Die juristische Presseschau vom 20.Oktober 2011: Neue Verfassung – Mehr Überwachung – Wenig Richtervorbehalt

20.10.2011

In den Medien geht es heute um Grundsatzfragen: Könnte Deutschland Teil eines europäischen Bundesstaates werden? Und wie bekommt man eine neue Verfassung? Außerdem in der Presseschau: die Debatte um die Online-Überwachung, der missachtete Richtervorbehalt, der 150. Todestag von Savigny und vieles andere.

Europäische Verfassung: Vor dem EU-Gipfel am Wochenende geht es um Grundsätzliches. "Der EU stehen harte Auseinandersetzungen um ihren Grundlagenvertrag bevor", schreibt das Handelsblatt (Ruth Berschens), das die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedsstaaten darstellt.

Werner Mussler (FAZ) kommentiert die Aussagen von Finanzminister Wolfgang Schäuble, wonach es "in Richtung einer Fiskalunion" gehen soll. Damit könnten zunächst verschiedene Schritte gemeint sein, so die Aufwertung des Währungskommissars, die Einschaltung des Europäischen Gerichtshofes oder der Eingriff in die Haushaltsrechte der Mitgliedstaaten, überlegt Mussler.

Was aber, wenn die europäische Integration so weit fortschreitet, dass sie vom Grundgesetz nicht mehr gedeckt ist? "Die Stunde der größten (Finanz-)Not könnte so zur großen Stunde einer neuen Verfassung werden", meint der Würzburger Staatsrechtslehrer Horst Dreier in der Zeit. So sehe die Schlussbestimmung des Grundgesetzes "die Möglichkeit vor, auf nichtrevolutionärem Wege eine neue Verfassung zu schaffen". Dafür gebe es zwei Wege: einen Konvent zur Verfassungsgebung mit anschließendem Volksentscheid oder die Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung.

Karlsruhe sei hier jedenfalls keine Hilfe, meint sein Berliner Kollege Christoph Möllers auf der "Staat und Recht" Seite der FAZ. Das Bundesverfassungsgericht verfüge "nicht über die verfassungsgebende Gewalt des Volkes". Allerdings sei für weitreichende Entscheidungen wie die Euro-Bonds auch kein Volksentscheid nötig. Über Änderungen der EU-Verträge könnten Bundestag und Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit entscheiden.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Online-Überwachung: Die Debatte um die Verwendung von Überwachungssoftware hält an. Die FAZ (Peter Carstens) fasst die gestrige aktuelle Stunde des Bundestages zum Thema zusammen. Über Forderungen nach einer unabhängigen Prüfungsstelle für Staatstrojaner berichtet welt.de (Martin Lutz und Claudia Ehrenstein).

Derweil hat auch Sachsen hat die Verwendung von Späh-Software zur Überwachung von Kommunikation im Internet verwendet, so die SZ (Christiane Kohl). Dabei habe es sich jedoch nicht um den kürzlich entdeckten "Staatstrojaner" gehandelt.

Die taz (Christian Rath) geht der Frage nach, ob Skype-Telefonate auch ohne Zugriff auf private Computer abgehört werden können. Der Chaos Computer Club und Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hatten erklärt, es könne über eine Schnittstelle in Luxemburg auf Skype-Gespräche zugegriffen werden. Die luxemburgische Justiz bestreite dies jedoch.

Integrationsgesetz: Nordrhein-Westfalen soll ein Integrationsgesetz bekommen, das Migrantinnen und Migranten mehr Teilhabe gewährleisten soll. Die taz (Andreas Wyputta) stellt den Gesetzentwurf vor.

Weitere Themen - Justiz

BAG zu Schwerbehinderten: Das Bundesarbeitsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung betont, dass Arbeitgeber  prüfen müssen, ob eine freie Stelle für schwerbehinderte Menschen in Betracht kommt. Das Urteil und seine Folgen für die Praxis erläutert André Niedostadek auf lto.de.

Richtervorbehalt: Um den Sinn und Unsinn des Richtervorbehalts geht es in zwei Beiträgen. Carsten Krumm (blog.beck.de) weist auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofes vom August hin, in dem die Richter ein Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt annahmen. Die Polizei hatte absichtlich gewartet, bis der richterliche Eildienst nicht mehr erreichbar war und statt dessen die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung anordnen konnte. Udo Vetter (lawblog.de) schildert einen anderen Fall. Demnach genehmigte eine Amtsrichterin die Abfrage von Handydaten in einem Betrugsfall, in dem es um einen Schaden von 696 Euro ging. Vetter hält die rechtlichen Voraussetzungen für nicht erfüllt und kommentiert bissig: "Bei so einer Arbeitsweise oder derart gering ausgeprägtem Skrupel vor dem Gesetz kann man sich den Richter auch sparen."

Vorwürfe gegen Diplomaten: Die taz (Manuela Heim) begleitet weiterhin den Fall einer Hausangestellte gegen einen saudischen Diplomaten, der sie ohne Lohn beschäftigt hat. Im Vorfeld des Prozesses hätten sich nun weitere Betroffene gemeldet, die ebenfalls bei Diplomaten beschäftigt waren und einen zu geringen Lohn erhielten bzw. Misshandlungen ausgesetzt waren.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Sterbehilfe und Organentnahme: Martina Keller schildert im Dossier der Zeit einen Fall der Sterbehilfe in Belgien. Der sei eine "Weltpremiere", weil die Ärzte nicht nur den Tod der Patientin aktiv herbeiführten, sondern ihr auf ihren Wunsch auch Organe entnahmen.

Kurnaz vs. Bush: Der frühere Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz will George W. Bush wegen Verstoßes gegen die Anti-Folter-Konvention verklagen, das meldet spiegel.de. Die Klage soll heute in Kanada eingereicht werden, wo der ehemalige US-Präsident gleichzeitig zu einem Besuch erwartet wird.

Weitere Themen – Sonstiges

Friedrich Carl von Savigny: Zum 150. Todestag Friedrich Carl von Savignys gibt es ein Porträt in der Zeit. Benjamin Lahusen schildert das Leben und das Werk des Juristen, der selbst einmal geäußert habe, " ein Kant in der Rechtswissenschaft" werden zu wollen.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ak

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20.Oktober 2011: Neue Verfassung – Mehr Überwachung – Wenig Richtervorbehalt . In: Legal Tribune Online, 20.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4603/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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