Die juristische Presseschau vom 1. bis 2. Januar 2020: Buß­gelder nach DSGVO / F. Kirchhof im Inter­view / Manager auf der Flucht

02.01.2020

Wieviel Bußgelder hat die DSGVO bewirkt? Das Handelsblatt hat nachgefragt. Außerdem in der heutigen Presseschau: Ferdinand Kirchhof über die Verfassung und Algorithmen und Carlos Ghosn entzieht sich einer Strafverfolgung in Japan.

Thema des Tages

DSGVO-Bußgelder: Nach Recherchen des Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) sind im vergangenen Jahr in Deutschland ohne Mecklenburg-Vorpommern von den Datenschutzbehörden 185 Bußgelder wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung verhängt worden. Die höchste Strafe hatte mit 14,5 Millionen Euro die Immobilienfirma Deutsche Wohnen zu zahlen. Auf europäischer Ebene sei eine Überprüfung der DSGVO für den kommenden Mai geplant. Ein weiterer Beitrag des Hbl (Dietmar Neuerer) befasst sich mit den umsatzsteigernden Auswirkungen der DSGVO für Anwälte. Nach Angaben des Deutschen Anwaltvereins hätten Unternehmen im ersten Jahr nach der Einführung diesbezügliche Beratungsdienste in einem Umfang von 400 Millionen Euro in Anspruch genommen. Auf Seiten der Datenschutzbehörden behinderten indes fehlende personelle Kapazitäten eine schnellere Bearbeitung von Anfragen und Beschwerden.

Rechtspolitik

Ferdinand Kirchhof: Mit lto.de (Markus Sehl) spricht der frühere Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof über Ergänzungen des Grundgesetzes, Herausforderungen für die Verfassung und hier besonders verfassungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber Internet-Giganten, die als „global player“ eine unerhörte Informationsmacht besitzen. Kirchhof hält eine Grundrechtsbindung auch für Private etwa im Rahmen von Artikel 10 Grundgesetz für überlegenswert, erkennt aber auch die Schwierigkeit einer Aufhebung der bislang geltenden Trennung von grundrechtsberechtigter Gesellschaft und grundrechtsverpflichtetem Staat. Er spricht sich schließlich entschieden dagegen aus, bei Entscheidungen, die aufgrund „voluntativer Wertungen“ getroffen werden – etwa bei der Frage einer Strafaussetzung auf Bewährung – Algorithmen einzusetzen.

Hotelmeldepflicht: Mit dem neuen Jahr kann der weiterhin bestehenden Hotelmeldepflicht auch digital Genüge getan werden. Einzelheiten zu der Neuerung, die auch der Polizei nützen dürfte, berichtet die taz (Christian Rath) und weist gleichzeitig darauf hin, dass für eine von Grünen und FDP geforderte Abschaffung der Pflicht keine Mehrheit zu erwarten ist.

Belegausgabepflicht: zeit.de (Tilman Steffen) beschreibt Gründe für die ab diesem Jahr geltende sogenannte Bonpflicht im Einzelhandel.

Kinderrechte: Für den verfassungsblog.de legt Philipp B. Donath, wissenschaftlicher Mitarbeiter, dar, warum die Aufnahme spezifischer Kinderrechte in das Grundgesetz "ebenso sinnvoll wie möglich" sei. Bei der Formulierung könne auf die Vorgabe der UN-Kinderrechtskonvention zurückgegriffen werden. Hierfür unterbreitet der Autor einen Vorschlag.

Verteidigung und Verfassung: In einem Gastbeitrag für den Staat und Recht-Teil der FAZ spricht sich Rechtsprofessor Matthias Herdegen dafür aus, den Verteidigungszweck eines Militäreinsatzes gemäß Artikel 87a Grundgesetz neu zu überdenken. Die Formulierung schließe einen "Aufbruch zu einer robusteren Sicherheitspolitik" keineswegs aus. Vielmehr entspreche der "Schutz elementarer Menschenrechte bei Genozid und sonstiger systematischer Verfolgung" auch nach der Verfassung "unseren wesentlichen Interessen".

Justiz

BGH 2020: community.beck.de (Michael Selk) nennt in diesem Jahr anstehende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus dem Bereich des Miet- und privaten Baurechts. Bereits im Januar ist eine Verhandlung zur Frage des Schadensersatzes auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten geplant.

OStA´in Anne Brorhilker: Die SZ (Jan Willmroth) porträtiert die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die als zuständige Ermittlerin in Sachen Cum-Ex-Tricksereien auch die Anklage im laufenden Verfahren am Landgericht Bonn vertritt. Es sei das Verdienst der "so freundlich lächelnden Frau", sich bei den zahlreichen Verfahren nicht auf Vergleiche mit betroffenen Banken eingelassen und stattdessen auch "die gesellschaftliche Dimension dieses Skandals" ergründet zu haben.

Recht in der Welt

Japan – Carlos Ghosn: Der in Japan wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten angeklagte Manager Carlos Ghosn hat sich einem Prozess durch die Flucht in den Libanon entzogen. Damit habe er sich nun auch wegen des Bruchs von Kautionsauflagen strafbar gemacht, schreibt die FAZ (Patrick Welter). Auch SZ (Thomas Fromm/Thomas Hahn) und Hbl (Martin Kölling) berichten über eine Erklärung Ghosns, in der er schwere Vorwürfe gegen das japanische Justizsystem erhob. In einem separaten Kommentar gibt Patrick Welter (FAZ) zu bedenken, dass die Flucht "der japanischen Regierung und Justiz letztlich zum Vorteil gereichen" könnte. Die bisher bekannte Beweislage zu den Vorwürfen gegen den Manager sei schließlich "nicht so hieb- und stichfest, dass eine Verurteilung als sicher gilt".

USA – Supreme Court-Richter: Die FAZ (Majid Sattar) porträtiert John Roberts, Vorsitzender Richter des Obersten Gerichts der USA, aus Anlass seiner künftigen Aufgabe. Die Verfassung weise dem Richter die Verfahrensleitung beim anstehenden Amtsenthebungsverfahren im Senat zu.

Israel – Benjamin Netanjahu: Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat angekündigt, bei der Knesset eine zeitlich begrenzte Immunität beantragen zu wollen. Dies diene der Absicht, seine Unschuld gegenüber Vorwürfen zu Betrug, Untreue und Bestechlichkeit zu beweisen, so zeit.de über die Mitteilung des Politikers. Ohne den Antrag wäre die dem Parlamentspräsidenten bereits vorliegende Anklageschrift dem zuständigen Gericht übermittelt worden. Dies könne nun erst nach der Entscheidung über den Antrag geschehen. Angesichts der gegenwärtigen politischen Pattsituation im Lande und einer weiteren, für Anfang März angesetzen Neuwahl sei nicht abzusehen, wann die Entscheidung ergehen wird.

Sonstiges

Herero-Entschädigung: Die Aussichten, wegen den an den Volksgruppen Herero und Nama verübten Verbrechen eine Entschädigung vom deutschen Staat zu erstreiten, schätzt Rechtsanwalt Patrick Heinemann in einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch als "äußerst gering" ein und belegt diese Einschätzung durch eine Darstellung der üblicherweise in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen. Das Recht biete "keine passende Antwort" auf die von Deutschland ausgehende "unfassbare Gewalt", es sei aber auch nur "eine von vielen menschlichen Konfliktbewältigungsmechanismen". Die Politik besitze dagegen mehrere sinnvolle Optionen, "auf das bis heute spürbare Leid der Herero und Nama" zu reagieren.

Angriff auf Polizei: Reinhard Müller (FAZ) bezeichnet im Leitartikel den nun bekanntgewordenen, mutmaßlichen Angriff auf einen Polizisten im Leipziger Stadtteil Connewitz als "Angriff auf alle". Wer Ordnungshüter attackiere, "der wendet sich direkt gegen diesen Staat. Denn der Staat, das sind wir alle". Es sei erschreckend, wenn für das Gemeinwohl Tätige "in bestimmten Gegenden und durch bekannte Gruppen", "qua Amt zu Opfern" würden.

Republikanischer Geist: Zum neuen Jahr erinnert die FAZ (Reinhard Müller) daran, dass "eine gute Grundordnung allein noch keine Gewähr für den Bestand von Demokratie und Rechtsstaat ist". Sowohl in Deutschland als auch und gerade der EU, "einer Rechtsgemeinschaft von Staaten", müsse Ordnung "akzeptiert und gelebt und auch durchgesetzt" werden, anderenfalls sei sie keine.

Raubkunst: Im Recht und Staat-Teil der FAZ schreibt Rechtsanwalt Hans-Jürgen Hellwig zur aktuellen Rechtslage bei der Rückgabe sogenannter Raubkunst. Über die Bestimmungen der Washingtoner Prinzipien von 1998 hinaus sei insbesondere durch das Kulturgutschutzgesetz von 2017 eine gegenüber öffentlichen Museen – als Besitzer betroffener Kunstwerke – empfindlich stärkere Belastung des privaten Kunstbesitzes eingetreten, weil letzterem die notwendige Provenienzforschung ohne erhebliche finanzielle Belastungen oftmals nicht möglich sei. Insofern befremde der von Bundestag und Bundesregierung vorgetragene Wunsch nach einem umfassenden Restitutionsgesetz auch für private Kulturgutbesitzer.

Rechtsgeschichte(n): Einen Bogen durch 100 Jahre Rechtsgeschichte schlägt lto.de (Martin Rath) mit einer zufälligen Auswahl deutscher und internationaler Ereignisse.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 2. Januar 2020: Bußgelder nach DSGVO / F. Kirchhof im Interview / Manager auf der Flucht . In: Legal Tribune Online, 02.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39459/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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