Die juristische Presseschau vom 24. Januar 2018: Prä­si­dent­schaft oder Gefängnis? / Tag des bedrohten Anwalts / Rechts­be­r­ei­ni­gung in Öst­er­reich

24.01.2018

Ein brasilianisches Berufungsgericht entscheidet über die politische Zukunft des Landes. Außerdem in der Presseschau: Ulrich Schellenberg zum Tag des bedrohten Anwalts und die österreichische Regierung macht sich an eine Rechtsbereinigung.

Thema des Tages

Brasilien – Lula da Silva: Der frühere Präsident Brasiliens, Luiz Inacio da Silva oder "Lula", gilt als erfolgversprechender Kandidat für die im Oktober 2018 anstehende Präsidentschaftswahl. Ob er antreten kann, entscheidet am heutigen Mittwoch ein Berufungsgericht in Porto Alegre. Bestätigt das Gericht, wie allgemein erwartet, die erstinstanzliche Verurteilung wegen Korruption, verliert Lula sein passives Wahlrecht, erläutert die SZ (Boris Herrmann). Möglich sei aber auch, dass die Fristen für alle formalen Einspruchsmöglichkeiten über den Wahltermin hinaus laufen. Einen größeren Bericht bringt auch die taz (Andreas Behn).

Rechtspolitik

Anwaltskonvention: Anlässlich des am heutigen Mittwoch begangenen "Tages des bedrohten Anwalts" fordert Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, in einem FAZ-Gastbeitrag die rasche Verabschiedung einer rechtlich verbindlichen Konvention zum Schutz der Anwaltschaft. Auf Veranlassung des Rats der Europäischen Anwaltschaften debattiere die Parlamentarische Versammlung des Europarates heute über den Entwurf einer solchen Konvention. Nicht nur die Geschehnisse in der Türkei verdeutlichten die Notwendigkeit des Schutzes der freien Berufsausübung von Anwälten. Auch ein Blick nach Ungarn oder Polen offenbare, "wie fragil unsere Rechtssysteme sind und wie schnell sicher geglaubte Grundregeln ins Rutschen geraten können".

Bundestagsausschüsse: Die Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen haben sich über die Aufteilung der Vorsitze der Bundestagsausschüsse verständigt. Die AfD als mutmaßlich größte Oppositionsfraktion erhielt dabei den Vorsitz des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz. Er soll von Stephan Brandner geführt werden, schreibt die SZ (Jens Schneider). Heribert Prantl (SZ) fordert die anderen Fraktionen auf, den "Rechtsradikalen" nicht zu wählen. "Das Gesicht des Rechts darf kein Abgeordneter sein, bei dem man zweifelt, ob er zum Geist des Grundgesetzes steht." Reinhard Müller (FAZ) warnt im Leitartikel des Blattes dagegen davor, den Ausschussvorsitz überzubewerten. "Es kommt darauf an, was man daraus macht."

EU-Parlament: Der Verfassungsausschuss des EU-Parlaments hat eine Entscheidung über die Zukunft der bisherigen britischen Sitze des Parlaments getroffen. Während 46 der betroffenen 73 Sitze vorerst gestrichen werden sollen, würden die übrigen 27 dazu verwendet, zu Lasten großer Länder bestehende Ungleichheiten beim Erfolgswert der Wählerstimmen auszugleichen, schreibt die SZ (Thomas Kirchner). Ob dies auch über transnationale Wahllisten erfolge, hänge noch von der erforderlichen Zustimmung des Parlamentsplenums sowie der EU-Staats- und Regierungschefs ab. Die kommende Europawahl 2019 sei von den diskutierten Änderungen noch nicht betroffen.

Verkehrsgerichtstag/Cannabis: community.beck.de (Carsten Krumm) weist auf den heute beginnenden Verkehrsgerichtstag hin. Eines der dort behandelten Themen steht unter dem Titel "Cannabiskonsum und Fahreignung". Nach dem Bericht von spiegel.de will der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hierbei auf die als problematisch befundene besondere Behandlung von Verkehrsteilnehmern hinweisen, die Cannabis mit ärztlicher Erlaubnis konsumieren.

Bildrechte und Datenschutz: Das FAZ-Einspruch-Magazin (Viktoria Kraetzig) prognostiziert einen massiven Einschnitt in den bisherigen Umgang mit Bildrechten durch das Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung im Mai. Fotos, die Menschen zeigten, unterfielen dem im Vergleich zum Kunsturhebergesetz strengen Regiment der Verordnung, soweit Zustimmungsanforderungen und Widerrufsmöglichkeiten betroffen sind. Das Konkurrenzverhältnis beider Normen würde wohl abschließend erst gerichtlich geklärt.

Außenpolitik und Parlament: In einem Gastbeitrag zum FAZ-Einspruch-Magazin plädiert Rechtsanwältin Roya Sangi für eine stärkere Parlamentarisierung der Außenpolitik. Der herkömmliche Exekutivvorbehalt der Außenpolitik entspreche einem überkommenen Verständnis der Trennbarkeit von Politikbereichen. Eine stärkere parlamentarische Beteiligung eröffne dagegen auch die Chance höherer Legitimität außenpolitisch relevanter Entscheidungen.

