Tagung zur Reform des Jurastudiums

"Wieder­käuer gelernten Wis­sens"

von Charlotte HoppenLesedauer: 5 Minuten

Überlastete Studierende, zu viel Stoff und willkürliche Prüfungsergebnisse: Die Schwächen des Jurastudiums sind bekannt. Auf einer Tagung der BLS diskutierten Studierende und Lehrende notwendige Reformen. Wieder einmal.

Die Stresssymptome im Examen sind körperlich messbar. Und so sollte es nicht weitergehen. Student:innen und Professor:innen diskutierten daher eine Reform des Jurastudiums. Wieder einmal. Eingeladen zu der zweitägigen Fachtagung hat die Hamburger Bucerius Law School (BLS). Unter dem Titel "Kritik und Reform des Jurastudiums" unter Leitung von Prof. Dr. Felix Hanschmann (Lehrstuhl Kritik des Rechts, BLS) und Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano (Universität Kassel) ging es um die Frage, wie die verkrustete Struktur des Jurastudiums aufgebrochen werden kann.

"Immer mehr Stoff wird angesammelt, die Studierenden werden immer unzufriedener und die Lehrenden immer resignierter", sagt Prof. Dr. Fischer-Lescano in seinem Begrüßungswort. Trotz dieser Krisenphänomene sei nirgends eine Reform in Sicht. "Derzeit werden Juristen ausgebildet, deren zentrale Kompetenz im Wiederkäuen gelernten Wissens liegt", so Fischer-Lescano weiter.

Anzeige

Kritik: Stoffmenge im Examen zu umfangreich

Die Reform des Jurastudiums wird seit Jahren diskutiert. Die jüngsten Forderungen stehen im "Hamburger Protokoll" von Dezember 2023. Dessen Unterzeichner sprachen sich für eine Kürzung des Pflichtfachstoffs im ersten Examen und einen integrierten Bachelor aus. Und für die Nutzung von Gesetzes-Kommentaren schon im ersten Examen.

Im Einzelnen gebe es im Hamburger Protokoll sinnvolle Vorschläge, sagte Fischer-Lescano am Montag, aber die Forderungen "greifen viel zu kurz": Insbesondere sei keine Reduktion des Prüfungsstoffes angestrebt, sondern lediglich eine andere Organisation. Tatsächlich schlägt das Protokoll lediglich vor, einige Themengebiete statt im Staatsexamen bereits in Klausuren während des Studiums abgeschichtet zu prüfen.

Die Teilnehmer der Tagung waren sich jedoch einig: Die Stoffmenge für das erste juristische Staatsexamen ist zu groß. Frederik Janhsen, Jurastudent im 6. Semester und Vorsitzender des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) forderte daher, den Umfang zu reduzieren. "Wir sind der festen Überzeugung, dass wir durch diese Menge an Stoff und das derzeitige Prüfungsformat keine kritischen Juristen ausbilden, die das Handwerkszeug erlernen", führte Jahnsen aus. Deshalb fordert der BRF eine Reform des aktuellen Pflichtfachstoffkatalogs.

Extreme psychische Belastungen in der Examensvorbereitung

Eine Entlastung wäre für die Studierenden sinnvoll. Denn nicht nur diese empfinden die Vorbereitung auf das Staatsexamen als extremen psychischen Stress - eine Studie hat dies jetzt belegt. Das JurSTRESS-Projekt der Universität Regensburg erforscht psychische und biologische Belastungsreaktionen bei Studierenden im Laufe der Vorbereitung auf die erste juristische Staatsprüfung und stellte am Dienstag seine Ergebnisse vor:

59 Prozent der Studierenden galten mindestens zu einem Zeitpunkt als "auffällig" bei der Messung von chronischen Stress, 48 Prozent wiesen Angstsymptome auf, 19 Prozent hatten auffällige Werte beim Wert Depressivität. Diese Daten ergeben sich aus Alltagsbefragungen, die während der Studie bei 451 Studierenden über 13 Monate hinweg täglich über das Smartphone durchgeführt wurden.

Diese subjektiven Belastungssymptome werden durch messbare körperliche Reaktionen untermauert. Speichelproben bei einigen der Probanden zeigen, dass der Cortisol-Spiegel (Cortisol-Aufwachreaktion) ein Jahr vor dem Examen im Normalbereich lag. Unmittelbar vor dem Examen wurden dann deutlich abweichende Verläufe gemessen.

Die Studie zeigte zudem einen Zusammenhang zwischen Stressempfinden und der Examensnote: Umso stressiger die Studierenden die Phase vor dem Examen erlebten, umso schlechter war im Mittel die Note der schriftlichen Examensklausuren.

Blinde Zweitkorrektur und diverse Besetzung von Prüfungskommissionen

Man war sich weiterhin einig, dass eine diverse Besetzung von Prüfungskommissionen in der mündlichen Prüfung dringend erforderlich ist. Denn aus einer im Jahr 2018 veröffentlichten Studie ergibt sich, dass vor allem in den mündlichen Prüfungen der juristischen Staatsexamina Migrant:innen und Frauen schlechter abschneiden als Männer.

