Juristen kennen ihn alle aus dem Studium: Den Siriusfall. Jetzt deckt eine ARD-Recherche weitere mysteriöse Todesfälle im Umfeld des Täters auf. Entstanden ist eine unglaubliche Podcast- und Doku-Serie, meint Katharina Reisch.
Als ich "Fred vom Sirius" das erste Mal begegnete, war es für April viel zu heiß. Die verheißungsvollen Vorboten eines mächtigen Sommers lagen in der Luft, als das zweite Semester begann. Ich saß im fensterlosen Hörsaal einer Universität irgendwo in Deutschland und während der Professor sprach, schaute ich nach draußen; raus in die Welt jener wilden Geschichten, die nur das Leben schreiben kann; denn in der Vorlesung ging es um zwei strafrechtliche Klassiker, den Katzenkönig- und den Siriusfall.
Es sind Fälle, die Rechtsgeschichte geschrieben haben – nicht zuletzt deshalb, weil ihnen haarsträubende Sachverhalte zugrunde liegen. Die ARD verhilft nun dem Siriusfall mit einer erstaunlichen Investigativ-Recherche zu neuer Aktualität. Sie zeigt, dass "Fred vom Sirius" wohl ein perfider Serientäter war.
Sirius-Recap: Was bisher geschah
Aber beginnen wir einmal ganz vorne, mit dem, was bisher geschah:
Die zentrale Figur im Siriusfall ist Fred Gaster. Er ist der Prototyp eines Hochstaplers: Selbstsicher und wortgewandt, ebenso charmant wie manipulativ; einer, der weiß, wie man die Sehnsüchte von Menschen bedient. Er interessiert sich für Hypnose und Parapsychologie, experimentiert mit Drogen und sucht nach Verbindungen ins Jenseits.
Im Baden-Baden der 70er Jahre lernt der damals 32-Jährige in einem Club sein späteres Opfer kennen, die alleinstehende 28-Jährige Sekretärin Heidrun T. Fred wird ihr Lebensberater und Heidrun vertraut ihm blind. Sie hinterfragt ihn nicht, als Fred ihr offenbart, er sei "ein Bewohner des Sterns Sirius" und könne ihr daher auf mystische Weise ein besseres und erfolgreiches Leben verschaffen. Hierfür benötige es nichts weiter als die Zahlung eines beträchtlichen "Startkapitals" für den hierbei unterstützenden Mönch Uliko, den Abschluss einer Lebensversicherung zu Freds Gunsten und natürlich die Beendigung von Heidruns irdischer Existenz. Dafür lässt sie wie mit Fred besprochen heißes Wasser in ihre Badewanne und legt sich hinein. Auf sein Kommando schaltet sie den extra dafür gekauften Fön ein und lässt ihn ins Wasser fallen. Seinem detaillierten Plan folgend hatte sie zuvor viele Vorkehrungen getroffen, die das Geschehen wie einen Unfall und gerade nicht wie einen Suizid aussehen lassen. Doch die mangelnde Erdung der Badewanne verhindert den Tod der jungen Frau. Heidrun überlebt, ohne um die Todesgefahr zu wissen.
Siriusfall juristisch geklärt
In die Lehrbücher ging der Fall schließlich aufgrund einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) ein. Mit Urteil vom 5. Juli 1983 (Urt. v. 05.07.1983, Az. 1 StR 168/83) bestätigte er die erstinstanzliche Verurteilung von Fred Gaster zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren wegen (unter anderem) versuchten Mordes und Betrugs. Die Entscheidung dient in der juristischen Ausbildung dazu, die Abgrenzung von strafbarer Tötung in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) und straffreier Teilnahme am Suizid zu erörtern. Der BGH bejahte außerdem explizit den Schutz der um viel Geld betrogenen Frau durch § 263 StGB, und zwar ganz unabhängig davon wie unfassbar leichtgläubig sie war. Seither gilt: Das Strafrecht schützt auch den "exquisit Dummen" (Samson, JA 1978, 472 f.).
Juristisch ist der Fall also geklärt und das Kapitel "Sirius" schon seit vielen Jahren geschlossen.
ARD rollt Siriusfall neu auf
Oder auch nicht. Dass noch immer viele Hintergründe des Siriusfalles ungeklärt sind, zeigte sich 2022. Als der frühere Vorsitzende des zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof Thomas Fischer und der ARD-Sicherheitsexperte Holger Schmidt in ihrem True-Crime Podcast "Sprechen wir über Mord" den Siriusfall besprachen, stießen sie auf erste Hinweise zu weiteren ungeklärten Todesfällen im Umfeld des Siriustäters. Danach dauerte es nicht lange, bis die ARD eine aufwändige Recherche startete. Holger Schmidt und seine Kollegin Marie-Claire Schneider, Dokumentarin im SWR-Archiv in Baden-Baden, rollen den Fall neu auf.
Im nun erschienenen Podcast "Mord vom anderen Stern – Die Toten des Sirius" und der Doku-Serie "Tödliche Verführung – Das Geheimnis des Sirius-Mörders" beleuchten sie das Umfeld des Sirius-Täters und erhellen die Hintergründe seiner Tat(en).
"Die Leute sind gestorben, weil sie Fred Gaster kennengelernt haben"
Die Doku läuft noch keine zwei Minuten, als Marie-Claire Schneider deutliche Worte findet: "Die Leute sind gestorben, weil sie Fred Gaster kennengelernt haben". Sie glaubt, dass "Fred vom Sirius" ein Serienmörder war. In den folgenden drei Episoden begleiten wir sie und Holger Schmidt bei ihrer unglaublichen Spurensuche und merken schnell: An Fred Gaster war nicht nur die Story vom Planeten Sirius seltsam.
Wir blicken gemeinsam ihnen hinter die Fassade seiner weißen Villa in Baden-Baden, greifen mit Holger Schmidt ganz tief in die journalistische Trickkiste und staunen über das Insiderwissen seines Friseurs. Wir forschen mit Marie-Claire Schneider in den hintersten Winkeln diverser Archive, wühlen mit ihr zahllose Zeitungsartikel durch; sehen, wie immer mehr Namen und weit verzweigte Querverbindungen zutage gefördert werden; wir sind dabei, als sie eine alte Talkshow-Aufnahme von Heidrun T., der Frau aus der Badewanne, ausgraben. Wir besichtigen mit ihnen den Originaltatort, gehen in das Haus, in dem sich einst die berühmte Sirius-Badewanne befand und fahren fast 700 Km quer durch Deutschland, um mit Heidrun über ihre abenteuerliche Geschichte zu sprechen.
"Ich war quasi das Alibi"
Zum ersten Mal treten diejenigen Menschen vor die Kamera, die damals live dabei waren. Holger Schmidt und Marie-Claire Schneider sprechen etwa mit der Frau, die an jenem rätselhaften Abend bei Fred Gaster zuhause war. Sie war dabei, als er Heidrun befahl, den Fön in die Badewanne zu werfen. Ihre Rolle im Siriusfall beschreibt sie so: "Ich war quasi das Alibi." Sie interviewen alte Freundinnen von Freds unter fragwürdigen Umständen verstorbener Ehefrau, treffen den Richter hinter dem Sirius-Urteil und sie befragen eine Expertin für Hypnotherapie zu den Grenzen dessen, wozu man Menschen mittels Hypnose bringen kann. Sie lassen ehemalige Ermittlerinnen und Ermittler zu Wort kommen, denen der Siriusfall bis heute keine Ruhe lässt. Mit Rainer Griesbaum gewinnen sie schließlich einen Verbündeten. Er ist Bundesanwalt am BGH a.D., jagte als stellvertretender Generalbundesanwalt einst die RAF und kam damals auch mit dem Siriusfall in Berührung. In einem aktuellen NJW-Aufsatz schildern er und Holger Schmidt die ganze "Reihe von […] Merkwürdigkeiten", die sie gemeinsam offenlegen konnten.
"Das mit Heike ist irgendwie seltsam"
Die groß angelegte Recherche konnte nämlich sukzessive weitere mysteriöse Todesfälle im Umfeld des Siriustäters aufdecken. In der Doku und im Podcast erzählen die Journalist:innen die bewegenden Geschichten von Menschen, deren seltsame Todesumstände im Schatten des skurrilen Siriusfalles kaum Beachtung fanden.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Angela, die auf gerader Strecke bei bestem Wetter gegen einen Baum fährt, kurz nachdem sie Fred getroffen hat; von Margarete, die auf einem Billardtisch in Flammen aufgeht, während draußen Freds markant röhrender Porsche davonfährt. Sie verstirbt kurz darauf bei einer gemeinsamen Amsterdam-Reise an einer Überdosis. Da ist die Geschichte von Hans-Georg, der an einer Überdosis irgendwelcher Substanzen stirbt, kurz nachdem Fred sie ihm gegeben hat; von Michael, der bei einem Autounfall stirbt, über den wir nur wissen, dass danach gegen Fred Gaster ermittelt wurde.
Und sie erzählen vom unerklärlichen Suizid seiner Ehefrau Heike. Sie hat sich nur vier Wochen vor dem Badewannengeschehen zuhause auf dem Sofa erschossen. Die Leute reden, die Staatsanwaltschaft ermittelt und man ist sich einig: "Das mit Heike ist irgendwie seltsam". Doch ein Tötungsdelikt kann man Fred Gaster nicht nachweisen. Die Todesermittlungsakte ist inzwischen vernichtet. Zum plötzlichen Tod seiner Frau bleiben bis heute mehr Fragen als Antworten.
Klar ist aber: Zwischen 1976 und 1979 gab es jedes Jahr einen ominösen Todesfall in Fred Gasters Umfeld. Heidrun T. hätte die sechste Tote in weniger als drei Jahren sein können.
Finding Fred: Jagd auf ein Phantom
Mit jeder Podcast- bzw. Doku-Episode festigt sich der ungeheuerliche Verdacht: Fred Gaster scheint ein Serientäter gewesen zu sein. Marie-Claire Schneider und Holger Schmidt glauben, dass es reicht; dass sie genug für ein neues Ermittlungsverfahren zusammengetragen haben. Denn Mord verjährt nicht. Es kann auch über 40 Jahre später noch einmal gegen Fred Gaster ermittelt werden. Und damit rückt eine drängende Frage in den Mittelpunkt der Recherchen: Wo steckt er eigentlich? Mitte der 90er-Jahre verliert sich seine Spur. Doch die Journalist:innen sind ihm auf den Fersen. Sie machen Jagd auf das Phantom "Fred vom Sirius". Wer sie dabei begleiten und ganz nebenbei den berühmten Siriusfall noch einmal ganz neu kennenlernen möchte, sollte unbedingt in diese unglaubliche ARD-Recherche reinschauen und -hören.
Dipl. Jur. Katharina Reisch promoviert am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Katrin Höffler und ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Kriminalwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen.
Neues vom Planeten Sirius: . In: Legal Tribune Online, 03.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52831 (abgerufen am: 11.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag