Rücktritt vom Staatsexamen

Im Zweifel für die Chan­cen­g­leich­heit

von Manuel LeidingerLesedauer: 4 Minuten
Aus gesundheitlichen Gründen vom Examen zurücktreten müssen – eine Horrorvorstellung, die dank strenger Prüfungsämter nicht angenehmer wird. Manuel Leidinger zu häufigen Problemen und Fallstricken, die betroffene Prüflinge kennen sollten.

Auf der Online-Plattform juraexamen.de wimmelt es von Einträgen verzweifelter Examenskandidaten, die kurz vor der Prüfungsphase wissen wollen, wie man sich von der Anmeldung zum Examen befreien lassen kann. "Ich hatte einen Trauerfall in der Familie, der mich derzeit stark belastet" und "Ich bin psychisch total am Ende und es ist mein letzter Versuch" sind Sätze, die kein Jurastudent gerne hört, der das Ganze noch vor sich hat. Im Prüfungsrecht berechtigt eine Krankheit oder ein anderer wichtiger Grund den Prüfling grundsätzlich zum Rücktritt vom ersten juristischen Staatexamen. Der Rücktritt wird als unwiderrufliche rechtsgestaltende Willenserklärung charakterisiert. Um wirksam zu werden, muss dieser vom zuständigen Landesjustizprüfungsamt genehmigt werden. Hintergrund der Einführung des Rücktrittsrechts ist die auf Art. 3 Grundgesetz basierende Chancengleichheit aller Prüflinge. Um diese zu wahren, muss die eventuelle Prüfungsunfähigkeit  eines Kandidaten gegenüber seinen nicht beeinträchtigten Mitstreitern berücksichtigt werden. Ob Kiel oder München, ob Düsseldorf oder Berlin - bei einer Erkrankung ähneln sich die Prozedere eines Rücktritts bei den verschiedenen Landesjustizprüfungsämtern. Es ist ein Antrag zu stellen, dem ein amtsärztliches Attest beizufügen ist. Schon an diesem Punkt kann sich allerdings ein Rechtsstreit über die Wirksamkeit des Rücktritts entzünden. Sowohl Prüflinge als auch die Amtsärzte selbst erliegen häufig Irrtümern über ein Attest, das nicht alle notwendigen Anforderungen erfüllt. Erwartet wird nämlich die Darstellung des Krankheitsbildes in dem Attest, nicht dagegen eine Aussage über die Prüfungsunfähigkeit des Prüflings. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, mit der sich allein das Landesjustizprüfungsamt auseinandersetzen muss.

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"Nur" Prüfungsangst berechtigt nicht zum Rücktritt

Attest hin oder her – in allen Bundesländern hat die Rechtsprechung Dauerleiden wie etwa eine Depression oder Prüfungsangst, wenn sie nicht den Grad einer psychischen Erkrankung erreicht, als Rücktrittsgründe abgelehnt. Eine Praxis, die angesichts der immer lauter werdenden Beschwerderufe gegen das psychisch belastende erste Staatsexamen und seine Vorbereitung immer weniger beliebt sein dürfte. Christian Teipel und Jürgen Küttner von der Kölner Kanzlei Teipel & Partner Rechtsanwälte sind Anwälte mit Schwerpunkt im Prüfungs- und Hochschulrecht. "Psychische Erkrankungen sind in Rechtsstreitigkeiten sehr problematisch. Diese werden häufig schnell als Dauerleiden oder Prüfungsangst abgetan, obgleich es hier auch 'depressive Episoden' gibt, welche nach entsprechender Behandlung abklingen können", so Teipel. "Außerdem müssen die psychischen Probleme nicht immer in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Prüfung stehen", ergänzt Küttner, der auch in der Juristenausbildung an der Universität zu Köln tätig ist. Doch was ist mit anderen unvorhergesehenen Ereignissen, die einen Rechtskandidaten von der Teilnahme am Examen abhalten können? Im Prüfungsrecht wird bei den übrigen Rücktrittsgründen zwischen objektiven und subjektiven aus der Sphäre des Prüflings unterschieden. Zu den subjektiven Rücktrittsgründen wird zum Beispiel ein plötzlicher Schicksalsschlag gezählt, der den Prüfling vor oder während der Prüfungsphase ereilt. Beispiele dafür sind ein Todesfall naher Angehörige, eine unerwartete Obdachlosigkeit oder andere schwierige private Lebensumstände. Zu den objektiven Rücktrittsgründe zählen etwa ein zu stickiger oder ein zu kalter Prüfungsraum oder übermäßiger Lärm von draußen. Diese Störungen des Prüfungsablaufs muss der Examenskandidat allerdings schon während der Prüfung bei der Aufsicht rügen, was aus seiner Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Rücktrittsgesuchs folgt.

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2/2: Den Rücktritt versäumt oder verwirkt?

Der Rücktritt muss unverzüglich erklärt werden. Dies wird einhellig von den Prüflingen in allen Bundesländern gefordert. Marcus Ronnenberg, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Reimann Linden Ronnenberg PartGmbB aus Hamburg und spezialisiert auf Prüfungsrecht, berichtet: "Das häufig größte Problem bei Rücktritten ist die Unverzüglichkeit. Viele Prüflinge legen ihre Prüfung ab und merken dann, dass sie lieber hätten zurücktreten sollen. Der Rücktritt nach der Prüfung birgt aber viele Schwierigkeiten. Ein solcher vor der Prüfung wird in der Regel unkomplizierter genehmigt." Die Landesjustizprüfungsordnungen von Baden-Württemberg und Bremen schreiben sogar explizit vor, dass ein Jurastudent sein Recht auf Rücktritt verwirkt, wenn er in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis eines Hinderungsgrundes an den Prüfungen teilnimmt. Auch wenn die Prüfungsordnungen der anderen Bundesländer nicht so streng sind, ist im Prüfungsrecht allgemein anerkannt, dass der Kandidat in einem solchen Fall das Risiko eines Misserfolgs bewusst in Kauf nimmt. Die meisten Landesjustizprüfungsordnungen enthalten auch eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung eines Rücktrittsgrundes, die nach dem Ablegen der schriftlichen Prüfungen meist einen Monat beträgt.

Vorteile für Studenten in Bayern, Brandenburg, Berlin und Sachsen?

Was sind die Folgen eines Rücktritts? Nach einhelliger Auffassung im Prüfungsrecht gilt die erste juristische Staatsprüfung als nicht bestanden, wenn der Rücktritt nicht genehmigt wurde. Wurde er genehmigt, gilt die Prüfung als nicht unternommen. Ein typischer Streit dreht sich im Prüfungsrecht darum, wie mit den bereits bearbeiteten Klausuren umzugehen ist, wenn der Rücktrittsgrund im Laufe der zweiwöchigen schriftlichen Prüfungsphase eintritt. In einigen Bundesländern wie etwa Bremen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Thüringen ist infolge des genehmigten Rücktritts stets nur eine Nachholung aller Klausuren beim nächsten Prüfungstermin möglich. In Bayern, Brandenburg, Berlin sowie Sachsen ist hingegen vorgesehen, dass die nicht bearbeiteten Klausuren beim nächsten Prüfungstermin oder einem Ersatztermin geschrieben werden können, solange eine gewisse Anzahl von Klausuren verfasst und zumindest größtenteils bestanden wurde. Angesichts dieser Regelungsunterschiede könnte wieder einmal der Eindruck entstehen, dass es die Jurastudenten in bestimmten Bundesländern einfacher haben. Doch von Kulanz bei der Bearbeitung von Rücktrittserklärungen kann bei keinem Landesjustizprüfungsamt die Rede sein: Egal ob er aus nachvollziehbaren Motiven oder rechtsmissbräuchlich handelt, ein Rücktrittswilliger hat es in der Regel schwer. Das mag gute Gründe haben: Zurück auf juraexamen.de entdeckt man auch zahlreiche Einträge wie "Ich bin nicht krank, aber ich schätze meine Chancen beim anstehenden Examenstermin als aussichtslos ein. Weiß jemand, wie ich mich am besten befreien lassen kann?" Da verwundert es nicht, dass die Prüfungsämter eher streng mit Rücktrittsgesuchen umgehen.

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