bedeutet.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. April 2012: BGH stoppt Altersdiskriminierung – Kritik an Ariane Friedrich – Niemand will Kapmug . In: Legal Tribune Online, 24.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6058/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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