Bewerbermangel in der Justiz

Was tun die Länder, um Refe­ren­dare für sich zu gewinnen?

von Hanna WeißerLesedauer: 6 Minuten

Die Justiz hat Nachwuchssorgen – und deshalb muss schon das Referendariat attraktiver werden. E-Examen, Verbeamtung, höhere Vergütung: Die Länder sind unterschiedlich aktiv. Hanna Weißer gibt einen Überblick.

Die Justiz braucht neue Fachkräfte – insbesondere wegen der bevorstehenden Pensionierungswelle, die die neuen Bundesländer am meisten betreffen wird. Viele Bundesländer haben die Notenschwelle zum Einstieg in die Justiz gesenkt. Man sollte aber schon früher ansetzen. Wie versuchen die Länder für Referendare, und damit potenzielles Justizpersonal, attraktiv zu sein?

Neben Standortvorteilen, etwa kurze Wegstrecken in den Stadtstaaten, auf die die Länder jedoch keinen Einfluss haben, können diverse sonstige Aspekte die Wahl des Bundeslandes für das Referendariat beeinflussen. In den letzten Jahren haben viele Länder das E-Examen eingeführt und an der Qualität der Ausbildung gearbeitet.

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Vergütung, Verbeamtung und Nebentätigkeit

Wohl am offensichtlichsten sind die Steuerungsmöglichkeiten über Vergütung, Zuverdienste durch Nebentätigkeiten sowie die Möglichkeit der Verbeamtung. Insbesondere eher strukturschwache Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen gewähren überdurchschnittliche Vergütungen nebst Verbeamtungsmöglichkeit, während sich ohnehin beliebte Städte wie Hamburg auch mit unterdurchschnittlicher Vergütung und ohne Verbeamtungsmöglichkeit über ausreichend Bewerber freuen können. Die Möglichkeit der Verbeamtung auf Widerruf wurde von den vier Bundesländern Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen in den letzten vier Jahren (wieder-)eingeführt, um die Attraktivität der jeweiligen Standorte zu steigern.

Die Anrechnungsgrenzen für Nebentätigkeiten unterscheiden sich zwischen den Bundesländern stark. In Sachsen-Anhalt wird beispielsweise bereits Nebeneinkommen, das 500 € monatlich übersteigt, zur Hälfte angerechnet, während in Hessen keine Anrechnung von Nebeneinkommen auf die Bezüge erfolgt. Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen (NRW), Niedersachsen und Schleswig-Holstein bieten Referendaren eine Nebentätigkeit als Justizassistenz bei Gerichten und/oder Staatsanwaltschaften an. Justizassistenten arbeiten praxisnah den Richtern oder Staatsanwälten zu, übernehmen Rechercheaufgaben und können bei der Staatsanwaltschaft auch Sitzungsdienste oder die Protokollführung übernehmen.

Prüfungsstoff, Anzahl der Klausuren und E-Examen

Auch der Umfang des Prüfungsstoffes, die Zahl der Klausuren und die geprüften Fächer können Attraktivitätsmerkmale sein. Insbesondere Rheinland-Pfalz gibt hierzu auf Nachfrage an, den Prüfungsstoff gezielt verringert zu haben, um eine vertiefte Ausbildung in dem verbleibenden Stoff garantieren zu können. So wurden beispielsweise einzelne Normen des StGB vom Prüfungsstoff ausgenommen, im Bürgerlichen Recht sind etwa der Pauschalreisevertrag und das Vorkaufsrecht kein Prüfungsstoff mehr.

Auch die Frage, ob die Klausuren nur handschriftlich oder auch als E-Examen geschrieben werden können, wie das mittlerweile in Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt der Fall ist, ist für angehende Referendare relevant. Die anderen Länder planen ebenfalls die Einführung, wobei die Planung unterschiedliche Konkretisierungsgrade erreicht hat. In NRW beispielsweise kann man ab Januar 2024 die Klausuren für beide Staatsexamina am Laptop schreiben.

Die Anzahl der Klausuren variiert zwischen sieben (Berlin, Brandenburg, Saarland), neun (Bayern) und acht Klausuren (sonstige Bundesländer). Teilweise, etwa in Berlin/Brandenburg, Niedersachsen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen, sind ein bis zwei (Sachsen-Anhalt) Klausuren Wahlklausuren. Bis vor einigen Jahren wurden in Bayern noch insgesamt elf Klausuren im zweiten Examen geschrieben. Durch die Änderung der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung Bayern vom 30. Oktober 2020 wurde die Anzahl der Klausuren auf neun verringert. Damit sollen einheitlichere Prüfungsbedingungen für alle Referendarinnen und Referendare im Bundesgebiet gewährleistet werden, heißt es dazu aus dem Justizministerium.

Korrektur und Notenverbesserung

Bezüglich der Korrektur der Examensklausuren weist Rheinland-Pfalz ein Alleinstellungsmerkmal auf: Hier wurde im Jahr 2023 die verdeckte Zweitkorrektur wieder eingeführt, um die Objektivität und Akzeptanz der Klausurbewertungen zu steigern.

Die Notenverbesserung selbst ist zwar in allen Bundesländern möglich, jedoch nur in Bayern kostenlos, in anderen Bundesländern nur gegen teils erhebliche Gebühren. In Hamburg wird man hier beispielsweise mit 800 Euro zur Kasse gebeten.

Flexibilität der Stationen, Auslandsmöglichkeiten

Für die Wahl des Bundeslandes ist auch die Dauer und Flexibilität der einzelnen Stationen relevant, insbesondere die Möglichkeit, Stationen zu teilen und die Reihenfolge teilweise selbst bestimmen zu können.

Hamburg sieht als einziges Bundesland zwei Wahlstationen à drei Monaten vor. Auch bezüglich der Frage, welche Stationen und wie viele Monate insgesamt im Ausland oder in anderen Bundesländern absolviert werden können, unterscheiden sich die Länder erheblich. Gleiches gilt für die Frage, ob die Verwaltungsstation auch an einem Verwaltungsgericht oder an der Verwaltungshochschule Speyer absolviert werden kann.

Wartezeiten

Auch ob und in welchem Umfang Wartezeiten bestehen, kann für die Entscheidung ausschlaggebend sein. Aufgrund der derzeit bestehenden Wartezeiten plant Bremen die Einrichtung weiterer Referendariatsplätze, um Wartezeiten zu verkürzen oder ganz zu vermeiden, was noch in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden soll. Berlin bietet Juristen nach dem ersten Staatsexamen an, zur Überbrückung der Wartezeit erste Praxiserfahrung in einer der Berliner Behörden zu sammeln, die sogenannte "Assessorbrücke".

Qualität der Ausbildung

Wichtig für die Attraktivität eines Bundeslandes ist darüber hinaus natürlich vor allem die Qualität der Ausbildung. Hier arbeiten insgesamt elf Bundesländer, u.a. Baden-Württemberg, Berlin-Brandenburg, Hessen, das Saarland und Sachsen, mit der e-Learning Plattform ELAN-REF. ELAN-REF bietet Unterstützung bei der Examensvorbereitung durch Lernmodule zu verschiedenen Fächern, teilweise werden auch die Klausurenkurse über diese Plattform angeboten.

Bezüglich der angebotenen Klausurenkurse unterscheiden sich die Bundesländer ebenfalls erheblich. Während Hamburg beispielsweise einen wöchentlichen kostenfreien Klausurenkurs anbietet, gibt es etwa in Berlin gar keine kostenfreien Angebote. Im Saarland werden neben den 22 verpflichtenden AG-Klausuren eine Probeklausur im Monat und in Rheinland-Pfalz zwei Klausuren im Monat angeboten. Einige Bundesländer, etwa Bremen und Rheinland-Pfalz, bieten auch ein Probeexamen unter Examensbedingungen an, Bundesländer mit E-Examen bieten meistens auch Probe-E-Klausuren an.

Insgesamt drei Bundesländer, nämlich Rheinland-Pfalz, Hessen und NRW, haben zur Gewährleistung einer einheitlichen Qualität der AGs Koordinatorenstellen eingerichtet. Dieses Koordinatoren-Team soll zum einen direkter Ansprechpartner für Referendare, auch bei persönlichen Problemen, sein. Vor allem soll es aber die AG-Unterlagen, zunächst für die Zivilstation, landesweit vereinheitlichen und AG-Leitern einen Leitfaden für die Durchführung der AGs an die Hand geben. Bayern wirbt damit, dass die AGs ausschließlich von geschulten hauptamtlichen AG-Leiterinnen und -Leitern durchgeführt werden.

Bremen bietet seinen Referendaren bereits seit 2018 ein Mentorenprogramm mit Praktikern, insbesondere Richtern, Rechtsanwälten und Verwaltungs- und Unternehmensjuristen, die einen persönlichen Kontakt sicherstellen sollen.

Ausbildungsinhalte

Zusätzlich zu den AGs bemühen sich die Bundesländer teilweise auch um eine gezielte Examensvorbereitung. Das Saarland und Sachsen bieten unmittelbar vor dem Examen Wiederholungs- und Vertiefungskurse zum examensrelevanten Stoff an, das Saarland auch einen dreitägigen Aktenvortragslehrgang. Kostenlose Aktenvortragskurse können beispielsweise auch in Brandenburg und Hamburg besucht werden.

In Hamburg befindet sich zudem ein Crashkurs zur Examensvorbereitung in Planung, kündigte ein Sprecher des Justizprüfungsamts gegenüber LTO an. Sachsen plant die Einführung eines Crashkurses im sächsischen Landesrecht für diejenigen Referendare, die ihr erstes Staatsexamen nicht in Sachsen geschrieben haben, hieß es gegenüber LTO.

In einigen Bundesländern sind auch besondere Schlüsselqualifikationen möglich, Berlin und Brandenburg bieten hier etwa Kurse in Psychologie der Zeugenvernehmung, Vernehmungslehre, Beweiswürdigung und Mediation an, Bayern zur Rhetorik und Mediation. Bayern und Baden-Württemberg werben mit Schwerpunkten bzw. freiwilligen Zusatzveranstaltungen zu den Themen IT-Recht/Legal Tech und Digital Law. Brandenburg bietet mit Workshops zur Kommunikation und zum sicheren Auftreten mit Führungskräften-Coaches an.

In einigen Bundesländern können Referendare Justizvollzugsanstalten besuchen, in Rheinland-Pfalz zudem auch an einer Obduktion teilnehmen. In Berlin, Rheinland-Pfalz sowie in Brandenburg finden auch freiwillige Sonderveranstaltungen zum NS-Unrecht statt.

Länderübergreifende Angebote

Manche Angebote sind auch länderübergreifend für Referendare interessant: Alle zwei Wochen erscheint etwa der "refpod", ein Podcast der Justiz NRW mit Antworten auf grundlegende Fragen zum Referendariat. Auch das Land Berlin veröffentlicht einen Podcast begleitend zur Strafstation, hier erscheinen alle zwei Wochen eine neue Podcastfolge sowie eine Tutorial-Folge zu ausbildungsrelevanten Inhalten.

Natürlich hängt die Wahl des Bundeslandes für das Referendariat auch stark von der persönlichen Situation ab. Dennoch gibt es auch einige Faktoren, die die Länder beeinflussen können – und das in unterschiedlichem Ausmaß tun.

Hanna Weißer ist Volljuristin und promoviert derzeit am Institute for Law and Finance in Frankfurt am Main.

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