Die juristische Presseschau vom 3. Februar 2012: Scharia in Rheinland-Pfalz – Hassemer bei Daimler – Zuviel Wärme in der Schule

03.02.2012

Steinigungen soll es nicht geben, stellte der Mainzer Justizminister Jochen Hartloff klar. Doch zivilrechtliche Streitigkeiten könnten Scharia-Gerichte in Deutschland schon entscheiden. Klar, dass der Vorschlag lebhaft diskutiert wird. Außerdem in der Presseschau: Wie ein Geisterfahrer zum Mörder wurde und warum in Dresden ein Gericht vorgibt, in welche Richtung gelüftet werden soll.

Muslimische Friedensrichter: Der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff (SPD) hält den Einsatz von muslimischen Schiedsgerichten für sinnvoll. Diese sollten Zivilstreitigkeiten auf der Grundlage der Scharia entscheiden. Die Urteile müssten mit deutschem Recht vereinbar sein. Eine derartige außergerichtliche Klärung von Konflikten könne die Integration von Einwanderern unterstützen, meint Hartloff. Über seine Pläne berichten u.a. die B.Z. (Christoph Lemmer) und Die Welt.  

Roland Preuß (SZ) kommentiert: "Wenn es um privaten Streit geht, um das Sorgerecht fürs gemeinsame Kind oder ums Erbe, können Friedensrichter eine Einigung vorbereiten, die bei Zuwanderern mehr Anerkennung findet als das deutsche Familienrecht. Solange beide Parteien einverstanden sind und die Entscheidung keine Grundrechte verletzt, kann sie durchaus Frieden stiften." Die Bild-Zeitung  (Franz Solms-Laubach) lässt dagegen mehrere Kritiker zu Wort kommen, u.a. den CSU-Rechtsexperten Stefan Mayer: "Es ist unvorstellbar, dass ein Justizminister solche Gedanken hegt. Bei uns ist kein Platz für islamisches Recht. Die Scharia ist in jeder Form grausam und menschenverachtend."

Keine Ehe mit 14: Auch wenn nach libanesischem Recht eine Ehe mit einer 14-jährigen Braut gültig sei, könne dieser Eheschluss in Deutschland nicht anerkannt werden. Auf ein entsprechendes Urteil des Berliner Kammergerichts weist beck.blog.de (Hans-Otto Burschel) hin. Die Eheschließung mit einer Braut unter 16 Jahren verstoße gegen den deutschen ordre public.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Währungsunion: Der Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek kritisierte bei einer Veranstaltung in München, über die die SZ (Simone Böhringer) berichtet, die Währungspolitik der Bundesregierung, die den EU-Vertrag und das Grundgesetz missachte. Bei Fälligwerden aller Garantien hafte der Bundeshaushalt inzwischen mit fast 800 Milliarden Euro, das könne auch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr durchgehen lassen, so Murswiek. 

ACTA: Anwalt Thomas Stadler kritisiert in seinem Blog internet-law.de die "hysterischen" Proteste gegen das völkerrechtliche Abkommen ACTA zur Produktpiraterie. Dort seien Netzsperren oder eine Netzüberwachung gar nicht vorgesehen. Das Abkommen enthalte faktisch nichts, was über das deutsche Urheberrecht hinausgehe. Gegen ACTA spreche aber, dass es eine nötige Weiterentwicklung des Urheberrechts vehindere. 

Wertpapierhandelsgesetz: Seit 1. Februar müssen Anleger, die Optionen auf Aktien von mehr als fünf Prozent der Anteile innehaben, dies öffentlich melden. So soll ein langsames "Anschleichen" bei Unternehmensübernahmen verhindert werden. Kritiker, die die FTD zitiert, befürchten jedoch eine massive Zunahme von Unternehmensmitteilungen, die zu eher verwirrendem "Informationslärm" führe. 

Weitere Themen – Justiz

Misshandlung bei der Bundeswehr: Offiziere und Unteroffiziere, die Untergebene auf entwürdigende Weise misshandeln, dürfen degradiert werden und müssen eine Kürzung ihrer Bezüge hinnehmen. Das entschied jetzt laut lto.de das Bundesverwaltungsgericht. 

Weihnachtsgeld nach Kündigung: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Zahlung von Weihnachtsgeld im Arbeitsvertrag davon abhängig gemacht werden darf, ob zu einem Stichtag das Arbeitsverhältnis noch besteht. Diese Entscheidung stellt das Handelsblatt-Rechtsboard (Klaus Heeke) dar. 

Clerical Medical: Nach Rücknahme der Revision im Streit um den Rückzahlungswert einer Lebensversicherung sind beim Bundesgerichtshof noch rund dreißig ähnliche Fälle anhängig, berichtet die FAZ (Philipp Krohn), es werde also auf jeden Fall bald eine Grundsatzentscheidung geben. Außerdem schildert der Artikel, wie Verbraucheranwälte und Prozessfinanzierer vorgehen, um zu einem verbindlichen Urteil zu kommen - trotz der Neigung von Versicherern, im letzten Moment doch nachzugeben.

Geisterfahrer: Wer in Selbstmordabsicht gegen die Fahrtrichtung fährt, dabei gezielt ein entgegenkommendes Fahrzeug rammt und auf diese Weise einen Menschen tötet, kann wegen Mordes bestraft werden, entschied das Landgericht Tübingen. Es liege das Mordmerkmal der Heimtücke vor, so die FAZ (Rüdiger Soldt).

Filehosting: Nach der Festnahme der Verantwortlichen des Filehosting-Dienstes megaupload.com erklärt der Anwalt Christian Oberwetter auf lto.de die Unterschiede zwischen Filehosting und Filesharing. So seien die Nutzer eines Filehosters nicht über ihre IP-Adresse identifizierbar, es drohe daher keine Abmahnwelle.

NPD-Verbot: Der Parteienrechtler Sebastian Roßner weist auf lto.de darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine andere Rechtsprechung zu Parteiverboten entwickelt hat als das Bundesverfassungsgericht. Der EGMR verlange eine unmittelbare Gefahr, die umstrittene Partei müsse ihre demokratiewidrigen Ziele in einem absehbaren Zeitraum also auch verwirklichen können. 

Hassemer bei Daimler: Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer arbeitet künftig als externer Ombudsmann für den Autohersteller Daimler. Das berichtet u.a. FTD (Heimo Fischer). Hassemer, der weiter als Anwalt tätig sein will, soll Ansprechpartner für whistle blower aus dem Unternehmen werden. Im Daimler-Vorstand sitzt bereits die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt.

Anwaltshaftung und Rechtsberatungsmarkt. Die FAZ (Caroline Freisfeld) stellt dar, mit welchen Rechtsformen Anwaltskanzleien ihre Haftungsrisiken beschränken können und welche Angebote der Gesetzgeber plant. Im zweiten Teil des Artikels wird beschrieben, welche Geschäftschancen sich für Kanzleien aus der Finanz- und Währungskrise ergeben. 

Syndikusanwälte: Rechtsanwalt Martin W. Huff plädiert auf lto.de dafür, dass Unternehmensanwälte den gleichen Schutz wie freie Anwälte haben sollen. Syndikusanwälte seien "oft freier als angestellte Anwälte in Kanzleien", so Huff.  Über den ersten Unternehmensjuristenkongress berichtet die FAZ (Joachim Jahn). 

Weitere Themen – Recht in der Welt

Kambodscha:  Den Stand der gerichtlichen Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer schildert spiegel.de (Kai-Ludwig Günsche). So blockiere die kambodschanische Regierung die Ernennung eines neuen, aus der Schweiz stammenden Untersuchungsrichters. Er soll den Deutschen Siegfried Blunk ersetzen, der im Oktober aus Protest gegen versuchte Einflussnahme der Regierung zurückgetreten war. 

Das Letzte zum Schluss

Zuviel schulische Wärme: Das Marie-Curie-Gymnasium im Dresdner Stadtteil Gorbitz muss umgebaut werden. Zwischenzeitlich sollen die Schüler in einem Gebäude unterrichtet werden, das sich leicht erhitzt. Deshalb fürchteten viele Eltern um das Wohlergehen ihrer Kinder und klagten beim Verwaltungsgericht Dresden. Nach einem Bericht der Dresdener Neuesten Nachrichten hat das Gericht jetzt einen salomonischen Beschluss gefasst. Zwar wird der zwischenzeitliche Umzug der Schule gebilligt, allerdings müssen die Schulräume ab einer Temperatur von 25 Grad in der darauffolgenden Nacht "quer gelüftet" werden – "unter Aufsicht", wohl damit nicht aus Versehen längs gelüftet wird.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Februar 2012: Scharia in Rheinland-Pfalz – Hassemer bei Daimler – Zuviel Wärme in der Schule . In: Legal Tribune Online, 03.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5478/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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