Arbeit als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte

Stille Helden in den Kanz­leien

Gastkommentar von Simon WeberLesedauer: 6 Minuten

Diktate abtippen und Kaffee kochen – so stellen sich viele den Beruf von Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten vor. Simon Weber räumt mit diesen Vorurteilen auf. Dass "Tippse" immer noch im Duden steht, findet er fatal.

Das Telefon klingelt, die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten (ReNos) führen das Erstgespräch mit den Mandanten, bereiten den Vertrag vor, verschicken Entwürfe, halten Rücksprache mit Maklern und Parteien, terminieren die Beurkundung, bereiten die Urkunde vor und übergeben sie dem Notar. Dieser liest die Urkunde vor, erklärt die rechtlichen Begrifflichkeiten, alle unterschreiben und die Urkunde geht wieder zurück an die ReNo. Sie trägt die Urkunde in die Urkundenrolle ein, erstellt Ausfertigungen, Scans und beglaubigte Kopien, stellt die entsprechenden Anträge bei Gericht und Finanzamt, informiert dabei stets alle Parteien über den aktuellen Stand, übernimmt die gesamte Abwicklung und schreibt am Ende die Kostenrechnung. Wird diese wider Erwarten nicht gezahlt, kümmert sie sich selbstverständlich auch um die Vollstreckung.

Wie vielfältig die Arbeit von ReNos ist, scheint vielen nicht bewusst zu sein. Ist dies ein Grund für den massiven Fachkräftemangel im Notariat? ReNos sind nicht nur die Sekretäre eines Anwalts oder Notars, welche Diktate schreiben und Kaffee kochen. Sie sind meist eher persönliche Assistenten ihres Chefs, Betreuer für die Mandanten, Erzieher der Auszubildenen und Hilfestellungsgeber für neue Junganwälte, welche beim Start in den Kanzleialltag regelmäßig überfordert sind.

In den Kanzleien und Notariaten Deutschlands arbeiten Rechtsanwaltsfachangestellte (ReFas), Notarfachangestellte (NoFas) und ReNos (eine Kombination aus beidem). Die Unterscheidung zwischen der ReNo- und der NoFa-Ausbildung geht darauf zurück, dass es Anwaltsnotare gibt, d.h. solche, die den Notarberuf neben der Anwaltstätigkeit ausüben, und Nur-Notare, also hauptberufliche Notare. Diese Differenzierung hat historische Gründe und ist regional unterschiedlich. Das Nur-Notariat findet man im rheinischen Teil von Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie in den süd-östlichen Bundesländern mit Ausnahme von Berlin, das Anwaltsnotariat im westfälischen Teil von NRW sowie in Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Anzeige

Ausbildung zur ReNo

Die dreijährige Ausbildung zur ReNo, auf die sich der Artikel zunächst konzentriert, ist im gängigen Format aufgebaut: Zwei Tage bzw. später nur noch ein Tag Berufsschule, die restlichen Tage in der Kanzlei. In der Berufsschule werden Grundlagenfächer wie Englisch, Deutsch und Politik, aber auch fachspezifische Fächer wie Allgemeine Wirtschaftslehre, Anwalts- und Notarkosten, BGB/ZPO-Grundlagen, Rechnungswesen und Textverarbeitung belegt, in welchem mitunter das altbewerte Zehn-Finger-Schreiben beigebracht wird.

Die Aufgaben in der Kanzlei werden immer anspruchsvoller, je weiter die ReNos in der Ausbildung voranschreiten. Im ersten Lehrjahr suchen sie überwiegend die Akten der eingehenden Tagespost heraus und legen sie den ausgebildeten Kolleginnen zur Bearbeitung hin. Sie bringen Klagen zu Gericht und erledigen Botengänge. Zudem müssen ReNos Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, die der Kanzlei regelmäßig nur für wenige Tage zur Verfügung gestellt werden, kopieren. Einige dieser Aufgaben sind aufgrund elektronischer Übermittlung inzwischen weggefallen.

