Die juristische Presseschau vom 20. August 2019: Keine Her­aus­­gabe von "Fein­­des­­lis­ten" / BKA-Rechts­­ex­­t­re­­mis­­mus­­be­­käm­pfung / Haf­­tung von Platt­­form-Be­trei­ber

20.08.2019

Das BKA muss derzeit keine "Feindeslisten" herausgeben. Außerdem in der Presseschau: Das BKA will die Rechtsextremismusbekämpfung ausweiten und der BGH hält Plattform-Betreiber im Zusammenhang mit dem Münchener Amoklauf für haftbar.

Thema des Tages

VG Wiesbaden zu rechtsextremen "Feindeslisten": Das Bundeskriminalamt (BKA) muss eine von Rechtsextremisten angelegte Namensliste nicht veröffentlichen, solange diese noch Teil eines laufenden Ermittlungsverfahrens ist. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden wurde nach Erledigungserklärungen der Parteien eingestellt. Auf Herausgabe der Daten einer sogenannten "Feindesliste" geklagt hatte Arne Semsrott, Journalist und Aktivist des Portals "FragDenStaat", unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Das BKA berief sich auf ein laufendes Ermittlungsverfahren beim Generalbundesanwalt und erklärte sich damit für nicht zuständig. Deshalb bestehe laut Gericht kein Herausgabeanspruch nach dem IFG. Auf verschiedenen Listen, die Ermittler bei Razzien gegen rechte Extremisten und sogenannte Prepper 2017 und 2018 gefunden hatten, wurden etwa 25.000 Namen politischer Gegner, insbesondere der rechtsextremen Gruppe "Nordkreuz", gefunden. Die Listen enthalten Namen, Adressen, Bilder und Telefonnummern, doch nicht immer werden die Betroffenen informiert. Es berichten lto.de, taz.de (Christian Rath) und spiegel.de (Milena Hassenkamp).

Christian Rath (taz.de) hält fest, der Rechtsstreit sei zwar "juristisch schon im Ansatz gescheitert", habe aber immerhin durch die mit der Klage einhergehende öffentliche Diskussion den Druck auf die Polizei erhöht, Betroffene zu informieren.

Rechtspolitik

Mietpreisbremse: Über die geplante Verlängerung der sogenannten Mietpreisbremse bis 2025 berichten nun auch taz.de (Martin Reeh), zeit.de (Vanessa Materla) und focus.de. Danach sollen Vermieter unter anderem der Betrachtungszeitraum für den Mietspiegel auf sechs Jahre erweitert werden, wodurch die Vergleichsmiete im Mitspiegel niedriger ausfallen und das Mietniveau insgesamt sinken solle. Mieter könnten überdies eine Rückerstattung für zu viel gezahlte Miete bis zu 30 Monate rückwirkend beanspruchen. Allerdings sollen weiterhin die Länder zunächst eigene Regelungen erstellen müssen, damit die Neuerung landesrechtlich in Kraft treten kann. Die FAZ (Julia Löhr) erläutert die Regelungen für Mieter im Einzelnen.

Rechtsextremismusbekämpfung: Das Bundeskriminalamt (BKA) will künftig mit einer neuen Struktur und mehr Personal die Ermittlungen gegen rechtsterroristische Gruppen und Einzeltäter vorgehen und hat einen entsprechenden Vorschlag dem Bundesinnenministerium unterbreitet. Dieser umfasse eine neue "Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität". Mithilfe der privaten Plattform-Anbieter sollen das Netz überwacht und strafrechtlich relevante Postings zentral erfasst werden. Auch längere Speicherfristen bei der Vorratsdatenspeicherung seien geplant. Es berichten SZ (Florian Flade/Georg Mascolo/Ronen Steinke), taz.de (Konrad Litschko), netzpolitik.org (Tomas Rudl) und zeit.de.

Ronen Steinke (SZ) kommentiert, es "würde damit effektiv ein altes Prinzip des deutschen Rechts aufgegeben, um Internet-Hetzern das Leben schwerer zu machen. Beleidigung ist ein Antragsdelikt." Die Polizei werde künftig häufiger und ohne Aufforderung einschreiten.

Justiz

BGH zu Plattform-Haftung: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen den Betreiber der Darknet-Plattform, auf der dem Attentäter des Münchener Amoklaufs vom Juli 2016 der Erwerb der Tatwaffe vermittelt worden war, aufrechterhalten. Das Landgericht Karlsruhe hatte den damals 31-Jährigen im Dezember 2018 wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung und der Beihilfe zu Waffen- und Drogendelikten zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Landgericht hatte argumentiert, der Betreiber habe erkennen können und müssen, dass ein anonymer Waffenerwerb abseits des geregelten legalen Markts zur Tötung und Verletzung von Menschen eingesetzt werden konnte, so lto.de.

LG Bonn zu Cum-Ex: Laut Bericht der SZ (Jan Willmroth) hat das Landgericht Bonn entschieden, neben den beiden im Verfahren um den Steuerbetrug mit sogenannten Cum-Ex-Transaktionen angeklagten Briten fünf Gesellschaften als Nebenbeteiligte in das Verfahren einzubeziehen. Die Klageerweiterung betreffe dabei die Holdinggesellschaft und eine Fondstochter der Hamburger Privatbankgruppe M.M. Warburg, eine Tochterfirma der US-Bank BNY Mellon, eine Zweiggesellschaft des französischen Instituts Société Générale sowie die Hamburger Kapitalverwaltungsgesellschaft Hansainvest.

VG Wiesbaden zu Versorgungsansprüchen: Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ist vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden mit einer Klage gegen den Hessischen Landtag unterlegen. Jung hatte seine Bezüge als Landtagsabgeordneter unter Berücksichtigung seines späteren Amtes als Bundesminister als zu niedrig berechnet und darin eine Ungleichbehandlung gesehen, was das Gericht jedoch anders wertete. Es berichtet mit genauen Zahlen und Erläuterung des landesrechtlichen Hintergrunds spiegel.de (Milena Hassenkamp), zudem focus.de.

StA Chemnitz – Alaa S.: Im Prozess um den tödlichen Messerangriff von Chemnitz im August 2018 hat die Staatsanwaltschaft für den Tatverdächtigen Alaa S. eine zehnjährige Freiheitsstrafe beantragt. Der Syrer soll gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker am 26. August 2018 den Chemnitzer Daniel H. erstochen und einen weiteren Mann mit einem Messerstich verletzt haben. Ursprünglich waren Verhandlungstermine bis zum 29. Oktober angesetzt, nun wurde das Urteil bereits für kommenden Donnerstag angekündigt. Es berichten spiegel.de (Sarah Heidi Engel) sowie FAZ (Stefan Locke) und SZ.

Bundeshaushalt für Justiz: Der Entwurf des Bundeshaushalts für 2020 plant insgesamt 17 Millionen Euro mehr und damit in der Summe 912 Millionen Euro für den Etat des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ein, wobei 588 Millionen Euro an die Beschäftigten der Justiz fließen sollen. Dies und zu den weiteren einzeln geplanten Ausgaben des Ministeriums berichtet lto.de.

Islamisten-Verfahren: Vor deutschen Gerichten nehmen Verfahren gegen mutmaßlich islamistische Straftäter, beispielsweise gegen ehemalige IS-Mitglieder, immer mehr Personal in Anspruch. So etwa in Frankfurt am Main, wo sich am Oberlandesgericht eine der Staatsschutzkammern mittlerweile nur noch mit Verfahren gegen mutmaßliche islamistische Straftäter befasst. Der hohe Personalaufwand erkläre sich insbesondere durch die aufwendige Beweiserhebung. Durch IS-Rückkehrer könnte es künftig zu einem weiteren Anstieg von Verfahren kommen, so lto.de.

Sachsen-Anhalt – Personal in der Justiz: Laut lto.de findet die Justiz in Sachsen-Anhalt nur schwer Personal, rund acht Prozent der im diesjährigen Haushalt vorgesehenen Stellen seien nicht besetzt. Bis 2030 erreichten überdies etwas mehr als die Hälfte der Bediensteten in der Justiz die Altersgrenze. Nun solle u.a. nicht nur mit Flyern um Bewerber für das Referendariat geworben werden, sondern auch mit Einstellungszusagen bereits nach Abschluss der schriftlichen Examensprüfung.

