Die juristische Presseschau vom 23. September 2011: Sondergremium soll Parlamentsrecht hüten – Papst im Völkerrecht – EuGH zu Roj-TV

23.09.2011

Die Sicherung der Parlamentsrechte bei Beschlüssen im EFSF könnte bald auf den Schultern von neun Abgeordneten lasten. Außerdem: Der Papst und seine Funktionen im Völkerrecht, Sachsen will Gesetzentwurf zur Regelung der Funkzellenabfrage vorlegen, Michael Biller freigesprochen, BAG zur Vererblichkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen und vieles andere.

Papst im Bundestag: Anlässlich der Papst-Rede im Deutschen Bundestag am Donnerstag stellt Rechtswissenschaftler Thomas Traub in einem Gastbeitrag auf lto.de den Redner aus der völkerrechtlichen Perspektive vor. Papst Benedikt XVI. sei nicht nur Staatsoberhaupt des Völkerrechtssubjekts Vatikanstaat, sondern als "Inhaber des Heiligen Stuhls" auch selbst "Völkerrechtssubjekt". Traub erläutert unter anderem, welche Macht das Grundgesetz des Vatikans dem Papst verleiht und wie der Heilige Stuhl als "Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten" in Erscheinung tritt.

Die Rede des Papstes im Bundestag wird von Heribert Prantl (SZ) analysiert, der eine falsch verstandene religiöse Neutralität des Staates bei zahlreichen der Rede ferngebliebenen Abgeordneten beklagt.

EFSF und Parlamentsbeteiligung: Nachdem der Haushaltsauschuss am Mittwoch dem korrigierten Gesetzentwurf zum Rettungsfond EFSF zugestimmt hat, sollen in der kommenden Woche sowohl Bundestag als auch Bundesrat zustimmen. Die FAZ (Manfred Schäfers) erläutert, wie die Beteiligung des Bundestags künftig geregelt werden solle. In Fällen, in denen die "haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages" durch einen Beschluss im EFSF berührt werden könne, müsse der deutsche Vertreter aus der Bundesregierung vorab die Zustimmung des Parlaments einholen. Jedoch seien von diesem Vorgehen Ausnahmen vorgesehen: Wenn eine Entscheidung im EFSF eilbedürftig oder vertraulich sei, könne ein neuer Unterausschuss des Haushaltsausschusses die Zustimmung erteilen. Dieser Unterausschuss bestehe aus neun, durch den Bundestag gewählten, Mitgliedern des Haushaltsausschusses, wobei alle Fraktionen vertreten seien müssen. Das Gremium könne wiederum mit seiner Mehrheit entscheiden, ob kein Fall der Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit vorliegt.

Mit dem Sondergremium befasst sich unter dem Titel "Parlaments-Travestie" Max Steinbeis (verfassungsblog.de) und fragt eingangs: "Hält die Regierungskoalition das Bundesverfassungsgericht für doof?". Steinbeis zitiert aus dem Gesetzentwurf zum Stabilitätsmechanismus den § 3 Absatz 3, welcher die Bildung und Aufgaben des Sondergremiums vorgibt. Welche tatsächlichen Konsequenzen sich daraus für die Wahrnehmung der "Budgetverantwortung" und die Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundestag ergeben würden, erläutert Steinbeis. Statt der 620 Bundestagsabgeordneten, könnten nun in vielen Fällen lediglich neun Vertreter über Entscheidungen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags berührten, entscheiden. Wie sich dies zu den Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Euro-Rettung vom 7. September verhält, dass lediglich in bestimmten Fällen eine Entscheidung des immerhin 41 Mitglieder umfassenden Haushaltsausschuss gebilligt habe, wird ebenfalls analysiert.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Bundesrat: Vor dem Hintergrund des Gesetzentwurfs zum EFSF meldet unter anderem zeit.de, dass einige Bundesländer planen, eine größere Beteiligung auch des Bundesrates bei künftigen "grundlegenden Entscheidungen über milliardenschwere Kreditübernahmen" zu fordern. Dies gefährde jedoch nicht die Abstimmung in der kommenden Woche, das EFSF-Gesetz sei ohnehin "nicht auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen".

Sicherungsverwahrung: Über das Konzept zur Reform der Sicherungsverwahrung, wie es vom Bundesjustizministerium auf der Sonderkonferenz der Justizminister am Donnerstag vorgelegt wurde, spricht lto.de (Pia Lorenz) mit Thomas Ullenbruch, Richter am Amtsgericht Emmendingen. Laut Ullenbruch sehe das Konzept bei der Frage der möglichen Anlasstaten keine Änderungen vor: "[I]m Wesentlichen" könne die Verwahrung nur bei "Gefahr erneuter Gewalt- und Sexualstraftaten" angeordnet werden. Dies sei vom Bundesverfassungsgericht auch nicht beanstandet worden. Neu sei dagegen die Verstärkung der gerichtlichen Kontrolle der Behandlungsangebote für die Strafgefangene und Verwahrten. Weiterhin wird besprochen, welche Lösungen das Konzept für den Umgang mit so genannten Altfällen vorsieht und wie es um die Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung steht.

Auch die taz (Christian Rath) befasst sich mit dem vorgelegten Konzept und weist darauf hin, dass es noch immer möglich sei, auch bei Erpressern und Drogenhändlern eine Sicherungsverwahrung anzuordnen. Eine nachträgliche Anordnung der Verwahrung solle künftig ausgeschlossen sein.

Handygate: Die taz (Christian Rath) berichtet über die für heute geplante Einbringung eines Antrags durch Sachsen in den Bundesrat, welcher die Neuregelung der so genannten Funkzellenabfrage enthalte. Erläutert werden noch einmal die Hintergründe des Datenskandals in Sachsen sowie der Schwerpunkt des Entwurfs: Eine Änderung der Strafprozessordnung an vier Punkten sei vorgesehen. So solle bspw. ein Richtervorbehalt für die Verwendung einmal erhobener Daten "[als Beweismittel] in anderen Verfahren" eingeführt werden. Die Bundestagsfraktion der Grünen habe "einen ähnlichen Gesetzentwurf erarbeitet". Defizite wiesen jedoch beide Entwürfe vor allem im Bereich der Datenweitergabe auf, so die taz.

Steuerabkommen: Das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz wird weiter in den Medien besprochen. Die FR (Timot Szent-Ivanyi/ Matthias Thieme) berichtet ausführlich und vermeldet, es seien im Abkommen "viele Schlupflöcher" gefunden worden. Joachim Englisch, Professor für Steuerrecht aus Münster, kommt in der FR zu Wort: Er halte "das Abkommen für eine verfassungsrechtlich bedenkliche Privilegierung einer Gruppe zum Teil sehr vermögender Personen". Ein Steuerfahnder spreche von einem "Verfassungsbruch".

Weitere Themen – Justiz

Roj-TV vor EuGH: Im Jahr 2008 hatte der damalige Bundesinnenminister Schäuble auf der Grundlage des deutschen Vereinsgesetzes die Ausstrahlung des pro-kurdischen Fernsehsenders Roj-TV in Deutschland verboten. Dass dies so nicht möglich sei, habe nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dem die Frage nach der Vereinbarkeit des Verbots mit EU-Recht vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vorgelegt worden war, weiß die taz (Christian Rath) zu berichten. Laut der Entscheidung des EuGH seien die dänischen Behörden zuständig, zu prüfen, "ob Roj-TV zu Hass aufstachele". Der Sender werde "mit einer dänischen Lizenz überwiegend in Belgien produziert", so die taz. Das Verbot sei damals ausgesprochen worden, weil Roj-TV sich gegen "den Gedanken der Völkerverständigung" richte und Werbung für die in der Bundesrepublik verbotene PKK mache.

Urlaub verstorbener Arbeitnehmer: Auf beckblog.de befasst sich Markus Stoffels mit einer Entscheidung des Bundearbeitsgerichts (BAG) aus dieser Woche zur Frage der "Vererblichkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen". Ende ein Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers, wandle sich ein Urlaubsanspruch nicht nach § 7 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) in einem Abgeltungsanspruch um. Die Vorinstanz habe dies - vor dem Hintergrund eines EuGH-Urteils aus dem Jahr 2009 - anders beurteilt. Wegen der "unionsrechtlich zweifelhaften Rechtslage" wundert sich Stoffels, dass das BAG den EuGH nicht im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens angerufen habe.

Michael Billen: Über den Freispruch für den rheinland-pfälzischen Landtagsabgeordneten Michael Billen (CDU) in der so genannten Polizeidaten-Affäre informiert die FAZ (Thomas Holl). Laut FAZ habe das Landgericht Landau dem Abgeordneten nicht die vorgeworfene "Beihilfe zum Verrat von Dienst- und Privatgeheimnissen" nachweisen können. Billens Tochter, eine Polizistin, habe für ihn vertrauliche Daten über Geschäftsleute, die im Zusammenhang mit der Nürburgring GmbH gestanden hätten, mittels Polis, einem polizeilichen Auskunftssystems, abfragen lassen. Die Polizistin habe wegen Verletzung des Privatgeheimnisses eine Verwarnung sowie eine Geldstrafe erhalten.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Burka-Verbot: Erstmals sind in Frankreich zwei Frauen wegen des Tragens eines Vollschleiers in der Öffentlichkeit verurteilt worden. Die taz (GB) informiert über die Verurteilungen zu Geldstrafen und die Absicht einer der Verurteilten, in Berufung zu gehen und "die Sache vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte" bringen zu können.

Troy Davis: Umfassend berichtet die SZ (Reymer Klüver) über den Fall des in der Nacht zum Donnerstag im US-Bundestaat hingerichteten Troy Davis. Dieser sei im Jahr 1991 wegen des Mordes an einem Polizisten zum Tode verurteilt worden, die Vollstreckung sei in den vergangenen Jahren immer wieder verschoben worden. Zweifel an der Schuld hätten bis zuletzt bestanden.

UBS-Betrug: Wie das Handelsblatt (ali/mm) meldet, bestehen im Fall um den ehemaligen UBS-Händler Kweku Adoboli "Meinungsverschiedenheiten" zwischen dem ermittelnden Londoner Staatsanwalt und der Schweizer Bank UBS hinsichtlich des Zeitraums des möglichen Betrugs; auch sei die Höhe des entstandenen Schadens unsicher. In einem separaten Beitrag stellt das Handelsblatt (Michael Maisch) die "Staranwältin" Louise Hodges vor, die Adoboli verteidigen werde.

Die Ermittlungen der Finanzaufsicht FSA seien laut der SZ (Andreas Oldag), welche sich auf einen Bericht des Wall Street Journal bezieht, mittlerweile auf andere "Finanzinstitute(..) in der Londoner City" ausgeweitet worden. Weiterhin schildert der Bericht, wie sog. "Fake-Wetten", "Arbitrargeschäfte" und Insider-Geschäfte funktionieren und welche Erfolge die Finanzaufsicht, bspw. im Prozess um den "Dresdner-Kleinwort-Banker Christian Littlewood", in der Vergangenheit erzielen konnte.

Nicolas Sarkozy: "[I]n einen weiteren Strudel aus Bestechung und unzulässiger Parteieinfinanzierung" drohe, so spiegel.de, der französische Staatspräsident Sarkozy zu geraten. Warum die Aussagen einer Prinzessin Sarkozy zwar politisch, aber nicht juristisch auf Grund seiner Immunität als Staatsoberhaupt gefährlich werden könnten, erläutert spiegel.de.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

lto/dc

Hinweis für Journalisten

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. September 2011: Sondergremium soll Parlamentsrecht hüten – Papst im Völkerrecht – EuGH zu Roj-TV . In: Legal Tribune Online, 23.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4373/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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