Reform der juristischen Ausbildung

Kommt da noch was, liebe JuMiKo?

Gastkommentar von Dr. Jana Schollmeier und Arne P. Wegner und Sophie DahmenLesedauer: 6 Minuten

Auf ihrer Herbstkonferenz schwiegen die Justizminister zur juristischen Ausbildung – entgegen ihrer Erklärung, für eine Diskussion offen zu sein. Dabei brauchen wir den Diskurs insbesondere angesichts der Personalnot in der Justiz dringend.

Ob sich die Justizminister und -ministerinnen schon an die erhöhte Aufmerksamkeit gewöhnt haben? Seit Veröffentlichung der​​ iur.reform-Studie werden die Justizministerkonferenzen (JuMiKo) vom juristischen Nachwuchs genau beobachtet – und das mitunter auch aus nächster Nähe, wie die ​Demonstrationen seitens des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. zeigen. 

Allerdings erteilte die JuMiKo all den Vorschlägen, Impulsen und Forderungen, die in fachlichen Beiträgen, Symposien oder Demonstrationen vorgetragen wurden, eine pauschale Absage: Auf ihrer Frühjahrskonferenz am 5. Juni 2024 fassten sie den Beschluss, dass "grundlegender Reformbedarf" in der juristischen Ausbildung nicht bestehe.

Das sorgte in der juristischen Fachwelt für viel und mitunter scharfe Kritik. Ein von iur.reform initiierter offener Brief, der in kürzester Zeit von über 1.600 Personen und Organisationen unterzeichnet wurde, beschrieb den Beschluss etwa als "realitätsfern" und als "anachronistische Feststellung". Auch die Berufsverbände kritisierten den Beschluss mit Nachdruck. Der Deutsche Anwaltverein etwa forderte explizit ​ein Umdenken der Politik: Der Beschluss der JuMiKo ignoriere die Sorgen und Bedürfnisse des Nachwuchses, aber auch der Berufsverbände. Und sogar aus der Politik selbst gab es Kritik, wie die Justizminister und -ministerinnen zu dieser Einschätzung gelangen konnten. ​​So erklärte beispielsweise ein Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses gegenüber der Justizsenatorin der eigenen Koalition, dass er den Beschluss als Affront empfand

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"Diskussion eröffnen": JuMiKo rudert zurück

Die Justizminister und -ministerinnen sahen sich angesichts dieser Kritik zu einer ​gemeinsamen Stellungnahme gegenüber der FAZ am 9. Juli 2024 veranlasst und teilten dort mit, dass sie mit ihrem Beschluss eine "Diskussion eröffnen" wollten.

Man könnte es nun originell finden, dass die Justizminister und -ministerinnen eine Diskussion anstoßen wollen, indem sie einen Reformbedarf gerade nicht anerkennen – wenn diese Aussage nicht gleichzeitig eine gewisse Blindheit gegenüber den Bemühungen von Teilen der Rechtswissenschaft, der Praxis sowie von Verbänden um eine bessere juristische Ausbildung zum Ausdruck bringen würde. Diese haben die Diskussion längst eröffnet; es gibt zahlreiche Vorschläge. Etwa das Hamburger Protokoll, das Leiterinnen und -leiter verschiedener juristischer Fakultäten sowie weitere Vertreterinnen und Vertreter ebendieser aus ganz Deutschland erarbeitet haben und das vier Kernforderungen enthält: die Reduktion des Pflichtfachstoffs, die Einführung eines integrierten Bachelors, die Schaffung von Ansprechstellen zur Konfliktvermeidung sowie ein Monitoring der Ausbildungsziele. Oder zahlreiche andere Stellungnahmen und Beiträgen, wie jüngst etwa das ​Symposium "Das Jurastudium in der Kritik". Oder auch das ​​iur.reform-Sofortprogramm, das schnell umsetzbare Maßnahmen zur Reform der juristischen Ausbildung aufzeigt

Konkrete Diskussionsvorschläge liegen längst auf dem Tisch; Reformansätze sind benannt. Damit befasst oder sich auseinandergesetzt haben sich die Justizminister und -ministerinnen bislang jedoch nicht. 

"Entscheidend ist, was hinten rauskommt"

Nun ist in der Politik​ ​– um es mit den Worten Helmut Kohls zu sagen – entscheidend, "was hinten rauskommt". Insofern überwog angesichts der JuMiKo-Stellungnahme gegenüber der FAZ die Hoffnung, dass sie nun mit Wissenschaft, Praxis und Verbänden in den Dialog tritt – und zwar nicht, um länger über den durch Studien belegten Reformbedarf zu streiten, sondern um konkrete Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Wer die Stellungnahme gegenüber der FAZ ernst genommen hat, durfte erwarten, dass die Justizminister und -ministerinnen die vergangene Woche anberaumte Herbstkonferenz nutzen würden, um klarzustellen, dass und wo auch aus ihrer Sicht Reformbedarf besteht. Die Hoffnung wurde auch dadurch genährt, dass die Justizminister und -ministerinnen ​​im Frühjahr festhielten, dass "die Nachwuchsgewinnung […] zu den zentralen Zukunftsthemen und Herausforderungen der Justiz" zähle und deshalb eine "Rechtsstaatskampagne" zur Nachwuchsgewinnung erforderlich sei.

Leider waren diese Erwartungen unbegründet: Die JuMiKo ließ ihren Worten Ende vergangener Woche keine Taten folgen. Auf der Herbstkonferenz spielte die juristische Ausbildung schlicht keine Rolle. Nachwuchsgewinnung war nur im Rahmen der erwähnten Rechtsstaatskampagne Thema. Sonst war da: nichts.

