Die juristische Presseschau vom 17. März 2021: Exa­men­spanne in BaWü / Richter Müller über das Cannabis-Verbot / Grund­rechte in Flücht­lings­heimen

17.03.2021

In Baden-Württemberg soll eine Klausur im Ersten Staatsexamen wiederholt werden. Amtsrichter Andreas Müller spricht über seine Cannabis-Vorlage an das BVerfG. Flüchtlinge klagen gegen restriktive Hausordnungen in Asyl-Unterkünften.

Thema des Tages

Panne im Staatsexamen: 871 Erstexamensprüflingen in Baden-Württemberg steht eine unfreiwillige Verlängerung ihrer Klausurphase bevor. LTO-Karriere berichtet, dass Anfang des Monats in Konstanz bei der Ausgabe einer Klausur im Öffentlichen Recht irrtümlich der Sachverhalt einer Strafrechtsklausur ausgeteilt wurde. Der Fehler wurde zwar noch vor Beginn der Bearbeitungszeit bemerkt. Alle Strafrechtssachverhalte wurden daraufhin - vermeintlich ungelesen - wieder eingesammelt. Die Strafrechtsklausur wurde kurz darauf dann mit dieser Aufgabenstellung geschrieben. Erst danach wurde bekannt, dass ein Prüfling der öffentlich-rechtlichen Klausur den Strafrechts-Sachverhalt erst verspätet zurückgegeben hatte. Da das Justizministerium nun befürchtete, dass doch einzelne Prüflinge den Strafrechtssachverhalt vorab kannten, ordnete es eine Wiederholung der Strafrechtsklausur an. In einer bislang von 2.600 Jurastudierenden unterschriebenen Petition wird diese Anordnung kritisiert und von einem nicht zu entschuldigenden "ungeheuerlichen Vorgang" gesprochen. Die Studierenden wollen eine Nachklausur verhindern.

Rechtspolitik

Transparenz - Bundestag: Reinhard Müller (FAZ) warnt im Leitartikel vor der Gefahr, mit der  aktuellen Transparenzinitiative zu Nebeneinkünften von Parlamentariern gleichsam "gläserne Abgeordnete" zu schaffen. Wer statt eines "Beamtenparlaments" freie Abgeordnete mit einem freien Mandat wolle, müsse auch jene schätzen, "die aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, wenn man als Selbständiger sein Geld verdienen muss."

Kindschaftsrecht: LTO berichtet über eine Berliner Bundesrats-Initiative, die es Kindern lesbischer Paare durch eine Änderung des Abstammungsrechts ermöglichen will, künftig rechtlich anerkannt auch zwei Mütter zu haben. Darüber hinaus solle auch eine bestehende Ungleichbehandlung trans- und intergeschlechtlicher Eltern bzw. Personen mit Kinderwunsch aufgehoben werden.

Kinderrechte ins Grundgesetz: Der Habilitand Philipp B. Donath übt im JuWissBlog rechtssystematische Kritik am Standort des geplanten Kindergrundrechts. Dessen geplanter Standort in Art. 6 Grundgesetz inmitten des in den Absätzen 2 und 3 geregelten staatlichen Wächteramts lege eine Rechtswahrnehmung von Kindern lediglich innerhalb dieses Instituts nahe. Dem proklamierten Ziel, einer Kenntlichmachung der eigenen Rechtspersönlichkeit von Kindern, werde so nicht entsprochen.

Lieferketten und Menschenrechte: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch kritisieren Rechtsanwalt Tobias Bomsdorf und Rechtsreferendar Berthold Blatecki-Burgert den vom Bundesarbeitsministerium erarbeiteten Entwurf eines Lieferkettengesetzes als "moralischen Imperialismus". Obgleich es "absolut begrüßenswert" sei, dass sich die Bundesregierung gegen Praktiken wie das Vorenthalten von Mindestlohn oder das Verbot gewerkschaftlicher Betätigung ausspreche, würden mit dem Gesetz iStandards gesetzt, die "nicht einmal hierzulande immer vollumfassend umgesetzt" seien, wie der sogenannte Gender Pay Gap zeige.

Datentreuhänder: Rechtsprofessor Tobias Gostomzyk diskutiert im Recht und Steuern-Teil der FAZ das Konzept sogenannter Datentreuhänder. Sowohl die EU-Kommission in ihrem Entwurf eines "Data Governance Act" als auch die Datenstrategie der Bundesregierung versuchten, "Datennutz und Datenschutz" durch die Schaffung entsprechender Stellen miteinander zu "versöhnen". Ob es aber gelingen könne, großen Tech-Unternehmen die Bedingungen zur Nutzung von Daten zu diktieren, bleibe offen.

Justiz

BVerfG – Cannabis: Der Bernauer Amtsrichter Andreas Müller erläutert im Interview mit LTO (Hasso Suliak) seine Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht aus dem April 2020, mit der er die strafrechtliche Verfolgung des Cannabiskonsums Erwachsener beenden will. Er spricht über die Erfolgsaussichten des Vorhabens, seine Motivation sowie über Ideen zur Abgabe von Cannabis unter Wahrung des Jugendschutzes. Daneben äußert er sich auch über einen Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen ihn in einem Verfahren zum Besitz von Betäubungsmitteln.

VGH BaWü – Flüchtlingsunterkünfte: Mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte wollen vier Asylbewerber durch eine Normenkontrolle mit Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die landeseinheitliche Hausordnung von Erstaufnahmeeinrichtungen zu Fall bringen. Wie die taz (Christian Rath) schreibt, erlaube die Hausordnung der Einrichtung in Freiburg z.B. jederzeitige anlasslose Kontrolle der Räume der Betroffenen. Die Normenkontrolle moniert, dass die massiven Grundrechtseingriffe keine gesetzliche Grundlage haben. Zudem seien sie völlig unverhältnismäßig. LTO berichtet ebenfalls.

EuGH – Energiecharta: Auf Vorlage eines schwedischen Gerichts befasst sich der Europäische Gerichtshof derzeit mit der Frage, ob der völkerrechtliche Vertrag über die Energiecharta (ECT) im Lichte der "Achmea"-Rechtsprechung gegen Unionsrecht verstößt. In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ spricht sich Rechtsanwalt Max Stein dagegen aus, dies und den jüngsten Vattenfall-Vergleich der Bundesregierung zum Anlass zu nehmen, "das wichtigste Abkommen des internationalen Investitionsschutzes" zu beenden. Bei aller Reformbedürftigkeit habe der ECT "erheblich zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit im Energiesektor" beigetragen und die Rechte von nicht zuletzt deutschen Investoren geschützt.

BVerwG – "Idiotentest": Auf Vorlage des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs verhandelt das Bundesverwaltungsgericht am heutigen Mittwoch über die Voraussetzungen der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach einer entdeckten Trunkenheitsfahrt. Hierbei könnte die bislang geltende Grenze von 1,6 Promille zur Disposition stehen, mutmaßt die SZ (Wolfgang Janisch). Daneben könnten auch die Anforderungen der "Anzeichen für Alkoholmissbrauch", bei deren Vorliegen der sogenannte Idiotentest auch bei geringerer Promillezahl angeordnet werden kann, neu justiert werden.

LG Wiesbaden – Cum-Ex: Vor dem in einer Woche beginnenden Strafverfahren wegen Cum-Ex-Steuertricksereien hat das Landgericht Wiesbaden nach Berichten von FAZ (Marcus Jung) und SZ (Jan Willmroth) das Verfahren gegen zwei Angeklagte abgetrennt. Coronabedingte Einreisebestimmungen ließen eine Verhandlung gegen die beiden in Irland und Gibraltar lebenden Männer nicht zu. Somit werde nun nur gegen zwei frühere Mitarbeiter der Hypo-Vereinsbank und den sich weiterhin gegen eine Auslieferung aus der Schweiz wehrenden Steueranwalt Hanno Berger verhandelt.

VG Mainz zu anwaltlicher E-Mail: community.beck.de (Katrin Blasek) macht auf ein von Mitte Dezember stammendes Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz aufmerksam, nach dem in der anwaltlichen, mandatsbezogenen E-Mail-Kommunikation die Verwendung einer sogenannten Transportverschlüsselung – im Gegensatz zu einer Inhaltsverschlüsselung oder auch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – datenschutzrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.

