Marie-Theres Boetzkes
Unternehmensgründung als Jurist

"Ich habe mein Gehalt hal­biert"

Interview von Dr. Franziska Kring2025 M08 19, Lesedauer: 7 Minuten

Marie-Theres "Maresi" Boetzkes war lange Anwältin in einer Großkanzlei – und hat sich dann als Coach selbstständig gemacht. Ein Interview über Mut, Verzicht, Durchhaltevermögen und Hinterzimmer.

LTO: Du hast viele Jahre als Anwältin in verschiedenen Kanzleien gearbeitet – irgendwann wurde Dir klar, dass Du einen anderen Weg einschlagen möchtest. Nach einer Zwischenstation hast Du Dich als Coach für Juristinnen und Juristen selbstständig gemacht. Wie kam das?

Dr. Marie-Theres (Maresi) Boetzkes: Das war ein längerer Prozess. Die erste große Veränderung war, dass ich die Juristerei verlassen habe. Ich habe gemerkt, dass ich in meinem Job inhaltlich mehr gestalten und gesellschaftlich relevante Themen voranbringen möchte. Ich bin erstmal in ein anderes Angestelltenverhältnis gewechselt, nämlich zur NGO "ROCK YOUR LIFE!", die sich für Bildungsgerechtigkeit und Potenzialentfaltung einsetzt. Dort habe ich über vier Jahre als Fundraiserin gearbeitet. Anfangs konnte ich mir noch gar nicht vorstellen, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Ich habe immer gedacht, dass ich nicht der Typ dafür bin.

Was hat Deine Meinung geändert?

In meinem neuen Arbeitsumfeld war ich umgeben von Selbstständigen, Coaches und Gründern. Auch mein damaliger Arbeitgeber hatte einen offenen Blick und eine Gründermentalität. Ich habe gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, kreativ zu arbeiten und eigene Themen einzubringen. Hinzu kommt, dass ich zwei kleine Kinder habe und mir flexiblere Arbeitszeiten und mehr Freiheiten gewünscht habe. Ich habe mir vorgestellt, wie schön es wäre, wenn mein Mann und ich nicht jeden Morgen kurz vor einem Herzinfarkt sind, wenn ein Kind krank ist, nicht in die Kita will oder wir im Stau stehen, aber um 9 Uhr alle im Meeting auf uns warten. Natürlich bedeutet Selbstständigkeit häufig mehr Arbeit, aber man kann sich die Zeit besser selbst einteilen.

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"Gerne ins Büro gehen ist mehr wert als ein hohes Gehalt"

Mit dem Schritt aus der Juristerei hast Du nicht nur einen sicheren Job, sondern auch ein sechsstelliges Jahresgehalt aufgegeben. Wie trifft man so eine Entscheidung?

Sicherlich nicht von heute auf morgen. Eigentlich habe ich die Entscheidung in dem Moment getroffen, als ich mich für den Quereinstieg entschieden habe. In den meisten Branchen verdienen Menschen beim Einstieg nicht so viel wie Juristen. Ich habe mein Gehalt damals halbiert. Ich war zwar immer noch bestausgebildete Juristin. Aber im Fundraising braucht man keine guten Juristen, sondern Menschen, die anpacken können – das können auch Sozialwissenschaftler, BWLer oder ausgebildete Bürokaufleute sein. Natürlich war das geringere Gehalt erstmal eine Umstellung, aber mit der Zeit entwickelt man sich finanziell auch weiter.  

Ich habe schnell gemerkt, dass der neue Job und das Umfeld viel besser zu meinen Stärken und Überzeugungen passen. Das Gefühl, montagmorgens aufzuwachen und gerne ins Büro zu gehen, ist viel mehr wert als ein hohes Gehalt für einen Job, der mich unglücklich macht. Ich muss aber auch sagen, dass ich aus meinem Großkanzleijob natürlich finanzielle Rücklagen hatte und verheiratet bin. Es war also klar, dass ich nicht ins Bodenlose falle.

"Ich habe mich erstmal neben dem Job ausprobiert"

Du hast Dich dann aber entschlossen, Dein eigenes Unternehmen zu gründen. Was waren die ersten Schritte?