Justiz

EuGH – Facebook: Am morgigen Donnerstag entscheidet der Europäische Gerichtshof über die Zulassung der von Max Schrems wegen Datenschutzverletzungen durch Facebook angestrengten Sammelklage, schreibt das Hbl (Hans-Peter Siebenhaar) und stellt den österreichischen Aktivisten und dessen Beweggründe aus diesem Anlass vor.

BVerfG zu beschlagnahmten Audi-Akten: Auch das FAZ-Einspruch-Magazin (Marcus Jung) befasst sich nun mit der am gestrigen Montag bekanntgewordenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die bei der Kanzlei Jones Day staatsanwaltschaftlich beschlagnahmten Akten zu möglichen Diesel-Manipulationen bei Audi weiterhin unter Verschluss zu halten. Dass sich auch externe Berater auf das Anwaltsgeheimnis berufen können, sei von der im Diesel-Skandal ermittelnden Anklagebehörde offenbar verneint worden.

BGH – Bewertungsportal für Ärzte: In der mündlichen Verhandlung zum Löschungsanspruch einer Ärztin gegenüber dem Bewertungsportal Jameda sei deutlich geworden, dass der Bundesgerichtshof seine eigene Entscheidung aus dem Jahr 2014 überdenken könnte. Während damals "dem freien Austausch über die Erlebnisse beim Arztbesuch" Vorrang gegenüber Datenschutzinteressen eines Arztes gegeben wurde, erwecke nun ein zahlungspflichtiges "Premium-Paket" der Plattform das Interesse der Bundesrichter, so die SZ (Wolfgang Janisch). Hierdurch könnten Zweifel an der Neutralität des Portals begründet werden. Ein Urteil werde am 20. Februar verkündet.

BGH zu Supermarkt-Rabatten: Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung des Bundeskartellamts bestätigt, bestimmte Rabattforderungen einer Supermarktkette an Lieferanten seien als unzulässiger Missbrauch der Marktmacht zu werten. Im Streit hätten Forderungen der Edeka-Kette nach der bereits zehn Jahre zurückliegenden Übernahme des Discounters Plus gestanden, berichtet die FAZ (Helmut Bünder).

BSG zu Schul-Unfall: Für einen Unfall, der im Rahmen einer schulisch veranlassten Projektarbeit geschehen war, ist nach einem Urteil des Bundessozialgerichts von der Landesunfallkasse Entschädigung zu leisten, auch wenn die Arbeit außerhalb des Schulgeländes stattfand. Die Entscheidung stellt Rechtsanwalt Lars Winkler auf lto.de vor und erläutert den versicherungsrechtlichen Unterschied zu Hausaufgaben, für die ein Versicherungsschutz nicht besteht. Wegen der besonders schweren Unfallfolgen für den betroffenen Kläger dürfe die Entscheidung auch nicht "überinterpretiert" werden.

OLG München – NSU: Vor einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München über die Entbindung ihrer Anwältin hat sich die Nebenklägerin Aysen Tasköprü aus dem NSU-Verfahren zurückgezogen. Grund sei das Plädoyer ihrer vormaligen Anwältin, schreibt sueddeutsche.de (Wiebke Ramm). In diesem hatte die Juristin institutionellen Rassismus auf Seiten der Ermittler ebenso verneint wie eine Verurteilung des mitangeklagten Ralf Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Die Vertreter Wohllebens unterbrachen mit einem Beweisantrag die Fortsetzung der Plädoyers.

OLG Dresden – Gruppe Freital: Die Plädoyers im Verfahren zur sogenannten Gruppe Freital am Oberlandesgericht Dresden wurden mit den Darlegung einer Nebenklagevertreterin fortgesetzt. Die taz (Konrad Litschko) berichtet ausführlich. Ein Urteil könnte im Februar ergehen.

OVG Berlin-BB zu Sonntagsruhe: Zentral festgelegte verkaufsoffene Sonntage in Berlin in den kommenden Wochen sind nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zulässig. Damit habe die Gewerkschaft mit ihrer bundesweiten Kampagne gegen derartige Aufweichungen der Ladenschlussgesetze ihre "erste große Schlappe" einstecken müssen, schreibt die Welt (Carsten Dierig). Stefan Alberti (taz-Berlin) meint dagegen in einem Kommentar, dass steigende Umsätze und Hektik eben auch ein erhöhtes Ruhebedürfnis verursachten. Dies durchzusetzen, sei Aufgabe einer Gesellschaft, die auch anderswo vorgebe, "wie schnell wo zu fahren ist und wie der Müll zu trennen ist".