AG Köln – Karl-Erivan Haub: Im Todeserklärungsverfahren zum 2018 verschollenen früheren Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub hat das Amtsgericht Köln das Aufgebot erlassen. Bis zum 12. Mai würden nun Informationen über den Verbleib Haubs entgegengenommen, berichtet spiegel.de und stellt im Weiteren auch die familiären Auseinandersetzungen über das Verfahren dar.

StA Potsdam – Toter DDR-Vertragsarbeiter: Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat bekannt gegeben, dass sie m Fall des 1986 verstorbenen mosambikanischen Vertragsarbeiters Manuel Diogo "nicht von einer todesursächlichen Fremdeinwirkung" ausgeht, so spiegel.de. Die Staatsanwaltschaft trat damit der seit Jahren kursierenden Darstellung eines früheren Kollegen entgegen, dass Diogo damals von Neonazis getötet worden sei. Ein Historiker hatte zudem gemutmaßt, dass die Stasi den Mord vertuscht habe. 

GBA – Staatsterror in Gambia: Im Auftrag des Generalbundesanwalts wurde in Hannover ein aus Gambia stammender Beschuldigter festgenommen. Der Mann soll in seiner Heimat als Mitglied einer berüchtigten Spezialeinheit des Militärs an zahlreichen Gräueltaten beteiligt gewesen sein, berichtet die FAZ (Claudia Bröll/Alexander Haneke). Die taz (Dominic Johnson) beschreibt die Ermordung eines der prominentesten Opfers der Spezialeinheit und legt dar, dass der nun Festgenommene durch freimütige Äußerungen im deutschen Asyl die Aufmerksamkeit der Ermittler auf sich gelenkt habe. Bei einem Prozess wäre er somit "wohl Angeklagter und Kronzeuge zugleich".

OStAin Brorhilker: Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker wird vom Hbl (Sönke Iwersen/Volker Vorsmeier) ausführlich porträtiert. Die Anklägerin ermittle bereits seit etwa acht Jahren zum Themenkomplex Cum-Ex. Ihre hierbei erzielten Erfolge würden nun mit der Übertragung der Leitung einer Hauptabteilung belohnt.

Corona-Shutdown vor Gericht: Im Verfassungsblog macht Rechtsprofessor Dietrich Murswiek "Defizite und Fehlgewichtungen in der Lockdown-Judikatur" aus. Diese Defizite begännen bei der - ein Exklusivitätsverhältnis nahelegenden - Frage "Leben oder Freiheit". Sie setzten sich fort bei oft ungenauen oder gleich ganz unterlassenen Abwägungen von konkreten Vorteilen durch die zu prüfende Maßnahme mit den konkreten Nachteilen bezüglich "Freiheit und Folgeschäden". Auch wenn in beiden Bereichen eine exakte Quantifizierung nicht möglich sei, eröffne dies keinen unbegrenzten Spielraum der Exekutive.

Recht in der Welt

EP – Polen/Ungarn: Das Europaparlament steht vor einer Resolution, mit der die Kommission aufgefordert wird, den im vergangenen Jahr geschaffenen Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn und Polen zur Anwendung zu bringen. Folge die Kommission der Aufforderung nicht bis zum 1. Juni , werde das Parlament eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Betracht ziehen, so spiegel.de (Markus Becker).

Sonstiges

Facebook News: In einem Gastbeitrag für die Welt machen Rechtsprofessor Rolf Schwartmann und Günter Krings, CDU-MdB und Vorsitzender des Bundesarbeitskreises Christlich Demokratischer Juristen, darauf aufmerksam, dass sich mit dem ab Mai startenden News-Angebot von Facebook der Status der Plattform zu einem Nachrichtenanbieter wandelt. Statt einer bisherigen "Privilegierung des Mittlers" sei nun eine "Medienaufsicht der Länder" angezeigt, bei der auch die Meinungsmacht der Plattform in den Blick genommen werden sollte.

Burnout-Prävention: LTO-Karriere (Martina Schäfer) beschreibt, wie Kanzleien einem Burnout von Angestellten durch eine geschickte und zielgerichtete Personalauswahl vorbeugen können.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. März 2021: Examenspanne in BaWü / Richter Müller über das Cannabis-Verbot / Grundrechte in Flüchtlingsheimen . In: Legal Tribune Online, 17.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44514/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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