Auch die blinde Zweitkorrektur forderten die Tagungsteilnehmenden. Denn eine Studie des Doktoranden Clemens Hufeld, LMU, der selbst auch im Publikum saß, zeigt: In einem Experiment wurden dieselben 15 Klausuren von 23 Personen korrigiert. Der durchschnittliche Unterschied zwischen der niedrigsten und der höchsten Note betrug 6,47 Punkte. Hufeld wies zwar selbst darauf hin, dass diese Ergebnisse nicht vorschnell verallgemeinert werden sollten. Dennoch könnten solche Abweichungen im Examen womöglich durch eine verdeckte Zweitkorrektur aufgedeckt und eine faire Note ermittelt werden. 

Geringe Unterhaltsbeihilfe, hohe Kosten

Lennart Kokott, Mitglied des Hamburger Personalrats für Referendare, kritisierte derweil die Unterhaltsbeihilfe für Referendar:innen. Diese schüre die Ungleichheiten. Denn die Lebenshaltungskosten und auch die enorm hohen Kosten für Lern- und Ausbildungsmaterial seien durch die Unterhaltsbeihilfe nicht zu decken. Entscheidend dafür, wieviel Zeit man für das Lernen aufbringen kann, sei daher auch, ob man finanzielle Unterstützung aus der Familie erhält.

Deshalb seien viele Referendar:innen auf einen Nebenjob angewiesen. Die Bundesländer begrenzen aber diese Möglichkeit des Hinzuverdienstes: In NRW beispielsweise darf die Nebentätigkeit bei einer nicht-juristischen Arbeit acht Wochenstunden und bei einer juristischen Tätigkeit zehn Wochenstunden nicht überschreiten. Zudem fehlt bei Nebentätigkeiten zur Deckung des Lebensbedarfs die Zeit zum Lernen.

Auch der Verbesserungsversuch ist für Referendare gebührenpflichtig. In NRW beispielsweise beträgt die Gebühr 975 Euro, um überhaupt nochmal antreten zu dürfen. Das kritisierte Kokott scharf als eine enorme finanzielle Belastung.

Schließlich wies er darauf hin, dass man bei den Stationen bei Gericht und der Staatsanwaltschaft weder einen Arbeitsplatz noch ein Arbeitsgerät zur Verfügung gestellt bekommt. Auch die Grundausstattung an Literatur und die Online-Zugänge wie juris und beck-online, die man zur Bewältigung der Aufgaben - beispielsweise um einen Urteilsentwurf anzufertigen - zur Verfügung gestellt bekomme, seien nicht ausreichend.

Studie: Akademiker:innen-Kinder in Kanzleien überrepräsentiert

Ein weiteres Thema der Tagung war die Frage nach sozialer Herkunft und Ungleichheiten im Studium. Der Sozialwissenschaftler Asif Butt berichtete über seine noch nicht abgeschlossene Studie zu der Frage: Wie sieht die soziale Herkunft von Deutschlands Anwält:innen aus?

Befragt wurden Anwält:innen aus den Juve Top 100 umsatzstärksten Kanzleien (u.a. Freshfields, Hogan Lovells, Hengeler Mueller). Über 3.000 Anwält:innen haben an der Umfrage teilgenommen, zudem hat Butt 55 Interviews mit Partner:innen und Associates geführt.

Erste Ergebnisse seiner Studie zeigen: Kinder von Akademiker:innen sind in Kanzleien überrepräsentiert. Bei über 40 Prozent der Associates haben beide Elternteile studiert. Jede:r fünfte Anwält:in hat zudem mindestens ein Elternteil, das Jura studiert hat. Nur 30 Prozent der Anwält:innen kommen aus Nichtakademiker:innen-Haushalten.

Abschließend berichtet er darüber, dass viele der befragten Anwält:innen sich von den Privilegien distanzieren, die sie dadurch haben, dass sie aus Akademiker:innen-Familien kommen. In den geführten Interviews hätten viele das Narrativ gehabt, dass ihr Elternhaus keinen Einfluss auf ihren Bildungsweg und ihre Karriere habe.

Weiteres Vorgehen offen

Eine abschließende Antwort auf die Frage, wie es bei all den Aspekten nun weitergehen kann, bot die Tagung nicht. Sophie Dahmen, Mitgründerin der iur.reform, meint: Eine Veranstaltung wie in Hamburg sei zwar sinnvoll, werde das Studium aber nicht verändern. Sie rief dazu auf, wie im vergangenen Jahr bei der Justizministerkonferenz (JuMiKo) Reform-Forderungen an die Justizminister heranzutragen. So könne man einen Beitrag zur Veränderung leisten.

Prof. Dr. Hanschmann regte eine Wiederholung ähnlicher Tagungen an, bei denen unterschiedliche Akteur:innen zu Wort kommen und Vertreter:innen der Justizprüfungsämter eingeladen werden sollten. Wenn man etwas erreichen will, müsse man den öffentlichen Diskurs anstoßen, sagt er.

Dazu jedenfalls hat die Tagung in Hamburg einen Beitrag geleistet.

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Jurastudium

Verwandte Themen:
  • Jurastudium
  • Referendariat
  • Reform
  • Staatsexamen
  • Ausbildung
  • Universitäten und Hochschulen

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter