BGH-Haftbeschlüsse zu Reichsbürgern: Jura-Kar­tei­k­arten und Ziel­fern­rohr für den Staats­st­reich

von Dr. Markus Sehl und Leonie Ott, LL.M.

31.07.2023

Heimliche Handyvideos, Revolver und die preußische Verfassung: Gerichtsdokumente geben neue Einblicke in die Umsturzplänen der Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß, zu der mutmaßlich auch die Richterin Malsack-Winkemann und ein Anwalt gehören.

Im Morgengrauen Anfang Dezember 2022 hatten mehrere Tausend Polizisten in ganz Deutschland Reichsbürger festgenommen, die einen gewaltsamen Umsturz am "Tag X" geplant haben sollen. Ein Prinz, eine Richterin, ein Anwalt und meherere ehemalige Soldaten waren unter den Festgenommenen. Die Vorwürfe klingen unheimlich und bisweilen unglaublich. Seit dieser Groß-Razzia im Dezember 2022 sitzen die mutmaßlichen Verschwörer nun in Untersuchungshaft.

Wegen der gemäß §§ 122, 123 Strafprozessordnung (StPO) nach sechs Monaten vorgesehenen Haftprüfung musste nun der 3. Strafsenat des Bundesgerichthofs (BGH) über die Fortdauer der Untersuchungshaft entscheiden - und er hatte einiges zu tun: insgesamt, in Portionen über drei Tage verteilt, veröffentlichte er seine Entscheidungen zu den 22 Fällen. Die Beschlüsse sind nun einsehbar und geben Einblick in neue Details und zum Teil Fortschritte bei den Ermittlungen gegen die Gruppe.

Dabei hält der Senat den folgenden Sachverhalt für hochwahrscheinlich: "Die Beschuldigten, die der sogenannten Reichsbürger- und QAnon-Bewegung angehörten, schlossen sich zu einer auf längere Dauer angelegten Organisation zusammen, die sich zum Ziel setzte, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland insbesondere durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten zu überwinden sowie durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen."

Der Führungszirkel der Vereinigung habe das gewaltsame Eindringen einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude geplant, so der BGH. Es sei beabsichtigt gewesen, Abgeordnete, Kabinettsmitglieder und deren Mitarbeiter verhaften und abzuführen zu lassen. "Trotz des teilweise fernliegenden gedanklichen Fundaments wiesen die Handlungen, von denen im Sinne eines dringenden Tatverdachts auszugehen ist, den zur Tatbestandserfüllung erforderlichen spezifischen Gefährlichkeitsgrad auf", bilanziert der BGH-Senat in den Beschlüssen.

Ex-AfD-Abgeordnete und Ex-Richterin mit Büchse samt Zielfernrohr

Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und vorläufig des Dienstes enthobene Richterin Birgit Malsack-Winkemann hat laut dem Beschluss (Beschl. v. 11.07.2023, Az. AK 46/23) "die ihr zur Last gelegten Beteiligungshandlungen in objektiver Hinsicht im Wesentlichen eingeräumt." Der Vorwurf bezieht sich auf die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gemäß §129 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB). In dieser Norm geht es um die Gründung einer Organisation, deren Zweck unter anderem die Begehung von Mord oder Totschlag ist.

"Sie hat insbesondere bestätigt, Mitglied des Rates und dort für das Justizresort zuständig gewesen zu sein, [...] Rekrutierungsversuche unternommen und bei zwei Gelegenheiten mehrere Mitbeschuldigte durch das Reichstagsgebäude geführt zu haben, wobei diese Fotos und Videos gefertigt hätten."

Chatnachricht: Auf der Regierungsbank, "da sitzen sie dann geschlossen"

Die terroristische Zwecksetzung der Gruppe und Kenntnis von dem geplanten Angriff auf den Bundestag hat die beschuldigte Richterin zwar bestritten. Im Widerspruch dazu stehen aber laut BGH-Senat die Chats der Beschuldigten Malsack-Winkeman, die zeigen, dass sie Informationen aus dem Bundestag an Mitbeschuldigte sendete, damit diese "genau im Bild" seien und "planen" könnten. 

Der Senat sieht es deshalb als hochwahrscheinlich an, dass die Beschuldigte Kenntnis von dem Plan zu einem bewaffneten Eindringen in das Reichstagsgebäude hatte und in diesbezügliche Planungen eingebunden war. So schrieb die ehemalige AfD-Abgeordnete beispielsweise an einen Mitbeschuldigten: "Die Führungscrew sitzt übrigens bei den BT-Sitzungen auf der Regierungsbank. Wenn man auf das Rednerpult schaut, auf der linken Seite. Da sitzen sie dann geschlossen."

Die Auswertung des Mobiltelefons der Beschuldigten belege darüber hinaus die von ihr an einige Mitstreiter weitergeleiteten Tagesordnungen und Übersichten zu Sitzungswochen des Deutschen Bundestages, so der Senat. Bei ihr wurden außerdem ein Revolver und eine halbautomatische Selbstladebüchse mit Zielfernrohr sowie etwa 7.000 Patronen gefunden. Sie soll sich spätestens im April 2022 der Gruppe angeschlossen haben.

Die Fluchtgefahr wird unter anderem mit einem überwachten Telefonat mit einem Mitbeschuldigten begründet, in dem sie im Voraus mögliche Rückzugsorte erörtert habe. Sie bleibt damit in Untersuchungshaft.

Rechtsanwalt studierte die preußischen Verfassung für die Zeit nach dem Umsturz

Auch ein mitbeschuldigter Anwalt aus Hannover bleibt in Untersuchungshaft. Laut der Entscheidung des BGH (Beschl. v. 12.07.2023, Az. AK 24/23) war der Rechtsanwalt Tim Paul G. nach dem Umsturz als "Außenminister" vorgesehen und sollte nach Überwindung der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland als Repräsentant der nachfolgenden Staatsform Verträge mit anderen Staaten schließen. Dem Beschluss zufolge stellte der Anwalt einen Kontakt zu einer Mitbeschuldigten her, die daraufhin als "Völkerrechtlerin" in die Gruppierung aufgenommen wurde. Sie unterstützte die Gruppe bei den Planungen zur Neuorganisation des Staates. Er soll laut BGH-Beschluss seit Mai 2022 zu der Gruppe gestoßen sein und zuvor nicht nur als Rechtsanwalt, sondern auch als IT-Unternehmer gearbeitet haben.

Der BGH-Senat zeigt sich von Ermittlungen überzeugt, die zeigen sollen, dass G. in die Reichsbürgerszene "eng eingebunden und vernetzt ist" - was unter anderem eine Gefahr von Flucht und Untertauchen bedeuten könne.

Bei dem Beschuldigten seien gedruckte Präsentationen zu den Themen "Außenamt - Aufgaben, Ziele, Tätigkeitsbereiche", "Abschluss völkerrechtlicher Verträge", "Außenamt - Ziele und Engagement" und "Wie wird Deutschland in der Welt gesehen" aufgefunden worden. Außerdem zeigten Karteikarten und handschriftliche Notizen, dass der Anwalt sich mit der Preußischen Verfassung beschäftigte, so der BGH. Dabei ginge es um die Umstrukturierung der Legislative und Judikative nach dem Umsturz.

Zitiervorschlag

BGH-Haftbeschlüsse zu Reichsbürgern: Jura-Karteikarten und Zielfernrohr für den Staatsstreich . In: Legal Tribune Online, 31.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52381/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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