Experten arbeiten an Staatsreform

Wie die Juris­ten­do­mi­nanz die Ver­wal­tung bremst

Gastbeitrag von Quint AlyLesedauer: 5 Minuten

Führungskräfte in der Verwaltung sind häufig Juristen. Das ist laut Wissenschaft ein Problem. Experten arbeiten daher an Ideen, den Staat effektiver zu machen. Die Juristenausbildung sollten wir gleich mit reformieren, meint Quint Aly.

Die SPD "kämpft" für einen "Staat, der besser funktioniert", die Union möchte wieder für "funktionierende Verwaltung in einem funktionierenden Staat" sorgen und die Grünen reichen den "demokratischen und föderalen Partnern" gar die Hand zur "Staatsreform" –  die Wahlprogramme zur Bundestagswahl waren voll von solchen Apellen gegen Bürokratie und für einen handlungsfähigeren Staat.  

Auch über die Wahl hinaus hat das Thema gerade Konjunktur. Die deutsche Industrie- und Handelskammer hat systematischen Bürokratieabbau zum "Top-Thema 2025" ausgerufen, der Deutsche Städtetag fordert von der kommenden Bundesregierung "grundlegende Veränderungen staatlichen Handelns". Zuletzt hat sich auch die ehemalige Verfassungsrichterin Susanne Baer in die Debatte zur Staatsreform eingeschaltet und gefordert, den Staat verstärkt von der Kommune her zu denken.

Und die Rechtswissenschaft? Die wäre gut beraten, sich stärker mit dieser Debatte auseinanderzusetzen, als sie es bisher getan hat. Und das aus gleich zwei Gründen.

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Grund Nr. 1: Viel Unzufriedenheit mit dem Recht

Der erste Grund ist ein offensichtlicher. Ob nun in Gestalt von Gesetzen, Verordnungen oder Verwaltungsakten, unser Staat spricht und handelt vor allem durch Recht. Wenn also von Überbürokratisierung und zu viel Staat gesprochen wird, ist letztendlich eine ausufernde Verrechtlichung der Dinge gemeint. Oder aber, was wohl noch schwerer wiegen dürfte, es ist nicht die Quantität, sondern primär die Qualität des Rechts angesprochen.  

So lässt sich zumindest die "Lebenslagenbefragung" der Bundesregierung lesen, welche seit 2015 die Zufriedenheit von Unternehmen und Bürger:innen mit behördlichen Dienstleistungen untersucht. Der Befund: Über alle Befragungszeitpunkte hinweg sorgt die (geringe) "Verständlichkeit des Rechts" stets für den größten Unmut, bei Bürger:innen und Unternehmen gleichermaßen. Damit kommt das Recht sogar noch schlechter weg als die schleppende Digitalisierung behördlicher Dienstleistungen, welche laut Lebenslagenbefragung erst an zweiter Stelle steht.  

Ob nun zu viel Recht oder zu wenig verständliches Recht: In beiden Fällen ist das täglich Brot von Jurist:innen angesprochen. Da können sich die, die jeden Tag mit dem Recht arbeiten, nicht vor ihrer Verantwortung drücken.

Damit wären wir beim zweiten Grund, warum sich speziell Jurist:innen mit einer möglichen Staatsreform beschäftigen sollten: Eine mögliche Staatsreform schaut sich nämlich auch die Rolle der Jurist:innen an  – und zwar durchaus kritisch.

Grund Nr. 2: Zu viele Juristen in Führungspotitionen der Verwaltung

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muss man sich ansehen, was die Wissenschaft bisher herausgefunden hat. Wer hier zum Thema Staats- und Verwaltungsreform recherchiert, stößt recht schnell auf empirische Studien, welche ein kritisches Licht auf die Rolle von Jurist:innen werfen.  Jurist:innen stellen den mit Abstand größten Teil der Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung. Streckenweise wird dieses Phänomen – im europäischen Vergleich einzigartig – als "Juristendominanz" oder auch "Juristenmonopol" bezeichnet.  

Die angesprochenen Studien aber gehen über diese zunächst wertfreie Feststellung hinaus. Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid beispielsweise, Direktor des "Center for Digital Governance" an der Hertie School, hat 2020 zahlreiche Interviews mit Verwaltungsmitarbeitenden ausgewertet, denen zufolge die ausgeprägte Bedeutung juristischer Sichtweisen auf den Prüfstand gehöre. Seine Forschungskollegin, Prof. Dr. Thurid Hustedt, formulierte bereits 2019 im Rahmen eines Impulsvortrages die Frage, inwiefern die Dominanz von Juristen in der Verwaltung den komplexer werdenden Problemstellungen noch gerecht werde.  

Deutlicher wurden Forschende der Uni Potsdam in einem Beitrag aus 2012. Die empirischen Auswertungen der Forschenden zeigen einen signifikant negativen Effekt eines rechtswissenschaftlichen Studiums auf die spätere Reformbereitschaft von Führungskräften in der Verwaltung. In der Folge fordert der Beitrag, dass Juristenmonopol sei verstärkt infrage zu stellen. Zuletzt stimmte auch eine Studie der "Deutschen Akademie für Technikwissenschaften" in den Chorus ein. Die Studie schließt mit der Empfehlung: "Darüber hinaus wäre es ratsam, der einseitigen Fokussierung auf juristische Qualifikationen entgegenzuwirken".

Ex-Verfassungsrichter Voßkuhle arbeitet am "handlungsfähigen Staat" 

Während also Parteien versprechen, den Staat wieder handlungsfähig zu machen, kommen aus der Wissenschaft etliche empirische Hinweise, wo man für eine Verbesserung ansetzen könnte: bei der Dominanz von Jurist:innen und deren Sichtweisen. Doch griffe es zu kurz, Probleme mit der ausufernden Verrechtlichung in unserem Land lösen zu wollen, indem man die juristische Kompetenz in den Behörden begrenzt.  

Das findet auch der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Andreas Voßkuhle. Er ist Co-Initiator eines parteiübergreifenden Prozesses von Expert:innen, die unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten an konkreten Vorschlägen für einen „handlungsfähigen Staat“ arbeiten (der vollständige Name der Initiative lautet "Initiative für einen handlungsfähigen Staat", LTO berichtete hier darüber).  

Angesprochen auf die Studienlage zum Juristenmonopol gibt Voßkuhle zu Bedenken: "Die Diskussion zum Juristenmonopol hat es schon mehrmals gegeben. Grundsätzlich denke ich, dass es sinnvoll ist, wenn in der Verwaltung viele Personen arbeiten, die gut mit Recht umgehen können. Sie sollten aber auch noch andere Dinge können. Da ist dann eher die Frage, ob man was an der juristischen Ausbildung ändern muss".  

In Voßkuhles Verständnis also, braucht es nicht weniger rechtskundige Personen, sondern eher ein neues Verständnis vom juristischen Kompetenzbegriff. Auch hierzu hat er eine klare Meinung: "Das Lösen von Fällen ist wichtig, aber andere Fähigkeiten und Perspektiven sind eben auch sehr wichtig. Ich nenne nur ein paar Stichworte: moderne Personalführung, Kommunikationstraining, ökonomische Kompetenz, Mediation, Kontextanalyse, Wirkungsforschung, Akzeptanzmanagement."

Die Juristenausbildung am besten gleich mit reformieren

Wer, wie Voßkuhle, nicht erst bei der Einstellung von Jurist:innen in die Verwaltung, sondern bereits bei deren Ausbildung ansetzen möchte, kann sich ebenfalls auf empirische Studien berufen.

Erst 2023 hat eine fachübergreifende Befragung des Centrums für Hochschulentwicklung unter Lehrenden ergeben, dass sich die Rechtswissenschaft durch eine besonders geringe Förderung zahlreicher Zukunftskompetenzen auszeichnet. Hierzu gehören neben verschiedenen Digitalkompetenzen, bei denen die Rechtswissenschaft abgeschlagen auf dem letzten Platz landet, auch Kollaborationsfähigkeit, sowie Innovations- und Veränderungskompetenz. Auch die bundesweiten Studierendensurveys der Uni Konstanz haben bereits mehrfach aufgezeigt, dass insbesondere Studierende der Rechtswissenschaft eine geringe Förderung von Teamfähigkeit, Interdisziplinarität und ähnlichen Kompetenzen beklagen.

Natürlich ist es keine Überraschung, dass eine juristische Ausbildung aus dem 19. Jahrhundert nicht zu den Anforderungen passt, welche an die Verwaltung des 21. Jahrhunderts gestellt werden. Die heutige Juristenausbildung stammt im Wesentlichen aus einer Zeit, in der noch von oben nach unten regiert wurde. Aufgabe der Verwaltung war es damals, die kaiserliche Politik gegenüber dem Volk durchzusetzen.

Unsere Demokratie hingegen funktioniert genau andersherum, heute geht alle Macht vom Volke aus. Passend hierzu fordert Voßkuhle unter anderem mehr Serviceorientierung im Verwaltungshandeln und betont, dass die fehlende Funktionsfähigkeit des Staates nicht nur funktionell zu betrachten sei, sondern ein echtes Demokratieproblem darstelle. Insoweit es bei Staats- und Verwaltungsreformen also tatsächlich um die Sicherung der Demokratie geht, sollte die Rechtswissenschaft dringend ihren Beitrag leisten. Lasst uns die juristische Ausbildung deshalb gleich mit reformieren.

Der Autor Quint Aly ist Sozialunternehmer in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaat und forscht seit seinem Lehramtsstudium an der Universität Hamburg zur juristischen Ausbildung.

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Thema:

Jurastudium

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