Die juristische Presseschau vom 12. September 2018: Ende des kirch­li­chen Arbeits­rechts? / Neue Mitte am Sup­reme Court / Zukunft für Maaßen?

12.09.2018

Der EuGH urteilt zugunsten eines gekündigten Düsseldorfer Chefarztes. Außerdem in der Presseschau: Der US-Supreme Court steht vor einer Neuausrichtung und gibt es eine Zukunft für Hans-Georg Maaßen als Verfassungsschutzpräsident?

Thema des Tages

EuGH zu Chefarzt: Die Kündigung des Chefarztes einer katholischen Klinik wegen einer Wiederheirat kann nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Zwar dürften kirchliche Arbeitgeber von Mitarbeitern bestimmte mit dem Ethos der Kirche übereinstimmende Verhaltensweisen einfordern, jedoch nur, soweit dies für die Art der Tätigkeit wirklich notwendig ist, so die SZ (Wolfgang Janisch) über die auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts ergangene Entscheidung. Dies wiederum sei im Streitfall gerichtlich zu entscheiden, im nun behandelten Fall eines Düsseldorfer Mediziners sei dies erneute Aufgabe des BAG. Weitere Berichte von Welt (Lucas Wiegelmann) und swr.de (Gigi Deppe) befassen sich ebenfalls mit den bisherigen Stationen des bereits seit fast zehn Jahren währenden Rechtsstreits. Dabei sei es durchaus möglich, dass das Bundesverfassungsgericht – wie bereits 2014 – dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ein größeres Gewicht zumesse.

Auf diese Möglichkeit weist auch eine eingehende Analyse von Rechtsprofessor Michael Fuhlrott auf lto.de hin. Gedanken zur Entscheidung macht sich Rechtsprofessor Hans Michael Heinig auf verfassungsblog.de. Konsequenzen für die Angestellten in krichlichen Einrichtungen beschreibt Rechtsprofessor Gregor Thüsing in einem Interview mit der Welt (Karsten Seibel).

Wolfgang Janisch (SZ) begrüßt in einem Kommentar den durch die Entscheidung bewirkten "Übergang zur Normalität der Arbeitnehmerrechte". Den Kirchen stünde weiterhin ihr Selbstbestimmungsrecht zu, dies ermächtige aber nicht zu einem an Willkür grenzenden Umgang mit Mitarbeitern. Daniel Deckers (FAZ) erinnert im Leitartikel daran, dass die Loyalitätsanforderungen der katholischen Kirche "schon lange nicht mehr" widerspruchs- und willkürfrei seien. "Sollte der EuGH der Legalität des traditionellen kirchlichen Arbeitsrechts endlich den Garaus gemacht haben, so wäre wenig verloren, aber viel gewonnen".

Rechtspolitik

EU-Urheberrechtsreform: Vor der für den heutigen Mittwoch geplanten Abstimmung des EU-Parlaments über die Reform des Urheberrechts stellen ausführliche Berichte von SZ (Thomas Kirchner), Hbl (Eva Fischer) und netzpolitik.org (Leonhard Dobusch) die weiterhin umstrittenen Aspekte des Vorhabens dar, die FAZ (Hendrik Kafsack) in Frage-und-Antwort-Form. Ein weiterer Beitrag der FAZ (Hendrik Kafsack) porträtiert Axel Voss (CDU), den Europaparlamentarier, der die Reform maßgeblich vorangebracht hat. Michael Hanfeld (FAZ) bedauert in einem Kommentar, dass "die politische Linke und die Netzaktivisten" Internet-Großkonzerne bei deren Versuch unterstützen, eine "Plattformökonomie, die nichts anderes ist als Ausbeutung 2.0" zu etablieren. Heribert Prantl (SZ) wundert sich darüber, dass es "Google, Facebook und Co." geschafft hätten, "jede Kritik an ihrem Geschäftsmodell" als Angriff auf die Freiheit zu inszenieren. Es stimme nicht, dass die Digitalisierung die seit zweihundert Jahren gültige Grundidee des Schutzes geistigen Eigentums zugunsten eines "alles gehört uns", den Digitalkonzernen, aufgelöst habe.

Abmahnungen: Gegenüber der SZ (Robert Roßmann) hat sich Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) zu den Motiven des nun dem Bundestag zugeleiteten Gesetzentwurfs "zur Stärkung des fairen Wettbewerbs" geäußert. Das künftige Gesetz solle "endlich einen Schlussstrich unter das grassierende Abmahnungswesen ziehen", indem finanzielle Anreize verringert würden. Dies solle unter anderem durch Deckelung möglicher Strafzahlungen erreicht werden. Zudem solle auch der sogenannte fliegende Gerichtsstand im Wettbewerbsrecht abgeschafft werden. Einzelheiten des Entwurfs beschreibt ein weiterer Beitrag der SZ (Jannis Brühl).

Asylprozessrecht: Rechtsprofessor Winfried Kluth erläutert in einem ausführlichen Gespräch mit dem FAZ-Einspruch (Alexander Haneke) seinen Vorschlag, Gefahreneinschätzungen für die Herkunftsländer von klagenden Asylbewerbern künftig einem unabhängigen, vom Bund zu schaffenden Institut zu überlassen. Eine solche multidisziplinäre Einrichtung sei für die Ermittlung einer sachverständigen Tatsachengrundlage besser geeignet als Verwaltungsrichter. Diesen verbliebe immer noch die Entscheidungsgewalt, allerdings auf der Grundlage extern generierten Wissens.

Einwanderungsrecht: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch vertritt Ökonomieprofessor Thomas K. Bauer als Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration die Auffassung, dass jüngste politische Vorschläge wie der sogenannte Spurwechsel für abgelehnte Asylbewerber oder ein Punktesystem in der Erwerbsmigration tatsächlich bereits vorhandenen rechtlichen Instrumenten entsprächen. Diese rechtlichen Regeln seien jedoch oftmals "über mehrere Stellen im Gesetz versteckt, kompliziert verfasst und deshalb vielen unbekannt".

Ärztliche Versorgung: Das Bundesgesundheitsministerium will durch ein Terminservice- und Versorgungsgesetz den Zugang zu ambulanter ärztlicher Versorgung verbessern und gleichzeitig den Einfluss von Investoren in diesem medizinischen Leistungsbereich verbessern. Letzteres gehe auch auf die "aggressive" Kritik der Kassenzahnärztlichen Berufsvertretung zurück, schreibt die Anwältin Katharina Wodarz im FAZ-Einspruch. Tatsächlich sei die ärztliche Unabhängigkeit durch Investoren nicht gefährdet.

Grunderwerbsteuer: Die bei Immobilienkäufen anfallende Grunderwerbsteuer lässt sich durch sogenannte share deals, bei denen die Erwerber Anteile in bestimmter Höhe vorübergehend an Dritte abtreten, vollständig abwenden, erklärt das Hbl (Reiner Reichel). Die Transaktionen lohnten sich allerdings erst ab Kaufpreisen von 100 Millionen Euro. Nun würden Alternativmodelle diskutiert, um diese Ungleichbehandlung abzuschaffen.

Justiz

BVerwG zu fdGO: lto.de (Maximilian Amos) macht auf ein nun veröffentlichtes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Mai aufmerksam, nach dem eine praktizierte Zweitehe dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zwangsläufig im Wege stehen muss. Zwar spreche diese Eheform gegen die Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse als Voraussetzung einer Einbürgerung. Gleichwohl hätte die nun verfahrensgegenständliche Rücknahme einer solchen Einbürgerung nach § 10 Staatsangehörigkeitsgesetz nicht allein auf diesen Umstand gestützt werden dürfen. Ein Beitrag des Referendars Ferdinand Weber im FAZ-Einspruch legt anhand der Entscheidung dar, dass der Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts "bis in die tatbestandlichen und verwaltungstechnischen Details eine besondere politische Dimension zugrunde" liegt.

OLG Braunschweig – VW: Am zweiten Verhandlungstag des Schadenseratzverfahrens gegen VW hat das Oberlandesgericht Braunschweig seine vorläufige Meinung dahingehend wiedergegeben, dass Martin Winterkorn als damaliger Vorstandsvorsitzender des Autobauers die Manipulation von Software weder hinreichend aufgeklärt noch rechtzeitig darüber informiert habe. Es sei auch nicht auszuschließen, dass der Manager bereits vor zehn Jahren von Problemen gewusst habe. In jedem Fall hätte bei einem "redlich Handelnden" die Pflicht bestanden, erhaltene Informationen unmittelbar weiterzugeben, auch dies sei versäumt worden, so die FAZ (Carsten Germis)Das Hbl (Frank Drost) berichet ebenfalls. Der Bericht von zeit.de schreibt auch über die Ankündigung des Bundesverbands Verbraucherzentrale, in Kooperation mit dem ADAC eine Musterfeststellungsklage gegen VW anstrengen zu wollen. Mit dem am heutigen Mittwoch vorgestellten Vorhaben solle die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen von Dieselautobesitzern vorbereitet werden.

Laura de la Motte (Hbl) zeigt sich in ihrem Kommentar wenig von der Perspektive eines erneuten Großverfahrens angetan. Während die Parteien "mit ordentlich Personal" ausgestattet seien, müsse das Gericht "mit einem Bruchteil" davon ein Urteil fällen, das auch vor dem Bundesgerichtshof bestehen müsse. Wann dies der Fall sei, sei nicht abzusehen.

LG Paderborn – Höxter: Über das "überraschende" Plädoyer der Verteidigung von Angelika W. im Höxter-Verfahren vor dem Landgericht Paderborn berichtet die SZ (Hans Holzhaider). Die Tode zweier Frauen könnten seiner Mandantin nicht zur Last gelegt werden, daher müsse die Angeklagte freigesprochen werden.

LG Gießen – Würth-Entführung: Wegen Beteiligung an der Entführung des Industriellensohns Markus Würth ist ein 48-jähriger Mann vor dem Landgericht Gießen angeklagt. Er soll als Mittelsmann der weiterhin unbekannten Entführer tätig geworden sein, schreibt die SZ (Susanne Höll). Die Anklage stütze sich vor allem auf ein Sprachgutachten, nach dessen Veröffentlichung er festgenommen wurde. Einen Bericht zum glimpflich ausgegangenen Fall und dem jetzigen Prozessauftakt bringt auch die FAZ (Julian Staib).

Recht in der Welt

ICSID-Schiedsgericht – Atomausstieg: Für den FAZ-Einspruch analysieren die Anwälte Alexandra Diehl und Maximilian Clasmeier den vor zwei Wochen ergangenen Beschluss des in Washington tagenden ICSID-Schiedsgerichts, das seine Zuständigkeit für Schadensersatzforderungen des Stromkonzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik auch im Lichte der Achmea-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bejahte. Für die Autoren hat das Schiedsgericht "in transparenter Weise" und unter ersichtlicher Berücksichtigung aller Argumente entschieden. Hierdurch sollte dem "Gespenst" angeblicher Schattenjustiz der Schrecken genommen werden.

EU – Ungarn: Am heutigen Mittwoch stimmt das EU-Parlament über die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 7 des EU-Vertrages gegen Ungarn ab. Ministerpräsident Viktor Orbán kritisierte zuvor den zugrunde liegenden Bericht im Plenum als Verletzung der "Ehre des ungarischen Volkes", berichtet die SZ (Alexander Mühlauer). Für Stefan Kornelius (SZ) hat sich Orbán mit seiner Rede erneut erfolgreich "als Vater jenes Populismus, der Europa derzeit heimsucht" inszeniert. Die "für Europa so unabdingbare Kraft zum Kompromiss" bringe er nicht mehr auf und habe so sein Land isoliert.

Rumänien – Ehe für alle: Nach Billigung durch das Oberhaus des rumänischen Parlaments könnte im Oktober über das von einer Initiative eingebrachte Bürgerbegehren, die Ehe in der Verfassung als Verbindung zwischen Frau und Mann zu definieren, abgestimmt werden. Erforderlich sei hierfür noch die Billigung durch das Verfassungsgericht, erläutert zeit.de.

Türkei – Terrorismus: Bereits im Juli des vergangenen Jahres hat ein türkisches Provinzgericht einen deutschen Staatsbürger wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu knapp zehn Jahren Haft verurteilt. Der Verurteilte habe der Gülen-Bewegung nahegestanden, jegliche Beteiligung an dem gescheiterten Putsch jedoch abgestritten. Dies berichtet die SZ (Lena Kampf/Andreas Spinrath)der das bislang unveröffentlichte Urteil nun vorliegt.

USA – Supreme Court: In seiner englischsprachigen Kolumne für den FAZ-Einspruch schreibt Rechtsprofessor Russell Miller über die sogenannte Chevron-Doktrin, eine verwaltungsrechtliche Leitentscheidung des Obersten Gerichts der USA, durch die Bundesbehörden weite Entscheidungsbefugnisse erhalten. Der jüngst ernannte Verfassungsrichter Neil Gorsuch gelte ebenso wie der Richterkandidat Brett Kavanaugh als entschiedener Gegner der Doktrin. Die FAZ (Andreas Ross) stellt derweil John Roberts, den nun wohl "zentristischsten" der "fünf künftigen Konservativen" am Gericht und dessen "Chief Justice", vor.

Sonstiges

Hans-Georg Maaßen: Über Einzelheiten zum Bericht des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen über die tatsächlichen Grundlagen seiner umstrittenen Äußerungen zu den Ausschreitungen in Chemnitz berichtet die FAZ (Helene Bubrowski). Am heutigen Mittwoch steht Maaßen dem Parlamentarischen Kontrollgremium und dem Innenausschuss des Bundestages Rede und Antwort. Für Ferdos Forudastan (SZ) schürt der Verfassungsschützer "mit seinem pflichtvergessenen Verhalten den Verdacht", dass er die intensive Beobachtung des Rechtsextremismus und dessen Verflechtung mit dem Rechtspopulismus "nicht so dringlich findet". "Die Autorität seines Amtes missbrauchend" habe sich der Beamte "wie ein Politiker, ein Politiker der AfD" zu den Chemnitzer Vorgängen eingelassen. Jetzt so zu tun, als sei er hierbei nur falsch verstanden worden, blamiere nicht nur ihn selbst, auch die von ihm geleitete Behörde.

Elektronische Signatur: Auf lto.de machen sich die Juristen Cornelia Thaler und Heinz Benesch für den verstärkten Einsatz der elektronischen Signatur als "relativ einfaches Instrument des Legal Tech" stark. Digitales Unterschreiben stehe im Einklang mit dem geltenden Recht und sei mittlerweile auch technisch hinreichend sicher. Dagegen beharre der Bundesgerichtshof bei seiner Auslegung des Schriftformerfordernisses bislang immer noch auf seiner Mitte des letzten Jahrhunderts begründeten Rechtsprechung.

Seesicherheitsrecht: Für lto.de beschreibt Rechtsanwalt Oliver Daum die aus der Digitalisierung der maritimen Wirtschaft erwachsenen Gefahren für Reedereien und mögliche Abhilfen, etwa durch verpflichtende Sicherheitsstandards.

RAF und Rechtsstaat: Die FAZ (Paul Ingendaay) berichtet in ihrem Feuilleton von der Veranstaltung "Der Ankläger und der Anwalt – RAF-Rechtsgeschichte im Dialog". Im Berliner Zeughaus saßen sich hierbei der vormalige baden-württembergische Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger und Hans-Christian Ströbele gegenüber. Bei dem zivilisierten Gespräch seien "Gegensätze plastisch" hervorgetreten.

Das Letzte zum Schluss

Vorbereitet: Über ihren Twitter-Account gab die Berliner Polizei die Reaktion eines 16-Jährigen wieder, der beim Diebstahl vom 49 Kondomen erwischt wurde. Laut spiegel.de antwortete der Heranwachsende, was er denn mit den Präservativen vorhabe, dass er sich mit seiner Freundin treffen wolle.

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. September 2018: Ende des kirchlichen Arbeitsrechts? / Neue Mitte am Supreme Court / Zukunft für Maaßen? . In: Legal Tribune Online, 12.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30049/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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