LG München – Patentstreit: Die SZ (Klaus Ott) berichtet über einen nach Ansicht des Autors fernsehkrimireifen, ab dem morgigen Donnerstag vor dem Landgericht München ausgetragenen Rechtsstreit, durch den der Bayerische Rundfunk in Vertretung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten von einem Patentanwalt gute 200 Millionen Euro zurückfordert. Die Summe soll der von Peter Gauweiler vertretene Beklagte durch Mauscheleien dem öffentlich-rechtlichen Institut für Rundfunktechnik vorenthalten haben.

LG Berlin – Suizidhilfe: In einer Seite-Drei-Reportage berichtet die SZ (Hans Holzhaider) über ein aktuell beim Landgericht Berlin anhängiges Verfahren gegen einen Arzt, dem Tötung auf Verlangen vorgeworfen wird. Der Angeklagte hatte vor mehreren Jahren einer seit langem unter Schmerzen leidenden Frau Tabletten verschrieben, mit denen sie sich selbst tötete. Die Staatsanwaltschaft bezweifle die Selbstbestimmtheit des Sterbewunsches.

LG Traunstein – Mord aus religiösen Motiven: Wegen der Tötung einer Landsfrau ist ein Afghane vor dem Landgericht Traunstein angeklagt. Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass der Angeklagte die Frau tötete, weil sie ihn gefragt habe, ob er nicht wie sie zum Christentum konvertieren wolle, berichten SZ (Matthias Köpf) und spiegel.de (Tobias Lill).

StA München – Dieter Wedel: Die Staatsanwaltschaft München hat gegen den Filmregisseur Dieter Wedel ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts einer nicht verjährten Sexualstraftat eingeleitet. Ausschlaggebend hierfür sei der in einem Zeitschriftenartikel gegen Wedel erhobene Vorwurf eines Übergriffs, meldet die SZ (Oliver Klasen).

Lkw-Kartell: Dem angekündigten Vorhaben des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, im Verbund mit weiteren Verbänden und Speditionen im Ausland für seine Mitglieder Schadensersatz von Teilnehmern des Lkw-Kartells erstreiten zu wollen, bescheinigt Marcus Jung (FAZ) gute Erfolgsaussichten. Die Verbindung mit einem US-amerikanischen Prozessfinanzierer eröffne eine Dynamik, "die ein einzelner Speditionsunternehmer mit seinem Hausanwalt nie in einem Gerichtssaal erzeugen wird".

Recht in der Welt

Österreich – Rechtsbereinigung: Als Teil einer "Deregulierungsoffensive" der neuen österreichischen Regierung hat Justizminister Josef Moser (parteilos) in seiner Eigenschaft als Reformminister angekündigt, alle vor dem Jahr 2000 erlassenen Gesetze aus dem Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht grundsätzlich außer Kraft setzen zu wollen. Die übrigen Ministerien hätten bis Mitte März Zeit, Gesetze anzumelden, die von der Regelung nicht erfasst würden, beschreibt die SZ (Peter Münch) das Vorhaben. Im Weiteren plane der Minister auch eine föderale "Kompetenzentflechtung".

Polen – Justizreform: Die FAZ (Konrad Schuller) setzt sich mit der Behauptung einer kommunistischen Unterwanderung der polnischen Richterschaft – so die nationalkonservative Regierung zur Begründung ihrer umstrittenen Justizreform – auseinander. Tatsächlich habe kein einziges der in den 1990er Jahren gegen Richter durchgeführten Disziplinarverfahren zu einer Verurteilung geführt. Dagegen habe die Richterschaft aber auch zu Zeiten der Volksrepublik Oppositionsgeist besessen und sei später auf mögliche Verbindungen zum kommunistischen Geheimdienst hin untersucht worden.

USA – Herero: Ein Schwerpunkt der taz befasst sich mit der an einem New Yorker Gericht anhängig gemachten Zivilklage von Vertretern der namibischen Volksgruppen Herero und Nama gegen die Bundesrepublik. Der Beitrag von Dominic Johnson erklärt die juristischen Hintergründe einschließlich der von Deutschland bestrittenen Zuständigkeit der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit. Diesen Aspekt greift der vertiefte Gastbeitrag von Geschichtsprofessor Jürgen Zimmerer ebenso auf wie die von der Bundesrepublik bestrittene Einschlägigkeit des Genozid-Begriffs für die Vorgänge im damaligen Deutsch-Südwestafrika.

Sonstiges

Sozialstaat: Privatdozent Alexander Thiele diskutiert auf verfassungsblog.de Konzepte des aus Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz zu folgernden Sozialstaatsprinzips und deren Inhalte.

Selbstverteidigungsrecht und Völkerrecht: Dozent Christian Richter skizziert im FAZ-Einspruch-Magazin völker- und verfassungsrechtliche Grundsätze von Bundeswehrkampfeinsätzen gegen IS-Formationen in Syrien. Der Bundestag hat das entsprechende Mandat kürzlich verlängert, in seiner Analyse sieht der Autor den Einsatz als vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt.

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lto/mpi

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. Januar 2018: Präsidentschaft oder Gefängnis? / Tag des bedrohten Anwalts / Rechtsbereinigung in Österreich . In: Legal Tribune Online, 24.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26647/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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