Die juristische Presseschau vom 5. Dezember 2019: Kin­der­rechte ins GG? / Cum-Ex-Geschäfte strafbar / GBA über­nimmt Tier­garten-Ermitt­lungen

05.12.2019

Es regt sich Widerstand gegen den Gesetzentwurf zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Außerdem in der Presseschau: Cum-Ex-Geschäfte sind wohl strafbar und die Bundesanwaltschaft übernimmt Fall des ermordeten Georgiers.

Thema des Tages

Kinderrechte im GG: Rechtsprofessor Arnd Uhle kritisiert in einem Gastbeitrag für die FAZ den Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD) zur Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz als "trojanisches Pferd". Durch den Vorschlag drohe eine "Schieflage" im Verhältnis von elterlicher Primärverantwortung und staatlichem Wächteramt zu Lasten des Elternrechts. Er enthalte keinen kinderrechtlichen Mehrwert, dafür jedoch "das Risiko einer bundesverfassungsgerichtlichen Neubewertung des Elternrechts". Auch der CDU-Politiker Thorsten Frei lehnt in seinem Beitrag für die FAZ den Entwurf ab. Kinder seien schon jetzt Grundrechtsträger. "Echte Kindergrundrechte" seien deshalb ein "Fremdkörper im Grundgesetz". Beide Autoren berufen sich auf das Diktum von Ex-Verfassungsrichter Udo Steiner: "Wer Verfassungsrecht säht, wird Verfassungsrechtsprechung ernten". Frei schlägt die Aufnahme eines dritten Satzes in Art. 6 Abs. 2 GG vor: "Die Pflege und Erziehung durch die Eltern dienen dem Wohl des Kindes". 

Rechtspolitik

Haftentschädigung: Einer Meldung von lto.de zufolge plant der Rechtsausschuss des Bundesrats, die Haftentschädigung von 25 Euro auf 75 Euro pro Tag zu erhöhen. Sie wird gezahlt, wenn jemand zu Unrecht im Gefängnis gesessen hat. 

Nationalität von Tatverdächtigen: Wie Dlf-Nova (Till Haase/Gudula Geuther) berichtet, befasst sich die derzeit stattfindende Innenministerkonferenz unter anderem mit der Frage, ob die Polizei bei Verdächtigen die Nationalität in ihren öffentlichen Berichten nennen soll. Dies wird bislang in jedem Bundesland unterschiedlich gehandhabt. 

Justiz

EuGH zu Existenzminimum: Auf verfassungsblog.de stellt der Wissenschaftliche Mitarbeiter Ibrahim Kanalan eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Existenzminimum vor. Demnach sind Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebensstandards unantastbar. Sie dürfen nicht sanktioniert, eingeschränkt oder entzogen werden. Dies entschied der EuGH in Auslegung der Aufnahme-Richtlinie, die das EU-Flüchtlingssozialrecht regelt. 

EuGH zu Balsamico: Einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zufolge ist "Balsamico"-Essig keine geschützte Ursprungsbezeichnung. Geschützt ist die vollständige Ursprungsbezeichnung "Aceto Balsamico di Modena", nicht aber die einzelnen Worte. Auch deutsche Essigproduzenten dürfen deshalb "Balsamico"-Essig herstellen und verkaufen. Über das Urteil schreiben lto.de, die SZ (Wolfgang Janisch) und taz.de (Christian Rath)

BVerfG zu Recht auf Vergessenwerden I + II: Vor dem Hintergrund der in der letzten Woche ergangenen, grundlegenden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrechtsschutz in Europa erläutert der Wissenschaftliche Mitarbeiter Mathias Honer auf lto.de ausführlich, wie sich die Struktur des Grundrechtsschutzes nunmehr darstellt. 

BayVerfGH zu Integrationsgesetz: FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) befasst sich mit dem am Dienstag ergangenen Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zum dortigen Integrationsgesetz und den darin enthaltenen Ausführungen zu "Integrationskursen". Der BayVerfGH hatte deren Anordnung als schlechthin unverhältnismäßig eingestuft. Dies kritisiert der Beitrag als fehlgeleitete Verengung des "verfassungsrechtlichen Handlungsspielraums", durch die "die Vermittlung von Verfassungswerten selbst verfassungswidrig wird". Dies erinnere an ein Paradox der Toleranz, die schwinde, gerade weil man sie im Übermaß gewährt.

