Interview mit Jura-Coach

"Juristen und Pro­fis­portler leiden ähn­lich"

Interview von Markus SehlLesedauer: 6 Minuten

Geheimwaffe oder Placebo? Was bringt mentales Coaching für Juristen und wie sehen seriöse Angebote aus? Daniela Dihsmaier coacht Profisportler, Manager und Juristen. Und weiß, was sie am häufigsten falsch machen.

LTO: Frau Dihsmaier, Sie coachen Profisportler auf dem Weg zur Weltmeisterschaft, Manager von Wirtschaftsunternehmen – und Jura-Studenten. Warum kommen die zu Ihnen?

Daniela Dihsmaier: Die Jura-Studenten, die sich an mich wenden, sind unter großem Prüfungsdruck. Sie stehen zum Beispiel vor dem letzten Versuch bei ihrem Staatsexamen oder sie brauchen für ihren Berufswunsch in der Justiz oder in der Kanzlei eine bestimmte Punktzahl. Ich erinnere mich an einen Klienten, der in einem Nicht-Juristen-Beruf bereits sehr erfolgreich war. Er hat sich dann aber entschieden nochmal sein erstes Staatsexamen im zweiten Anlauf endlich nachzuholen. Für ihn war das eine heikle Situation. Plötzlich musste er sich auf das Examen vorbereiten und stand vor dem letzten Prüfungsversuch. Sein bereits in jungen Jahren erreichter beruflicher Erfolg und das damit verbundene Selbstbewusstsein setzten ihn unter Druck: Was wenn ich hier versage? Zu mir kommen viele Menschen, die sehr ehrgeizig sind. Aber denen das Wasser plötzlich bis zum Hals steht.

Und wie können Sie denen helfen?

Leistungsorientierte Menschen brauchen vor allem Gelassenheit und sie müssen lernen loszulassen. Das sind scheinbar banale Dinge: Einfach mal Sport machen, Gelassenheitsübungen oder Zeit für einen Spaziergang. Mit denen muss ich nicht an Lernstrategien oder an der Disziplin arbeiten, sondern an einer Entlastung der zu starken inneren Antreiber, die ein permanentes schlechtes Gewissen hervorrufen, sobald nicht gelernt wird. Wer zu viel will, bei dem sinkt die Leistungskurve, der Kopf ist überfordert. Fast mit allen Jurastudenten arbeite ich Tages- und Wochenpläne aus. Die meisten sind zu vollgepackt oder nicht gut genug strukturiert und stehen der Leistungsfähigkeit eher im Weg.

Aber es gibt bei den Jura-Studenten auch andere, die einfach nicht ins Lernen reinkommen. Da hilft es Rituale aufzubauen. Schauen Sie sich den Tennisspieler Rafael Nadal an, vor jedem Aufschlag absolviert der unzählige kleine Rituale. Auch Konzentrationsübungen um leichter in den Flow zu kommen, zählen dazu. Und wichtig ist auch, sich auf den unperfekten Tag vorzubereiten. Wie gehe ich also damit um, wenn ich in der Klausur das Blatt umdrehe und vor einem Sachverhalt sitze, auf den ich überhaupt nicht vorbereitet bin.

Und was hilft dann?

Das kann anfangen bei Atemtechniken, um die Angst abzubauen, bis hin zu eingeübten Denkstrategien. Es kommt darauf an, dass man sich auch auf die unangenehme Überraschung mental gut vorbereitet hat.

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"Juristen denken, es muss weh tun"

Haben Profisportler und angehende Juristen irgendetwas gemeinsam?

Juristen und Profisportler leiden ganz ähnlich. Im Jurastudium wird von Anfang an vermittelt: Das Studium ist schwer, wer es besteht, ist Elite und wer es nicht besteht, der ist gescheitert. Vom ersten Semester an wird elitäres Denken beigebracht – das erzeugt aber einen ungeheuren Druck: Ich muss mich immer wieder beweisen, mit jeder Probeklausur, mit jeder Hausarbeit bis zum Examen.

Diesen Mechanismus kenne ich auch aus dem Leistungssport. Auch da muss ich immer wieder aufs Neue beweisen, dass ich dazugehöre, dass ich zu den Guten gehöre. Viele Juristen kommen aus diesem Denken nicht mehr raus – und sie nehmen diesen Druck später mit in ihr Berufsleben.

Und was empfehlen Sie?

Es ist wie im Leistungssport sehr wichtig zu verstehen: Ich bin nicht meine Leistung. Ich bin kein besserer Mensch, weil ich bessere Noten als Jurist habe. Oder bei Olympia war. Bei leistungsorientierten Menschen kann das gefährlich werden, man kann daran zerbrechen.

Was machen speziell Juristen häufig falsch?

Ich höre oft, wenn Juristen Sport machen, dann powern die sich immer völlig aus. Weil sie denken, es muss weh tun, sonst ist es kein Sport. Und so denken die auch im Studium. Es ist aber kein Kampf. Man kann auch mal eine lockere Sport-Session hinlegen. Eher von vielen Frauen höre ich, dass sie im Jurastudium bei Stress auch ihre Ernährung umstellen. Sie wollen leistungsfähiger werden, und suchen nach Kontrolle des Alltags: Xo beginnen sie die Kalorien beim Essen stark zu reduzieren. Das Gehirn verbraucht beim Lernen aber tatsächlich viel Energie, und die kommt nicht von einem Apfel morgens und abends und vom Salat aus der Mittagspause. Auch hier gilt:  Leistungsfähigkeit setzt voraus, dass wir auch gut für uns selbst sorgen.

