"Vermisse einiges an Europa, würde aber nicht zurückkehren"
Frau Diallo, Sie sind Volljuristin, haben in Berlin studiert und in Saarbrücken das Referendariat gemacht. Zunächst waren Sie zwei Jahre Beraterin bei PwC in Luxemburg – und sind dann nach Kanada gegangen. Wieso haben Sie sich dazu entschieden?
Catherine Diallo: Ich habe mich in Luxemburg nie wohlgefühlt. Das lag vor allem an meinen Erfahrungen bei der Arbeit. Damals – also vor mittlerweile über zehn Jahren – hatte dort nach meiner Erfahrung noch niemand ein Gefühl für Diversity – auch wenn es nach außen anders dargestellt wurde.
Man verbringt mindestens 40 Stunden in der Woche am Arbeitsplatz, die Kollegen sieht man wohl häufiger als den Partner. Und wenn es einem bei der Arbeit schlecht geht, wirkt sich das auf alles aus.
Gleichzeitig war ich früher oft in Kanada und das Land und die Menschen haben mir schon immer gut gefallen. Ich war damals 34, und bis 35 konnte man noch Work and Travel in Kanada machen. Deshalb habe ich dann bei PwC gekündigt und bin ins kalte Wasser gesprungen. In Montréal habe ich auch früh meinen Partner kennengelernt – und spätestens dann stand fest, dass ich dortbleibe.
"Mit ausländischen Abschlüssen muss man in Kanada kreativ werden"
Eine mutige Entscheidung, nochmal komplett von vorne anzufangen. Und wahrscheinlich wurden ihre deutschen Jura-Abschlüsse dort auch nicht anerkannt.
Ja, ich musste mich neu orientieren. Ausländische Abschlüsse zählen in Kanada tatsächlich erst mal wenig, wenn man nicht gerade aus Frankreich kommt und in Québec landet oder aus den USA und in andere Teile Kanadas geht. Deshalb muss man da kreativ werden. Um als Anwältin zu arbeiten, hätte ich nochmal in Kanada Jura studieren und die Anwaltsprüfung ablegen müssen. Das wollte ich nicht, und tatsächlich war die Juristerei für mich auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Was haben Sie stattdessen gemacht?
Ich habe mir mehrere Standbeine aufgebaut. Eine Zeitlang habe ich als Paralegal im Migrationsrecht gearbeitet. Paralegals sind zwischen Rechtsanwaltsfachangestellten und Anwälten angesiedelt. Sie bereiten die Fälle für Anwälte vor, arbeiten also juristisch, aber ohne Jura studiert zu haben. In Kanada verdienen Paralegals auch ganz gut. Außerdem habe ich noch als lizenzierte "Immigration Consultant" auf eigene Rechnung sowie an zwei verschiedenen Hochschulen gearbeitet und Studierende und Wissenschaftler aus dem Ausland bei Fragen rund um Migration und Einbürgerung unterstützt.
Gleichzeitig habe ich mich als juristische Übersetzerin selbstständig gemacht. Sprachen haben mich schon immer interessiert, ich war auch auf dem deutsch-französischen Gymnasium in Saarbrücken. Nach dem ersten Examen war ich auch einige Jahre in England. Parallel zu meinem Referendariat habe ich noch einen LL.M. im Europarecht gemacht. Schon als ich noch bei PwC gearbeitet habe, habe ich viel mit mehrsprachigen Dokumenten gearbeitet. Und in Kanada habe ich das dann weiterentwickelt. Zunächst habe ich parallel im Migrationsrecht und als Übersetzerin gearbeitet, schließlich habe ich mich aber für die Übersetzungen entschieden. Das macht mir einfach mehr Spaß.
"Juristische Übersetzungen müssen sich nicht schön anhören"
Welche Texte übersetzen Sie?
Ich übersetze vor allem Verträge, Gerichtsdokumente und Testamente, aber auch sämtliche anderen juristischen Texte, vom Deutschen und Französischen ins Englische, aber für europäische Kunden auch vom Englischen und Französischen ins Deutsche. Im Süden von Québec gibt es eine kleine Enklave von Schweizern, die meist schon älter sind. Da geht es dann um Fragen wie Grundstücksübertragungen und die Erbfolge.
