Die juristische Presseschau vom 24. Oktober 2023: Bekenntnis zu Israel bei der Ein­bür­ge­rung? / Folgen von Wagenknechts Bündnis / AfD und Rechts­staat

24.10.2023

CDU will Anerkennung Israels als Bedingung für die deutsche Staatsbürgerschaft. Was bedeutet die Gründung des "Bündnis Sahra Wagenknecht" für die Linksfraktion? Der Verfassungsschutz hat das Verhältnis der AfD zum Rechtsstaat aufgearbeitet.

Thema des Tages

Einbürgerung: CDU-Parteichef Friedrich Merz hat vorgeschlagen, dass eine Einbürgerung künftig von einem schriftlichen Bekenntnis zur Sicherheit und zum Existenzrecht Israels abhängen soll. Das Bundesinnenministerium hält das für überflüssig. Im Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, der im August im Kabinett beschlossen wurde, seien ausreichende Sicherungen vorgesehen. So soll das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung dahingehend konkretisiert werden, dass "antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen" mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes unvereinbar sind. Außerdem sollen Verurteilungen wegen "antisemitischer, rassistischer oder sonstiger menschenverachtend motivierter Handlungen“ einer Einbürgerung entgegenstehen. Dafür sollen verpflichtende Abfragen der Einbürgerungsbehörden bei den Staatsanwaltschaften eingeführt werden. SZ (Georg Ismar),  taz (Cem-Odos Güler) und LTO (Hasso Suliak) berichten.

Nikolas Busse (FAZ) befürwortet den Vorschlag von Merz. Ein solches Bekenntnis habe "den Vorteil, dass es Wege zur Rücknahme der Einbürgerung eröffnen" könne. Daneben müsse der Staat aber Antisemitismus und Israelfeindlichkeit auch unter Deutschen ohne Migrationshintergrund bekämpfen. Hier müsse das Strafrecht eingesetzt werden.

Rechtspolitik

Asyl/Gerichtsverfahren: LTO (Hasso Suliak) gibt einen Überblick über die Reaktion juristischer Verbände auf die Forderung der Ministerpräsidentenkonferenz, Asylverfahren von Antragssteller:innenn aus Staaten mit niederer Anerkennungsquote auf drei Monate zu begrenzen. Der Deutsche Richterbund fordert mehr Personal. Die Neue Richtervereinigung (NRV), der Deutsche Anwaltsvereins (DAV) und der Republikanische Anwaltsverein (RAV) lehnen die Forderung ab, weil sie weitere Einschränkungen der Verfahrensrechte von Asylkläger:innen befürchten.

Die FAZ (Timo Steppat) erläutert, dass die Beschleunigung der gerichtlichen Asylverfahren auch durch organisatorische Maßnahmen der Länder errreicht werden kann, etwa indem Anträge aus Staaten mit geringer Bleibeperspektive priorisiert bearbeitet werden. Rheinland-Pfalz mache gute Erfahrungen mit der Zentralisierung von Asylverfahren am Verwaltungsgericht Trier. 

Abschiebungen: Am morgigen Mittwoch will das Bundeskabinett den Gesetzentwurf von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für ein Rückführungsförderungsgesetz beschließen. Die SZ (Constanze von Bouillion) schildert noch einmal die geplanten Maßnahmen, etwa die Verlängerung des maximalen Abschiebungsgewahrsams von 10 auf 28 Tage. Am Wochenende hatte Kanzler Olaf Scholz angekündigt: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben". NRW-Inneniminister Herbert Reul (CDU) warnte jedoch: "Wir wecken Erwartungen, und wir wissen: Wir können sie nicht erfüllen. Deshalb regt mich sehr auf, was da aus Berlin kommt. Die reine Show."

Bürokratieabbau: Die SZ (Wolfgang Janisch) befasst sich mit der Geschichte des "Bürokratieabbaus" in Deutschland. Die CDU habe das Thema in den 1970er-Jahren auf die Tagesordnung gesetzt, um den sozialdemokratischen Ausbau des Sozialstaats anzugreifen. Kanzler Helmut Kohl rief 1982 den "schlanken Staat" aus und richtete die Waffenschmidt-Komission ein. 2006 wurde der Normenkontrollrat gebildet. Die Hälfte des Bürokratieaufwands werde allerdings von der EU verursacht. Laut der Rechtsprofessorin Pascale Cancik diene die Entbürokratisierungsrhetorik der Parteien zudem als "Selbstimmunisierung", die die Schaffung ständig neuer Gesetze verschleiere.

Prostititution: Die Rechtsprofessorinnen Sina Fontana, Pia Lange und Dana-Sophia Valentiner schreiben auf dem Verfassungsblog (als Einführung für ein Symposium) über die Grundprobleme der gesetzliche Regulierung von Sexarbeit in Deutschland. Die größte Herausforderung sei die Vielfalt der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter:innen in Deutschland. Alle Ansätze müssten immer von den Rechten der Sexarbeiter:innen ausgehen. Das Prositutiertenschutzgesetz von 2017 werde derzeit vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen evaluiert. 

Mehrstimmrechtsaktien: Rechtsanwältin Barbara Mayer schreibt im Hbl über die geplante Wiedereinführung der Mehrstimmrechtsaktie. Diese ist sowohl im Vorschlag der EU-Kommission für einen Listing Act vorgesehen als auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Zukunftsfinanzierungsgesetz. Hierdurch soll Kontrollverlust von Gründer:innen infolge von notwendigen Kapitalerhöhungen entgegengewirkt werden. 

Justiz

BVerfG zu Forschungsfreiheit und Beschlagnahme: Nun berichtet auch der Tsp (Jost Müller-Neuhof) über die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, wonach die vertrauliche Erhebung sensibler Daten von der Wissenschaftsfreiheit geschützt ist und solche Daten von der Polizei in der Regel nicht beschlagnahmt werden dürfen. 

BGH zu Reiserücktritt/Corona: Wer trotz Rei­se­war­nun­g des Auswärtigen Amts (wegen Co­ro­na-Gefahren am Ur­laubs­ziel) einen Pau­schal­ur­laub bucht, muss dem Ver­an­stal­ter eine Ent­schä­di­gung zah­len, wenn er dann doch zu­hau­se bleibt. Das hat der Bundesgerichtshof in einem jetzt veröffentlichten Urteil von Mitte September entschieden. Im konkreten Fall hatte ein Ehepaar aufgrund der Covid-19-Pandemie seine Reise in die Dominikanische Republik storniert und konnte die gemachte Anzahlung nicht zurückverlangen, wie beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet. 

LG Hannover zu Vergiftung durch Geiger: Der Orchestergeiger Marcus H. wurde vom Landgericht Hannover wegen versuchten Mordes an seiner Mutter und gefährlicher Körperverletzung an zwei befreundeten Orchester-Kolleg:innen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht ging davon aus, dass H. seine demente Mutter aus Mitleid töten wollte, während er den Kolleg:innen nur einen Denkzettel verpassen wollte, weil sie ihn nicht genügend gegen das Mobbing im Orchester unterstützten. Der Geiger habe gewusst, dass jedes Krankenhaus ein Gegenmittel gegen das benutzte Rattengift einsetzen kann. Die SZ (Uta Eisenhardt) berichtet.

LG Wuppertal zu Säureangriff: Das Landgericht Wuppertal hat nach dem Säureangriff auf den ehemaligen Innogy-Manager Bernhard Günther ein Versäumnisurteil gegen einen 43-jährigen Belgier erlassen und ihn zu einer Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 Euro verurteilt. Der Belgier war bereits strafrechtlich verurteilt worden. FAZ und LTO berichten. 

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Wirecard-Prozess vor dem Landgericht München I hat der Angeklagte und Kronzeuge der Staatsanwaltschaft Oliver Bellenhaus bei seiner Aussage den Hauptangeklagten Markus Braun attackiert. Dessen Darstellungen würden die Fakten verdrehen und den Sachverhalt nur selektiv wiedergeben. Die Anwälte Brauns sprachen Bellenhaus wiederum die Glaubwürdigkeit ab. SZ (Stephan Radomsky) und FAZ (Marcus Jung) berichten. 

Recht in der Welt

Belgien - Mord an schwedischen Fans: Nun berichtet auch die SZ (Josef Kelnberger) über den Rücktritt des belgischen Justizministers Vincent Van Quickenborne, der damit Verantwortung für Justizpannen übernommen hat, die die Ermordung zweier schwedischer Fußballfans in Brüssel ermöglichten. 

Pakistan – Imran Khan: Der ehemalige pakistanische Premier Imran Khan wurde wegen mutmaßlicher Weitergabe vertraulicher Informationen angeklagt. Khan sitzt bereits seit August in Haft. Die SZ berichtet. 

Sonstiges

Bündnis Sahra Wagenknecht: Die Gründung des Vereins "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) habe keine direkten rechtlichen Folgen für die Linksfraktion im Bundestag. Das erklärt Rechtsprofessor Alexander Thiele im Gespräch mit LTO (Louis Strelow)Erst wenn im Januar die Partei BSW gegründet wird, werde die Linksfraktion ihren Fraktionsstatus verlieren, da Mitglieder konkurrierender Parteien nicht gemeinsam eine Fraktion bilden dürfen. Die Fraktionsmehrheit könnte die ausgetretenen Abgeordneten auch aus der Links-Fraktion ausschließen, werde dies aber wohl nicht tun, um den Fraktionsstatus noch einige Monate zu behalten. Nach dem Verlust des Fraktionsstatus können die Abgeordneten der Linken dann als Gruppe mit reduzierten Rechten weitermachen. Das gleiche gelte auch für die BSW-Abgeordneten, wobei es keinen Anspruch auf Anerkennung als Gruppe gebe.

Welche Schritte zur Gründung einer Partei erforderlich sind, beschreibt am Beispiel BSW der Tsp (Charlotte Greipl) im Gespräch mit u.a. Rechtsprofessorin Sophie Schönberger. 

AfD und Rechtsstaatlichkeit: Die taz (Joachim Wagner) zeigt auf der Grundlage von Verfassungsschutzgutachten ausführlich, wie die AfD, die sich gerne als "Rechtsstaatspartei" bezeichne, den Rechtsstaat falsch darstelle, angreife und verächtlich mache. Die Attacken dienten laut Autor der Vorbereitung des Justizumbaus nach einer rechtsextremen Regierungsübernahme, wie es die Beispiele in Ungarn, Polen und Israel belegen. Die Angriffe der AfD auf den Rechtsstaat werden laut Autor in der öffentlichen Debatte unterschätzt.

Völkerrecht: Im Kontext des andauernden Krieges in der Ukraine und dem Nahost-Konflikt beleuchtet tagesspiegel.de (Charlotte Greipl) im Gespräch mit Rechtsprofessor Claus Kreß die Rechtsquellen des Völkerrechts und die völkerrechtliche Behandlung der genannten Konflikte. 

Verbraucherverträge: Jedes siebte Unternehmen verstößt im Zusammenhang mit Dauerschuldverhältnissen gegen die seit März 2002 geltenden neuen Schutzvorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch. Dies ergabe eine Stichprobe von Verbraucherschutzzentralen bei rund 800 Unternehmen, über die die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet. Trotz der gesetzlich vorgeschriebenen Möglichkeit der monatlichen Kündigung von Langzeitverträgen, sähen viele AGB immer noch stillschweigende Vertragsverlängerungen vor. 

Das Letzte zum Schluss

Scheinwaffe: In London wurde ein 13-jähriger Junge von der Polizei in Handschellen gelegt, nachdem dieser sich mit einem anderen Kind eine Wasserschlacht geliefert hatte. Die Polizei hatte den Einsatz der weiß-blauen und lila-weißen Wasserpistolen als potenziellen Schusswaffenvorfall verbucht. Wie welt.de berichtet, löste der Vorfall erneute Kritik an der Londoner Polizei aus. 


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lkh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. Oktober 2023: Bekenntnis zu Israel bei der Einbürgerung? / Folgen von Wagenknechts Bündnis / AfD und Rechtsstaat . In: Legal Tribune Online, 24.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52982/ (abgerufen am: 05.05.2024 )

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