Die juristische Presseschau vom 8. Oktober 2020: Pro­zess­auf­takt Tier­gar­ten­mord / Eini­gung auf Beher­ber­gungs­ver­bote / "Gol­dene Mor­gen­röte" war kri­mi­nell

08.10.2020

Vor dem Berliner Kammergericht hat der Prozess um den Tiergartenmord begonnen. Die meisten Bundesländer haben sich auf ein Beherbergungsverbot verständigt. Die griechische Partei "Goldene Morgenröte" gilt nun als kriminelle Vereinigung. 

Thema des Tages

KG Berlin – Mord an Georgier im Tiergarten: Vor dem Kammergericht hat der Prozess gegen einen russischen Staatsbürger begonnen, der wegen des Mordes an einem Georgier im Berliner Kleinen Tiergarten im vergangenen Jahr angeklagt ist. Der Angeklagte bezeichnet sich selbst als Vadim S., die Bundesanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass er in Wahrheit Vadim K. heißt. Am ersten Prozesstag ließ der Angeklagte erklären, der Name K. sei ihm nicht bekannt, er heiße Vadim S. Politisch brisant ist das Verfahren, weil die Anklage vermutet, dass staatliche russische Stellen hinter der Tat stehen. Der Vertreter des Generalbundesanwalts erklärte vor Gericht, das Tatopfer sei aus Sicht der russischen Regierung ein Staatsfeind gewesen. Über den Prozessauftakt berichten u.a. taz (Pascal Beucker), spiegel.de (Maik Baumgärtner) und zeit.de (Manuel Bogner). Die bisherigen Ermittlungen fasst LTO (Markus Sehl) ausführlich zusammen.

Die SZ (Ronen Steinke u.a.) schreibt über die politische Dimension des Falles und die Rechercheplattform Bellingcat, auf deren Erkenntnisse sich die Anklage maßgeblich stützt. 

Rechtspolitik

Corona – Beherbergungsverbot: Die Mehrzahl der Bundesländer hat sich in einer Video-Konferenz der Staatskanzleien auf ein Beherbergungsverbot für Urlauber aus deutschen Corona-Risikogebieten verständigt. Für den Fall eines aktuellen negativen Coronatests soll es Ausnahmen geben. Berlin, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Nordrhein-Westfalen wollen sich dem Verbot aber nicht oder noch nicht anschließen. Es berichten SZ (Nico Fried) und taz (Daniel Godeck)

Umsetzung EU-Urheberrechtsreform: netzpolitik.org (Arne Semsrott) veröffentlicht den 155-seitigen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für die Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform. Das Ministerium wolle Online-Plattformen dazu verpflichten, während des Uploads Inhalte in Echtzeit automatisch auf Urheberrechtsverletzungen zu überprüfen. Zudem ist eine restriktive Auslegung des Leistungsschutzrechts vorgesehen, wonach Suchmaschinen nur "einige Wörter" oder Auszüge aus Presseveröffentlichungen kostenfrei nutzen dürfen. 

Homeoffice: Das Bundeskanzleramt stellt sich gegen den Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu einem Recht auf Homeoffice. Da im Koalitionsvertrag kein Rechtsanspruch auf Homeoffice festgehalten sei, soll der Entwurf nun nicht in die Ressortabstimmung gelangen. Er ist damit praktisch gescheitert, wie community.beck (Christian Rolfs) und taz (Jasmin Kalarickal) berichten. 

Bilanzbetrug: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) wollen als Reaktion auf den Wirecard-Skandal einen Aktionsplan gegen Bilanzbetrug auf den Weg bringen. Demnach sollen Wirtschaftsprüfer künftig nicht nur bei vorsätzlichem Betrug, sondern auch bei grober Fahrlässigkeit haften. Wer Bilanzen von Unternehmen prüft, soll diese nicht mehr gleichzeitig beraten dürfen. Außerdem soll die Finanzaufsicht Bafin striktere Durchgriffsrechte bekommen. Die Pläne stellen SZ (Cerstin Gammelin), Hbl (Martin Greive u.a.) und FAZ (Manfred Schäfers/Georg Giersberg) vor. 

Jan Hildebrand (Hbl) zufolge bietet der Plan "Show statt Substanz". Der Aktionsplan beschreibe kaum konkrete gesetzgeberische Konsequenzen, sondern erteile der Bundesregierung vor allem Prüfungsaufträge an sich selbst. Scholz habe im Vorfeld des Wirecard-Untersuchungsausschusses offenbar etwas Tatkraft demonstrieren wollen. 