Ich übersetze in erster Linie juristische Texte, weil genau das meine Qualifikation ist. Ich war bei PwC im Bereich "Regulatory and Compliance", also vor allem Fondsaufsetzung tätig, weshalb ich auch gerne und oft Fondsprospekte und andere Finanzdokumente übersetze. Ich würde niemals einen Werbetext übersetzen, auch nicht in meine Muttersprache Deutsch. Bei Werbetexten kommt es entscheidend darauf an, dass man die Kultur und die neuesten Ausdrücke kennt. Meine Freundinnen aus Deutschland benutzen teilweise Formulierungen, die man vor zehn Jahren noch nicht verwendet hat. Juristische Übersetzungen müssen sich nicht schön anhören, sondern korrekt das wiedergeben, was der Ursprungstext sagt. Ich lege allerdings Wert darauf, so weit wie möglich "plain language", also einfache Sprache, bei meinen Übersetzungen zu verwenden. Denn im Idealfall verstehen die Leute, um die es geht, den Text auch, nicht nur andere Juristen. Vor allem bei Testamenten ist das den Kunden meiner Kunden wichtig.
Für welche Kunden arbeiten Sie?
In erster Linie für Kanzleien und Notariate. Mittlerweile auch für PwC Canada, was bestens funktioniert. In letzter Zeit arbeite ich auch vermehrt für europäische Unternehmen, die nach Nordamerika kommen oder nordamerikanische Unternehmen, die in den DACH-Markt (Deutschland, Österreich, Schweiz) expandieren.
Welche Zusatzqualifikationen mussten Sie in Kanada machen, um hier als Übersetzerin zu arbeiten?
Grundsätzlich ist Übersetzerin kein geschützter Beruf. Theoretisch kann jeder, der mehrsprachig ist, behaupten, er sei Übersetzer. Vor allem, wenn es um juristische Übersetzungen geht, ist das aber eine schlechte Idee. Ich habe mich in Québec sowie drei anderen kanadischen Provinzen als zertifizierte Übersetzerin für die vier Sprachkombinationen, in denen ich arbeite (also Französisch-Englisch, Deutsch-Englisch, Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch) anerkennen lassen. Dafür musste ich Übersetzungsproben einreichen und habe dann meine Lizenz bekommen.
"Nicht nur in eine andere Sprache, sondern in ein anderes Rechtssystem übersetzen"
Inwiefern hilft Ihnen Ihre juristische Ausbildung auch jetzt noch?
80 Prozent der Texte könnte ich nicht übersetzen, wenn ich nicht zumindest das erste Examen hätte. Das zweite Examen bräuchte ich nicht unbedingt. Juristisches Übersetzen ist auch juristisches Arbeiten. Gerade bei Verträgen und Gerichtsdokumenten muss man viel recherchieren und auch darauf achten, Fußnoten korrekt zu übersetzen. Da hat Jura seine eigenen Regeln, und auch jede Jurisdiktion hat ihre eigenen Regeln.
Allein schon die Übersetzung zwischen Civil Law wie in Deutschland, das vor allem aus Gesetzen besteht, und Common Law wie in den USA und Kanada (bis auf Québec), das aus einer Vielzahl von Einzelentscheidungen besteht. Man darf den Inhalt des Textes nicht Wort für Wort übersetzen. Vielmehr muss ich mir überlegen, was der Rechtsausdruck bedeuten soll und wie man ihn nicht nur in eine andere Sprache, sondern in ein anderes Rechtssystem übersetzt – ohne den Inhalt zu modifizieren. Oft ist es besser, den Begriff zu umschreiben. Dafür muss man aber wissen, was er bedeutet.
Und jede Sprache hat auch ihre Besonderheiten.
