Die juristische Presseschau vom 30. Juni bis 2. Juli 2012: Beklagte Verträge - Bemündigte Bürger – Vertauschter Samen

02.07.2012

Die Politik hat entschieden, jetzt schaut wieder alles nach Karlsruhe, wo schon einige Klagen gegen ESM-Vertrag und Fiskalpakt vorliegen. Außerdem in der Presseschau: der Kompromiss beim Mediationsgesetz, der Prozess um den Berliner Kinderwagen-Brandstifter, ein Streit um möglicherweise vertauschte Samen in einer Kinderwunsch-Klinik und ein rätselhafter Raub des "Schreis" in Norwegen.

Verfassungsklagen Euro-Rettung: Bundestag und Bundesrat haben am Freitagabend dem ESM-Vertrag und dem Fiskalpakt zugestimmt. Inzwischen sind beim Bundesverfassungsgericht zahlreiche Klagen dagegen eingegangen. Die Montags-taz (Christian Rath) bietet einen Überblick über die Klagen und ihre Erfolgsaussichten. Im Interview mit dem Spiegel erklärt der Rechtsprofessor Christian Callies, warum ESM-Vertrag und Fiskalpakt nicht gegen das Grundgesetz verstoßen.

Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) sieht zusätzliche verfassungsrechtliche Risiken, weil der ESM-Vertrag bald schon wieder geändert werden müsse.

EU-Volksabstimmungen: In der FAS (marw.) warnt der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, vor EU-Volksabstimmungen. Für Euro-Rettungsmaßnahmen sei kein neues Grundgesetz erforderlich. Bei der Schaffung einer neuen deutschen Verfassung könnte viel Bewährtes in Frage gestellt werden. Bundestagspräsident Norbert Lammert erklärte laut spiegel.de, dass als Alternative zu einer Volksabstimmung könne eine verfassungsgebende Versammlung einberufen werden könne. 

Weitere Themen – Rechtspolitik

Mediationsgesetz: Die Montags-SZ (Heribert Prantl) erläutert den Kompromiss des Vermittlungsausschusses, der inzwischen Gesetz wurde: Gerichtliche Mediatoren dürfen weitermachen, heißen jetzt aber Güterichter. In einem separaten Kommentar schreibt Prantl (Montags-SZ), das Mediationsgesetz habe "das Zeug, die Streitkultur in Deutschland völlig zu verändern". Es sei eine "Bemündigung" des Bürgers.

Patentgerichtshof: netzpolitik.org (Karsten Gerloff) berichtet über die Einigung zum Sitz des geplanten Europäischen Patentgerichtshofs, der im wesentlichen in Paris angesiedelt sein soll.

Leistungsschutzrecht: Rechtsprofessor Thomas Hoeren lehnt den Referentenentwurf des Justizministeriums ab. Im Interview mit der Webseite der Gegner, leistungsschutzrecht.info, erklärt er:  "Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist überflüssig und würde die Informationsfreiheit gefährden".

Verjährung bei Missbrauch: Norbert Denef, Sprecher der Opferinitiative netzwerk B, ist seit einigen Tagen im Hungerstreik. Er will damit erreichen, dass sich die SPD für eine völlig Aufhebung der Verjährung bei sexuellem Missbrauch einsetzt, berichtet zeit.de (Evelyn Finger).

Deutschland und der IStGH: Alexandra Kemmerer rezensiert auf verfassungsblog.de die Untersuchung "The Politics of International Criminal Justice" des Juristen und Journalisten Ronen Steinke. Sie bezeichnet das Werk als ein "Meisterstück". Steinke analysierte die Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs durch Deutschland und stellt dabei eome "Überlappung machtpolitischer Interessen und kosmopolitischer Ideale" fest.

Weitere Themen - Justiz

EGMR zu kirchlichem Rechtsschutz: Ein von der katholischen Kirche wegen Ehebruch gekündigter Essener Kirchenmusiker erhält von Deutschland 40.000 Euro Entschädigung, weil deutsche Zivilgerichte seinen Fall wegen des Kirchenbezugs unzureichend geprüft hatten, berichtet lto.de.

LSG Bayern – Elterngeld bei Zwillingen: Bei der Geburt von Zwillingen erhalten die Eltern zweifach Elterngeld, entschied jetzt das bayerische Landessozialgericht laut spiegel.de.

LG Berlin – Kinderwagen-Brandstifter: In einer ironischen Reportage schildert die Montags-FAZ (Klaus Ungerer), wie das Landgericht Berlin über einen Fall vermeintlichen Schwabenhasses verhandelte und dann doch nur eine schwierige Jugend des Kinderwagen-Brandstifters zu Tage trat.

LG Kiel – Mord an Tochter: Der Spiegel schildert einen inzwischen abgeschlossenen Mordprozess am Landgericht Kiel. Ein ansonsten "überangepasster" türkischer Vater hatte seine erwachsene Tochter regelmäßig vergewaltigt, mit ihr ein Kind gezeugt und sie dann zur Verdeckung getötet. 15 Jahre später sagte die Schwester gegen den Vater aus. Das Mordurteil sei inzwischen rechtskräftig.

LG Köln – Knaben-Beschneidung: Das Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung als Körperverletzung wertete, sorgt weiter für Aufregung.  Die Diskussion schildern der Spiegel, die FAS (Julia Schaaf) und Focus (U. Plewnia u.a.)Arno Widmann (FR) plädiert für ein Gesetz, das klarstellt, "dass die Beschneidung kleiner Jungen auch in Deutschland – wie in den meisten Ländern der Welt – legal ist".

EGMR – Rechtsmittel gegen Inzesturteil: Wie der Focus (Göran Schattauer) meldet, hat der Anwalt des wegen Geschwister-Inzests verurteilten Mannes Rechtsmittel gegen die nicht abhelfende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingelegt. Nun soll sich noch die Große Kammer des EGMR mit dem Fall befassen.

BVerfG – Asylbewerberleistungsgesetz: Vor dem Karlsruher Urteil, das am 18. Juli verkündet werden soll, sprach die Montags-SZ (Roland Preuß) mit der Rechtsprofessorin Christine Langenfeld. Sie glaubt, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz aus verschiedenen Gründen kassieren wird, hält aber eine kürzere und nicht so drastische Absenkung von Sozialleistungen für Flüchtlinge noch für zulässig.

LG Bonn – Burschenschafter: Am 4. Juli will das Landgericht Bonn über den bundesweit beachteten Streit zweier Burschenschafter verhandeln. Der Chefredakteur der "Burschenschaftlichen Blätter", Norbert Weidner, will die Äußerung untersagen lassen, dass er "höchstwahrscheinlich einer der Köpfe der rechtsextremen Bewegung" sei, berichtet die Montags-taz (Andreas Speit).

VGH Mannheim – Stuttgart 21: Mit einem Eilantrag am baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof will ein Anwohner den Abriss seines Wohnhauses für das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 und damit auch das ganze Projekt stoppen, berichtet der Spiegel (kurze Vorabmitteilung). Unter anderem geht es um die Frage, ob die Bund-Länder-Mischfinanzierung des Projektes zulässig ist.

Ermittlungen bei EnBW: Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat gegen sieben EnBW-Manager Ermittlungsverfahren wegen Untreue und Steuerhinterziehung eingeleitet, berichten die Samstags-SZ (Markus Balzer u.a.) und das Handelsblatt (Jürgen Flauger / Jan Keuchel). Es gehe um Geschäfte mit dem russischen Lobbyisten Andrej Bykow.

Ecclestone und Korruption: Nachdem das Landgericht München entschieden hat, der bayerische Ex-Landesbänker Gerhard Gribkowsky sei von Formel 1-Boss Bernie Ecclestone bestochen worden, beschreibt die Samstags-SZ (Klaus Ott) die unsicheren Aussichten einer möglichen Bestechungs-Anklage gegen Ecclestone. Im Interview mit dem Focus (Imke Henkel/Tanja Treser) beteuert Ecclestone: "Ich habe Gribkowsky nicht bestochen". Er sei vielmehr falsch beschuldigt worden.

Vertauschter Samen?: Der Spiegel schildert den sich anbahnenden Rechtstreit um ein in einer Kinderwunsch-Klinik gezeugtes Kind. Nachdem sich herausstellte, dass das Kind nicht vom Vater abstammt, der den Samen für die künstliche Befruchtung zur Verfügung stellte, verlangen die Eltern Schadensersatz, den die Klinik verweigert.

NSU-Ermittlungsbilanz: welt.de (Per Hinrichs / Uwe Müller) liefert eine Übersicht über die bisherigen Ermittlungen gegen die NSU-Gruppe und ihre Unterstützer. Geschildert wird, warum verschiedene Unterstützer aus der U-Haft entlassen wurden. Angeblich sei auch eine Anklage gegen Beate Zschäpe wegen Mordes oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fraglich.

Einbrechende Roma-Banden: Im Interview mit dem Focus schildert der Ex-Chef der OK-Abteilung der Kölner Staatsanwaltschaft, Egbert Bülles, die Probleme bei Ermittlungen gegen Roma-Banden, die zu Einbruchstouren nach Deutschland kommen.

Datenschutz und Internetfernsehen: Die Deutsche Telekom will das Fernsehverhalten von Kunden ihres Angebots "Entertain" speichern und auswerten. Der Datenschützer Thilo Weichert kritisiert dies auf lto.de aus verschiedenen Gründen und ruft Telekom-Kunden auf, der Datennutzung zu widersprechen.

Weitere Themen – Recht in der Welt

USA – Supreme Court zu ObamaCare:  Nach dem überraschenden Urteil des Supreme Courts, dass Obamas Gesundheitsreform verfassungskonform ist, wird dieses in verschiedenen Medien analysiert, u.a. in der Samstags-SZ (Reymer Klüver). Die FAS (Matthias Rüb) portraitiert den Richter John Roberts, dessen Stimme den Ausschlag gab.  Nora Markard analysiert auf verfassungsblog.de das konservative Minderheitsvotum und kommt zum Schluss, dass Roberts erst kurz vor Ende der Beratungen seine Meinung geändert haben muss.

Türkei versus Syrien: Der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze analysiert auf lto.de die rechtlichen Folgen des umstrittenen Abschusses einer türkischen Kampfflugzeuges durch die syrische Armee.

Das Letzte zum Schluss

Der Raub des Schreis: In ihrer Serie über berühmte Räuber analysiert die Samstags-SZ (Gunnar Herrmann) den immer noch als rätselhaft geltenden Raub des Munch-Bildes "der Schrei" 2004. Es wird vermutet, dass der Raub durch zwei dilettantische Kleinkriminelle nur die norwegische Polizei bei ihren Ermittlungen zum Überfall auf ein Gelddepot ablenken sollte. Als der Hintermann beider Taten doch gefasst wurde, konnte er wohl durch einen Tipp auf die Bilderräuber sogar noch einen Strafrabatt aushandeln.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. Juni bis 2. Juli 2012: Beklagte Verträge - Bemündigte Bürger – Vertauschter Samen . In: Legal Tribune Online, 02.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6508/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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