Die juristische Presseschau vom 24. Dezember 2021: Kritik an Impfpf­licht / Anzei­gepf­licht für Hass­posts ver­zö­gert sich / Hörnle zu Triage

24.12.2021

Drei Rechtsprofessor:innen aus dem Ethikrat haben ein Minderheitsvotum veröffentlicht. Eilanträge von Google und Facebook blockieren die neue NetzDG-Anzeigepflicht / Rechtsprofessorin Hörnle will bei Triage den Impfstatus berücksichtigen.

Thema des Tages

Corona - Impfpflicht: Vier Mitglieder des Deutschen Ethikrates – darunter die Rechtsprofessor:innen Steffen Augsberg, Stephan Rixen und Frauke Rostalski – haben in einem Minderheitsvotum erklärt, warum sie die Empfehlung des Ethikrates für eine ausgeweitete Impfpflicht ablehnen, berichtet die FAZ (Daniel Deckers). Es sei ethisch geboten, die mit einer Impfpflicht verbundenen Unsicherheiten stärker zu betonen. Sonst drohe die Impfpflicht zum "bloßen Symbol eines politischen Aktionismus" zu werden, der sich von "Pseudoeffektivität" beherrschen lasse. Das aber sei geeignet, das Vertrauen der Menschen in die Maßnahmen der Pandemieregulierung generell zu beschädigen. Frauke Rostalski begründet die Minderheitsposition ausführlich im Interview mit focus.de (Benjamin Hirsch).

Gegen eine Impfpflicht argumentiert auch der in England lehrende Rechtsprofessor Kai Möller auf deutschlandfunk.de. Sie komme "in die Nähe einer Menschenwürdeverletzung". Vulnerable Personen, insbesondere Ältere, sollten sich selbst schützen, indem sie sich impfen lassen. 

Dagegen nehmen in der Politik die Stimmen für eine Impfpflicht zu, wie spiegel.de berichtet. 

Corona - Impfregister: Nachdem der Deutsche Ethikrat die Einrichtung eines Impfregisters nach österreichischem Vorbild empfohlen hat, um eine Impfpflicht besser umsetzen zu können, lehnt der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Helge Limberg, ein Impfregister ab. Der Aufwand sei riesig, der Gewinn für die Allgemeinheit minimal. Da ein Impfregister ohne Rechtfertigung massenhaft Daten sammele, verstoße es sogar gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes. Die FAZ (Stefan Klenner) berichtet.  

Rechtsprofesser Rolf Schwartmann hält im FAZ-Einspruch ein Impfregister dagegen für datenschutz-konform. "Da der Bund zur effektiven Durchführung des Infektionsschutzrechts eine zentrale Möglichkeit zur staatlichen Kontrolle der Impflicht benötigt, dürfte ein hinreichender Zweck für ein zentrales Register vorliegen." Ist die Impfung erlaubt, müsse es auch deren Durchsetzung sein. Bei der Ausgestaltung des Impfregisters komme es auf die Unabhängigkeit des Registerführers an und eine klare Zweckbestimmung in der Aufgabenstellung des Registers.

Rechtspolitik

Vergabe und Tariftreue: Die Linksfraktion im Bundestag verlangt von der Bundesregierung, möglichst schnell ein sogenanntes Tariftreuegesetz auf den Weg zu bringen. Es würde den Bund verpflichten, öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen zu vergeben, die Tariflöhne zahlen. Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien bereits ein Tariftreuegesetz angekündigt. Die SZ (Benedikt Peters) berichtet. 

Justiz

VG Köln - NetzDG: Das Verwaltungsgericht Köln weiß noch nicht, wann es über die Eilanträge von Facebook und Google gegen die in diesem Jahr im Netzwerkdurchsetzungsgesetz eingeführte Anzeigepflicht für strafbare Hassposts entscheiden wird. Google und Facebook haben ihre Anträge bereits im Juli gestellt. Sie argumentieren, es sei unverhältnismäßig, die Prüfung einer möglichen Strafbarkeit in die Hände der Digital-Unternehmen zu legen. Das Bundesjustizministerium hat im August eine Stillhaltezusage gegeben, das Gesetz nicht zu starten, bevor das VG Köln über die Eilanträge entschieden hat. Eigentlich sollte die Anzeigepflicht ab 1. Februar gelten, das Bundeskriminalamt hat deshalb bereits eine neue Einheit mit 200 Mitarbeiter:innen aufgebaut. Die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke) berichtet. 

In einem separaten Kommentar kritisiert Ronen Steinke (SZ) den Eilantrag von Facebook/Meta als unanständig. "Sie klagen dagegen, weil sie den Aufwand scheuen."

BGH zum Wirecard-Untersuchungsausschuss: Der Bundesgerichtshof hat einen Antrag des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Bundestags als unzulässig abgelehnt, weil der Ausschuss bereits im Juni aufgelöst worden war. Der Bundestagspräsident, der den Antrag mittrug, sei kein Rechtsnachfolger. Der Ausschuss hatte Einsicht in einen bisher geheimen Bericht zur Tätigkeit der EY-Wirtschaftsprüfer beantragt. Der BGH bestätigt nun aber die ablehnende Entscheidung des BGH-Ermittlungsrichters aus dem Juli, berichtet LTO

BGH in 2021: LTO (Markus Sehl) stellt sechs wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus diesem Jahr vor. Es geht um den Dieselskandal, Influencer-Werbung, Vereinshaftung für Fan-Verhalten, Legal Tech, NSU-Terror und Cum-Ex-Manipulationen.

OLG Frankfurt/M. - 3. Börsengang der Telekom: beck-aktuell (Tobias Freudenberg) skizziert die Geschichte des seit über zwanzig Jahren laufenden Anlegerschutz-Verfahrens zum 3. Börsengang der Telekom. Mehrere zentrale Protagonist:innen sind bereits im Ruhestand oder gestorben. Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main hatte jüngst einen Vergleich vorgeschlagen.

LG Stuttgart - regionale TV-Werbung: Das Landgericht Stuttgart verpflichtete den bundesweiten TV-Sender Pro 7 zur Ausstrahlung regionaler Werbung in Bayern. Das entsprechende Verbot von regionaler TV-Werbung im Rundfunk-Staatsvertrag verstoße gegen die EU-rechtliche Dienstleistungsfreiheit. Das LG Stuttgart folgte damit dem von ihm angerufenen Europäischen Gerichtshof. LTO berichtet. 

LG Düsseldorf zu Eric Clapton-CD auf ebay: Auf Intervention des Gitarristen Eric Clapton verzichten seine Anwälte auf weitere Schritte gegen eine Frau, die eine Clapton-CD von ihrem verstorbenen Mann geerbt hatte und diese bei Ebay versteigern wollte. Die Anwälte monierten, dass es sich bei der CD um einen illegalen und minderwertigen Konzertmitschnitt handelte. Beim Landgericht Düsseldorf hatten sie Erfolg. Die streitlustige Frau hatte bisher jede Verständigung mit den Anwälten abgelehnt und Rechtsmittel eingelegt, wie spiegel.de berichtet. 

LG Gera - MdB Brandner vs. Jugendrichter Weber: Der Vizepräsident des Landgerichts Gera, Götz Hermann, hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde des AfD-Bundestagsabgeordneten Stefan Brandner gegen den Geraer Jugendrichter Eugen Weber abgelehnt. Brandner hatte disziplinarische Ermittlungen gegen Weber verlangt, weil dieser gegen das Mäßigungsverbot verstoßen habe. Weber, der für die Grünen im Stadtrat von Gera sitzt, hatte dort über Brandner, der auch im Stadtrat von Gera sitzt, gesagt, er sei einer der "niveaulosesten Hetzer der AfD". Das Landgericht hielt die Aussage von der freien Meinungsäußerung gedeckt. Es berichtet focus.de (Göran Schattauer).

Verwaltungsgerichte zu 2G: Die 2G-Beschränkung für den Einzelhandel ist nicht unverhältnismäßig. So entschieden nach einer Übersicht von LTO, zuletzt das VG Berlin, das OVG Saarland, das OVG Nordrhein-Westfalen und das OVG Schleswig-Holstein. Nur das OVG Niedersachsen entschied gegen 2G. Ein Bericht von spiegel.de konzentriert sich auf die Entscheidung des VG Berlin.

Querdenker als Richter: Der Spiegel (Wolf Wiedmann-Schmidt/Steffen Winter) berichtet über den Richter Volker Kuba am Amtsgericht Meiningen (Thüringen). Er habe bereits im Februar in einem Beschluss begründet, warum er Mund-Nasen-Masken in seinem Gerichtssaal ablehnt. Dabei bezeichnete er die Maßnahmen der Regierungen  als "blinden Aktionismus". Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts könnten "in der Qualität ihrer ›Begründungen‹ den unbefangenen durchschnittlich begabten Juristen kaum überzeugen". Die Autoren gehen auch auf andere Richter ein, deren Argumentationen an Querdenker erinnern. 

Ermittlungen wegen Antisemitismus: Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, hat an Polizei und Staatsanwaltschaft appelliert, nicht nur im Fall Gil Ofarim aufwendig zu ermitteln, sondern auch bei anderen Antisemitismus-Vorwürfen. Oft würden die Verfahren schnell wieder eingestellt. spiegel.de berichtet.

StA Frankfurt/M. - bestechlicher Staatsanwalt: An der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. wurde ein zweiter Staatsanwalt wegen des Verdachts der Beihilfe zur Untreue suspendiert. Er soll ein Mitarbeiter des Oberstaatsanwalts Alexander B. gewesen sein, der über Jahre hinweg überteuerte Gutachten in Auftrag gegeben und an ihnen mitverdient habe. Die FAZ (Alexander Jürgs)  berichtet. 

GenStA Frankfurt/M. - Veräußerung von Kryptowährungen: Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft hat im Dezember mit Hilfe des privaten Bankhauses Scheich Kryptowährungen im Wert von über 100 Mio. Euro veräußert, berichtet das Hbl (F. Holtermann, M. Müller). Die Werte waren bei Drogenhändlern sichergestellt worden. Das Bankhaus musste in der Blockchain die Information verankern, dass die einst kriminellen Werte jetzt wieder "sauber" sind. 

Recht in der Welt

Italien - Carola Rackete: Die italienische Justiz hat das letzte Verfahren gegen Carola Rackete eingestellt, berichtet spiegel.de. Die damalige Kapitänin des Flüchtlingshelfer-Schiffs Sea-Watch 3 hatte ohne Genehmigung mit Flüchtlingen im Hafen von Lampedusa angelegt.

USA - tödlicher Verkehrsunfall mit LKW: In den USA sorgt ein Strafurteil aus dem Bundesstaat Colorado für Empörung. Ein Lastwagenfahrer hatte bei einem Verkehrsunfall wegen versagender Bremsen vier Menschen getötet und wurde daraufhin zu einer Gefängnisstrafe von 110 Jahren verurteilt. Der Richter bedauerte dies selbst, berief sich aber auf gesetzliche Mindeststrafen. Mehr als viereinhalb Millionen Menschen bitten den Gouverneur des Bundesstaats inzwischen um eine Absenkung der Strafe, berichtet die FAZ.

USA - tödliche Polizeischüsse: Ein Geschworenengericht in Minneapolis hat die Ex-Polizistin Kim Potter wegen Totschlags verurteilt. Sie hatte bei einer Kontrolle den 20-jährigen Schwarzen Daunte Wright erschossen, als dieser flüchten wollte. Sie habe wohl ihre Dienstwaffe mit einem Taser verwechselt, argumentierte das Gericht laut spiegel.de.

Niederlande - gefährdete Anwälte: Die Anwälte Peter Schouten und Onno de Jong, die auf den Todeslisten niederländischer Drogenbanden stehen, sprechen mit mit focus.de (Axel Spilcker) über ihr Leben unter Polizeischutz, den von ihnen vertretenen Kronzeugen, Auftragsmorde, gut organisierte Banden und Kürzungen bei Justiz und Polizei.

Ungarn - Verfassung: Die in Italien forschende ungarische Juristin Beáta Bakó schreibt auf dem Verfassungsblog, dass im Falle eines Wahlsiegs der ungarischen Opposition nicht unbedingt die Verfassung novelliert werden müsse. Das Problem in Ungarn sei weniger der Text der Verfassung, sondern der weit verbreitet Mangel an rechtsstaatlichem Verhalten, der bisher die Wähler:innen nicht interessiert habe.

Sonstiges

Corona - Triage: Die Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle spricht sich laut Spiegel (Dietmar Hipp) dafür aus, dass bei einer möglichen Triage in Kliniken der Impfstatus der Patienten berücksichtigt werden dürfe. In der tragischen Notlage, dass nicht alle Patienten versorgt werden können, dürfe auch das "Vorverhalten" der Patienten eine Rolle spielen.

Experten und Politik: Die Rechtsprofessorin Laura Münkler schreibt in der SZ über das Verhältnis von Politik und Experten: Am Ende müsse "die Politik" entscheiden, inwieweit sie dem Rat der Experten folgt. "Deshalb bewirkt auch die Entscheidung, den Rat von Experten anzunehmen, keine Hörigkeit – und ihn zurückzuweisen, bedeutet auch nicht zwangsläufig, die Expertise zu ignorieren. Vielmehr bleibt jedweder Umgang mit Expertise politisch kritisierbar."

Christoph Möller im Interview: Auf Fragen der Welt (Andreas Seibel) spricht Rechtsprofessor Christoph Möller über Zusammenhalt in der Pandemie, Freiheit und Impfung, Realitätsverleugnung, die angebliche Spaltung der Gesellschaft, Impfen und Pflicht, Demokratie, Ostdeutschland, Föderalismus und die Deutschen.

Das Letzte zum Schluss

Weihnachten und Radar: Die badische Stadt Lahr hat ein mobiles Geschwindigkeitsmessgerät über Weihnachten außer Betrieb gestellt und in eine Weihnachts-Installation mit Rentieren verwandelt. spiegel.de berichtet. 

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. Dezember 2021: Kritik an Impfpflicht / Anzeigepflicht für Hassposts verzögert sich / Hörnle zu Triage . In: Legal Tribune Online, 24.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47042/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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