Echte Veränderungen statt kosmetischer Kampagnen 

Diese Prioritätensetzung der Justizminister und -ministerinnen kann man ebenfalls originell finden. An einem Jurastudium Interessierten, Jurastudierenden und Referendarinnen und Referendaren dürfte die Bedeutung der Justiz für den Rechtsstaat durchaus klar sein. Für viele ist der Beruf der Richterin, des Staatsanwalts oder der Anwältin ein Traumberuf. Der Weg dorthin wird von vielen allerdings als derart belastend empfunden, dass rund zwei Drittel der Absolventinnen und Absolventen das Jurastudium nicht weiterempfehlen würden und jedes Jahr eine nicht geringe Zahl an Absolventinnen und Absolventen das Referendariat gar nicht erst antritt.

Die aktuelle Ausbildung hält damit viele davon ab, die Befähigung zum Richteramt zu erwerben und den Start in die Justiz zu wagen. Eine Reform der juristischen Ausbildung wäre deshalb ein echter Beitrag zur Verbesserung der Nachwuchssituation.

Nichthandeln ist eine Gefahr für den Rechtsstaat

Es geht dabei um nicht weniger als die Funktions- und Zukunftsfähigkeit unseres Rechtsstaats: "226.000 unerledigte Ermittlungsverfahren", "Wegen Personalmangel: NRW-Justiz lässt tausende Raser straffrei laufen", "Arbeitsüberlastung im Gericht: Warum die Justiz alt aussieht" – solche Schlagzeilen liest man allenthalben. Sie machen die Realität an deutschen Gerichten sichtbar: unbesetzte Stellen, ausgebrannte Richterinnen und Staatsanwälte, frustrierte Anwältinnen und Bürger. Der Verfahrensstau an deutschen Gerichten verbrennt Geld, Zeit und pulverisiert darüber hinaus das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz, etwa wenn mutmaßliche Straftäter allein aufgrund einer überlangen Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen.  

Der Nachwuchsmangel in den juristischen Berufen wird zu einer Gefahr für den Rechtsstaat – das sieht die JuMiKo selbst so, wie ihr Beschluss zur Rechtsstaatskampagne zeigt. Und dieser Nachwuchsmangel wird durch die Unattraktivität der Ausbildung verschärft. 

Es erstaunt deshalb, dass sich der noch vorhandene Nachwuchs ernsthaftere Gedanken darum zu machen scheint, wie der Nachwuchsmangel und seine Auswirkungen auf unseren Rechtsstaat effektiv behoben werden können, als die qua Amt hierfür zuständigen Minister und Ministerinnen. 

JuMiKo darf Nachwuchs und Ehrenamt nicht allein lassen

Es ist der juristische Nachwuchs, der den Reformbedarf in ehrenamtlicher Arbeit und ohne öffentliche finanzielle Unterstützung systematisch erfasst hat und fortdauernd Anachronismen in der juristischen Ausbildung benennt, die bloße Belastung sind und das Ausbildungsziel nicht fördern – während die JuMiKo übrigens ein Gutachten zur Grundlage ihres so weitreichenden Beschlusses gemacht hat, das an eklatanten methodischen Mängeln leidet und sozialwissenschaftlichen Standards nicht entspricht. 

Es sind der Nachwuchs und viele andere Engagierte, die immer wieder eine Diskussion anstoßen, welche Kompetenzen den Juristinnen und Juristen von morgen vermittelt werden müssen, damit sie ihren verantwortungsvollen Aufgaben auch künftig gerecht werden können – insbesondere auch angesichts der zunehmenden Digitalisierung sowie dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz auch in juristischen Kontexten. 

An Herausforderungen und offenen Fragen mangelt es hinsichtlich einer Reform der juristischen Ausbildung also nicht. Auch hier wurde seitens des juristischen Nachwuchses mit ​Loccum 2.0. ein Konzept vorgelegt, wie es gelingen kann, diese Fragen Schritt für Schritt anzugehen und gemeinsam fundierte Antworten zu entwickeln. Viele andere Akteure – wie etwa die kürzlich ​neu gegründete Gesellschaft für Didaktik in der Rechtswissenschaft – verfolgen das gleiche Ziel und könnten die Reformdiskussion kompetent voranbringen. Voraussetzung für einen Fortschritt in der Debatte ist jedoch, dass die Justizminister und -ministerinnen den Reformbedarf endlich anerkennen und nun auch konstruktiv an der Diskussion mitwirken, die sie laut ihren eigenen Worten angeblich eröffnen wollten.  

In diesem Sinne, liebe Justizministerinnen und Justizminister: Kommt da noch was?

Dr. Jana Schollmeier ist nach Stationen in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz und dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen künftig in der Justiz im Land Berlin tätig. Sie engagiert sich unter anderem bei der Initiative iur.reform, die vom Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung e. V. getragen wird.

Arne P. Wegner, Rechtsanwalt, LL.B., B.Sc. (Psych.), C.D.T (Genève), Stabsoffizier d. R., ist nach Stationen im Kanzleramt und in der EU-Kommission nun Doktorand im Europa- und Völkerrecht an der Sorbonne und Mitglied im Verein Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung.

Sophie Dahmen ist Volljuristin und Mediatorin. Sie hat das Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung mitgegründet und ist Vorsitzende des Vereins.

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