Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. Juli : Kritik an Bundesjustizministerin – Klage gegen Bundesregierung – Kapitaler Anlagebetrug

25.07.2011

Die von der Bundesjustizministerin vorgelegten Pläne zur Reform der Sicherungsverwahrung erfahren harsche Kritik aus den Ländern. Außerdem in der Presseschau: Die Grünen erwägen eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung, Neues zum Dresdener Handygate, eine Anzeige gegen die Telekom, ein neuer Generalbundesanwalt und vieles andere.

Sicherungsverwahrung: Das in der vergangenen Woche von FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgelegte Eckpunkte-Papier zur Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung gerät unter "populistischen Druck", wie es die Samstags-taz (Christian Rath) nennt. Kritik erfahre die Ministerin aus SDP und CDU sowie aus der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann etwa stelle sich gegen ein "Wohlfühlprogramm für Vergewaltiger und Kinderschänder", wie die Samstags-FAZ (Peter Carstens) aus einem Interview des Ministers mit der "Bild"-Zeitung zitiert. Der Linke-Politiker Wolfgang Neskovic spreche sich dagegen für die Pläne der Ministerin aus und nennt die Kritiker aus den Ländern ein "Stammtischkartell der Innenminister", so die FAZ. Die Kritiker stellten sich "offen gegen das Bundesverfassungsgericht", so Neskovic.

An das Urteil aus dem Mai dieses Jahres erinnert die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) und zeichnet die Vorgaben aus Karlsruhe zum Abstandsgebot zwischen Haft und Sicherungsverwahrung nach. Die Bundesjustizministerin halte sich "sehr eng" an das Urteil. Zudem zitiert die SZ aus dem Eckpunktepapier: Der geplante Paragraph 66c Strafgesetzbuch sehe vor, dass "[d]ie Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (..) unverhältnismäßig [ist], wenn dem Täter während des Vollzuges der Freiheitsstrafe keine Betreuung angeboten worden ist.".

Mit dem "Interview-Scharmützel" vom Wochenende setzt sich die Montags-SZ (Heribert Prantl) auseinander und beschreibt gleichzeitig den weiteren Verlauf und die Pläne zur gesetzlichen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung.
In seinem Kommentar kritisiert Prantl (Montags-SZ) das Gebaren der Landesinnenminister im Umgang mit den Gesetzesvorschlägen als "derbe Propaganda". Prantl fasst das Karlsruher Urteil knapp zusammen und resümiert: Eine sich vom Strafvollzug unterscheidende Unterbringung für die Sicherungsverwahrten sei gerade kein "Luxus", sondern der "Preis, den die Gesellschaft (..) zahlen muss".

Oslo: Der mutmaßliche Massenmörder Anders Breivik hat am Wochenende die Taten in Oslo und auf der Norwegischen Insel Utoya gestanden. Heute solle er vor Gericht gestellt werden, meldet u.a. die Montags-FAZ (lzt.). Wird er verurteilt, sehe das Norwegische Strafrecht eine Haftdauer von bis zu 21 Jahren vor.

Ob Breivik Komplizen hatte, sei nach derzeitigem Ermittlungsstand noch unklar. Sechs am Sonntagvormittag in Oslo festgenommene Personen seien jedenfalls kurze Zeit später wieder frei gelassen worden, so focus.de. Die FTD mahnt in einem Leitartikel, dass eine Verschärfung etwa von Waffengesetzen oder eine bessere Überwachung keine geeigneten Präventionsmaßnahmen darstellten.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Immobilienfonds: In einem Gastbeitrag auf lto.de setzt sich der Rechtsanwalt Alexander Knauss unter dem Motto "Betongold wird zähflüssig" mit Rechtsfragen zur Aussetzung der Anteilsrücknahme bei offenen Immobilienfonds auseinander. Knauss schildert, wie die offenen Fonds bislang funktioniert haben; dabei geht er auch auf eine Gesetzesänderung ein, welche die Möglichkeiten der Anteilsrückgabe einschränke. Ausgangspunkt der Analyse ist die Kritik an der Commerzbank, die Verbraucher falsch beraten habe.

Ackermann: Die Hürden aus dem Aktiengesetz, welche einem direkten Einzug von Josef Ackermann aus dem Vorstand der Deutschen Bank in deren Aufsichtsrat entgegen stehen könnten, erklärt das Handelsblatt (Dieter Fockenbrock).

EU-Rettungsfonds: Zur Erweiterung der Griechenland-Hilfsmaßnahmen der EU, die am Donnerstag in Brüssel beschlossen wurden, äußert sich der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek gegenüber der Samstags-FAZ (Philip Plickert/Manfred Schäfers) kritisch. Murswiek, der den CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler bei seiner Verfassungsbeschwerde gegen den EU-Rettungsschirm vertritt, kritisiert, der Rettungsfond EFSF vergrößere "[d]as bestehende Defizit an parlamentarischer Kontrolle".

Der Spiegel zitiert den FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler, der die Beschlüsse in Brüssel als eine "Kastrierung des deutschen Bundestages" sieht.
Mit der Frage der Vereinbarkeit des EFSF mit dem Lissabon-Vertrag befasst sich Peter Ehrlich in der FTD.

Weitere Themen – Justiz

Verfassungsklage: Im Rahmen der Verhandlungen der Bundesregierung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) könnten parlamentarische Informationsrechte verletzt worden sein. Laut einem Bericht in der Montagsausgabe der SZ (Wolfgang Janisch) wird die Bundestagsfraktion der Grünen heute vor dem Bundesverfassungsgericht eine Organklage wegen Verletzung der Rechte aus Artikel 23 Grundgesetz erheben. Ziel sei jedoch nicht, den ESM zu Fall zu bringen, vielmehr gehe es um die "Feststellung der Verfassungswidrigkeit" der (Nicht-)Einbindung des Parlaments in den Entscheidungsprozess. Wolfgang Janisch (Montags-SZ) kommentiert "Wissen ist Macht" und hofft auf eine neue Lust der Parlamentarier an der Wahrnehmung ihrer "Integrationsverantwortung" in Europafragen.

Stuttgart 21: Die Deutsche Bahn droht mit einer Klage gegen das Verkehrsministerium Baden-Württemberg wegen der Verletzung der "Projektförderungspflicht". Diese Pflicht könnte sich aus dem zwischen Bahn, dem Land Baden-Württemberg, der Stadt Stuttgart sowie dem Flughafen Stuttgart geschlossenen Finanzierungsvertrag zum Stuttgart 21-Projekt ergeben. Über den konkreten Hintergrund informiert die Montags-taz (Christian Rath).

Dresdner Handygate: Die Samstags-taz (Jennifer Stange/Martin Kaul) widmet dem so genannten Dresdner Handygate anlässlich neuer Erkenntnisse einen Schwerpunkt. So habe es nicht erst zu Beginn dieses Jahres umfangreiche Handydatenerfassungen gegeben. Vor dem Hintergrund einer Anti-Nazi-Demonstration seien bereits im Juni 2010 Funkzellendaten gesammelt und ausgewertet worden. Die taz zeigt die gesamte Chronik des Datenskandals auf und berichtet über die Hintergründe und politischen Reaktionen in Sachsen.

Die Berichterstattung wird in der Montags-Ausgabe der taz (Martin Kaul) weitergeführt. Dabei werden zum einen neue Zahlen hinsichtlich der Abfrage so genannter "Bestandsdaten" von Handynutzern genannt. Statt bisher angenommener 460 Fälle liege die Zahl bei über 40.000 Abfragen. Kaul analysiert weiter die Rolle des Sächsischen Justizministers Jürgen Martens. Dieser habe bisher die Kenntnis der Funkzellenabfrage vom Juni 2010 bestritten, dies sei nach Aktenlage jedoch unwahrscheinlich.

In der Samstagsausgabe kommentiert Kaul die Vorgänge in Sachsen und fragt: "was hat dieses Bundesland eigentlich für ein Rechtsstaatsverständnis (…)?". Die "Köpfe der Verantwortlichen" müssten "ins Rollen" gebracht werden.

Uranmunition: Auf der italienischen Insel Sardinien wird derzeit wegen Missbildungen an Tieren sowie Krebs- und anderer Erkrankungen von Menschen ermittelt, die in der Region um das militärische Sperrgebiet "Salto di Quirra" leben oder lebten. Die Untersuchungen der hiesigen Staatsanwaltschaft gehen auch in Richtung Deutschland. Die Samstags-taz (Marie-Claude Bianco/Ambros Waibel) (gekürzte Fassung auf taz.de) berichtet ausführlich. Möglicherweise seien in den 80-er Jahren Tests mit Uranmunition, hergestellt vom Deutschen Rüstungskonzern Messerschmitt-Bölkow-Blom, durch die Deutsche Bundeswehr durchgeführt worden.

Anlagebetrug: Wie unter anderem die Samstags-FAZ (Joachim Jahn/Reuters)  meldet, ist der Strafprozess gegen Helmut Kiener für diesen mit einer Haftstrafe von zehn Jahren und elf Monaten zu Ende gegangen. Verurteilt wurde er laut FAZ wegen mehrfachen Betrugs und Steuerhinterziehung sowie Urkundenfälschung in über 80 Fällen. Mit seinen "K1"-Hedgefonds habe er Kleinanleger, aber auch Banken, um mehr als 300 Millionen Euro erleichtert.

HSH Nordbank: Der Spiegel vermeldet, dass und warum die Hamburger Staatsanwaltschaft Anklagen wegen Untreue und teilweise wegen der "Falschdarstellung der Unternehmensverhältnisse" gegen den gesamten Vorstand der HSH Nordbank vom Dezember 2007 erheben will.

Telekom: Die Staatsanwaltschaft Bonn prüft derzeit eine Anzeige gegen die Telekom AG. Diese habe wohlmöglich, so Der Spiegel, gewerbsmäßig betrogen, indem sie sich Kosten für Kundendatenbanken sowohl von Telefonkunden als auch von Wettbewerbern habe bezahlen lassen.

Fehlurteil: Über den Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren gegen einen Lehrer, der wegen Vergewaltigung fünf Jahre in Haft saß, berichtet die FAS (Claus P. Müller/ Julia Schaaf). Horst Arnold war von einer ehemaligen Kollegin angezeigt und später verurteilt worden. Wie es zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Landgericht Kassel kam, schildert die FAS und zitiert den Kachelmann-Anwalt Johann Schwenn, "[d]er Kasseler Fall stehe für viele andere".

Generalbundesanwalt: Den von der FDP vorgeschlagenen neuen Generalbundesanwalt stellt Reinhard Müller (FAS) vor: Johannes Schmalzl, ehemaliger Präsident des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg und derzeitiger Regierungspräsident in Stuttgart, könnte auf Monika Harms folgen. Müller analysiert den Werdegang des Juristen aus Unterfranken im Hinblick auf die kommenden Aufgaben in der Generalbundesanwaltschaft.

Weitere Themen – Recht im Ausland

James Murdoch: Der Skandal um "News of the World" geht in eine weitere Runde: Nun wurde laut Samstags-SZ (Christian Zaschke) der Sohn von Rupert Murdoch, James Murdoch, beschuldigt, vor einem Ausschuss des britischen Unterhauses falsch ausgesagt zu haben. In der Sache sei es um die Frage gegangen, ob James Murdoch über eine E-Mail  informiert gewesen sei, welche einige Abhöraktionen belege. Laut FTD (Bernhard Hübner) bestreite James Murdoch die Vorwürfe weiterhin vehement.

Ecuador: Die Verleumdungsklage des Ecuadorianischen Staatschefs Rafael Correa gegen einen ehemaligen Redakteur und mehrere Verleger der Zeitschrift "El Universo" endete mit einer Verurteilung zu Haftstrafen und Schadenersatzzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe. Die Samstags-taz (Gerhard Dilger) informiert: In einem "polemischen" Kommentar hatte sich die Zeitung mit verschiedenen Praktiken des Präsidenten kritisch auseinandergesetzt und diesen wiederholt als "Diktator" bezeichnet. "Reporter ohne Grenzen" spreche von einem "Frontalangriff auf die Pressefreiheit".

Das Vorgehen des Staatschefs gegen die Oppositionszeitung kommentiert Gerhard Dilger (Samstags-taz) und prangert dabei u.a. rechtsstaatliche Missstände im Strafverfahren an.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.)

lto/dc

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. Juli : Kritik an Bundesjustizministerin – Klage gegen Bundesregierung – Kapitaler Anlagebetrug . In: Legal Tribune Online, 25.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3844/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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