Die juristische Presseschau vom 8. April 2021: Keine Pfän­dung von Corona-Hilfen / Haft­strafen wegen Putsch­ver­such in Türkei / Sch­rems gegen Google

08.04.2021

BGH: Coronahilfen dürfen nicht gepfändet werden. In der Türkei wurden zahlreiche Putschisten zu lebenslanger Haft verurteilt und der Datenschutzaktivist Max Schrems geht in Frankreich gegen Google vor.

Thema des Tages

BGH zur Pfändung von Coronahilfen: Die von Bund und Ländern für Kleinstunternehmerinnen und Selbständige gezahlten Corona-Soforthilfen dürfen nicht gepfändet werden. Die Hilfsgelder seien allein zum Zweck der Sicherung der Existenz der Unternehmerin oder des Selbständigen gewährt. Ähnlich den staatlichen Sozialleistungen stehe diese festgelegte Zweckbindung einer Pfändung entgegen, entschied nun der Bundesgerichtshof. Der Pfändungsschutzfreibetrag eines Schuldners müsse um den Betrag der staatlichen Hilfen erhöht werden. Das Amtsgericht Euskirchen hatte zunächst noch einer Pfändung der Gelder aus dem Landesprogramm "NRW-Soforthilfe 2020" zugestimmt. tagesschau.de (Bernd Wolf) und die SZ berichten.

Rechtspolitik

Infektionsschutzgesetz: Nach einem Bericht von bild.de (Paul Ronzheimer u.a.) gebe es in der Unionsfraktion konkrete Pläne, erneut eine Änderung am Infektionsschutzgesetz vorzunehmen. So soll auch die Bundesregierung Verordnungen zur Bekämpfung von Pandemien beschließen können. Diese Bundes-Verordnungen würden ggf. die Verordnungen der Landesregierungen brechen. Dabei solle ermöglicht werden, einzelnen Kreisen härtere Einschränkungen automatisch aufzuerlegen, u.a. wenn dort die sieben-Tage-Inzidenz die Zahl 100 überschreite.

Corona – Testpflicht im Betrieb: Unternehmen sollten verpflichtet werden, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig zu testen, fordert Alexander Hagelüken (SZ) im Leitartikel. Ähnlich wie in Umweltfragen oder bei der Gleichberechtigung seien sanktionslose Selbstverpflichtungen nicht geeignet, den gewünschten Erfolg zu erzielen.

Frauenquoten: Die Rechtsanwältin Ines Keitel stellt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard die aktuellen Gesetzesänderungen sowie weitere Vorstöße aus dem Bundesjustizministerium vor, die die Geschlechterparität in Führungspositionen fördern sollen. Obwohl der Frauenanteil in Aufsichtsräten die letzten Jahre gestiegen ist, sei damit die erhoffte gleichberechtigte Teilhabe nicht erreicht worden. Neben dem Zweiten Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II), das den Frauenanteil in Vorständen erhöhen soll, gibt es Pläne, auch Vorständen eine gesetzlich verankerte Elternzeit zu gewähren. Auf EU-Ebene ist eine Richtlinie im Gespräch, die die Entgelttransparenz in großen Firmen stärken soll.

Politische Beamte im LKA: Das Amt der hessischen LKA-Präsidentin sollte nicht in den Kreis der politischen Beamten aufgenommen werden, meint der Magister juris George Andoor in seinem Beitrag für LTO. Eine entsprechende Anpassung von § 7 des Hessischen Beamtengesetzes (HBG) sei verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich. Die LKA-Präsidentin nehme nämlich vorrangig fachliche Aufgaben im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung wahr, bei der nicht absolute politische Treue, sondern fachliche Distanz und größtmögliche Unabhängigkeit zu fordern seien.

Justiz

OVG Nds zu Ausgangssperre: Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat die nächtliche Ausgangssperre in der Region Hannover in einer Eilentscheidung für voraussichtlich rechtswidrig erklärt. Die Ausgangssperre sei "nicht ansatzweise nachvollziehbar", zitiert die taz-nord (Nadine Conti u.a.) das Gericht.

VGH BaWü zu Rechten für Geimpfte: LTO (Christian Rath) stellt nun auch ausführlich das bundesweit beachtete Verfahren um die Cafeteria-Öffnung im Seniorenzentrum Mühlehof in Südbaden vor. Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hatte in einem Vergleichsvorschlag die Öffnung der Cafeteria für Geimpfte und Genesene vorgeschlagen. Das Verfahren könne für vergleichbare Senioreneinrichtungen große Bedeutung haben. Ob es jedoch für die gesamte Gastronomiebranche verallgemeinerungsfähig ist, könne bezweifelt werden: Die Belastung der Senioren sei besonders groß, das Interesse des Cafeteria-Betreibers vor allem sozialarbeiterisch und geimpftes Personal sei auch eher im Pflegebereich zu finden als in der Gastronomie. 

VGH BaWü zu Corona-Verordnungen: Die BadZ (Christian Rath) gibt einen Überblick über die Kontrolle der baden-württembergischen Corona-Verordungen durch den Verwaltungsgerichtshof des Landes. Von 292 Normenkontrollanträgen seien 14 ganz oder teilweise erfolgreich gewesen. Das Kontrollprogramm des VGH umfasse die Gesetzmäßigkeit der Verordnungen, die Verhältnismäßigkeit, die Gleichheit und das Wesentlichkeitsprinzp. Zur Frage, ob Betriebe im Frühjahr 2020 per Verordnung geschlossen werden durften, werde es in der zweiten Hälfte von 2021 Verhandlungen in Hauptsache-Verfahren geben.

LAG SH zu fristloser Kündigung: Auch LTO berichtet nun über die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein, nach der kein kündigungsrelevanter "wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) besteht, wenn ein Arbeitnehmer bereits am dritten Arbeitstag unentschuldigt nicht zur Arbeit erscheint und zuvor nicht abgemahnt wurde.

VG Berlin zu Corona und Einzelhandel: Die Begrenzung der Kundenzahl im Berliner Einzelhandel auf eine Person pro 40 Quadratmeter Verkaufsfläche bringe neben Masken- und Testpflicht "kein signifikantes Mehr an Infektionsschutz" und ist deshalb vom Berliner Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung gekippt worden. Mehrere Geschäftsinhaber hatten gegen die Öffnungsbeschränkungen geklagt, berichten die FAZ (Corinna Budras) und das Hbl. Die Eilanträge gegen die Testpflicht von Kunden sowie die Pflicht zur elektronischen Nachverfolgung seien hingegen abgelehnt worden.

In einem separaten Kommentar begrüßt Corinna Budras (FAZ) die Entscheidung, die den "sinnlosen Aktionismus des Berliner Senats nun bis auf weiteres gestoppt" habe. Nie seien die Kunden des Einzelhandels so gut vor Infektionen geschützt gewesen wie jetzt.

LG Mönchengladbach zu Kitamord: Die Zeit (Diana Laarz) widmet ihren Verbrechen-Teil dem Mord an einem Kita-Kind in Viersen und rekonstruiert dabei, wie die Ermittlungen gegen die zu lebenslanger Haft verurteilte Erzieherin abliefen. So kam ein Verdacht gegen die 26-Jährige erst Tage nach der Tat auf, als die Mediziner im Krankenhaus Blutungen rund um die Augen entdeckten, die für einen Erstickungstod typisch waren. Das Motiv für die Tat blieb ungeklärt.

LG Münster – Kindesmissbrauch Münster: In einem weiteren Prozess im Missbrauchskomplex Münster hat ein 45-jähriger Angeklagter ein Geständnis abgelegt, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes in drei Fällen sowie Besitz von kinderpornographischen Schriften vorwarf. Bei dem Opfer handelt es sich laut spiegel.de um einen heute elf Jahre alten Jungen aus Münster, der in dem gesamten Komplex wiederholt Opfer von schweren sexuellen Missbrauchshandlungen geworden ist.

Recht in der Welt

Türkei – Prozess wegen Putschversuch: Nach dem 2016 gescheiterten Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs ist nun ein Urteil im Prozess gegen insgesamt 497 Angeklagte gefällt worden. Gegen 38 wurden lebenslange Haftstrafen wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtliche Ordnung verhängt, andere erhielten mehrjährige Haftstrafen etwa wegen Terrormitgliedschaft. spiegel.de berichtet.

Frankreich – Android-Handys: Der österreichische Datenschutzaktivist Max Schrems hat laut SZ bei der französischen Datenschutzbehörde eine Klage gegen Google eingereicht. Das Betriebssystem Android generiere eindeutige Werbe-IDs, mit denen Google und Drittanbieter das Surfverhalten der Nutzer verfolgen können, ohne dass diese dazu ausdrücklich um Erlaubnis gebeten worden wären.

Frankreich – aktive Sterbehilfe: In der Nationalversammlung wird ab dem heutigen Donnerstag ein Gesetzentwurf der Splitterpartei "Libertés et Territoires" zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe debattiert. Auslöser für die parlamentarische Initiative ist laut FAZ (Michaela Wiegel) der "Sterbetourismus", der jedes Jahr etwa 4.500 unheilbar kranke Franzosen in die Schweiz oder nach Belgien treibt. In Frankreich ist derzeit jegliche Form der Sterbe- und der Suizidhilfe verboten.

USA – Anti-Transgender-Gesetz: Im US-Bundesstaat Arkansas ist laut zeit.de ein umstrittenes Gesetz in Kraft getreten, das geschlechtsangleichende Maßnahmen für Trans-Jugendliche verbietet. Das Gesetz untersagt Ärztinnen und Ärzten, unter 18-Jährige für die Geschlechtsanpassung mit Hormonen oder Pubertätsblockern zu behandeln oder sie zu operieren. Ärzten, die sich über das Verbot hinwegsetzen, drohen Strafen.

Italien – "Alan Kurdi": Wie die SZ berichtet, wird ein sizilianisches Gericht in den kommenden Tagen im Rahmen einer Eilentscheidung über die vorläufige Freigabe des Seenotrettungsschiffes "Alan Kurdi" entscheiden. Die italienische Küstenwache hatte das Schiff nach Einsätzen zur Rettung von Migranten im Oktober 2020 in Olbia festgesetzt.

Niederlande – Ruanda-Völkermord: Wie die taz (Francois Misser) berichtet, gibt es in dem Prozess gegen den mutmaßlichen Finanzier des Massenmords in Ruanda 1994, Félicien Kabuga, coronabedingt zahlreiche Probleme, die einer Vorbereitung des Prozesses im Weg stehen. Insbesondere Reisebeschränkungen und Quarantänemaßnahmen erschweren die Befragung diverser Zeugen. Derzeit sei nicht ausgeschlossen, dass sich der Beginn der Hauptverhandlung auf 2022 hinausschiebe.

Juristische Ausbildung

VG Stuttgart zu Panne im Staatsexamen: Die wegen einer Prüfungspanne im Examen neu angesetzte Strafrechtsklausur in Baden-Württemberg muss geschrieben werden. Das entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart laut LTO-Karriere und bestätigte so das Vorgehen des Landesjustizprüfungsamts (LJPA). Während einer öffentlich-rechtlichen Klausur waren versehentlich die Sachverhalte für die spätere Strafrechtsklausur ausgeteilt worden. Dass das LJPA deshalb eine Nachklausur ansetzt, ist im Interesse der Chancengleichheit zulässig, befand das VG.

Sonstiges

Pushbacks in der Ägäis: Wenn der Verdacht bestehe, dass Menschen geschleust werden, sei es rechtlich erlaubt, Migranten in ihren Booten an der Grenze zurückzudrängen (sog. Pushbacks). Dies sei in der Debatte um die Geschehnisse in der Ägäis zu berücksichtigen, konstatiert Rechtsprofessor Daniel Thym im Staat und Recht-Teil der FAZ. Eine Möglichkeit, dies mit den Verfahrensrechten der Migranten in Einklang zu bringen, sei es, einen strengen Grenzschutz mit legalen Zugangswegen zu kombinieren. So würde grenzpolizeiliche Härte gleichsam abgefedert durch humanitäre Aufnahmequoten für Flüchtlinge sowie wirtschaftliche Beschäftigungsmöglichkeiten.

Corona – Maßnahmen: Auf dem Verfassungsblog gibt die Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold (in englischer Sprache) einen Rückblick auf die unterschiedlichen rechtlichen Maßnahmen, die in Deutschland als Antwort auf die Corona-Pandemie getroffen wurden.

Parlamentarische Regierung: In seinem Beitrag für den FAZ-Einspruch sieht der Rechtsreferendar Mathias Honer in der Corona-Pandemie einen möglichen Katalysator für einen Wandel des parlamentarischen Regierungssystems. Die Kontrollrechte des Parlaments könnten sich dann etwa weniger auf die Vorab-Steuerung des Regierungshandelns fokussieren, als vielmehr auf eine nachträgliche Kontrolle. Damit verbunden wäre aus seiner Sicht notwendigerweise eine Aufwertung der Rechte der Opposition.

Rechtsgeschichte – Eichmann-Prozess: Die taz (Klaus Hillebrand) analysiert die Bedeutung des Prozesses gegen den Holocaust-Organisator Adolph Eichmann in Jerusalem für die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Am 11. April jährt sich der Prozessbeginn zum 60. Mal.

Das Letzte zum Schluss

Unerkannt dank hässlicher Krawatte: Mit einer auffällig gemusterten Krawatte im Stil der Achtzigerjahre hat ein junger Mann eine Bank in Hessen überfallen. Laut spiegel.de geht die Polizei derzeit davon aus, dass die Krawatte Teil eines durchdachten Plans gewesen sei: Alle hätten sich auf die hässliche Krawatte fokussiert und nicht auf sein Gesicht geachtet.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. April 2021: Keine Pfändung von Corona-Hilfen / Haftstrafen wegen Putschversuch in Türkei / Schrems gegen Google . In: Legal Tribune Online, 08.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44673/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen