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Möchte ich Jurist sein – und wenn ja, was für einer?
Pünktlich zum Start des Wintersemesters erschien im Oktober 2025 das Buch "Neue Briefe an junge Juristinnen und Juristen", herausgegeben von Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, Prof. Dr. Joachim Jahn und Hildegard Becker-Toussaint. In Beiträgen von je fünf bis sechs Seiten Länge schildern 33 Jurist:innen ihre Erfahrungen und geben den Leser:innen in persönlichen Briefen Tipps für ihre juristische Ausbildung und den Berufseinstieg. Das Buch verfolgt damit ein vergleichbares Konzept wie sein Vorgänger "Briefe an junge Juristen" aus dem Jahr 2015.
Die Briefe unterscheiden sich inhaltlich und auch hinsichtlich ihres Aufbaus deutlich voneinander. Einige Autor:innen stellen den eigenen Karriereweg chronologisch dar und kommentieren, was sie rückblickend noch einmal so oder ganz anders machen würden. Andere Briefeschreiber:innen legen den Fokus auf eine bestimmte Erfahrung oder ein gesellschaftlich relevantes Thema und formulieren ihre Gedanken und Ratschläge losgelöst von ihrer Person. So entsteht eine bunte Sammlung ganz unterschiedlicher Briefe, die sich wunderbar auch als kurzweilige Lektüre für zwischendurch eignet
"Hauptsache, ihr wisst, wofür ihr euch abmüht"
Vom Bundesliga-Schiedsrichter bis zum ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts finden sich bekannte und weniger bekannte Namen unter den Verfasser:innen der Briefe. So verschieden wie ihre Werdegänge sind auch die Gründe, warum sie sich für die juristische Ausbildung entschieden haben. Ihre Motivation reicht vom Kindheitstraum bis zur Entscheidung aus Verlegenheit. Eines aber haben die Lebensläufe gemeinsam: Ihre ursprüngliche Motivation für das Jurastudium hat kaum Auswirkungen auf ihre spätere berufliche Tätigkeit.
Wichtiger scheint es zu sein, ein Ziel zu haben. Ob als "Faden, an dem entlang man seine Karriere ausrichten kann" beschrieben oder ein nüchternes "Hauptsache, ihr wisst, wofür ihr euch abmüht": Herauszufinden, was der persönliche Antrieb ist und sich diesen immer wieder vor Augen zu führen, scheint der Schlüssel zu einer erfüllenden Karriere zu sein. Hin und wieder offenbaren die Briefe auch, was die Autor:innen selbst antreibt: Warum engagiert sich beispielsweise Roda Verheyen seit Jahrzehnten für den Klimaschutz?
Auch Brüche in der eigenen beruflichen Biografie werden thematisiert. Ermutigend ist der Bericht von Martina Flade (@anwaeltin.martina auf Instagram), die die Sicherheit des Richterinnen-Berufs aufgibt, um ihre eigene Kanzlei und ein Unternehmen zu gründen. Andere Autor:innen, so beispielsweise Prof. Dr. Isabell Götz, gehen auf den Karrieredruck junger Jurist:innen ein und machen den Leser:innen Mut: “Nicht jede Tätigkeit, die möglich und interessant ist, muss in der Rushhour des Lebens erledigt werden.”
Verantwortung übernehmen
Neben dem eigenen Werdegang reflektieren viele Autor:innen auch das eigene Wirken und die gesellschaftliche Verantwortung von Jurist:innen. Was der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Andreas Voßkuhle als "Menschenliebe" beschreibt, stellen auch viele weitere Autor:innen als wichtigen soft skill heraus: Die Fähigkeit, Menschen und ihre Bedürfnisse zu verstehen und sie ernst zu nehmen, scheint für die Arbeit in juristischen Berufen essentiell zu sein.
Dass die Autor:innen unter ihrem jeweiligen Beruf auch mehr als einen neutralen Vollzug des Rechts verstehen, wird an vielen Stellen deutlich. So offenbart beispielsweise die Berliner Justizsenatorin Dr. Felor Badenberg, dass gerade die Vorstellung, "aktiver Teil [des] wehrhaften Rechtsstaats" zu werden, ihre Motivation für die Aufnahme ihres Jurastudiums gewesen ist. Die Leser:innen sehen sich beim Lesen vor die Frage gestellt: Welchen Beitrag kann ich zum Schutz des Rechtsstaats und der Demokratie leisten?
Auch wenn der überwiegend lockere Schreibstil und die kurzen Texte dazu verleiten, einen Brief nach dem nächsten zu verschlingen, finden sich in so gut wie jedem Beitrag Passagen, die zum Innehalten und zum Nachdenken einladen. Über dem gesamten Buch schwebt dabei die Frage: Möchte ich Jurist:in sein – und wenn ja, was für eine:r?
Ausbildung in der Kritik
Die Autor:innen eint der überwiegend positive Blick auf ihren Werdegang und ihren Beruf ebenso wie die Kritik an der juristischen Ausbildung. So empfiehlt beispielsweise die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, die Vermittlung von "mehr allgemeine[n] Grundlagen und weniger Spezialwissen". Andere Autor:innen wie Prof. Dr. Lorenz Böllinger, der zu Zeiten der einphasigen juristischen Ausbildung Professor in Bremen war, nehmen die Leser:innen in die Verantwortung: "Engagieren Sie sich, wo immer Sie wirken, für die mehr denn je überfällige Reform."
Doch trotz der Kritik an der Ausbildung, die sich wie ein roter Faden durch viele der Briefe zieht, fühlt sich die überwiegende Mehrheit der Autor:innen im gewählten Beruf bestätigt und blickt mit einer gewissen Versöhnung auf die Mühen der Ausbildung zurück. "Hinterher weiß man, wofür man es macht", schreibt die Leiterin der ZDF-Rechtsredaktion Dr. Sarah Tacke. Das macht Hoffnung – gerade in Zeiten der Examensvorbereitung.
Insgesamt lässt sich das Leseerlebnis am besten mit den Worten zusammenfassen, die die ehemalige Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes Ursula Matthiessen-Kreuder als Intro für ihren Brief wählt: "Lassen Sie mich ein wenig aus meinem Leben plaudern und Ihnen Mut machen." Leser:innen, die gerade vor der Entscheidung für oder gegen ein Jurastudium stehen, bietet dieses Buch hilfreiche Informationen und Einblicke in die Ausbildung und einen bunten Strauß an gewöhnlichen und weniger gewöhnlichen juristischen Berufen.
Und noch einer Gruppe von Menschen möchte ich die Lektüre empfehlen: Jurastudierenden und Rechtsreferendar:innen, die sofort Antworten auf folgende Frage brauchen: “Warum tue ich mir das an?”
"Neue Briefe an junge Juristinnen und Juristen“, Gostomzyk / Jahn / Becker-Toussaint, erschienen am 10. Oktober im Verlag C. H. Beck, 24,90 Euro, ISBN 978-3-406-83646-6
Emilia De Rosa studiert Rechtswissenschaft an der Universität Bremen. Sie war unter anderem Vorsitzende des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V., ist Mitglied der bundesweiten Referendariatskommission und JoinPolitics-Stipendiatin mit dem Vorhaben, einen Arbeitsprozess für eine zukunftsgerichtete juristische Ausbildung anzustoßen.
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