"Erfolge sind gut messbar"

Frau Dihsmaier, wirkt das Coaching?

Zum Glück sind bei Juristen wie bei Leistungssportlern die Erfolge gut messbar, an Zeiten, oder an Punkten.

Aber wie wissen Sie, ob das Coaching ursächlich war?

Wissen Sie, selbst wenn das nur ein Placebo-Effekt wäre, ist es doch das Beste, was passieren kann. Ein Placebo-Effekt baut auf Selbstwirksamkeit. Und diesen Effekt bei jemandem zu erzeugen, ist eine Herausforderung für jeden Coach.

Ist in den letzten Jahren neben den kommerziellen Repetitorien rund um mentales Jura-Coaching ein neues Geschäftsfeld entstanden?

Vor rund vier Jahren kamen die ersten Juristen zu mir. Seit dem ersten Klienten habe ich fest daran geglaubt, dass da ein neuer Markt entsteht. Und so ist es gekommen. Es ist ein noch ein junges Geschäftsfeld, das besonders sensibel ist. Schwarze Schafe können den Ruf des ganzen Feldes schnell ruinieren.

"Zusätzlichen Druck aufbauen sehe ich kritisch"

Vor einigen Wochen wurden Vorwürfe gegen ein Jura-Coaching  und seine Geschäftspraxis laut. Woran erkennt man ein seriöses Angebot?

Es wichtig, sich das Angebot und seine Wortwahl genau anzuschauen. Sprüche wie "das Mindset upgraden" und so weiter klingt für mich effekthaschend. Und nach Bullshit-Bingo. Genauso wie das Versprechen eines Erfolgs. Das geht gar nicht. Der Erfolg hängt maßgeblich von der Mitarbeit des Klienten ab. Und das muss gemeinsam in einem kostenlosen Vorgespräch geklärt werden. Ein Honorar von rund 150 bis 170 Euro für eine Einzelstunde halte ich nicht für überhöht.

Ich finde Angebote überzeugend, die nicht als Abo einen gleich für einen längeren Zeitraum binden. Fair finde ich, wenn man nach jeder Sitzung neu entscheiden kann, ob es das Coaching noch braucht. Ein Klient, der jetzt Richter in Baden-Württemberg ist, war für eine Doppelstunde bei mir, das reichte bei ihm völlig. Er wollte ein weiteres Mal zum Coaching. Ich spürte aber, diese Doppelstunde war ausreichend für seine Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen. Der Coach muss zulassen, dass der Klient ihn nicht mehr braucht – und darf ihn dann nicht einfach immer weiterzahlen lassen. Angst zu schüren oder den Druck noch zusätzlich aufzubauen, sehe ich kritisch.

Coach ist kein geschützter Beruf, gibt es dennoch allgemein anerkannte Qualitätsstandards?

Es gibt Coachingverbände, bei denen man nach Prüfungen eine Lizenz erwerben kann. Aber ich finde, das reicht nicht. Hilfreich ist, wenn die Anbieter ein Bewertungsportal haben, und Klienten sich die Bewertungen anschauen können. Ein Qualitätsmerkmal kann es auch sein, wenn der Coach schon zu dem Thema publiziert hat. Man sollte sich die Vita gut durchlesen und darauf achten, ob jemand etwa eine psychologische oder eine systemische Ausbildung hat. Nur das erste Staatsexamen in Jura zu haben, qualifiziert nicht zum Coach.

Warum sind Sie Coach geworden?

Ich habe Medienwirtschaft an der TU Ilmenau studiert und zunächst in der Wirtschaft gearbeitet. Das war viel Kopfarbeit, ich war dafür zuständig, in Unternehmen von anstehenden Veränderungen zu überzeugen. In meiner Freizeit habe ich im Jahr 2007 mit Triathlon begonnen. 2009 kam ich als Amateurin sogar unter die Top5 der Frauen eines Ironman-Distanz Rennens. Dann wurde ich plötzlich sehr krank, das hatte nichts mit dem Sport zu tun. Ich hatte mein nagelneues und gesponsertes Rad zuhause an der Wand hängen, aber es war unklar, ob ich jemals wieder Fahrrad fahren werden kann. Ich habe verstanden: Ich habe gar keinen Plan B, nur einen Plan A.

Als ich wieder gesund war, bin ich dankbar und mit mehr Leichtigkeit an den Sport herangegangen. Und mit dieser neuen Freude am Sport habe ich mich für die Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii qualifiziert. Und ich habe meine erste Coaching-Ausbildung von vielen begonnen. Wenn es um Leistung geht, dann geht es immer nur um Fokus, das lesen Sie überall. Manchmal ist es aber auch wichtig, ein Ziel loslassen zu können. Das sagt sich leicht, aber es ist für einen fokussierten leistungsorientierten Menschen eine Lebenslektion.

Vielen Dank für das Gespräch

Daniela Dihsmaier ist Gründerin des Coaching- und Berater-Unternehmens Freiwasser. Sie ist auch Lehrbeauftragte für Mitarbeiterführung und Projektkommunikation an der Hochschule München. Als systemischer (Sport) Mental Coach betreut sie u.a. das deutsche ASICS FrontRunner Team. Sie ist erfolgreiche Amateur-Triathletin, war u.a. Deutsche Vize-Meisterin in ihrer Altersklasse und qualifizierte sich für die IRONMAN Weltmeisterschaft auf Hawaii. Sie ist Autorin von „Brutal Mental – Mentale Stärke ist mehr als nur Siegerdenken“ (2018).

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