Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. Februar 2016: BVerfG und Demo­k­ratie/ Klagen heißt nicht gewinnen/ Staats­rechtler zu Merkel

15.02.2016

Am Freitag ist eine Grundsatzentscheidung des BVerfG zu den Grenzen völkervertragsrechtlicher Bindungen veröffentlicht worden. Außerdem in der Presseschau: Antonio Scalia tot, Staatsrechtler zu Merkel und Linguisten für bessere Gesetze.

Thema des Tages

BVerfG zu Völkerrechtsverträgen und Demokratie: "Demokratie ist Herrschaft auf Zeit. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren." In einem Normenkontrollverfahren, das auf eine Vorlage des Bundesfinanzhofes zu § 50d Absatz 8 Einkommensteuergesetz folgte, hat das Bundesverfassungsgericht in einer nun veröffentlichten Grundsatzentscheidung (Beschluss vom 15. Dezember 2015) erklärt, dass der Bundestag Gesetze beschließen kann, die gegen bestehende völkerrechtliche Verträge verstoßen. Zwar gäbe es den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, daraus folge aber keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller ratifizierten völkerrechtlichen Verträge. Auch der allgemeine völkerrechtliche Grundsatz des "pacta sunt servanda" könne keinen uneingeschränkten Vorrang für alle Verträge statuieren. Dazu berichten die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch). Konkret sei es um die Kollision zwischen einem Doppelbesteuerungsabkommen mit der Türkei und dem EStG gegangen.

Wie die Samstags-taz (Christian Rath, erweiterte Online-Fassung) weiter erläutert, gelte der Beschluss nicht für EU-Verordnungen/Richtlinien als supranationales Recht, auch die Europäische Menschenrechtskonvention habe wegen des grundgesetzlichen Bekenntnisses zu den "unverbrüchlichen Menschenrechten" in Artikel 1 Absatz 2 besonderes Gewicht. In einem Minderheitenvotum der Bundesverfassungsrichterin Doris König, eine Völkerrechtsprofessorin, lehnte diese die Entscheidung ab. Allenfalls in dringlichen und alternativlosen Fällen sei ein Abweichen möglich.

Maximilian Steinbeis (Verfassungsblog) kommentiert ausführlich und fragt sich, ob die Hinnahme von Völkerrechtsbrüchen nicht jedenfalls Schwierigkeiten mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip bereite.

BVerfG – Verhandlung OMT-Programm: Auch die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) berichtet und weist auf die für den morgigen Dienstag anstehende Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zum OMT-Programm der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Staatsanleihen hin. Auch dabei stehe das Demokratieprinzip im Fokus.

Corina Budras (FAS) widmet dem "Showdown in Karlsruhe" einen ausführlichen Beitrag und erläutert den nun "offen ausgetragenen" Konflikt zwischen BVerfG und Europäischen Gerichtshof. Diesen hatte Karlsruhe vor zwei Jahren angerufen zur Frage, ob das OMT-Programm noch vom geldpolitischen Mandat der EZB gedeckt  oder ein Akt "ultra vires" sei; der EuGH sah das Mandat nicht überschritten. Die Tagesordnung für Dienstag sei vor diesem Hintergrund nun "detailliert und kampfeslustig", es werde verhandelt zur Frage, ob eine Verletzung der deutschen Verfassungsidentität vorliege; dabei gehe es insbesondere um das Demokratieprinzip: Kritiker meinten, komme es zu erheblichen Verlusten der Bundesbank infolge des EZB-Handelns, könne dies den Staatshaushalt lähmen und Wahlen bedeutungslos machen. Geladene Sachverständige seien Jens Weidmann, Bundesbank-Präsident, und Yves Marsch, EZB-Direktor.

Die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) prophezeit ein zähes Ringen um die Grenzen der Macht der EZB, aber auch um den Einfluss des Verfassungsgerichts in Europa. Die Montags-FAZ (Philip Plickert/Joachim Jahn) erläutert, das Verfahren gehe auf Verfassungsbeschwerden von Peter Gauweiler (CSU), mehreren Professoren, Linkspartei und dem Verein "Mehr Demokratie" zurück, mit unterschiedlichen Ansätzen. Zwar sei das Ankaufprogramm bislang nicht aktiviert worden, es stelle aber dennoch eine Beruhigung für die Märkte dar. Auch die Montags-Welt (Sebastian Jost) berichtet und fragt sich, an welchem Hebel bei einem negativen Votum anzusetzen sei, der EZB könne Karlsruhe keine Vorgaben machen. Verpflichtungen müssten sich an Bundesregierung oder Bundesbank richten.

Rechtspolitik

Asyl - Interview Thym: Der Spiegel (Dietmar Hipp; Zusammenfassung) spricht mit Rechtsprofessor und Europarechtler Daniel Thym über das Thema Asyl. Thym hält die Unterstellung einer Unrechtsherrschaft der Bundesregierung für "eine Legende" und bezeichnet weiter die These des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio, das Grundgesetz könne den Bund quasi zur Schließung der Grenzen verpflichten, als "sehr gewagt" ("in Fachkreisen viel Widerspruch erfahren"). Als radikale, aber beste Lösung der Verteilungskonflikte sieht Thym einen einheitlichen EU-Asylantrag.

Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tsp) kommentiert den Vorwurf Seehofers (CSU): "Recht ist oft nur eine Meinung. Seehofer setzt die seine absolut. Das funktioniert mit Rechtsbehauptungen ganz gut."

Asyl - "Besorgte Juristen": Unter diesem Titel stellt Ernst Rommeney (Deutschlandradiokultur.de) das Buch "Der Staat in der Flüchtlingskrise" vor, herausgegeben von den Staatsrechtlern Otto Depenheuer und Christoph Grabenwarter, worin 16 Juristen zu Flüchtlingspolitik und Verfassungsfragen Stellung nehmen. Dem Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek bescheinigt Rommeney eine "atemberaubende Kasuistik", der konstatiere: "Indem die Bundeskanzlerin eine Entscheidung trifft, die sich auf die Identität des Volkes und auf den Charakter des Staates als des Nationalstaats dieses Volkes gravierend auswirkt, ohne das Volk zu fragen, macht sie sich selbst zum Souverän. Das ist mit dem Prinzip der Volkssouveränität nicht vereinbar."

Asyl – CDU will "fördern und fordern": Wie die Montags-SZ (Nico Fried) und spiegel.de berichten, plane die CDU ein Maßnahmenpaket zur Integration von Flüchtlingen. Dabei gehe es etwa um bessere Zugänge zu Hochschulen, erweiterte Schulpflichten und Änderungen im Daueraufenthaltsrecht.

Google Autocomplete an die Leine?: Telemedicus.info (Fabian Rack) fragt sich, ob "ein Gesetz die großen Inhaltevermittler unserer Zeit zur Neutralität zwingen [muss], oder zumindest zu einer Nichtdiskriminierung von Inhalten?". Beispielhaft für das Problem sei das sogenannte Blacklisting bei Google, welches etwa im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen zur Anwendung komme.

Raubkunst: In dieser Woche soll der Entwurf für ein Kulturgutschutzgesetz, entstanden "unter der Führung" von Monika Grütters, Kulturstaatsministerin, eingebracht werden. Zweck des Gesetzes soll die Unterbindung von Einfuhr und Handel mit geplünderten Kulturgütern sein, womit auch die Finanzierung etwa des IS bekämpft werden solle. Der Spiegel (Ulrike Knöfel) erläutert das Thema und lässt Kritiker zu Wort kommen, die das Gesetz als "Weißwäsche" für illegale Kunst und insgesamt wenig effektiv beurteilten.

Schiedsgerichtsbarkeit und Freihandel: "Klagen heißt nicht gewinnen" – Helene Bubrowski (Samstags-FAZ) argumentiert gegen zwei Behauptungen aus dem "Anti-TTIP-Lager". Wie sich in einem aktuellen Fall vor dem Ständigen Schiedsgerichtshof (Den Haag) zeige, bedeute eine Unternehmensklage gegen Staaten keineswegs immer einen Erfolg: Philip Morris unterlag mit einer Schadenersatzklage wegen abschreckender Bilder auf Zigarettenschachteln gegen Australien. Die Klage sei auch nicht nur abgewiesen, sondern für rechtsmissbräuchlich erklärt worden – das Unternehmen habe sich auf ein Abkommen berufen, das nur zwischen Hongkong und Australien aber nicht den USA bestehe, nachdem das entsprechende Geschäft an eine Niederlassung in Hongkong übergeben wurde. Dies entkräfte den Vorwurf, Unternehmen könnten durch Niederlassungsgründungen Abkommen für sich ausnutzen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. Februar 2016: BVerfG und Demokratie/ Klagen heißt nicht gewinnen/ Staatsrechtler zu Merkel . In: Legal Tribune Online, 15.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18459/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

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