Die juristische Presseschau vom 1. Juni 2012: EU klagt wegen Vorratsdaten – NSU-Anklage steht bevor – Zappa-Witwe gegen Zappanale

01.06.2012

Nicht überraschend, aber überraschend hoch: Die EU-Komission hat im Dauerstreit um die Vorratsdatenspeicherung den EuGH eingeschaltet und fordert ein saftiges Zwangsgeld. Außerdem in der Presseschau: Anklage gegen NSU-Mitglieder steht bevor, BGH entscheidet zu Rechtsbeugung durch Proberichter und Frank Zappas Witwe streitet mit der "Zappanale" – und verliert.

Vorratsdatenspeicherung: Die Europäische Komission hat am Donnerstag die angekündigte Klage gegen Deutschland erhoben, weil die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umgesetzt wurde. Nun muss der Europäische Gerichtshof entscheiden. Die Kommission forderte dabei ein Zwangsgeld von mehr als 300.000 Euro pro Tag. Aus Brüssel berichtet die FAZ (Nikolaus Busse).

Martin Winter (SZ) hat "kaum einen Zweifel", dass der EuGH Deutschland zur Vorratsdatenspeicherung verurteilen wird und kritisiert Leutheusser-Schnarrenberger für ihre starre Haltung: "Sich zu weigern, die Richtlinie umzusetzen, hat nichts mit Sorge um den Rechtsstaat, aber alles mit dem Schielen nach Wählerstimmen zu tun." Ruth Reichstein (taz) zeigt zwar angesichts des klaren Verstoßes ebenfalls Verständnis für die Klage der Europäischen Kommission, fordert aber dennoch, die Bundesjustizministerin solle "darauf hinwirken, dass in Brüssel neu über die Vorratsdatenspeicherung verhandelt wird". Jasper von Altenbockum (FAZ) hält es hingegen für "Augenwischerei", der Kommission zu unterstellen, sie halte die geltende Richtlinie für obsolet, weil sie bereits an einer neuen arbeite.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Innenministerkonferenz: Bestimmende Themen auf der Innenministerkonferenz sind nach einem kurzen Bericht auf spiegel.de ein bundesweites Verbot von Rockergruppen und ein schärferes Vorgehen gegen gewaltbereite Fußballfans. Warum der Föderalismus die Bekämpfung von Rockergruppen erschwert, erklärt die SZ (Susanne Höll).

Ausschüsse gegen Acta: Rechts- , Innen- und Industrieausschuss des Europäischen Parlaments haben das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen Acta abgelehnt. Die taz (Ruth Reichstein) berichtet und hält es für "sicher, dass auch das Plenum Anfang Juli gegen den internationalen Vertrag stimmen wird".

Eurobonds und Star Wars: Franz C. Mayer/Christian Heidfeld (verfassungsblog.de) setzen ihre mit Star Wars-Zitaten aufgelockerte Serie zu Eurobonds mit einem Blick auf das Bailout-Verbot fort. Dazu heißt es, es deute "einiges darauf hin, dass die Einführung von Eurobonds – gleich ob im derzeitigen Primärrecht oder in gesonderten neuen Verträgen – eine Änderung des Art. 125 I AEUV voraussetzt".

Urheberrechtsdebatte: Nachdem sich Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in der FAZ ausführlich zur Urheberrechtsdebatte geäußert hat, fasst netzpolitik.org (Leonhard Dobusch) die Reaktionen der Internet-Community zusammen. Diese seien ebenso differenziert wie der Beitrag der Justizministerin.

Organspende: Georg Paul Hefty (FAZ) kommentiert die so genannte "Entscheidungslösung" zur Organspende und vergleicht sie mit dem staatlichen Wahlrecht. Der Aufgeforderte habe deshalb auch das Recht, die Entscheidung zu verweigern, etwa indem er den Organspendeausweis absichtlich unausgefüllt oder zerkratzt mit sich führt.

Seehandelsrecht: Der Rechtsanwalt und Kapitän Klaus Ramming gibt auf lto.de einen Überblick zu den Neuerungen im Seehandelsrecht.

Weitere Themen - Justiz

Anklage gegen NSU im Sommer: Nach Informationen der SZ (Hans Leyendecker) könnte die Bundesanwaltschaft noch im Sommer wegen der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" Anklage erheben. Vermutlich würden sechs der derzeit 13 Beschuldigten angklagt, einer davon voraussichtlich vor einer Jugendstrafkammer. Für die Übrigen sei ein Prozess vor dem Oberlandesgericht München wahrscheinlich, im Gespräch sei aber auch das Oberlandesgericht Düsseldorf, weil es über den größten Sitzungsaal verfügt.

EU verklagt BRD wegen Wasserverschwendung: Wie spiegel.de meldet, leitet die EU-Komission Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen das Wasserrecht gegen mehrere Mitgliedstaaten ein, darunter auch gegen Deutschland. Die Bundesregierung halte zwar Verbraucher zum Wassersparen an, gehe aber nicht gegen Unternehmer vor.

Fingerabdrücke im Pass: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes angefordert, um zu klären, ob die Pflicht, im Reisepass Fingerabdrücke speichern zu lassen, rechtswidrig ist. Dazu lawblog.de (Udo Vetter).

BGH zu Rechtsbeugung:
Der Bundesgerichtshof hat am Donnerstag in dem Fall eines Proberichters aus Eschwege entschieden, der einen wegen Exhibitionismus angeklagten Mann 20 Sekunden lang in eine Zelle eingesperrt hatte. Der Angeklagte legte daraufhin ein Geständnis ab und verzichtete auf Rechtsmittel. Der BGH betonte, dass Rechtsbeugung auch dann vorliege, wenn der Richter nicht das Geständnis erzwingen wollte, aber andere Nachteile für den Angeklagten herbei führen, etwa den Verzicht auf Rechtsmittel. Detailliert berichten die SZ (Helmut Kerscher) und die taz (Christian Rath).

BGH zu Zappa: Gail Zappa, Witwe des Musikers Frank Zappa, kann nicht gegen ein mecklenburgisches Festival namens "Zappanale" vorgehen. Das entschied der Bundesgerichtshof am Donnerstag. Zugleich verlor Gail Zappa ihr EU-weites Markenrecht, weil sie die Marke nicht genutzt hatte. Die taz widmet dem Urteil das Thema des Tages: Christian Rath erläutert die Entscheidung, Sunny Riedel gibt eine Übersicht über weitere bekannte Markenstreitigkeiten.

BGH zu Springer: Wie internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet, hat der Bundesgerichtshof am Donnerstag die Honorarregelungen des Axel-Springer-Verlages in Verträgen mit freien Journalisten für teilweise unwirksam erklärt.

Vater verbrennt Töchter: Das Landgericht Potsdam hat einen Mann wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er seine beiden Töchter in einem Auto verbrannt hatte. Zuvor war der Mutter der Kinder das Sorgerecht zugesprochen worden. Von dem Prozess berichtet die FR (Jens Blankennagel).

Mordfall Lolita Brieger: In dem Prozess um die vor 30 Jahren getötete Lolita Brieger wurden vor dem Landgericht Trier die Plädoyers gehalten. Angeklagt ist der damalige Geliebte der Frau. Von dem Verfahren berichtet Die Welt (Kathrin Spoerr).

Rocker sagt aus: Die Welt (Ulrich Exner) schildert ausführlich die Aussage des ehemaligen Hells-Angels-Mitglied Steffen R. vor dem Landgericht Kiel. Er beschuldigte unter anderem einen Hells-Angels-Boss, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben. Falls seine Darstellung des Rocker-Milieus wahrheitsgemäß sei, könne dies "ein lang ersehnter Durchbruch im Kampf gegen kriminelle Rockerbanden" sein.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Türkei führt Verfassungsbeschwerde ein: In der Türkei gibt es ab September dieses Jahres die Möglichkeit einer Individualbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof. Die Rechtswissenschaftler Martin Wintermeier/Martin Manzel beleuchten auf lto.de die Hintergründe dieses "Meilensteins für Land, Volk und Verfassung".

Sonstiges

Kritik an Kriminalstatistik: Unter Berufung auf Kriminalwissenschaftler übt die taz (Otto Diederichs) im Wissenschaftsteil Kritik an der Polizeilichen Kriminalstatistik.

Das Letzte zum Schluss

Dieb mit Spezialgebiet: Nicht wenig Diebesgut hat die Polizei in Stuttgart in der Wohnung eines Schaffners der Deutschen Bahn entdeckt: "6000 Schilder mit Fahrtzielen von Zügen, vier Lokführersessel und eine voll funktionsfähige Funkanlage" zählt spiegel.de auf.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ak

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. Juni 2012: EU klagt wegen Vorratsdaten – NSU-Anklage steht bevor – Zappa-Witwe gegen Zappanale . In: Legal Tribune Online, 01.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6306/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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