Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. Juli 2012: Bundesregierung will Beschneidungen – Zoff um Steuer-CD – Transparenz für Richterwahl

16.07.2012

Die Frage der Strafbarkeit religiöser Beschneidungen von Jungen beschäftigt die Wochenend-Presse, dicht gefolgt vom Streit um den erneuten Ankauf einer Steuer-CD durch Nordrhein-Westfalen. Außerdem in der Presseschau Lammert zur Verfassungsrichterwahl, die Karlsruher EU-Rechtsprechung, untreue Politiker – und wie man aus einer nie geschlossenen Ehe wieder herauskommt.

Beschneidungen: Beschneidungen von Jungen aus religiösen Gründen sollen nach dem Willen der Bundesregierung straffrei sein. Allerdings bestehe noch Unsicherheit und Uneinigkeit hinsichtlich der Umsetzung dieses Ziels, so die Samstags-taz (Anja Maier). In Frage kämen unter anderem eine Änderung des Strafgesetzbuches, ein spezielles Beschneidungsgesetz oder eine Regelung im Patientenrechtegesetz.

Die FAS (Philip Eppelsheim) weist auf einen schon 2008 im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Aufsatz zur Strafbarkeit der Beschneidung hin und beschreibt ausführlich die Leidensgeschichte des Jungen, die dem Urteil des Kölner Landgerichts zugrunde gelegen hatte, das die Beschneidung als Körperverletzung eingestuft hatte.

Jasper von Altenbokum (Samstags-FAZ) begrüßt den Plan der Bundesregierung. Ein Verbot religiöser Beschneidungen wäre "schlicht unverhältnismäßig und unzumutbar", allerdings dürfe die damit verbundene Körperverletzung auch nicht bagatellisiert werden.

Heribert Prantl (Montags-SZ) vergleicht die vom Urteil verursachte Aufregung mit der Debatte über das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 und sieht in der Beschneidungs-Debatte eine Fortsetzung der Unversöhnlichkeit der Kopftuch-Debatte. Ein Beschneidungsverbot hält er für eine unverhältnismäßige Bestrafung des "nur Befremdlichen".

Andreas Theyssen (FTD) dagegen wendet sich scharf gegen eine Beschneidung aus rein religiösen Gründen – es gäbe "keinen einzigen Grund", das zu tolerieren.

Steuer-CD und Abkommen: Nordrhein-westfälische Finanzbehörden haben erneut eine CD mit Daten deutscher Steuersünder gekauft, die ihr Geld in der Schweiz angelegt hatten. Die Ratifizierung des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens sei dadurch noch unwahrscheinlicher geworden, weil das Bundesland im Bundesrat die Zustimmung verweigern wolle, so die Montags-SZ (Hans Leyendecker). Nach einem Bericht der FTD (Claudia Kade/Jens Brambusch) kritisierte die Schweiz den Ankauf scharf – und warf Deutschland einen Bruch des Abkommens vor, an das man während des Ratifizierungsprozesses gebunden sei.

In ihrem Leitartikel widerspricht die FTD dieser Einschätzung – es gebe keine Pflicht zu "vorauseilender Nachsichtigkeit". Nichtsdestotrotz wäre es ein Fehler zu glauben, man bräuchte das Abkommen nicht.

Heike Göbel (Montags-FAZ) kritisiert in diesem Zusammenhang das Verhalten der SPD. Ihr sei wohl mehr am symbolträchtigen Streit mit der Schweiz als an einem Einvernehmen gelegen. Durch "Geschäfte mit Datendieben" schade sie zudem dem Rechtsempfinden.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Verfassungsrichter-Wahl: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hält das Wahlverfahren des Bundestages für Verfassungsrichter für wenig transparent und fordert im Gespräch mit der Samstags-SZ (Marc Beise/Wolfgang Janisch) eine Wahl durch das Plenum des Bundestags und nicht durch einen Wahlausschuss.

Wolfgang Janisch (Montags-SZ) erkennt die Kritik Lammerts zwar an, hält ihm aber vor, dass er bislang auch kein Modell vorgeschlagen habe, das gleichzeitig transparent sei und die Gefahr einer zu starken Politisierung der Richterwahl ausschlösse.

Meldegesetz: Warum das vom Bundestag beschlossene und aus Datenschutzgründen kritisierte neue Meldegesetz gar nicht "so dumm" sei, "wie alle Welt tut", begründet Jasper von Altenbockum (Samstags-FAZ). Jedenfalls der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung stelle einen ausgewogenen Kompromiss auf der Grundlage des Bundesdatenschutzgesetzes dar.

Im Gespräch mit der FTD (Maike Rademaker) kritisiert der Bundesdatenschutzbauftragte Peter Schaar den mit der Widerspruchslösung verbundenen hohen bürokratischen Aufwand.

Die Empörung über den Verlauf der Meldegesetz-Abstimmung im Bundestag wiederum kritisiert Falk Heinemann (FTD) als "unsachlich und naiv".

Vorratsdatenspeicherung: Wie netzpolitik.org (Andre Meister) erfahren hat, wird sich die Überarbeitung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung weiter verzögern. So sei in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr mit einer Reform zu rechnen.

Weitere Themen – Justiz

BVerfG und Europa: Christian Rath (Samstags-taz) setzt sich mit der Rolle des Bundesverfassungsgerichts bei der europäischen Integration auseinander. Während er die jüngste Entscheidung des Gerichts, sich für das Eilverfahren gegen ESM und Fiskalpakt mehr Zeit als sonst üblich zu nehmen, als "ein freundliches Angebot" würdigt und anerkennt, dass sich "Karlsruhe letztlich stets konstruktiv verhalten" habe, kritisiert er den von ihm im Lissabon-Urteil verorteten strategischen Ausgangspunkt der Europa-Rechtsprechung scharf. Das dort formulierte Verbot zum Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat sei eine "Unverschämtheit gegenüber allen überzeugten Europäern" – und zugleich eine "verhängnisvolle Rechtsansicht", die "den öffentlichen Diskurs in eine falsche Richtung lenkt".

Auch Reinhard Müller (Samstags-FAZ) begrüßt die Entscheidung des Gerichts für eine längere und gründlichere Prüfung von ESM und Fiskalpakt und gibt einen Überblick über die Reaktionen in der Politik. Rainer Hank begrüßt in der FAS die "Entschleunigung", die das Gericht so bewirke.

Salafist in Haft: Der Focus (Axel Spilcker) berichtet über die Festnahme des salafistischen Extremisten Peter Bogdahn. Ihm werde die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen; er soll junge Islamisten für den Dschihad in Afghanistan angeworben haben. Sein Anwalt kritisiere, dass die Vorwürfe auf Spekulationen beruhten.

Dresdner Ermittlungen eingestellt: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat die Ermittlungen gegen 21 Personen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit dem Bündnis "Dresden nazifrei" eingestellt, weil ein als zentrales Beweisstück geltendes Handy keiner der verdächtigen Personen zugeordnet werden konnte. Das berichtet die Samstags-taz (SE). Die Ermittlungen waren im letzten Jahr wegen der massiven Speicherung von Mobilfunkdaten in die Kritik geraten.

Tod im Amt: Unter dieser Überschrift widmet die Samstags-SZ (Karin Steinberger) ihre "Seite Drei" dem Fall um den tragischen Tod der Nigerianerin Christy Schwundeck. Die mit einem Messer bewaffnete Frau war nach einem Konflikt mit Mitarbeitern des Jobcenters Frankfurt von einer Polizistin erschossen worden – in Notwehr, wie die Staatsanwaltschaft befunden habe. Gegen die Einstellung der Ermittlungen gehe ihr Ehemann nun mit einem Klageerzwingungsverfahren vor.

Kronzeugen-Lüge: Wie der Spiegel berichtet, gibt es erhebliche Zweifel an der Aussage des Hauptbelastungszeugen im Fall der 2001 verschwundenen Peggy Knobloch. Er habe seine Aussage, aufgrund derer der geistig behinderte Ulvi Kulac wegen Mordes verurteilt wurde, erfunden, weil ihm dafür von der Polizei die Freiheit versprochen worden sei. Auch gebe es Indizien für getürkte Ermittlungsergebnisse. Die ARD zeige am Mittwochabend eine Dokumentation.

Elektronische Fußfessel: Anlässlich des Rückfalls eines mit einer elektronischen Fußfessel überwachten Sexualstraftäters beschreibt die FAS (Lydia Rosenfelder) in einer ausführlichen Reportage die Funktion der in Bayern eingesetzten Maßnahme.

Hart gegen S 21-Gegner: Über ungewöhnlich harte Ermittlungsmethoden der baden-württembergischen Justiz gegen Gegner des Stuttgarter Bahnhofumbaus berichtet der Spiegel (Simone Kaiser, Michael Loeckx, Udo Ludwig, Vorabmeldung auf spiegel.de). Zweifelhafte Durchsuchungen und vorschnelle Strafbefehle gehörten zum Instrumentarium.

Justizopfer: Anlässlich seines Todes im Juni stellt der Spiegel den Fall des Studienrats Horst Arnold vor. Er war zu Unrecht wegen der Vergewaltigung einer Kollegin verurteilt worden und hatte fünf Jahre in Haft gesessen. Erst ein Wiederaufnahmeverfahren habe zehn Jahre später zu seinem Freispruch geführt – eine echte Rehabilitation sei aber nie erfolgt.

BGH zu Wohnhaus-Kita: Wie die Samstags-taz (Christian Rath) berichtet hat der Bundesgerichtshof im Streit um die Tätigkeit einer Tagesmutter in einem Wohngebäude nicht die erhoffte Grundsatzentscheidung zur Zumutbarkeit getroffen. Das Gericht habe die untersagende Entscheidung des Landgerichts Köln vielmehr "aus formalen Gründen" bestätigt: Die Aufnahme eines Berufs oder Gewerbes im Gebäude bedürfe nach der Teilungserklärung der Zustimmung von 75 Prozent der Wohnungseigentümer, die bislang nicht vorliege.

BVerwG zu Bettensteuern: Wie die Montags-FAZ (Joachim Jahn) unter Berufung auf die mittlerweile verfügbaren Urteilsgründe des Bundesverwaltungsgerichtsurteils zu kommunalen Bettensteuern berichtet, können solche den Kommunen künftig selbst durch ein Gesetz nicht ermöglicht werden – das Gericht habe sich in seinem Urteil unmittelbar auf das Grundgesetz berufen.

EnBW-Affäre: Wie die Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt) berichtet, ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der EnBW-Affäre neben Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus auch gegen die beiden früheren Staats- und Finanzminister Helmut Rau und Willi Stächele wegen des Verdachts der Untreue. Beide hätten an dem Geschäft mitgewirkt.

Das Handelsblatt (Sönke Iwersen) porträtiert derweil Mappus Rechtsanwalt Stephan Holthoff-Pförtner, der sich selbst als "begeisterten Problemlöser" beschreibt.

Politiker-Untreue: Die Samstags-SZ (Hans Leyendecker) nimmt die Ermittlungen in der EnBW-Affäre zum Anlass, sich anhand mehrerer Fälle mit der Frage nach der Strafbarkeit von Politikern wegen Untreue zu beschäftigen. Ermittlungsverfahren nähmen zu, jedoch sei ein Vorsatz meist nicht nachweisbar.

NSU-Aktenvernichtung: Im Gespräch mit der FTD (Maike Rademaker) stellt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar klar, dass für den Verfassungsschutz entgegen dessen Behauptung keine gesetzliche Pflicht zur Aktenvernichtung aus Datenschutzgründen bestanden hatte.

Libor-Affäre: In der Affäre um die Manipulation des Interbankenzinssatzes Libor hat die Deutsche Bank bei der EU-Kommission und in der Schweiz erfolgreich Kronzeugenstatus beantragt. Währenddessen bereitet das US-Justizministerium Strafverfahren gegen mehrere Geldhäuser vor, so die FTD (Georgia Hädicke).

Schlagender Lehrer: Schlägt ein Lehrer eine Schülerin, so ist nicht in jedem Fall eine fristlose Kündigung gerechtfertigt. Vielmehr seien alle Umstände des Einzelfalls abzuwägen, so das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt laut blog.beck.de (Markus Stoffels).

Rapidshare-Urteil: Ausführlich setzt sich der Rechtsanwalt Tobias Sommer auf lto.de mit dem "wegweisenden" Urteil des Bundesgerichtshofs zur Haftung von Filehostern für Urheberrechtsverstöße auseinander.

Auch internet-law.de (Thomas Stadler) bespricht das Urteil und hält eine Verpflichtung zum Einsatz von Wortfiltern für problematisch und möglicherweise EU-rechtswidrig.

BGH zu Journalisten-Honoraren: internet-law.de (Thomas Stadler) analysiert die mittlerweile veröffentlichten Gründe des Bundesgerichtshofs-Urteils zu Honorarbedingungen für freie Journalisten. Danach sei die Einräumung einer weitest möglichen Rechteeinräumung gegen die Zahlung eines einmaligen Abgeltungsbetrags regelmäßig unwirksam, wenn sich dies nicht in der Höhe der Pauschalvergütung widerspiegele.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Norwegen – Breivik-Prozess: Ausführlich beschäftigt sich Sebastian Balzter im Feuilleton der Samstags-FAZ mit dem Aufeinandertreffen von "Rechtsstaat und Barbarei" im Prozess gegen den Attentäter Anders Behring Breivik und geht der Frage nach, wie eine Gesellschaft mit Personen umgehen kann, die sie zerstören wollen.

USA – Keine Überstellung: Der in den USA wegen Doppelmords verurteilte und seit 26 Jahren inhaftierte Deutsche Jens Söring muss weiter in US-Haft bleiben. Sein Antrag auf Haftüberstellung nach Deutschland sei von einem Gericht abgewiesen worden; mit einer gnadenweisen Überstellung könne er wegen des Widerstands des Gouverneurs von Virginia nicht rechnen, so die Samstags-SZ (Karin Steinberger). In der Montags-SZ (Karin Steinberger) findet sich ein Interview mit dem Häftling.

Italien – Strafen für Genua-Demonstranten: Michael Braun (Montags-taz) kritisiert die "drakonischen Strafen", die der italienische Kassationsgerichtshof gegen fünf Demonstranten verhängt hat, die im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 an Ausschreitungen beteiligt waren. Die Angeklagten wurden zu Freiheitsstrafen zwischen sechseinhalb und 14 Jahren verurteilt – wegen "Verwüstung und Plünderung".

Europäische Verfassungsgerichte: Mit der Verfassungsgerichtsbarkeit in Frankreich und Großbritannien und ihrem Verhältnis zu den Parlamenten beschäftigt sich die Montags-FAZ. Michaela Wiegel beschreibt die langsame Emanzipation des französischen Verfassungsrats, der sich dabei auch an Karlsruhe orientiere. In Großbritannien hingegen habe der oberste Gerichtshof nicht die Möglichkeit, Parlamentsgesetze zu prüfen – allerdings könne er unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention – und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – die Unvereinbarkeit eine Regelung mit der Konvention feststellen, weiß Johannes Leithäuser.

Das Letzte zum Schluss

Unfreiwillige Ehe: Gar nicht so einfach, aus einer Ehe wieder herauszukommen, die man nie geschlossen hat. Die Montags-SZ (Christian Rost) berichtet im München-Teil über die Mühen einer Frau, aus einer Ehe mit einem jungen Inder wieder herauszukommen, den sie im bosnischen Banja Luka geheiratet haben soll – ohne aber je dort gewesen zu sein. Sie war von einer Heiratsvermittlerin übers Ohr gehauen worden.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. Juli 2012: Bundesregierung will Beschneidungen – Zoff um Steuer-CD – Transparenz für Richterwahl . In: Legal Tribune Online, 16.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6617/ (abgerufen am: 04.05.2024 )

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