Ich habe mich erstmal neben dem Job ausprobiert. Ich hatte schon länger Lust, mich selbstständig zu machen und hatte viele Ideen. In meiner Zeit als Fundraiserin habe ich mich viel damit beschäftigt, was ich beruflich machen möchte. Dann kam mir Idee für "Mit Jura kannst Du alles machen" – ich wollte Juristen dabei unterstützen, herauszufinden, welcher Job am besten zu ihnen passt.

Coaches gab es auch vor zwei Jahren schon viele. Wie wolltest Du Dich von anderen abheben?

Ich habe selbst eine Karriereberatung gemacht, als ich gemerkt habe, dass ich mit der Juristerei nicht mehr glücklich war. Die Sprechstunden mit meiner Beraterin waren immer in Präsenz und ich hätte mir mehr zeitliche Flexibilität gewünscht. Deshalb wollte ich meine eigene Beratungsleistung remote und zeitlich sehr flexibel anbieten.

Allerdings wollte ich erstmal herausfinden, ob es den Bedarf dafür gibt. Ich habe eine Liste mit allen Juristinnen und Juristen gemacht, von denen ich wusste, dass sie beruflich nicht ganz zufrieden sind. Ich habe alle etwa 25 Leute angerufen, von meiner Idee erzählt und sie gefragt, was sie bedrückt und womit man sie unterstützen könnte. Über ein Coaching hatten viele noch nicht nachgedacht und die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Trotzdem habe ich einen Test-Onlinekurs entwickelt und allen kostenlos geschickt. Das Feedback war dann tatsächlich positiv. Erst danach habe ich den richtigen Kurs konzipiert, mir einen Namen für mein Unternehmen und ein Logo überlegt und angefangen, eine Website zu bauen. Und dann habe ich meinen Job gekündigt. Im Oktober 2023 habe ich meinen Kurs auf den Markt gebracht.

"Meinen ersten Kurs hat niemand gebucht"

Anfangs lief es dann aber nicht so gut.

Nein, mir ist das passiert, was vielen Gründern anfangs passiert: Ich bin mit viel Euphorie gestartet, habe meinen Kurs auf den Markt gebracht, aber es hat einfach niemand angerufen und gebucht.  

Mental war das keine leichte Zeit. Ich wusste ja auch, dass ich mit meinen Finanzen zum Einkommen meiner Familie beitragen musste, aber das zu dem Zeitpunkt nicht konnte. Es fiel mir schwer, mich jeden Tag wieder zu motivieren und weiterzumachen, das Produkt besser zu machen. In der Zeit hat mir der Sport sehr geholfen. Ich habe schon immer gerne Sport gemacht, aber in der Selbstständigkeit hatte ich eine klare Routine. Und ich habe mich viel mit anderen Gründern ausgetauscht.  

Irgendwann hat dann aber doch jemand Deinen Kurs gekauft. Was hast Du anders gemacht?

Ich habe nochmal alle Leute, die grundsätzlich an meinem Kurs interessiert waren, gefragt, was ihnen noch fehlt. Viele schlugen ein Gruppenformat vor. Das hatte ich vorher kategorisch ausgeschlossen. Ich hätte nicht gedacht, dass viele Juristen offen und ehrlich in einer Gruppe über ihre Themen sprechen möchten. Ich habe es dann aber ausprobiert, meine Website umgeschrieben und auch Live-Sessions mit Juristen als "Role Models" angeboten, die auch nicht den konventionellen Weg gehen. Und dann hat tatsächlich die erste Person gebucht. Insgesamt waren neun Leute im ersten Kurs.

"Gründen ist Persönlichkeitsentwicklung"

Wie hat sich die finanzielle Situation entwickelt? Könntest Du heute allein von Deinem Unternehmen leben?

Mein erstes Jahr als Selbständige hat meine Erwartungen übertroffen und es entwickelt sich seither alles gut weiter. Mein erstes Ziel war es, wieder das zu verdienen, was ich als Fundraiserin hatte, das habe ich erreicht.

Mittlerweile bist Du seit zwei Jahren selbstständig. Was hast Du in der Zeit gelernt?  

Ich habe mal den Satz gehört: "Gründen ist Persönlichkeitsentwicklung par excellence. Das kann ich absolut bestätigen und das ist bis heute so. Das betrifft Themen wie Finanzen und Sicherheit, aber auch das eigene Selbstbewusstsein. Du steckst viel Herzblut in Dein Produkt, deshalb musst Du lernen, dass es nichts mit Dir persönlich zu tun hat, wenn niemand es kauft. Man lernt jeden Tag dazu und schöpft sein volles Potenzial aus. Das bedeutet nicht nur, sich auf seine eigenen Stärken und Talente zu konzentrieren, sondern auch an seinen Schwächen zu arbeiten.  

"Im Zweifel kann man wieder ins Angestelltenverhältnis wechseln"

Vielen macht auch die finanzielle Unsicherheit Angst. Wie kann man das überwinden?

Für mich gibt es nur eine Möglichkeit: Zahlen, Daten, Fakten. Zum Beispiel kann man bei der Agentur für Arbeit einen Existenzgründungszuschuss beantragen, wenn man hauptberuflich gründet. Dafür muss man einen Businessplan und einen Finanzplan erstellen. Das machen Juristen nicht standardmäßig, aber es hilft, sich frühzeitig Gedanken zu machen, womit man sein Geld verdienen will. Dann kann man ausrechnen, wie viele Kunden man braucht, um sich finanzieren zu können. Wenn man den Zuschuss bekommt, hat man mindestens ein halbes Jahr lang ein Grundeinkommen. Viele haben auch finanzielle Rücklagen. Daneben kann man auch einen Gründungskredit beantragen. Und – sollte das Unternehmen scheitern – kann man als Jurist im Zweifel wieder in ein Angestelltenverhältnis wechseln. Das sollte man sich vor Augen führen.

In Deinem Kurs berätst Du Juristinnen und Juristen, die sich beruflich verändern wollen. Ist die Selbstständigkeit da auch ein Thema?

Auf jeden Fall. Ich würde behaupten, dass die meisten "verkappte Unternehmer" sind, das aber noch nicht wissen. In der juristischen Ausbildung werden vor allem Berufswege als angestellte Anwälte, Unternehmensjuristen, Richter und Staatsanwälte aufgezeigt. Das Thema Selbstständigkeit wird eigentlich nicht mitgedacht. Die Menschen in meinem Kurs haben häufig das Gefühl, dass sie nicht am richtigen Ort sind, nicht genug gestalten können und sich wie in einem Korsett fühlen. Das trifft vor allem auf die Menschen zu, die dazu geboren sind, ihr eigenes Ding zu machen.

"Man wird keinen Erfolg haben, wenn man lieber im Hinterzimmer arbeitet"

Welchen Menschen würdest Du eher von einer Selbstständigkeit abraten?

Grundsätzlich würde ich sagen, dass jeder sich selbstständig machen kann. Aber man wird mit einem eigenen Unternehmen keinen Erfolg haben, wenn man jemand ist, der sich selbst und seine Fähigkeiten nicht gerne präsentiert, sondern lieber im Hinterzimmer seine Arbeit macht. Ein Unternehmen muss finanziell Sinn machen – und dafür muss man nach außen tragen, wer man ist und welche Produkte man anbietet.

Was hättest Du gern schon früher zum Thema Unternehmensgründung gewusst?

Ich hätte gerne früher gewusst, dass nicht alles von Anfang an perfekt sein muss, sondern sich nach und nach entwickelt. Man muss nicht direkt eine GmbH gründen, sondern kann erstmal anfangen, Ideen zu sammeln, mit Gründern zu sprechen oder einen Gründer-Podcast zu hören. Wir Juristen denken direkt daran, welche Rechtsform das Unternehmen haben soll und wie man die AGB oder die Datenschutzerklärung formuliert. Das sind wichtige Punkte, aber die kann man auch zu einem späteren Zeitpunkt klären.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Marie-Theres Boetzkes ("Maresi") war Anwältin in verschiedenen Kanzleien. Jetzt arbeitet sie als Coach für Juristinnen und Juristen. Mit ihrem Kurs "Mit Jura kannst Du alles machen unterstützt sie bei beruflichen Veränderungen.

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