Brandenburg – Überlastung der Justiz: Nachdem erneut ein mutmaßlicher Straftäter wegen zu später Prozessterminierung aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, musste sich Justizminister Stefan Ludwig (Linke) im Justizausschuss des Landtags erklären. Ludwig erklärte, die Entlassung sei nicht die Folge von zu wenigen Richtern im Land gewesen, die Zahl der besetzten Stellen bei den Landgerichten liege sogar über dem tatsächlichen Bedarf. Etwa 400 neue Stellen würden geschaffen. Es berichtet lto.de.

VW-Dieselskandal: Laut spiegel.de (Kristina Gnirke) hat kurz vor Prozessauftakt in der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die mehr als 15.000 Dieselgeschädigte vertritt, in einem fünfseitigen Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) angekündigt, Klagen direkt gegen die Bundesregierung zu richten, sollte diese die Geschädigten nicht unterstützen. Etwaige Ansprüche aus Staatshaftung würden danach insbesondere dann geltend gemacht werden, wenn die Ansprüche direkt gegen VW verjährt sein sollten. Da auch diese verjähren könnten, verlangen die Anwälte, die Bundesregierung solle bis Ende 2021 auf die Einrede der Verjährung verzichten.

IS-Kinder: Laut FAZ (Johannes Leithäuser), SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke), taz.de (Konrad Litschko), Welt (Ibrahim Naber/Alfred Hackensberger) und zeit.de hat die Bundesregierung die ersten Kinder von Mitgliedern des Islamischen Staates (IS) mit deutscher Staatsangehörigkeit zurück nach Deutschland geholt. Den Bemühungen ging ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin voraus. Das Gericht hatte die Bundesregierung zur Rückholung der IS-Kinder verpflichtet.

Recht in der Welt

Singapur-Konvention: In einem Gastbeitrag für lto.de erläutern die Anwälte Claus Thiery und Sandra Renschke Hintergrund, Zustandekommen, Ziele und Anwendungsvoraussetzungen der Singapur-Konvention zur internationalen Vollstreckung von Mediationsvergleichen, die von 46 Staaten unterzeichnet wurde, darunter kein EU-Mitgliedstaat. Das Abkommen verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, Vergleiche, die mit einem Mediator zustande gekommen sind, anzuerkennen und wie einen Titel zu vollstrecken. Letzteres wird auch kritisch betrachtet.

USA – VW-Dieselskandal: Die FAZ (Roland Lindner) berichtet, ein Richter in San Francisco habe den VW-Konzern und die US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) aufgefordert, sich mit einem Vergleich zu einigen. Im März hatte die SEC Klage sowohl gegen den Konzern als auch den früheren Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn eingereicht, andere Verfahren, etwa mit der Umweltbehörde, waren zu diesem Zeitpunkt bereits durch Vergleich beendet worden. Der Vorwurf umfasst Betrug durch Ausgabe von Anleihen und anderen Wertpapieren.

Sudan – Prozess gegen Al-Bashir: Im Sudan hat der Prozess gegen den abgesetzten Machthaber Al-Bashir begonnen. Dieser soll 90 Millionen Dollar in bar vom saudischen Königshaus erhalten haben, ihm wird der verbotene Besitz ausländischer Währungen, Korruption und die unerlaubte Annahme von Geschenken vorgeworfen, so spiegel.de (Milena Hassenkamp).

Sonstiges

Anwältinnen: Im Interview mit dem Hbl (Heike Anger) spricht die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Edith Kindermann, die erste Frau in dieser Position, über Kanzleikultur, Diskriminierung und neue Arbeitszeitmodelle. Sie betont, sie selbst sei ihr Berufsleben lang immer "über Inhalte und Kompetenz wahrgenommen" worden.

Reisen anerkannter Flüchtlinge: Im "Faktencheck zur Debatte" erläutert focus.de, unter welchen Bedingungen anerkannte Flüchtlinge in ihre Heimatländer ausreisen können, ohne ihren Flüchtlingsstatus zu verlieren. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte syrischen Flüchtlingen vorgeworfen, in Syrien "Urlaub" zu machen.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/cc

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. August 2019: Keine Her­aus­gabe von "Fein­des­lis­ten" / BKA-Rechts­ex­t­re­mis­mus­be­kämpfung / Haf­tung von Platt­form-Betreiber . In: Legal Tribune Online, 20.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37131/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen