Die juristische Presseschau vom 10. August 2021: Neue Corona-Beschlüsse geplant / Sinn­volle Dro­gen­justiz? / Zurück zu Jura-Prä­senz­vor­le­sungen?

10.08.2021

Corona ist noch nicht vorüber, deshalb tagt die MPK mal wieder. Lohnt die Strafverfolgung von Bagatelltätern im Betäubungsmittelrecht? Und sind Präsenzvorlesungen auch nach Corona noch zeitgemäß oder überhaupt wünschenswert?

Thema des Tages

Corona – Beschränkungen: Für den heutigen Dienstag ist die nächste Bund-Länder-Konferenz zur Beratung über erforderliche Maßnahmen bei der Bewältigung der Corona-Pandemie geplant. Einen Blick in die Beschlussvorlage konnten bild.de (Paul Ronzheimer/Peter Tiede) und spiegel.de werfen. Nach dieser solle der Zugang zur Innengastronomie, Veranstaltungen in Innenräumen, aber auch die Beherbergung von der Vorlage eines aktuellen Negativtests abhängig gemacht werden. Dies gelte nicht für Geimpfte oder Genesene. Coronatests sollen nur noch bis Oktober kostenlos sein, Ausnahmen sollten wiederum für Menschen ohne Impfempfehlung gelten. Offen bleibe hingegen, welche Indikatoren (neben der Sieben-Tage-Inzidenz) zur Beurteilung des Infektionsgeschehens herangezogen werden sollen. Schließlich solle der Bundestag die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite über den 11. September hinaus verlängern.

Rechtspolitik

KI: In der vergangenen Woche lief eine von der EU-Kommission gesetzte Frist für Stellungnahmen zu Unionsplänen für die Regulierung von KI-Systemen ab. Die Bandbreite der von Interessengruppen eingereichten Stellungnahmen offenbarte dabei den Umfang der noch offenen Fragen, schreibt das Hbl (Teresa Stiens). So habe der Bundesverband Künstliche Intelligenz kritisiert, dass die KI-Definition der EU-Kommission "fast alle existierenden und zukünftigen Softwares" umfasse.

Geldwäsche: Wer ab dieser Woche bei Banken mehr als 10.000 Euro in bar einzahlen möchte, muss einen Herkunftsnachweis erbringen. Diese der Geldwäscheprävention dienende Vorgabe der Bankenaufsicht Bafin wird von den Banken nun umgesetzt, schreibt die FAZ (Christian Siedenbiedel) im Finanzen-Teil und erklärt das Procedere und denkbare Ausnahmen.

Lieferketten und Menschenrechte: In einem Gastbeitrag für das Hbl setzt sich Rechtsanwalt Niels George mit Forderungen auseinander, den Anwendungsbereich des kürzlich verabschiedeten Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz durch das Schutzgut Umwelt bzw. Klima zu erweitern. Offenbar solle Unternehmen "etwas aufgebürdet" werden, "was ureigenste Staatsaufgabe" sei. Zudem verkenne die Gesetzesinitiative, dass "wir alle … durch unser Konsumverhalten … zu einer gerechten Verteilung" beitragen könnten.

Digitale Verwaltung: In einem Interview mit dem Hbl (Dietmar Neuerer) erläutert Sabine Kuhlmann als stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats ihre eher pessimistische Erwartung zur vollständigen Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Nach diesem sind öffentliche Stellen verpflichtet, bis Ende des nächsten Jahres alle Verwaltungsleistungen für Bürger und Bürgerinnen auch digital anzubieten.

Justiz

AG Berlin-Tiergarten zu BtM-Bagatellen: Am Beispiel mehrerer Verhandlungen des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität fragt die SZ (Ronen Steinke) nach dem Sinn von Strafverfolgung von Bagatell-Drogendelikten. Beschrieben wird wie ein suchtkranker Hartz IV-Empfänger wegen des Erwerbs von 1,235 Gramm Heroin zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt wird. Eine andere vom Autor verfolgte Verhandlung betraf den Verkauf eines Kügelchen Heroins zu einem Preis von acht Euro. Dies sei typisch für die deutsche Drogenjustiz, die Hintermänner des Drogenhandes ständen fast nie vor Gericht. Dabei bezögen sich sieben Prozent der polizeilichen Ermittlungsarbeit auf Drogendelikte und 14 Prozent aller Gefängnisinsassen verbüßten aus diesem Grund eine Haftstrafe, für die Verfolgung von Betäubungsmitteldelikten würden insgesamt zwischen drei und vier Milliarden Euro pro Jahr aufgewandt.

BAG zu entsandten Pflegekräften: Der FAZ-Einspruch (Marcus Jung u.a.) untersucht, warum das Ende Juni verkündete Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Mindestlohnpflicht für entsandte Pflegekräfte auch in Bereitschaftszeiten bislang noch keinen rechtspolitischen Nachhall gefunden hat. Neben der parlamentarischen Sommerpause dürfte dies vor allem an der veränderten Taktik von Vermittlungsagenturen liegen. Diese entsendeten die oftmals als "24-Stunden-Pflege" Tätigen mittlerweile häufig als "arbeitnehmerähnliche" Arbeitnehmer mit Sozialversicherungsschutz in der Heimat nach Deutschland.

LSG Nds-Bremen zu Mietübernahme: Das Landesozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in einer nun veröffentlichten Entscheidung von Ende Juni ein beklagtes Sozialamt zur Übernahme der Kaltmiete eines Leistungsempfängers während dessen sieben Monate währender Freiheitsstrafe verurteilt. Das nach Gerichtsangaben als Einzelfall anzusehende Urteil berücksichtigte die besonderen Lebensverhältnisse des an psychischen Problemen leidenden Klägers und die vergleichsweise geringe Miete, schreibt LTO.

LG Stuttgart zu Unfallregulierung/Corona: In Pandemiezeiten gehört eine Desinfektion wesentlicher Kontaktflächen des reparierten Autos zu dem für die Schadensbeseitigung erforderlichen Aufwand. Die hierbei anfallenden Kosten sind dementsprechend von den Unfallverursacher:innen zu tragen. Dies entschied anders noch als die Vorinstanz das Landgericht Stuttgart in einem von LTO berichteten Urteil von Mitte Juli. Wie wahrscheinlich eine Schmierinfektion tatsächlich ist, ist nach Ansicht des LG unbeachtlich. Vielmehr müsse auf das schützenswerte "Sicherheitsgefühl" des oder der Einzelnen abzustellen.

AG Heidelberg zu Klimaaktivismus: Am Amtsgericht Heidelberg ist ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch gegen vier Angeklagte aus dem Bereich des Klimaaktivismus gegen Zahlung von Geldauflagen eingestellt worden. Die Angeklagten hatten im August 2020 vom Vordach des Eingangs des HeidelbergCement-Konzerns ein Transparent entrollt. Nach ihrer Darstellung habe ihnen das Unternehmen damals den Verzicht auf Strafverfolgung zugesagt, dann aber doch einen Strafantrag gestellt. Die taz (Christian Rath) berichtet.

GenStA Berlin – "Ehrenmord": Aus Anlass der Festnahme zweier afghanischer Männer, die verdächtigt werden, ihre Schwester wegen ihres Lebenswandels getötet zu haben, kritisiert die taz (Carolina Schwarz) die Verwendung des Begriffs. Die sogenannten Ehrenmorde seien tatsächlich "nur ein kleiner Teil der Femizide", ihre Kennzeichnung bewirke zudem oft auch "eine rassistisch konnotierte Debatte".

Cum-Ex: Das Hbl (Volker Votsmeier/Sönke Iwersen) berichtet groß und mit einer tabellarischen Übersicht über abgeschlossene und noch laufende zivilrechtliche Verfahren im Cum-Ex-Zusammenhang. Im Zuge der haftungsrechtlichen Aufarbeitung dieser Steuerdeals gingen Investoren "gegen Banken vor, Banken gegen Berater und Banken verklagen sich gegenseitig". Als aktuell bemerkenswertes Beispiel nennt der Beitrag die Klage einer französischen Tochter der Credit Agricole-Bank, die von der Hamburger Varengold Bank am Landgericht München I wegen eines Cum-Ex-Deals aus dem Jahr 2010 gute 100 Millionen Euro Schadensersatz fordert.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform/Disziplinarkammer: Über das vom Chef der polnischen Regierungspartei, Jaroslaw Kaczynski, verkündete Aus für die Disziplinarkammer am Obersten Gericht berichtet die SZ (Florian Hassel). Jedoch sei eine Disziplinierungsinstitution in veränderter Form nach den Verlautbarungen maßgeblicher polnischer Politiker und Politikerinnen weiter möglich. Denkbar sei etwa, die Disziplinarkammer mit der Strafrechtskammer des Obersten Gerichts zu vereinigen. Zudem seien an der jetzt noch existierenden Kammer 120 Verfahren weiterhin anhängig. Konkrete Gesetzentwürfe sollen im nächsten Monat präsentiert werden. Es berichtet auch LTO

Das scheinbare Nachgeben bei drohenden finanziellen Nachteilen offenbare den Charakter der polnischen Regierung, so Florian Hassel (SZ) in einem separaten Kommentar. Die aus Warschau gelieferten Erklärungen ließen zudem erwarten, dass der Rechtsbruch "in jeder Hinsicht fortgesetzt" werde. Jens Münchrath (Hbl) warnt im Leitartikel vor einem allzu leichtfertigen "Polexit". Gleichwohl dürfe die EU bei der Frage, "ob ein Land ohne unabhängige Gerichte EU-Mitglied sein kann" nicht nachgeben, immerhin betreffe das Recht ein "konstitutives Element der Union".

USA – R. Kelly: Die FAZ (Christiane Heil) berichtet ausführlich über den nun beginnenden Strafprozess gegen den Sänger R. Kelly im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Gegen den Willen der Verteidigung solle nun auch das stets von Gerüchten begleitete Verhältnis des Sängers zur 2001 verstorbenen Kollegin Aaliyah thematisiert werden. Kelly soll die damals Minderjährige 1995 geheiratet haben, um ihr im Bedarfsfall ein Zeugnisverweigerungsrecht zu verschaffen. Diese Absicht sei Bestandteil der von Kelly und seiner Entourage betriebenen kriminellen Vereinigung, so die Anklage.

USA – Allianz: Das Hbl (Christian Schnell) befasst sich mit den Klagen US-amerikanischer Investoren gegen die Allianz wegen vermeintlicher unternehmerischer Fehlentscheidungen. Die Kläger machten geltend, dass die Versicherung in der Frühphase der Corona-Pandemie eingetretene Verluste durch weitere unprofitable Geschäfte auszugleichen versucht habe. Die Allianz berufe sich dagegen auf das damalige unsichere Umfeld.

Südkorea – Samsung-Erbe: Der südkoreanische Justizminister hat Lee Jae-yong, Enkel des Gründers des Samsung-Konzerns und ranghöchster Erbe des weitverzweigten Unternehmens, auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen. Lee war 2017 wegen eines Korruptionsskandals, der die damalige Präsidentin Park Geun-hye zu Fall brachte, zu mehreren Jahren verurteilt worden. Die jetzige Entscheidung wurde u.a. mit der öffentlichen Meinung sowie den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie begründet, schreiben FAZ (Patrick Welter) und Hbl (Martin Kölling).

Juristische Ausbildung

Präsenzvorlesungen: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Hanjo Hamann wirbt auf LTO-Karriere dafür, die Rückkehr von Jura-Studenten und -Studentinnen in die Hörsäle nicht zu überstürzen. Der vielfach beschworene "strukturelle Reformbedarf" im Studium dürfe vor einer grundsätzlichen Kritik der in Präsenzvorlesungen häufig gepflegten Frontallehre nicht Halt machen. Diese erzeuge sowohl für Lehrende als Lernende lediglich die Illusion von effektiver Stoffvermittlung. Aktive Lehrformate eigneten sich hier viel besser.

Sonstiges

Überwachung von Angestellten: Die FAZ (Marcus Jung/Tillmann Neuscheler) beschreibt in ihrer Unternehmens-Rubrik Techniken der Mitarbeiterüberwachung und deren rechtliche Grenzen. Nach Skandalen wie dem massenhaften Sammeln persönlicher Daten von Angestellten des Bekleidungsgeschäfts H&M sei auch in Betriebszentralen ein Bewusstsein für den rechtskonformen Umgang mit Daten von Arbeitnehmern und -nehmerinnen gewachsen. Zudem sei in pandemiebedingten Home Office-Zeiten das "Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern" eher gewachsen, was "das Kontrollbedürfnis vieler Manager" hat schrumpfen lassen. In einem separaten Kommentar begrüßt es Tillmann Neuscheler (FAZ), dass Überwachungsmethoden, die in den USA gängig seien, hierzulande gesetzlich und auch dank des "viel geschmähten Datenschutzes" nicht möglich seien. Gleichwohl eigneten sich vom Betriebsrat abgesegnete Kontrollen auch dazu, den Betriebsfrieden zu wahren.

U-Ausschuss Amri: Im nun fertiggestellten, der SZ (Ronen Steinke) vorliegenden Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz werden zahlreiche Versäumnisse von Sicherheitsbehörden aufgelistet. Trotz einer "Summe" von Missständen könne ein "einzelner" Schuldiger nicht benannt werden, so der Ausschussvorsitzende. In einem separaten Kommentar lobt Ronen Steinke (SZ) die "gefasste" Reaktion des Landes auf den Anschlag vom Dezember 2016. Anders noch als bei den Anschlägen vom 9. September 2001 habe man, dies ließe sich "nun mit etwas Abstand erkennen" auf sinnvolle Konsequenzen verständigt, etwa eine gründlichere und kooperativere Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden. Auch der jetzt zum Ende gekommene U-Ausschuss belege, dass "dazugelernt" worden sei.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. August 2021: Neue Corona-Beschlüsse geplant / Sinnvolle Drogenjustiz? / Zurück zu Jura-Präsenzvorlesungen? . In: Legal Tribune Online, 10.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45689/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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