Im zweiten Lehrjahr gibt es bereits spezifischere Aufgaben, wie das Bearbeiten einer Unterschriftsbeglaubigung: Eine Aufgabe, die nur wenige Euro einbringt. Es wäre daher unwirtschaftlich, ausgebildete ReNos damit zu beauftragen. Man schreibt Diktate und E-Mails für die Anwälte und wird dabei meist einem Dezernat und einer erfahrenen Kollegin zugeteilt. Idealerweise werden in den drei Jahren die größten Bereiche – Anwalt, Notariat, Zwangsvollstreckung und Buchhaltung – durchlaufen, um Einblicke in jede Abteilung zu bekommen.

Was macht man noch in der Ausbildung und was verdient man?

Auszubildende werden auch gerne für den Empfang geschult, repräsentieren als junges Gesicht die Kanzlei in der Telefonzentrale und begrüßen Mandanten. Eine abwechslungsreiche, aber je nach Kanzleigröße und Telefonaufkommen auch sehr stressige Station. An der Zentrale braucht es einerseits breite Kenntnisse über die Kanzleistruktur und andererseits Empathie. Es rufen Personen an, deren Elternteil oder Ehepartner gerade verstorben ist und die einen Notartermin bezüglich eines Erbscheinsantrags benötigen. Daneben gibt es aber auch Telefonate, in welchen der Mandant seinem Frust freien Lauf lässt, da "sein Fall ja so lange dauern würde und nichts vorankäme". Aufgabe einer ReNo ist es hier, ruhig den Sachstand im Verfahren zu erklären und den Mandanten verständnisvoll abzuholen.

Im dritten Lehrjahr bekommen ReNos eigene Vorgänge zugeteilt, führen selbstständige Telefonat mit Gerichten, Finanzämtern, Polizeibehörden, Sachverständigen sowie Mandanten und wenden sich nur noch in komplexeren Thematiken an die erfahreneren Kolleginnen. Notartermine und Urkunden werden so vorbereitet, dass der Notar aufgeschlüsselt alle wichtigen Unterlagen wie Personalausweiskopien findet, um die Beurkundung vornehmen zu können.

Die Ausbildungsvergütung muss gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) mit jedem Lehrjahr steigen. Abs. 2 sieht inzwischen monatliche Mindestvergütungen vor, die – je nach Ausbildungsbeginn – unterschiedlich hoch ausfallen. Bis zu dieser Neuregelung aus dem Jahr 2020 war nicht vorgeschrieben, wie die Vergütung steigen muss. Üblich waren Steigerungen von 100 Euro pro Lehrjahr, das Einstiegsgehalt lag zwischen 400 und 700 Euro im Monat. Bis zur Gesetzesänderung kam es aber auch vor, dass Kanzleien die Vergütung um einen Euro pro Lehrjahr erhöht haben. Nicht verwunderlich, dass Sozietäten bei diesen Umgangsformen heutzutage einen ReNo-Mangel beklagen.

Das Berufsbild im Wandel

Die Praxis als ReNo war gerade in den vergangenen Jahren stark im Wandel. Während sie vor sechs oder sieben Jahren teilweise noch Diktate von kleinen Kassetten geschrieben haben, welche mit Fußpedalen vor- und zurückgespult wurden, sind mittlerweile elektronische Signaturen und digitale Kommunikation mit den Grundbuchämtern Standard. Durch die Digitalisierungswelle der Bundesnotar- und Bundesrechtsanwaltskammer trafen fast wöchentlich neue Vorschriften zum Datenschutz, zur Geldwäscheprävention und zur Digitalisierung in Kanzleien ein. Kleine Kanzleien gerieten hier schnell ins Schwimmen, da es geschulte Mitarbeiter braucht, die sich die Zeit nehmen können, alle neuen Vorgaben in den Kanzleialltag zu integrieren und sich durch die Papierberge an Mitteilungen der einzelnen Kammern zu arbeiten. Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) und das besondere elektronische Notarpostfach (beN) wurden zwangsläufig Teil des Alltags.

Kanzleien durften ad hoc Klagen nur noch per beA bei Gericht einreichen, um Fristen zu wahren. Das Problem: Bei den Gerichten funktionierten die Schnittstellen nicht. ReNos haben daher anfangs Klagen per beA eingereicht, auf eine Fehlermeldung gewartet, um dann beim Rechtspfleger nochmal anzurufen und die Klage dann erneut per gutem altem Fax zu übermitteln. Als die Kammern davon Wind bekamen, handelten sie zwar mit kulanten Übergangsfristen. Das Chaos in den Kanzleien blieb jedoch.

Im Notariat kam das elektronische Urkundenverzeichnis hinzu. Urkunden müssen nun eingescannt und elektronisch hochgeladen werden. Das benötigte XNP-Programm hatte ebenfalls "Startschwierigkeiten", was in unzähligen Fehlermeldungen resultierte. Doch während sich die ReNos mit pdf‑1A/B‑Formaten und XML-Strukturdateien beschäftigen mussten, durfte das Alltagsgeschäft natürlich nicht liegenbleiben. Mittlerweile scheinen zumindest die "digitalen" Schwierigkeiten aber ausgeräumt zu sein.

Ein guter Juraabschluss macht noch keinen guten Arbeitgeber

Anders sieht es mit den Schwierigkeiten in persönlicher Hinsicht aus. Fehlende Wertschätzung ist teilweise an der Tagesordnung, man hat eben einfach keine Zeit für seine Mitarbeitenden. Jedoch gibt es im Jurastudium kein Modul, in welchem Personalführung beigebracht wird. Wie sollen die Anwälte und somit etwaigen Arbeitgeber von morgen, welche ein Studium durchlaufen, das seit 150 Jahren fast unverändert ist und keinerlei Unternehmensführung beinhaltet, Kanzleien gründen und führen können? Ein guter Juraabschluss macht noch keinen guten Arbeitgeber.

ReNos sind die stillen Helden, die dafür sorgen, dass alles läuft und deren Einsatz dafür leider stellenweise als selbstverständlich angesehen wird. Bemerkbar macht er sich meist erst, wenn eine Kollegin aufgrund Krankheit ad hoc ausfällt. Spätestens dann wissen die Anwälte und Notare, was sie an ihren Mitarbeitenden haben.

Ohne gute ReNos würden Fristen verpasst, Termine übersehen und Mandanten nicht betreut werden. Die Beziehung zwischen Anwalt bzw. Notar und ReNo sollte mehr als Team, anstatt als ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis gesehen werden. Ein zuverlässig gepflegtes Dezernat gibt dem Chef die Sicherheit und Freiheit, sich auf die fachspezifischen Mandatsprobleme und die Kanzleiführung konzentrieren zu können. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Wertschätzung nicht nur in der Umgangsform im Kanzleialltag, sondern auch in der Anpassung der Gehälter an das veränderte Berufsbild widerspiegelt. Ein Trend ist in den größeren Kanzleien bereits zu erkennen. Wünschenswert, wenn dieser zeitnah in jeder Sozietät und auch in der gesellschaftlichen Anerkennung des Berufs Einzug findet. Dass die Berufsbezeichnung 1995 von "Rechtsanwaltsgehilfin" zur "-fachangestellten" geändert wurde war ein wichtiger Schritt. Die Streichung des umgangssprachlich abwertend definierten Wortes "Tippse" aus dem Duden wäre wünschenswert; mindestens im Sprachgebrauch hat es im Jahr 2023 sicherlich keinen Platz mehr zu finden.

Simon Weber studiert Rechtswissenschaften an der Leibniz-Universität Hannover und ist Vorstandsvorsitzender der Hanover Law Review. Vor seinem Studium hat er eine Ausbildung zum Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten absolviert.

Im Artikel wird aufgrund einer Frauenquote von über 90 Prozent von der weiblichen ReNo ausgegangen.

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Kanzlei

Verwandte Themen:
  • Kanzlei
  • Kanzlei-Organisation
  • Ausbildung
  • Fachkräfte
  • Rechtsanwälte
  • Notare

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter