Die juristische Presseschau vom 19. bis 21. Dezember 2015: Gut­achten zu Flücht­lings-Ober­g­renze / BVerfG zur Beam­ten­be­sol­dung / Ahnungs­lose Schöffen

21.12.2015

Der wissenschaftliche Dienst im Bundestag zweifelt an der Rechtmäßigkeit von Flüchtlings-Obergrenzen. Außerdem in der Presseschau: BVerfG zu Beamtenbesoldung, Kretschmann gegen Burka-Verbote und mächtige, aber ahnungslose Schöffen.

Thema des Tages

Rechtmäßigkeit von Flüchtlings-Obergrenzen? Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich in einem Gutachten u. a. mit der Frage befasst, ob die Einführung einer EU-weiten Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme juristisch möglich wäre – dies sehe das EU-Asyl- und Flüchtlingsrecht bislang jedenfalls nicht vor. Die Antwort ist, so tagesschau.de (Michael Stempfle; dort ist auch das Gutachten abrufbar), "deutlich" ausgefallen: "Eine EU-weite Obergrenze für die Aufnahme von international schutzsuchenden Drittstaatsangehörigen sei 'problematisch' – mit Verweis auf die Artikel 18 und 19 der Grundrechte-Charta. Eine solche Obergrenze wäre, wenn überhaupt, nur denkbar, wenn die betroffenen Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in sichere Drittstaaten zurückgewiesen würden." Die Rechtmäßigkeit von Zurückweisungen in sogenannte Verfolgerstaaten sei nach dem Gutachten "höchst zweifelhaft". Auch enthalte die Grundrechtecharta ein Verbot von "Kollektivausweisungen": zwar sei ein Absehen von der individuellen Prüfung in "Notstandsfällen" möglich, dass "durch die Zahl der in die EU kommenden Flüchtlinge eine notstandsähnliche Extremsituation ausgelöst werden könnte", sei laut Gutachten aber ebenfalls höchst zweifelhaft. Auch für einzelstaatliche Obergrenzen in der EU seien die Hürden sehr hoch, da auch hierfür EU-Vorgaben zum Aus- und Zurückweisungsschutz gelten würden, so tagesschau.de weiter.
Dazu auch zeit.de.

Europäisches Asylrecht: Deutschland und Österreich arbeiten an einem Vorschlag für ein einheitliches europäisches Asylrecht, meldet der Spiegel (Peter Müller). In den sogenannten Hotspots sollen Flüchtlinge solange bleiben, bis eine erste Einschätzung auf den Verbleib in der Europäischen Union vorliege, dann sollen sie auf die EU-Länder verteilt werden. Zuständig für das Asyl-Verfahren sei das Aufnahmeland; Verfahrensdauer und Leistungen sollen EU-weit angeglichen werden. Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen soll in ein Flüchtlingsamt umgestaltet werden.

In der Montags-FAZ kommentiert Reinhard Müller zur Flüchtlingspolitik: Gerade wenn Deutschland insbesondere den Schwachen helfen solle, "setzt dies eine Auswahl, also eine Kontrolle der Flüchtlinge, voraus"; der Ruf nach einem bunteren Deutschland aber sei einfach Einwanderungspolitik, "über die bisher der Souverän nicht abgestimmt hat".

Beschleunigtes Asylverfahren: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge testet in Heidelberg und im niedersächsischen Erstaufnahmelager Bad Fallingbostel in Pilotprojekten ein Asylschnellverfahren, wonach einfache Fälle in ein bis zwei Tagen entschieden sein sollen, melden spiegel.de, die Welt (Hannelore Crolly) und der Spiegel (Hubert Gude). So sollen Anträge nach Erfolgsaussicht in Gruppen eingeteilt werden, über Ersuchen von Flüchtlingen mit sehr guten und sehr schlechten Bleibeperpektive soll direkt entschieden werden. Schwierig gelagtere Fälle werden gesondert geprüft.

Rechtspolitik

Neue Gesetze 2015: Die Samstags-FAZ (Andreas Mihm/Manfred Schäfers) stellt die zwölf Gesetze vor, die der Bundesrat am Freitag an seinem letzten Sitzungstag im Jahr 2015 billigte. Darunter ein Gesetz, das den Datenaustausch in Steuerfragen mit dem Ausland ermöglicht. Die WamS (Jan Damas u. a) beschäftigt sich mit einigen kuriosen, unverständlichen und teuren Gesetzen, die 2015 verabschiedet wurden.

Burka-Verbot: Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprach sich laut Montags-FAZ (Rüdiger Soldt) am vergangenen Samstag auf einer Veranstaltung in Stuttgart u. a. gegen ein Burka-Verbot aus und zeigte sich besorgt mit Blick auf die Ängste vieler Bürger vor dem Islam und einer Islamisierung. So könnten sich Muslime oder auch Christen zu einer höheren Ordnung bekennen, entscheidend sei letztlich, dass man sich an die säkularen Gesetze halte.

Datenschutz-GrundVO: Mit der Einigung auf eine Datenschutz-Grundverordnung hat die Europäische Union sich auf ein epochales Konzept eingelassen, kommentiert Wolfgang Janisch (Montags-SZ) unter dem Titel "Verordnung gegen die Wehrlosigkeit". Die geplante Verordnung werde "Weltgeltung" haben und markiere einen "Kulturwandel", der der individuellen Wehrlosigkeit von Internetznutzern begegnen werde. Damit rücke auch der EuGH mehr in den Fokus, die Ära des Bundesverfassungsgerichts als weltweit geachteter Datenschützer neige sich dem Ende zu.

Syndikusanwälte: Martin W. Huff erklärt für lto.de das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikuswanwälte, welches am Donnerstag vom Bundestag und am Freitag vom Bundesrat verabschiedet wurde. Voraussichtlich wird es zum 01.01.2016 in Kraft treten. Dabei erläutert er auch, welche Gruppe von Juristen nun etwas unternehmen müsse und schildert das Zulassungsverfahren als Syndikusanwalt.

Parteienfinanzierung: Am Freitag hat der Bundesrat die Reform zur Parteienfinanzierung gebilligt. Für die ersten vier Millionen gewonnenen Stimmen bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen erhält eine Partei künftig jeweils einen Euro statt bisher 85 Cent. Für jede weitere Stimme zahlt der Staat 70 Cent. Das Gesetz sieht zudem vor, dass künftig nur noch der Gewinn, nicht mehr der Umsatz aus Geschäften der Parteien, die Unterstützung durch den Staat erhöht. Diese Änderung ziele auf die AfD und deren Handel mit Goldmünzen, so die Samstags-FAZ (Günter Bannas/Eckart Lohse) und zeit.de (insbesondere zur AfD).

Für die Montags-taz stellen Belinda Grasnik und David Schraven (Correctiv) die Aufarbeitungen der Prüfungsergebnisse zur Parteienfinanzierung der Landesrechnungshöfe der vergangenen Jahre durch das Recherchezentrum Correctiv vor.

Reinhard Müller (Samstags-FAZ) bezeichnet das neue Parteiengesetz als "Lex AfD"; diese spreche jetzt von einer "politischen Vernichtung durch die etablierten Parteien." Müller gibt aber zu bedenken, ob die AfD nicht auch selbst für ihren Zustand ein wenig Verantwortung trägt.

Treibhausgase vor Gericht: Unter dem Titel "Im Namen des Klimas" schreibt die Montags-SZ (Jan Heidtmann) über Hoffnungen auch deutscher Umweltschützer und –Juristen, dass in Folge des Pariser Klima-Abkommens der Kampf gegen den Klimawandel künftig auch klageweise gegenüber den Vertragsstaaten durch Organisationen oder einzelne Umweltschützer eingefordert werden könne. In Pakistan und den Niederlanden hätten ähnliche Klagen bereits Erfolg gehabt.

Verhaltensregeln von Unternehmen: In einem Gastbeitrag für die Montags-SZ fordert die Assistenzprofessorin Anna Beckers, der Bruch freiwilliger Verhaltenskodizes von Unternehmen – wie im Falle des VW-Skandals –  müsse künftig auch rechtlich Konsequenzen nach sich ziehen in Form von Kompensationen und Verpflichtung zur Einhaltung. Dies würde mit Blick auf das geltende Recht aber Erweiterungen etwa im Bereich der (Kollektiv)Klagerechte voraussetzen.

EU-Reform: Auf dem EU-Gipfel in Brüssel wollte der britische Premier David Cameron seine Amtskollegen von seinen Reformplänen überzeugen; mit seinen Forderungen, damit Großbritannien weiterhin in der Europäischen Union verbleibt, befassen sich die Samstags-SZ (Daniel Brössler) und die Samstags-FAZ (Michael Stabenow). Die Samstags-Welt (Stefanie Bolzen u. a) fasst die Abschlusserklärung des EU-Gipfels zusammen. Einer Änderung der europäischen Verträge müsste der Bundestag zustimmen, so spiegel.de und zeigt die juristischen Möglichkeiten auf, die nach Meinung der Juristen aus dem Referat EU-Grundsatzangelegenheiten möglich sind.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. bis 21. Dezember 2015: Gutachten zu Flüchtlings-Obergrenze / BVerfG zur Beamtenbesoldung / Ahnungslose Schöffen . In: Legal Tribune Online, 21.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17928/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

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