Die juristische Presseschau vom 15. März 2012: IStGH spricht erstes Urteil – BGH schützt Gasversorger – BVerwG zweifelt an Nachtflügen

15.03.2012

Das erste Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs erregt Aufsehen. Auch die deutschen Gerichte sind aktiv: Rückforderungsansprüche gegen Gasversorger werden eingegrenzt, die Anwohner des Frankfurter Flughafens könnten bald wieder ruhig schlafen und das System der Parteinachwuchsfinanzierung ist gekippt. Und zum Schluss darf auch der Fußball nicht fehlen.

Erstes Urteil des IStGH: Wie unter anderem die taz (Dominic Johnson) und die FAZ (Reinhard Müller) berichten, hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag sein erstes Urteil gefällt und den einstigen kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga der Rekrutierung von Kindersoldaten für schuldig befunden. Er soll Kinder unter 15 Jahren in seine Organisation UPC/FPLC eingezogen und rekrutiert haben, um sie zu zwingen, aktiv an Feindseligkeiten teilzunehmen.

Die FAZ (Thomas Scheen) beschreibt ausführlich den zugrunde liegenden Krieg der Volksgruppen der Hema und Lendu in Nordostkongo und die Rolle Lubangas. Die taz (Simone Schlindwein) stellt Reaktionen auf das Urteil aus der nordostkongolesischen Stadt Bunia zusammen. Die SZ (Ronen Steinke) skizziert die Geschichte des IStGH.

Dominic Johnson (taz) befürchtet, dass die selektive Arbeit des IStGH bei der Aufklärung der Verbrechen des Kongokriegs vom 1998-2003 eine Aufarbeitung des Konflikts verzögern könnte, auch wenn die Ermittlung einer historischen Wahrheit die Kompetenzen und Kapazitäten des Gerichtshofs überschreite. "Die Richtung stimmt", meint hingegen Jens Wiegmann (Die Welt), obwohl es noch dauern werde, bis der Gerichtshof eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Kriegsverbrecher ausübe. Für Ronen Steinke (SZ) hat der Lubanga-Prozess die Bedeutung eines notwendigen "Probelaufs", was aber nicht zu gering zu schätzen sei. 

Weitere Themen – Rechtspolitik

NPD-Verbot: Wie die FAZ (Peter Carstens) und die taz (Wolf Schmidt) berichten, haben die Innenminister von Bund und Ländern beschlossen, die Zusammenarbeit mit den V-Leuten des Verfassungsschutzes innerhalb der NPD einzustellen, um eine wichtige Voraussetzung für ein erneutes Verbotsverfahren gegen die Partei zu erfüllen.

Reinhard Müller (FAZ) betont, dass es mit dem Abzug der V-Leute nicht getan ist, sondern dass für ein Verbotsverfahren entscheidend sei, ob das dem Bundesverfassungsgericht unterbreitete Material staatlich "kontaminiert" sei. Die FTD rät von einem erneuten Verbotsverfahren ab: die rechten Ideologen würden sich bei einem Verbot neue Sammelbecken innerhalb und außerhalb des Parteiensystems schaffen; zudem bestehe das Risiko, dass das Verfahren scheitern werde.

Fluggastdatenabkommen: Vor dem Hintergrund des umstrittenen Passagierdatenabkommens zwischen EU und USA, Passenger Name Records (PNR), gehen die taz (Ruth Reichstein) und zeit.de (Patrick Beuth) auf eine Studie von Juristen der Universitäten Passau und Luxemburg ein, die im Auftrag der Grünen im Europaparlament erstellt wurde. Danach verschlechtere das Abkommen den Datenschutz für EU-Bürger, da die Daten nicht nur für den Kampf gegen Terror, sondern auch bei anderen, nicht genauer beschriebenen Gesetzesverstößen verwendet werden dürften.

Wertpapierhandelsgesetz: Rechtsanwalt Oliver Seiler stellt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard einen Gesetzentwurf vor, der die Änderungen der EU-Prospektrichtlinie in das deutsche Recht umsetzen soll, und bewertet die einzelnen geplanten Änderungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG).

Urheberrecht: Im Feuilleton der Zeit gehen Maximilian Probst und Kilian Trotier der Frage nach, wie das Urheberrecht angesichts des Internet-Zeitalters reformiert werden soll. Dabei konstatieren sie, dass beide Seiten des "ideologischen Grabens", die Kreativwirtschaft auf der einen, die Netzaktivisten auf der anderen Seite, von ihrer Linie nicht abwichen. Die Folge könne sein, dass die großen Internet-Player wie Amazon oder Apple den Markt übernehmen, woraus die Autoren folgern, dass die Kreativwirtschaft sich bewegen und neue Geschäftsmodelle erschließen müsse.

Weitere Themen - Justiz

BGH zur Rückzahlungspflicht von Gasversorgern: Wie die taz (Christian Rath) berichtet, hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, welcher Gaspreis bei einem Rückzahlungsanspruch eines Verbrauchers wegen unwirksamer Preisanpassungsklauseln im Vertrag mit einem Gasanbieter zu Grunde zu legen ist. Dabei könne nicht etwa vom Preis bei Laufzeitbeginn des Vertrags – im konkreten Fall dem Jahre 1981 - ausgegangen werden, vielmehr ergebe eine ergänzende Vertragsauslegung, dass ein Kunde alle Preiserhöhungen akzeptiert habe, wenn er diese nicht binnen drei Jahren beanstandet habe.

Rechtsanwalt Dr. Andreas Klemm spricht auf lto.de von einer "salomonischen" Entscheidung, die aber im Unklaren lasse, woraus diese Dreijahresfrist hergeleitet werde.

Bundesverwaltungsgericht zu Nachtflügen: Die FAZ (Helmut Schwan) informiert über den Verlauf der gestrigen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu den Nachtflügen am Frankfurter Flughafen. Danach zeichne sich ein Urteil ab, nach dem der aktuelle Planfeststellungsbeschluss, der begrenzt Nachflüge erlaubt, geändert werden müsse. Wie auch die das Handelsblatt (Jens Koenen) berichtet, habe der Vorsitzende betont, dass auch für internationale Großflughafen wie Frankfurt nicht automatisch einen Anspruch auf Nachtflüge bestehe.

BFH zur Brennelementesteuer: lto.de fasst einen Beschluss des Bundesfinanzhof (BFH) zusammen, in dem der Antrag eines Kernkraftwerkbetreibers auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Brennelementesteuer abgelehnt wurde. Wie auch das Handelsblatt (Axel Schrinner) schreibt, überwiege laut BFH der Geltungsanspruch des formell ordnungsgemäßen Steuergesetzes die Interessen eines Kernkraftwerkbetreibers. Der BFH hob damit die vorangegangene gegenteilige Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg auf.

OVG Berlin-Brandenburg zur Parteinachwuchsfinanzierung: Nach Berichten unter anderem der FR (Katja Tichomirowa) und der FAZ (Mechthild Küpper), hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg die bisherige Praxis der Finanzierung von Jugendorganisationen von Parteien gekippt. Geklagt hatte die Jugendorganisation der Linkspartei solid, die anders als die Jugendverbände der anderen Parteien bisher keine Förderung erhalten. Das OVG erklärte in seinem Urteil die Praxis der Mittelvergabe an sich für rechtswidrig, da sie mangels organisatorischer Eigenständigkeit der Jugendorganisationen von ihren Mutterparteien eine verdeckte Parteienfinanzierung darstelle, für die eine gesetzliche Grundlage fehle. Wie focus.de erläutert, folgt daraus, dass solid erst einmal nicht mit Fördermitteln rechnen kann; ob anderen Organisationen gewährte Gelder zurückgezahlt werden müssen, sei nicht Entscheidungsgegenstand gewesen.

Berliner Al-Kaida-Prozess: Die Zeit (Yassin Musharbash) berichtet über den Prozess gegen zwei mutmaßliche Mitglieder des Terrornetzwerks Al-Kaida, der im Januar vor dem Kammergericht Berlin begonnen hat. Aufsehen erregend seien dabei vor allem Textdateien, die bei einem der Angeklagten gefunden wurden und Informationen aus dem innersten Führungszirkel von Al-Kaida enthalten sollen.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Strafprozessrecht in China: Die SZ (Christoph Giesen) beschäftigt sich mit der Reform der Strafprozessordnung in China, die gestern von dem Nationalen Volkskongress verabschiedet wurde. Besorgniserregend sei dabei vor allem die Regelung eines "Hausarrests", wonach Verdächtige des "Terrorismus" oder "Staatsfeinde" bis zu sechs Monate an einem geheimen Ort ohne Zugang zu einem Anwalt festgehalten werden können. Angehörige müssten nur unterrichtet werden, ohne dass ihnen der Aufenthaltsort bekannt gegeben wird. Die Zeit (Angela Köckritz) beschreibt ausführlich das vorangegangene Gesetzgebungsverfahren und ordnet es in die chinesischen Justizreformen der vergangenen Jahrzehnte ein.

Das Letzte zum Schluss

Juristische EM-Vorbereitung: Rechtsanwalt Dr. Filip Hartwich berichtet auf seinem Blog für polnisches Recht, dass sich auf Bitte der Warschauer Rechtsanwaltskammer ca. 80 Rechtsanwälte gemeldet hätten, die während der kommenden Fußball-EM den Fußballfans juristischen Rat anbieten werden. Das wegen der EM geänderte Recht sehe etwa ein vereinfachtes Verfahren für "Randalierer" vor, die etwa in einem separaten Raum eines Fußballstadions abgeurteilt werden könnten, wobei der im Gericht befindliche Richter mit Kommunikationsmitteln dazuverbunden werde.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.)

lto/js

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. März 2012: IStGH spricht erstes Urteil – BGH schützt Gasversorger – BVerwG zweifelt an Nachtflügen . In: Legal Tribune Online, 15.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5783/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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