Definitiv. Allein zwischen dem Schweizerdeutsch und dem Deutsch aus Deutschland gibt es große Unterschiede. Die Schweizer kürzen die Sätze gnadenlos und wollen, dass sie sich gut lesen lassen. Das wird in Deutschland nicht gerne gesehen, für deutsche Übersetzungen von EuGH-Entscheidungen beispielsweise muss ich die Originalstruktur der Sätze so weit wie möglich beibehalten. Die Schweiz hat auch ihre eigenen juristischen Begriffe, einiges kommt aus dem Französischen. Ich würde sagen, Schweizer Französisch und Québec-Französisch sind sich näher als Schweizerdeutsch und deutsches Deutsch.
Es geht also um viel mehr als nur um die sprachliche Übersetzung.
Ja. Ich höre häufig, dass man Übersetzungen einfach mit DeepL anfertigt. Ich selbst nutze privat auch KI, aber es ist ein Tool, kein Ersatz. Wenn ich eine Übersetzung beglaubige und unterschreibe, bin ich hierfür haftbar. Übersetzungen gibt es deshalb nicht umsonst. Gerade in Kanada wird der Wert der Sprache aber anerkannt. Kanada ist ja ein offiziell zweisprachiges Land. Vor allem die Menschen in Québec identifizieren sich über ihre Sprache. In den USA fragt man sich, warum nicht alle Menschen Englisch sprechen, und in Europa heißt es, Englisch und Französisch kann ja eh jeder. Deshalb ist Kanada ein ganz guter Markt für mich.
"Das Leben in Kanada ist unverbindlicher"
Wie unterscheidet sich das (Arbeits-)Leben in Deutschland von dem in Kanada?
Ich bin immer vorsichtig mit Vergleichen. Man vergleicht ja immer durch seine Erinnerungen und filtert durch seine Erfahrungen. Aber für mich ist der größte Unterschied, dass das Leben in Kanada unverbindlicher ist. Sowohl bei der Arbeit als auch im Privatleben fühlt man sich austauschbarer. In Kanada kann es sein, dass man Menschen jeden Tag bei der Arbeit sieht, aber der Kontakt von heute auf morgen abbricht, wenn man nicht mehr zusammenarbeitet. In Europa (ich spreche für Deutschland, Frankreich und Luxemburg) hatte ich immer das Gefühl, dass es länger dauert, bis man einen Kontakt knüpft, aber wenn man ihn dann hat, dann bleibt das auch so.
Was gefällt Ihnen in Kanada besser?
Diese Unverbindlichkeit hat auch viele Vorteile, zwischenmenschliche Beziehungen sind viel lockerer und nicht so anstrengend, wie es teilweise in Deutschland ist. Und insgesamt ist es leichter, Kontakte zu knüpfen. Das Leben ist aus meiner Sicht freier und man wird nicht so in Schubladen gesteckt. Und aus meiner Sicht ist es auch inklusiver. Ich mache jetzt beispielsweise seit einigen Monaten einen Percussionkurs. Von der Highschool-Schülerin bis zur Rentnerin stehen da Menschen und spielen Instrumente, singen und tanzen. In Deutschland habe ich selten gesehen, dass so viele Altersgruppen zusammenkommen, um einem Hobby nachzugehen.
Sie sind deutsche Staatsbürgerin. Können Sie sich vorstellen, nach Deutschland zurückzukehren?
Nein. Allein schon wegen meines Partners nicht, der kein Wort Deutsch spricht. Aber auch mit meinem Beruf ist das schwierig. Ich würde wahrscheinlich nochmal an den Punkt zurückmüssen, an dem ich vor zehn Jahren in Kanada angefangen habe. Ich bin schon so lange weg, dass es schwierig wäre, in einem klassischen juristischen Beruf als Volljuristin in Deutschland zu arbeiten. Portugal mag ich aber sehr. Falls ich irgendwann eine zweite Heimat in Europa habe, wird es dort sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Catherine Diallo ist im Saarland aufgewachsen, hat in Berlin studiert und in Saarbrücken das Referendariat sowie einen LL.M. im Europarecht gemacht. Seit September 2015 lebt sie in Kanada und hat sich als juristische Übersetzerin selbstständig gemacht.
Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2024 M12 18
Beruf
Verwandte Themen:- Beruf
- Ausland
- Karriere
- Instagram-Karriere-News
Teilen