Abgeordnetengesetz: Die SZ (Robert Roßmann) stellt die nun vom Bundestag beschlossene Verschärfung des Abgeordnetengesetzes vor. Damit können künftig Parlamentarier bestraft werden, die ihre Bundestagsmitarbeiter auch im Wahlkampf einsetzen. Damit setzt der Bundestag ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 um. 

Verbraucherdarlehen: Als Konsequenz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs von September 2019 plant das Justizministerium laut Hbl (Frank Drost) eine Änderung des Rechts der Verbraucherdarlehen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Werden Verbraucherdarlehen künftig vorzeitig zurückgezahlt, sollen sich sämtliche Kosten reduzieren und damit auch diejenigen, die unabhängig von der Laufzeit anfallen. 

Stiftungsrecht: Der Notar Peter Rawert stellt in einem kritischen Beitrag für die FAZ ausführlich den Referentenentwurf des "Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts" vor. Demnach soll das Stiftungsprivatrecht künftig abschließend im BGB geregelt und zudem ein Stiftungsregister eingerichtet werden, das vom Bundesamt der Justiz geführt wird. 

Justiz

EuGH – Bereitschaftszeit: Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zur Bereitschaftszeit von Feuerwehrleuten hat Generalanwalt Pitruzzella laut LTO seine Schlussanträge vorgelegt. Demnach kann Bereitschaftszeit als Arbeitszeit gelten, wenn Beschäftigte rasch einsatzbereit sein und mit häufigen Einsätzen rechnen müssen. Maßstab soll sein, ob die tatsächliche Ruhezeit des Arbeitnehmers sichergestellt ist oder nicht.

OVG Berlin-Brandenburg zu Radwegen: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin außer Vollzug gesetzt, nach der die im Zuge der Coronakrise ausgebauten, sogenannten Pop-up-Radwege abgebaut werden müssen. Das berichtet nun auch die taz (Anja Krüger). 

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke hat laut FAZ (Marlene Grunert) der Generalbundesanwalt Beschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main eingelegt, den Mitangeklagten Markus H. vorläufig aus der Untersuchungshaft freizulassen. 

VG Hannover zu Überstunden: Ein Schulleiter aus Hannover ist vor dem dortigen Verwaltungsgericht mit einer Klage auf Freizeitausgleich gescheitert. Er hatte ein Tätigkeitenprotokoll geführt und war zu einer Wochenarbeitszeit von 53 Stunden gelangt. Dem Gericht zufolge konnte aber das Bestehen einer individuellen Arbeitszeitüberschreitung nicht nachgewiesen werden. spiegel.de (Armin Himmelrath) berichtet.

LAG Düsseldorf zu Videoprozess: Einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf von Juli dieses Jahres zufolge kann die Ablehnung der Durchführung einer arbeitsgerichtlichen Video-Gerichtsverhandlung nicht mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. zpoblog (Benedikt Windau) stellt die Entscheidung vor. 

LG Braunschweig – Ex-VW-Chef Winterkorn: Vor dem für das kommende Frühjahr geplanten Beginn des Betrugsprozesses gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn und weitere Angeklagte vor dem Landgericht Braunschweig hat dessen Rechtsanwalt Atteste eingereicht, die den schlechten Gesundheitszustand Winterkorns belegen sollen. Nun ist fraglich, ob das Gericht das Verfahren gegen Winterkorn abtrennt oder nur an wenigen Stunden pro Prozesstag verhandeln kann. Es berichten SZ (Klaus Ott) und FAZ (Christian Müßgens/Martin Gropp)

LG Aachen – Erfundenes NSU-Opfer: spiegel.de (Wiebke Ramm) schreibt über den seit Mitte August laufenden Prozess gegen einen Eschweiler Anwalt, der zweieinhalb Jahre lang im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München eine nichtexistente Frau vertreten hatte. Am gestrigen Mittwoch wurde im Rahmen einer Zeugenvernehmung thematisiert, dass eine weitere zeitweise Nebenklägerin im NSU-Prozess möglicherweise niemals Opfer des NSU geworden war. 

70 Jahre BGH: SWR Aktuell (Frank Bräutigam) blickt zurück auf siebzig Jahre Bundesgerichtshof. 

Recht in der Welt

Griechenland – Goldene Morgenröte: In Griechenland ist die Führungsspitze der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte schuldig gesprochen worden, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Unter den Verurteilten ist auch Parteichef Nikolaos Michaloliakos. Über das Urteil schreiben SZ (Tobias Zick), FAZ (Michael Martens) und spiegel.de

Michael Martens (FAZ) meint, die demokratische griechische Parteienlandschaft – und nach anfänglichem Zögern auch die Justiz – hätten entschlossen auf die Goldene Morgenröte reagiert. Der nun abgeschlossene Prozess habe die selbsternannten Vaterlandsverteidiger als geldgierige, zerstrittene Clowns entblößt. Auch Tobias Zick (SZ) meint, der griechische Staat habe sich mit dem Urteil als entschlossener Verteidiger der Demokratie erwiesen. Europa könne von Griechenland lernen, aus welchen Abgründen Rechtsextremismus wuchern kann – und wie man ihn bekämpft. 

USA und IStGH: Rechtsprofessor Claus Kreß kritisiert in einem Beitrag für beck-aktuell, dass US-Präsident Donald Trump die Axt an den Internationalen Strafgerichtshof gelegt habe. Trump hatte den IStGH als "unübliche und außerordentliche Bedrohung" der nationalen Sicherheit der USA einstufen lassen. Zudem wurde die amtierende Chefanklägerin, Fatou Bensouda, auf Betreiben von Trump auf die "schwarze Liste" von Personen gesetzt, gegen die die USA gezielte Wirtschaftssanktionen verhängt haben. Bei der Präsidentschaftswahl in den USA geht es Kreß zufolge deshalb nun auch um die Idee einer regel-basierten internationalen Ordnung, die auch von internationalen Gerichtshöfen gestützt wird.

Juristische Ausbildung

VG Düsseldorf zu Präsenzpflicht: Rechtsreferendare sind nach einer Entscheidung des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts auch in Zeiten von Corona verpflichtet, zum Präsenzunterricht zu erscheinen. Eine Referendarin scheiterte mit dem Antrag, den Präsidenten des für sie zuständigen Oberlandesgerichts dazu zu verpflichten, sie von der Präsenzpflicht zu befreien. Dies berichtet LTO (Pauline Dietrich)

Sonstiges

Maskenpflicht und freies Mandat: Rechtsanwalt Matthias Dombert nimmt in einem Beitrag für die Welt von den jeweiligen AfD-Landtagsfraktionen in Bayern und Brandenburg angestrengte Gerichtsverfahren gegen eine Maskenpflicht im Landtag zum Anlass, um die Bedeutung und die Reichweite des sogenannten freien Mandats des Abgeordneten zu erläutern. Es könne insbesondere durch das Interesse an der Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments eingeschränkt werden. 

Deutsche Rechtsvorherrschaft: Auf verfassungsblog gibt es einen neuen Debattenschwerpunkt zum Thema "Deutsche Vorherrschaft in der Europäischen Rechtsgemeinschaft?". Heute unter anderem mit Beiträgen der Rechtsprofessoren Daniel Sarmiento und Başak Çalı

Berufseinstieg von Juristen: LTO (Tanja Podolski) bringt ein Gespräch mit Personalberater David Schwab. Er äußert sich zu den Berufsaussichten für juristische Berufseinsteiger in Zeiten von Corona und erläutert, woran Bewerber denken sollten. 

Uni vs. FH: Rechtsprofessor Christian Hattenhauer beklagt in der FAZ eine schleichende Entwertung der Universität. Insbesondere die bevorstehende Verleihung des Promotionsrechts an Fachhochschulen in einigen Bundesländern bedrohe die Wissenschaft als System. An den Promotionskollegs der Fachhochschulen fehle jede Verankerung in Forschung und Lehre. Die Universitäten seien nach dem Grundgesetz zu alleinigen Hütern der wissenschaftlichen Qualität des Promotionswesens berufen. 

Das Letzte zum Schluss

Unverkennbare Gitarrenriffs: Falls Sie bisher nur mit schlechten (urheberrechtlichen) Gefühlen an Ihre rockige Jugend zurückdachten, können Sie von nun an beruhigt schlafen: "Stairway to Heaven" ist kein Plagiat, sagt der US-Supreme Court laut FAZ (Christiane Heil).

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jng

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Oktober 2020: Prozessauftakt Tiergartenmord / Einigung auf Beherbergungsverbote / "Goldene Morgenröte" war kriminell . In: Legal Tribune Online, 08.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43037/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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