Die juristische Presseschau vom 6. Juli 2023: BVerfG hält Hei­zungs­ge­setz auf / EuG zu Puig­de­mont / Ver­g­leich zu PKW-Maut

06.07.2023

Das Gebäudeenergiegesetz darf in dieser Woche noch nicht beschlossen werden. Das Europaparlament durfte die Immunität von Carles Puigdemont aufheben. Deutschland muss die verhinderten PKW-Maut-Betreiber mit 243 Mio. Euro entschädigen. 

Thema des Tages

BVerfG Heizungsgesetz/Abgeordnetenrechte: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat dem Bundestag per einstweiliger Anordnung verboten, das Gebäudeenergiegesetz (auch Heizungsgesetz genannt) noch in dieser Sitzungswoche zu beschließen. Weitgehend Erfolg hatte damit ein Antrag des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann. Er hatte per paralleler Organklage eine Verletzung seiner Abgeordnetenrechte aus Art. 38 GG gerügt, weil ihm wesentliche Teile des Heizungsgesetzes nicht zwei Wochen vor der geplanten Abstimmung am 7. Juli vorlagen, sondern nur eine Woche vorher. Diese Organklage sei weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet, so das BVerfG. Eine Folgenabwägung führte nun zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Die Entscheidung fiel mit 5 zu 2 Richterstimmen. Danach könnte der Bundestag aber schon nächste Woche in einer Sondersitzung das Heizungsgesetz beschließen. Über das weitere Vorgehen wollen die Fraktionsvorsitzenden der Ampel am Donnerstag beraten. CDU-Fraktionsschef Friedrich Merz sprach von einer "schweren Niederlage für die Bundesregierung". Es berichten FAZ (Helene Bubrowski), bild.de (Nadja Aswad u.a.) und LTO.

Rechtspolitik

Suizidhilfe: Der Rechtsausschuss ließ die beiden verbliebenen Gesetzentwürfe zur Regelung der Suizidhilfe passieren. Der Gesetzentwurf der Gruppe Castellucci wurde dabei auf deren Antrag noch in mehreren Punkten verändert. So sollen Hospize nicht verpflichtet sein, an der Suizidhilfe mitzuwirken. Ein strafrechtliches Verbot der Werbung für Suizidhilfe ist nicht mehr vorgesehen. Die Abstimmung im Plenum des Bundestags soll am heutigen Donnerstag stattfinden. beck-aktuell berichtet.

Cannabis und Straßenverkehr: LTO (Hasso Suliak) berichtet über eine nicht-öffentliche Anhörung des Verkehrsausschusses des Bundestags am Montag. Dort wurden Sachverständige zur Frage gehört, ob der THC-Grenzwert für Verkehrsteilnehmer erhöht werden soll. Abgeordnete der Ampel und der Linken sahen sich in ihrer Forderung bestärkt, den THC-Grenzwert so zu erhöhen, dass er nicht nur früheren Cannabis-Konsum nachweist. Die AfD ist zu einer nur geringen Erhöhung bereit, die CDU/CSU generell dagegen. 

Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: Der Dozent Daniel Haefke wertet auf dem Verfassungsblog bereits die Einsetzung der Expertengruppe, die jüngst die juristische Machbarkeit von Vergesellschaftungen feststellte, als Teile einer Verzögerungstaktik des Berliner Senats. Indem die Gruppe beauftragt wurde, "rechtssichere" Vorschläge zu machen, sei ihr eine kaum lösbare Aufgabe gestellt worden, die nur unnötig Zeit gekostet habe. Dabei habe der Senat die in Deutschland weit verbreitete Vorstellung genutzt, es gebe nur eine einzige richtige Auslegung der Verfassung. 

EU-Rechtsstaatlichkeit: Die EU-Kommssion hat ihren jährlichen Bericht zum Stand der Rechtsstaatlichkeit in den 27 EU-Staaten vorgelegt. Deutschland erhielt ein überwiegend gutes Zeugnis. U.a. wurde aber kritisiert, dass der Pakt für den Rechtsstaat nicht verlängert und die Bezahlung der Richter:innen nicht verbessert wurde. Polen wurde weiterhin kritisiert, während in Ungarn zumindest gewisse Fortschritte konstatiert wurden. Es berichten die FAZ (Thomas Gutschker) und LTO.

Justiz

BVerwG zu syrischen Militärdienstverweigerern: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Valentin Feneberg analysiert auf dem Verfassungsblog ein asylrechtliches Urteil des Bundesverwaltungsgericht aus dem Januar, dessen Begründung jetzt vorliegt. Das BVerwG stufte das EuGH-Urteil, wonach es eine "starke Vermutung" gebe, dass syrische Militärdienstverweigerer bei ihrer Rückkehr als Oppositionelle verfolgt werden, als Erfahrungssatz ein, der von deutschen Gerichten zu berücksichtigen sei. Der Autor kritisiert, dass das BVerwG den Fall nicht nutzte, um seine Anforderungen an die Überzeugungsbildung der Gerichte in Asyl-Sachen abzusenken, obwohl es hier eine unvermeidbare Unsicherheit gebe. 

LG Itzehoe Messerangriff im Zug: Am morgigen Freitag beginnt vor dem Landgericht Itzehoe der Prozess gegen den palästinensischen Flüchtling Ibrahim A. Er ist angeklagt wegen zweifachen heimtückischen Mordes und vierfachen versuchten Totschlags, weil er bei Brokstedt im Januar in einem Regionalzug zwei junge Menschen erstochen und weitere zum Teil lebensgefährlich verletzt hat. Vor Gericht wird es vor allem um die Frage gehen, ob der psychisch gestörte und drogenabhängige A. bei der Tat schuldfähig war. Die FAZ (Julian Staib) schildert ausführlich A.s kriminelle und psychische Vorgeschichte sowie das Versagen des Staates, damit adäquat umzugehen.

VG Berlin zu Chat während Prüfung: Wer während einer Prüfung in einem Chat mit anderen Prüflingen über die Aufgabenstellung diskutiert, kann exmatrikuliert werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht Berlin laut FAZ und LTO.  Gegen die Exmatrikulation hatte eine Bachelor-Studentin der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht mit dem Argument geklagt, die als Beweis vorgelegten Screenshots seien gefälscht. Das Gericht sah aber keinen Grund für eine aufwendige Fälschung und nahm daher die Echtheit an. 

VG Berlin Mohrenstraße: Am heutigen Donnerstag wird das Verwaltungsgericht Berlin über eine Klage von Anwohnern der Berliner Mohrenstraße gegen die vom Bezirk beschlossene Umbenennung verhandeln. Die sieben Kläger, zu denen der linke Historiker Götz Aly gehört, kritisieren, es gebe kein öffentliches Interesse an der Umbenennung in Anton-Wilhelm-Arno-Straße - nach dem ersten Gelehrten afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität im 18. Jahrhundert. Weiter monieren sie, der Bezirk habe bei der Entscheidung ihre privaten Interessen nicht ausreichend berücksichtigt. LTO berichtet.

ArbG Braunschweig/ArbG Emden zu VW-Betriebsratsvergütung: In den ersten drei Fällen einer Klagenserie haben die Arbeitsgerichte Braunschweig und Emden die Kürzung der Vergütung von VW-Betriebsräten für rechtswidrig erklärt. VW hatte die Vergütung mit Blick auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs reduziert, um das Risiko einer Untreue-Bestrafung für diejenigen zu vermeiden, die die Vergütung festlegten. Im Kern geht es um die Frage, ob bei freigestellten Betriebsräten eine hypothetische Karriere mit entsprechenden Gehaltssprüngen unterstellt werden darf. Es berichten FAZ (Christian Müssgens) und spiegel.de

AG Hanau zu Todesdrohung gegen Vermieterin: Wenn eine Mitbewohnerin des Mieters im Streit die Vermieterin mit dem Tod bedroht und sich ein Messer bringen lässt, kann der Mieter fristlos gekündigt werden, auch wenn er selbst an der Drohung nicht teilnahm. Dies entschied das Amtsgericht Hanau laut LTO

Ex-BVerfG-Präsident Papier: Hans-Jürgen Papier, der von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts war, wird an diesem Donnerstag 80 Jahre alt. Die FAZ (Reinhard Müller) skizziert aus diesem Anlass sein Leben. 

Leiter der StA Köln: Joachim Roth, der Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft, will am 31. 7. 2023 in den einstweiligen Ruhestand gehen, berichtet das Hbl (Volker Votsmeier). Roth war zuletzt umstritten, weil die Cum-Ex-Ermittlungen der StA Köln zu langsam vorankommen. 

Recht in der Welt

IGH/Iran Boeing-Abschuss: Kanada, Schweden, Großbritannien und die Ukraine wollen mit einer Klage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag den Iran dazu zwingen, die Angehörigen der Opfer eines vom Iran verursachten Flug-Unglücks voll zu entschädigen und den Vorfall transparent und unabhängig untersuchen zu lassen. Die iranische Luftabwehr hatte eine ukrainische Passagiermaschine kurz nach dem Start in Teheran abgeschossen, angeblich weil sie das Flugzeug für eine US-Rakete hielt. Alle 176 Passagiere starben. spiegel.de berichtet.

Ukraine russische Kriegsverbrechen: Nicolas Freund (SZ) kritisiert die regelmäßigen russischen Luftangriffe auf zivile Ziele. Diese seien eindeutig Kriegsverbrechen. Es sei zu prüfen, ob auch Piloten, die solche Angriffe durchführen, bestraft werden können. 

EuG zu Carles Puigdemont: Das Europäische Gericht hat die Klage des katalanischen Europaabgeordneten Carles Puigedemont gegen die Aufhebung seiner Immunität durch das Europaparlament abgelehnt. Das EP habe die spanischen strafrechtlichen Vorwürfe nicht inhaltlich prüfen müssen. Puigdemont droht in Spanien Strafverfolgung wegen eines Unabhängigkeits-Referendums, das er 2017 in seiner Zeit als Präsident der katalanischen Autonomieregierung abgehalten hatte. Die taz (Rainer Wandler) und LTO berichten. 

USA Meinungsfreiheit und Desinformation: Ein Bundesrichter in Louisiana verbot am Dienstag per einstweiliger Anordnung dem Weißen Haus und Dutzenden von Regierungsbehörden, bei den Netzplattformen auf die Löschung oder auch nur Markierung von Beiträgen zu drängen, die von der  Meinungsfreiheit geschützt sind. Es handele sich um eine Zensurkampagne der Regierung gegen konservative Inhalte. Konkret ging es z.B. um Falschinformationen über Corona-Impfungen und die Lüge von der Donald Trump gestohlenen Präsidentschaftswahl. Es berichten SZ (Fabian Fellmann) und taz (Bernd Pickert).

Frankreich tote Katze: Die französische Bahngesellschaft SNCF muss die Halterinnen einer Katze entschädigen, die im Bahnhof Paris-Montparnasse von einem TGV überrollt wurde. Die Katze war aus einem Transportbehälter entsprungen, die Bahn weigerte sich jedoch, mit der Abfahrt des Zuges zu warten, bis die Katze gefunden ist. Nun muss die SNCF eine Entschädigung in Höhe von 2.000 Euro wegen mangelnder Sorgfalt bezahlen, berichtet LTO.

Sonstiges

Maut-Vergleich: Die Bundesregierung und die beauftragten Betreiber des einst geplanten PKW-Mautsystems haben sich auf einen Vergleich geeinigt. Die Mautbetreiber erhalten nur 243 Millionen Euro Schadensersatz statt der verlangten 700 Millionen Euro. Die Summe soll für unnnötige Aufwendungen und entgangene Gewinne aus dem PKW-Mautsystem entschädigen, das wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs 2019 nicht realisiert werden konnte. Der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte die Verträge geschlossen, ohne das EuGH-Urteil abzuwarten, weil die PKW-Maut als CSU-Prestigeprojekt möglichst schnell eingeführt werden sollte. Die SZ (Laurenz Gehrke) berichtet.

Missbrauch durch Priester: Der Anwalt Peter Frings, Interventionsbaufttrager des Bistums Münster, hat eine Reform der katholischen Entschädigungszahlungen für Missbrauchsopfer gefordert. Die Summen seien zu niedrig, wie jüngste staatliche Gerichtsurteile zeigten. Es fehle auch eine Begründung für die jeweils festgesetzte Summe. Außerdem erhielten Frauen tendenziell höhere Entschädigungen als Männer, weil Frauen eher in der Lage seien, den erlittenen Missbrauch genau zu beschreiben. Die FAZ (Daniel Deckers) berichtet. 

AfD-Finanzierung: Jost Müller-Neuhof (Tsp) wundert sich, dass nicht schon stärker über einen Ausschluss der AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung diskutiert wird. Dies werde sich sicher ändern, wenn das Bundesverfassungsgericht in einigen Monaten die NPD/Heimat von der Parteienfinanzierung ausschließt.

Corona-Expertenrat: Benjamin Stibi (Welt) kritisiert, dass die Bundesregierung die Protokolle des einst im Kanzleramt angesiedelten Corona-Expertenrats nur geschwärzt herausgegeben hat, so dass nicht ersichtlich ist, welche Experten welche Positionen vertreten haben. "Man kann nicht an der Quelle der Macht sitzen, weitreichende Grundrechtseingriffe vorschlagen und dann dafür nicht Rede und Antwort stehen wollen." 

 

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LTO/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. Juli 2023: BVerfG hält Heizungsgesetz auf / EuG zu Puigdemont / Vergleich zu PKW-Maut . In: Legal Tribune Online, 06.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52162/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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