OLG Hamm zu Abtreibung: Einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zufolge ist für den Schwangerschaftsabbruch einer Minderjährigen nicht die Zustimmung der Sorgeberechtigten erforderlich. Nach Ansicht des Gerichts ist die 16-jährige einwilligungsfähig und kann deshalb selbst über die Abtreibung entscheiden. Über das Urteil schreibt die taz (Kirsten Achtelik)

OLG Düsseldorf zu IS-Heimkehrerin Mine K.: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat laut focus.de (Axel Spilcker) eine 48-Jährige wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Sie hatte sich im Irak IS-Brigaden angeschlossen. 

LAG München zu Crowdworker: Einem Urteil des Landesarbeitsgerichts München zufolge sind Crowdworker, also Menschen, die mit über das Internet verteilten Minijobs Geld verdienen, keine Arbeitnehmer. Sie seien bei der Internetplattform, die ihnen Aufträge vermittelt, nicht angestellt und deshalb nicht verpflichtet, die Aufträge zu übernehmen. Es berichten lto.de und die FAZ (Hendrik Wieduwilt)

VG Frankfurt/M. zu Ausfuhrverbot: Nun berichtet auch das Hbl (Sönke Iwersen/Lars-Marten Nagel) über die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt/M. zum Ausfuhrverbot der Bundesregierung für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Es hatte dieses am Dienstag wegen "Begründungsdefiziten" aufgehoben. Außenwirtschaftliche Entscheidungen seien nicht wegen der außen- und sicherheitspolitischen Bedeutung jeglicher Begründungspflicht entzogen.

VG Potsdam – Entschädigung von Hohenzollern: Der Rechtsprofessor Christoph Schönberger befasst sich im Feuilleton der FAZ mit den Rechtsstreitigkeiten zwischen der Bundesrepublik und dem Haus Hohenzollern über Entschädigungen und Rückgaben. Er sieht eine "Moralisierung" der Debatte und betont die Rechtsförmigkeit des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Potsdam. Zudem erläutert er die vom Bundesverwaltungsgericht zum maßgeblichen Ausgleichsleistungsgesetz entwickelten Anforderungen. 

LG Bonn – Cum-Ex: Im Cum-Ex-Prozess vor dem Bonner Landgericht sieht der Vorsitzende Richter, Roland Zickler, derartige Geschäfte als steuerrechtswidrig an. In einer vorläufigen Einschätzung im Prozess wertete er demnach am Mittwoch die gezielte Mehrfacherstattung von Steuern als strafbare Steuerhinterziehung. Es berichten spiegel.de und ausführlich die SZ (Nils Wischmeyer)

Das Feuilleton der Zeit (Jens Jessen) befasst sich ebenfalls mit dem Bonner Prozess. Dort werde erkennbar, dass es nicht um einzelne Personen, sondern um international tätige Netzwerke gehe und um "eine Gesinnung, die das Steuervermögen der Bürger als Beute betrachtet – und um einen Staat, der es nicht hüten konnte oder wollte". Der Prozess offenbare "politisch gefährliches Staatsversagen". 

GBA – Mord an Georgier: Im Fall des im Kleinen Tierpark erschossenen Georgiers hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen. Er sieht den Fall als "staatsschutzspezifische Tat von besonderer Bedeutung". Der GBA erklärte, es gebe Anhaltspunkte für einen Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen oder der tschetschenischen Regierung. Dies berichtet u.a. spiegel.de (Matthias Gebauer u.a.)

Hackerangriff am KG Berlin: Die Zeit (Ann-Kathrin Nezik) schreibt ausführlich über den Hackerangriff, der seit Mitte September das Computersystem des Kammergerichts Berlin lahmlegt. Nun muss das System völlig neu aufgesetzt werden. 

Recht in der Welt

USA – Juristen zu Impeachment: Im Justizausschuss des Repräsentantenhauses haben sich vier Verfassungsrechtler zu der Frage geäußert, ob ein möglicher Amtsmissbrauch durch US-Präsident Trump ein Impeachment rechtfertigt. Die drei von den Demokraten geladenen Professoren bejahten dies. Der von den Republikanern geladene Professor sieht das Impeachment-Verfahren hingegen als "schlampig geführt" an. Es berichtet u.a. die SZ (Alan Cassidy/Hubert Wetzel).

USA – Elon Musks "Pädo-Typ": In den USA hat der Prozess gegen Tesla-Chef Elon Musk wegen Verleumdung begonnen. Er hatte einen britischen Höhlenforscher bei Twitter als "Pädo-Typ" und als "Kindervergewaltiger" bezeichnet. Vor Gericht erklärte Musk, der Tweet sei nicht wörtlich gemeint gewesen. Sein Verteidiger ergänzte, in Südafrika sei "Pädo-Typ" eine gängige Beleidigung und stehe für "gruseliger, alter Mann". spiegel.de berichtet.

Malta – Mordfall "Daphne": Die Zeit (Holger Stark/Fritz Zimmermann) schildert ausführlich die Hintergründe der Tötung der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia und die Verstrickungen der maltesischen Regierung in den Fall. Die SZ (Hannes Munzinger) berichtet über die Aussage eines mutmaßlichen Mittelsmannes vor Gericht. Dieser belastete den Unternehmer Yorgen Fenech und nannte ihn das "Mastermind" der Tat.

WTO-Gericht: Die FAZ (Johannes Ritter) berichtet über die drohende Lahmlegung des WTO-Schiedsgerichts. Die US-Regierung verhindert seit drei Jahren die Nachbesetzung ausscheidender Richter. Statt sieben Richtern besteht der "Appellate Body" nun noch aus dreien. Am 10. Dezember läuft nun die Amtszeit von zweien der drei Richter aus. Damit droht ein Entscheidungsstau. 

In einem gesonderten Kommentar befindet Johannes Ritter (FAZ), US-Präsident Trump schlage mit der Nichtbesetzung "der WTO ihr schärfstes Schwert aus der Hand". Zwar sei sachlich nachvollziehbare Kritik am Schiedsverfahren angebracht. Trump gehe es aber nur darum, die WTO zu schwächen oder abzuschaffen. Damit kehre statt des Vertrauens auf Rechtssicherheit "das Gesetz des Dschungels zurück". 

Juristische Ausbildung

E-Examen: lto.de stellt die Ergebnisse der "Digital Study 2019", einer deutschlandweiten Studie zur Digitalisierung in der Juristenausbildung, vor. Demnach sprechen sich nur etwas mehr als die Hälfte der Studierenden dafür aus, das Examen am Computer zu schreiben. Bei den Referendaren befürworten dies hingegen mehr als drei Viertel. 

Sonstiges

Legal Tech: Die FAZ (Marcus Jung) bringt einen Bericht über die Legal-Tech-Fachmesse "Legal Revolution" in Frankfurt/M. Dort diskutierten Juristen aus Kanzleien und Unternehmen mit Softwareanbietern und IT-Fachleuten über digitale Lösungen. 

Rentenbesteuerung: Die Zeit (Kolja Rudzio) berichtet ausführlich über einen Fachaufsatz des BFH-Richters Egmont Kulosa, in dem dieser Übergangsbestimmungen, mit denen die Besteuerung von Renten schrittweise eingeführt werden sollte, als verfassungswidrig eingeschätzt hat. Durch sie bestehe die Gefahr einer Doppelbesteuerung. Dies widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Teambuilding: Der Rechtsanwalt Erik Schmid erläutert in einem Beitrag für lto.de, wer haftet, wenn sich Arbeitnehmer bei sogenannten Teambuilding-Maßnahmen verletzen. 

Pressefreiheit: Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Christina Etteldorf schreibt in einem Beitrag auf juwiss.de (in englischer Sprache) über den besonderen Schutz journalistischer Tätigkeiten unter der Menschenrechtskonvention und dessen fortlaufende Konkretisierung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. 

Zeugenbegleitung: In einem Modellprojekt testet Baden-Württemberg laut lto.de den Einsatz eines Therapiehundes, der Zeugen bei deren Zeugenaussagen begleitet.

Wohnungsspekulation: Die FAZ (Marlene Grunert) schildert am Beispiel der Wohnanlage Riehmers Hofgarten in Berlin-Kreuzberg, wie sich Behörden schwertun, gegen den spekulativen Leerstand von rund 80 Wohnungen vorzugehen.

Das Letzte zum Schluss 

Traumberuf: Richter, ist das nicht ein toller Beruf? Eigenständig arbeiten, unabhängig sein, wichtige Dinge entscheiden – und die Massen jubeln. Nun gut, das mag übertrieben sein. Aber im Vergleich mit Lehrern, Pfarrern und Gewerkschaftern sind Richter den jubelnden Massen doch ziemlich nah, wie eine Studie überzeugend darlegt. spiegel.de berichtet.


Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jng

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. Dezember 2019: Kinderrechte ins GG? / Cum-Ex-Geschäfte strafbar / GBA übernimmt Tiergarten-Ermittlungen . In: Legal Tribune Online, 05.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39073/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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