Erste umfassende Studie

So groß ist die Unzu­frie­den­heit mit der juris­ti­schen Aus­bil­dung

von Luisa BergerLesedauer: 6 Minuten

Es ist die bislang größte Studie zur Reform der juristischen Ausbildung mit über 10.000 Teilnehmer:innen aus Studium, Referendariat und Prüfungspraxis. LTO liegen die Ergebnisse vorab vor – und die zeigen: es wird Zeit, dass sich etwas ändert. 

Seit 150 Jahren hat sich an der Grundstruktur der juristischen Ausbildung wenig geändert. Und das, obwohl es an Gründen für ein Umdenken nicht mangelte, angehende Jurist:innen klagen seit Langem über den mühsamen Werdegang. Unzufriedenheit macht sich auch bereits in der Praxis bemerkbar: Der Justiz und Anwaltskanzleien fehlt es an Nachwuchs. Der Eindruck, dass sich etwas ändern muss, erhärtet sich. Was aber fehlte: Eine umfassende empirische Grundlage – bis jetzt.

Mit einer mehr als 800 Seiten starken Studie hat das Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung e.V. über einen Zeitraum von sechs Monaten insgesamt 11.842 Teilnehmende zu ihrer Meinung über die Bedingungen der juristischen Ausbildung befragt. Neben Studierenden und Rechtsreferendar:innen nahmen an der sog. iur.reform -Studie auch praktizierende Jurist:innen wie Richter:innen oder Mitarbeitende der juristischen Prüfungsämter (JPA) –an der Umfrage teil. So wurden Lernende, Lehrende und Praktizierende eingebunden, um zu ermitteln, in welchen Punkten sich die Teilnehmenden einig sind und wo Differenzen bestehen. Mit gut 43 Prozent stellten die Studierenden die größte Gruppe der befragten Teilnehmer:innen dar. Anhand von Diskursen in der Fachliteratur aus den Jahren 2000 bis 2020 hat iur.reform 43 Thesen formuliert und Zustimmung beziehungsweise Ablehnung erfragt. 

Es handelt sich dabei um die größte Studie zur Reform der juristischen Ausbildung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. LTO berichtet vorab über die Ergebnisse. 

Vorweg kann festgehalten werden: 52 Prozent der Befragten sind unzufrieden mit der juristischen Ausbildung in ihrer jetzigen Form. Das bedeutet aber nicht, dass die übrigen 48 Prozent keinen Änderungsbedarf sehen.

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Emotionale Entlastung, bessere Betreuung und weniger Prüfungsstoff

Häufig wird der hohe (psychische) Druck beklagt, der mit der juristischen Ausbildung verbunden ist und der sich durch die jüngsten Entscheidungen der Prüfungsämter nur noch zu verstärken scheint. Das Stimmungsbild der iur.reform Studie zeigt nun ebenfalls: 75,3 Prozent der Teilnehmenden wünschen sich eine emotionale Entlastung der juristischen Ausbildung. Unter den Studierenden sind es sogar 84,6 Prozent. Auffällig ist hierbei der signifikante Unterschied zwischen den Geschlechtern. Während die weiblichen Teilnehmerinnen der These zu 72,3 Prozent voll zustimmten, waren es bei den männlichen Teilnehmern nur 46,4 Prozent. 

Wie die Jurist:innenausbildung konkret entlastet werden könnte, müsste auf Basis dieses Ergebnisses in den Reformbemühungen erarbeitet werden. Mitunter formuliert die Studie aber auch Thesen, die zu einer Verbesserung der Bedingungen beitragen könnten. Beispielsweise stimmten 68,2 Prozent der These zu, dass es eine engere Betreuung der Studierenden bedarf. 67,1 Prozent der Abstimmenden sind zudem der Meinung, dass der Prüfungsstoff der Ersten juristischen Prüfung reduziert werden sollte und 72,6 Prozent finden, dass neue Studiumsinhalte nur dann aufgenommen werden sollten, soweit andere dafür gestrichen werden.*

Überraschenderweise stimmen sogar die Professor:innen der letzten These überwiegend zu (70,6 Prozent). Die JPA-Mitarbeitenden sind hier deutlich zurückhaltender. 30 Prozent stehen der These neutral gegenüber, immerhin 47,1 Prozent befürworteten sie aber auch.

Ebenfalls eine überwiegende Mehrheit von 69,2 Prozent sprachen sich für das bundesweite Abschichten, also die Möglichkeit die Examensklausuren auf mehrere Termine aufzuteilen, aus. Dass auch die Leistungen aus dem Studium, abgesehen von dem Schwerpunkt, mit in die finale Examensnote einfließen sollen, finden 56,4 Prozent. Teilnehmende, die das Examen final nicht bestanden haben, stimmten dieser These sogar zu über 80 Prozent zu. Eine tendenziell ablehnende Haltung zu diesem Ansatz verzeichneten die Abstimmungsergebnisse der Professor:innen (53,7 Prozent lehnten die These ab) und der JPA-Mitarbeitenden (47,2 Prozent).

Nein zu Bologna, Ja zum integrierten Bachelor

Das grundsätzliche Modell der juristischen Ausbildung scheint bei den Vertreter:innen der juristischen Welt insgesamt gut anzukommen. Eine Umstellung auf das Bologna-System, also die Einführung eines Bachelor- und Masterabschlusses anstelle der Examina, wird von 52,1 Prozent abgelehnt, wobei aber immerhin knappe 30 Prozent eine solche grundlegende Umstellung befürworten. Wenig überraschend dürfte sein, dass Studienabbrecher:innen und diejenigen, die das Examen final nicht bestanden haben, eine Umstellung eher befürworten als diejenigen, die das Studium mit einer höheren Notenstufe abgeschlossen haben.

Geht es darum, dass der Bachelor das Staatsexamen nicht ersetzen, sondern ergänzen könnte, sieht es mit der Zustimmung gleich ganz anders aus. 71 Prozent der Abstimmenden sprach sich für die breit diskutierte Einführung eines integrierten Bachelors aus. Unter den Richter:innen und JPA-Mitarbeitenden sind jedoch mehr Befragte gegen als für eine solche Einführung.

Die Teilnehmenden sollten außerdem beantworten, ob sie den Freischuss abschaffen möchten. Darauf folgte ein klares "Nein". 70,6 Prozent möchten am Freischuss festhalten. Auch das Schwerpunktstudium möchten die Mehrheit der Abstimmenden beibehalten. Die These "Der Schwerpunkt sollte abgeschafft werden" wurde von 62,4 Prozent abgelehnt. Die Befragten scheinen demnach mit dem Grundmodell der Jurist:innenausbildung insgesamt zufrieden zu sein.

Wird die juristische Ausbildung digitaler?

Die Studie beinhaltete auch Thesen, die sich thematisch auf die Digitalisierung der Jura-Welt beziehen. Die These "Das 'E-Examen' sollte in allen Bundesländern eingeführt werden" griff die aktuellste Entwicklung auf und wurde mit 67,1 Prozent befürwortet. Zudem wünschen sich 57,1 Prozent, dass Legal Tech ein Bestandteil des Jurastudiums wird.

Für die stärkere Digitalisierung von Ausbildung und Lehre sprechen sich ebenfalls 61,1 Prozent aus. Ob die Prüflinge des ersten Staatsexamens auf Online-Datenbanken zugreifen können sollten, schätzten die Teilnehmenden unterschiedlich ein. Während die ältere Generation dies überwiegend ablehnt, scheinen die jüngeren Teilnehmer:innen dieser Idee offen gegenüberzustehen. 

Ziel ist eine neue Vision der juristischen Ausbildung

Nach der Erhebung dieser Daten, müsse nun die eigentliche Arbeit beginnen, heißt es in der Executive Summary von iur.reform. Die Kampagne schlägt dafür eine Reform in zwei Schritten vor.

Damit erste Änderungen zügig umgesetzt werden können, hat iur.reform ein 6-Punkte-Sofortprogramm aufgestellt. Dieses beinhaltet Thesen, die zum einen von allen Gruppen mit absoluter Mehrheit befürwortet wurden und zum anderen zeitnah umsetzbar sind. Erfasst sind davon unter anderem die Thesen "Die Korrektor:innen sollten die Gutachten der Klausuren ohne Kenntnis und unabhängig der anderen Korrektor:innen bzw. deren Bewertung anfertigen." und "Neben der Klausur und der Vorlesung als übliche Prüfungs- und Unterrichtsform sollten auch andere Formen, z.B. mündliche Prüfungen, Moot Courts oder Seminare zugelassen werden". So könnte die Umfrage bereits nach kurzer Zeit erste Früchte tragen. 

"Unser Sofortprogramm wird die juristische Ausbildung gerechter machen, die körperliche und psychische Belastung für Studierende reduzieren und ihnen mehr der Kompetenzen vermitteln, die in der Berufspraxis unverzichtbar sind.", sagt Til Bußmann-Welsch, stellvertretender Vorsitzender des Bündnisses zur Reform der Juristischen Ausbildung.

Langfristig soll gemeinsam mit den Ergebnissen gearbeitet und eine neue Vision der juristischen Ausbildung geschaffen werden. Hierfür konnten die Teilnehmenden zusätzliche Reformvorschläge, die noch nicht in den Thesen enthalten waren, einreichen. Diese müssten in einem nächsten Schritt ausgewertet werden.

Dass es sich lohnt, auf Missstände aufmerksam zu machen, zeigt sich erfreulicherweise schon an einigen Stellen. So hat der Justizminister aus Rheinland-Pfalz auf die Bedenken der Studierenden bezüglich des angekündigten Markierungsverbots immerhin eine Übergangsregelung angekündigt. Die sächsische Justiz hat überdies erfreulicherweise angekündigt, den Justizminister:innen anlässlich der kommenden Konferenz (Jumiko) am Donnerstag vorzuschlagen, die Streichung der Ruhetage nochmals zu überdenken. Studium, Referendariat und Prüfungen sollen durch Belastungen nicht abschreckend im Wettbewerb um Nachwuchs nicht abschreckend wirken, so steht es einem Entwurfsdokument für die Jumiko, das LTO vorliegt.

iur.reform und der Bundesverband der juristischen Fachschaften haben ebenfalls angekündigt, die Jumiko als Anlass zu nutzen, um ihrer Forderung nach Veränderung Nachdruck zu verleihen. Zu diesem Zweck haben sie zu einer Demonstration vor der Jumiko in Berlin am Donnerstag, 25. Mai, aufgerufen.

Die vollständige Studie ist auf der Webseite von iur.reform einsehbar.

* Wird davon gesprochen, dass einer These zugestimmt wurde, meint das die Summe der Stimmen, die der These vollumfänglich (Stufe 5) oder überwiegend (Stufe 4) zugestimmt haben.

lmb/LTO-Redaktion
 

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