Foto: Eryk Bortnik
"Schenkt euren Azubis mehr Vertrauen"
LTO: Herr Bortnik, Sie sind seit zwei Jahren Rechtsanwaltsfachangestellter und Büroleiter in einer Kanzlei bei München – und das auch sehr gerne. Sieht man sich die Zahlen über die stetig sinkenden Ausbildungszahlen der Rechtsanwaltsfachangestellten (ReFas) an, ist das keine Selbstverständlichkeit. Warum haben sie sich für die Ausbildung entschieden?
Eryk Bortnik: Nach der Schule habe ich mir das Jurastudium einfach nicht zugetraut. Ich wollte erst einmal etwas Praktisches machen. Rechtliche Themen haben mich schon lange begeistert – man hilft den Menschen einfach in ihrem Alltag. Ich war in einer Kanzlei, dir vor allem Privatpersonen beraten hat. Ich habe die Ausbildung mit 17 Jahren begonnen und konnte dann auch gleich viel Verantwortung übernehmen. Ich durfte immer viel Ausprobieren und Prozesse optimieren – das war echt cool.
Sie haben also nach Ihrem Schulabschluss gar nicht zwischen verschiedenen Ausbildungsberufen mit Bürotätigkeiten geschwankt. Viele Auszubildende entschieden sich lieber für eine andere Bürotätigkeit mit vermeintlich oder auch tatsächlich attraktiveren Rahmenbedingungen. Aber ein anderer Ausbildungsberuf kam für Sie nicht in Frage?
Nein. Ich wollte juristisch arbeiten – und wusste, ich bin gut in Organisationsaufgaben. Ich wollte die rechte Hand des Anwalts werden.
"Ich mag Action"
In Bezug auf den ReFa-Mangel wird auch angeführt, die Kanzleiwelt sei zu unmodern und damit unattraktiv: Keine flexiblen Arbeitszeiten, zu wenig Digitalisierung. Hat Sie das nicht abgeschreckt?
Nein, erstmal nicht. Ich habe mich für die Ausbildung wegen das fachlichen Inhalts entschieden. Man hat auch nach der Ausbildung viele Wege, die einem offen stehen.
Ist das so? Die ReFa-Ausbildung wird auch gerade deshalb kritisiert, weil es noch nicht so viele Weiterbildungsmöglichkeiten gibt wie in anderen Ausbildungsberufen. Das soll sich zwar ändern, die Verfahren dazu ziehen sich aber in die Länge. So soll bald der Bachelor Professional möglich werden.
Ich bin schon in der Weiterbildung zum Rechtsfachwirt und darauf liegt im Moment mein Fokus. Danach könnte ich mir gut vorstellen, die Weiterbildung zum Assessorwirt in Angriff zu nehmen, strebe aber vielleicht auch den LL.B. an. Den Bachelor Professional finde ich zwar interessant, aber wichtiger ist mir, Schritt für Schritt vorzugehen und mir nach dem Rechtsfachwirt weitere Perspektiven offenzuhalten. Aktuell reichen mir die vorhandenen Weiterbildungsmöglichkeiten also aus.
Wie empfinden Sie das Gehalt?
In der Ausbildung war es zu wenig, aber für die nachfolgenden Azubis wurde es zum Glück angehoben. Jetzt bin ich mit meinem Gehalt zufrieden.
"Ich habe immer die Verantwortung bekommen, die ich auch haben wollte"
Haben Sie denn im Laufe Ihrer Karriere den ReFa-Mangel gespürt?
Ja, kurz vor Ende meiner Ausbildung hat die damalige Büroleitung gekündigt. Ich war dann ungefähr ein halbes Jahr lang allein mit einer Aushilfe und war für alles verantwortlich. Die Stelle konnte so lange nicht neu besetzt werden, obwohl wir händeringend gesucht haben. Ich habe so auch erfahren, wie stressig der Job sein kann und warum sich manche Leute gegen den Beruf entscheiden. Aber ich mag Action. Und nach dieser Phase haben wir dann auch die Stelle gut besetzen können.
Haben Sie während der Ausbildung viel Frustration anderer Azubis erlebt?
Tatsächlich sind bei uns einige durchgefallen. Wir waren zu Beginn 30 Leute in der Klasse, fünf haben abgebrochen. Von den verbleibenden 25 haben dann nur 18 die Abschlussprüfung bestanden. Der Beruf und damit auch die Ausbildung müssen einem einfach auch liegen.
Das Klischee, dass Anwält:innen schlechte Chef:innen sind, scheint bei Ihnen jedenfalls nicht bedient zu werden. Was machen Ihre Vorgesetzten richtig?
Ich habe immer die Verantwortung bekommen, die ich haben wollte – und Wertschätzung dafür. Ich konnte schon in der Ausbildung sehr viel mitnehmen und lernen. Woanders darf man möglicherweise nur Kaffee holen und Scannen, ich aber durfte schon in der Ausbildung Mandate von Anfang bis Ende mitbetreuen. Ich würde also anderen Vorgesetzten raten: Schenkt euren Azubis mehr Vertrauen, geht auf ihre Interessen ein. Denn wenn man etwas gerne macht, dann wird es in der Regel auch gut.
Außerdem konnte ich mit meinen Vorgesetzten eine Home-Office-Vereinbarung treffen, sodass ich flexibel bin und nicht jeden Tag ins Büro muss. Und die Digitalisierung in der Kanzlei habe ich maßgeblich vorangetrieben, dafür habe ich eine Leidenschaft. Nur noch eine Anwältin bei uns arbeitet mit der Papierakte.
"Die Anwälte schaffen den Workload nicht mehr"
Sie haben also quasi den Kritikpunkt der fehlenden Digitalisierung selbst beseitigt. Was hat Ihnen an der Ausbildung denn gar nicht gefallen – und was besonders gut?
Dass die Abrechnung in Strafsachen aus dem Lehrplan gestrichen wurde, fand ich nicht gut. Ich habe es dann eben in der Kanzlei gelernt.
Besonders hilfreich fand ich, dass wir in der Theorie die Grundlagen des Zivilrechts, Familienrechts und Erbrechts vermittelt bekommen haben. Das hat mir später im Kanzleialltag sehr geholfen, weil ich rechtliche Zusammenhänge schneller verstanden habe.
Außerdem mochte ich, dass man die Theorie oft mit praktischen Beispielen verknüpft hat – zum Beispiel, wenn wir echte Fälle oder Vollstreckungssituationen durchgespielt haben. So konnte ich das Gelernte direkt im Betrieb anwenden.
Sie sind aktiv auf LinkedIn. Würden Sie sich selbst als ReFa-Influencer bezeichnen?
Nein. Ich versuche einfach das, was ich gelernt habe, weiterzugeben.
Also dass der Beruf des oder der ReFa doch nicht so schlecht ist, wie es häufig rüberkommt?
Ja. Es ist wirklich schade, wie der Fachkräftemangel zugeschlagen hat. Die Anwälte schaffen es einfach nicht mehr, den Workload zu stemmen und stellen dann auch Leute aus anderen Branchen ein, die den Beruf gar nicht gelernt haben. Man kann aber nicht einfach so mit einer anderen Verwaltungsausbildung den Job eines ReFa machen. Dazu müsste man sich eigentlich weiterbilden, wozu viele nicht bereit sind.
Wie könnte man Ihrer Meinung nach den Fachkräftemangel beheben?
Der Fachkräftemangel im Bereich der Rechtsanwaltsfachangestellten entsteht vor allem, weil der Beruf oft unterschätzt wird. Viele wissen gar nicht, wie vielseitig und verantwortungsvoll die Tätigkeit ist. Aus meiner Sicht braucht es drei Dinge:
Erstens mehr Sichtbarkeit: Kanzleien sollten den Beruf aktiver nach außen darstellen, zum Beispiel über Social Media, Infoveranstaltungen oder Kooperationen mit Schulen.
Zweitens attraktivere Rahmenbedingungen: Faire Bezahlung, moderne Arbeitsplätze und flexible Arbeitszeiten machen den Beruf für junge Menschen interessanter. Man sollte also mit der Zeit gehen, auch was die Digitalisierung angeht.
Drittens Förderung und Wertschätzung: Wer sich weiterentwickeln möchte, sollte durch Fortbildungen und klare Karrierewege unterstützt werden. Wenn man spürt, dass man gebraucht wird und einen Unterschied macht, bleibt man eher im Beruf.
Vielen Dank für das Gespräch!
Eryk Bortnik ist Rechtsanwaltsfachangestellter und Büroleiter in einer Kanzlei bei München. Aktuell macht er außerdem eine Weiterbildung zum Rechtsfachwirt. Auf LinkedIn gibt er Einblicke in sein Berufsleben.
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