Ukrainische Juristen in Deutschland

Hohe Hürden beim Zugang zum Arbeits­markt

Gastbeitrag von Dr. Jana KarrasLesedauer: 5 Minuten

Ukrainische Juristen fliehen vor dem Krieg und suchen in Deutschland neue Chancen. Trotz hoher Qualifikationen stehen sie vor Sprachbarrieren und Anerkennungsproblemen. Jana Karras beleuchtet ihre Berufsaussichten.

Bis Mitte Oktober 2024 sind in Deutschland rund 1,2 Millionen Flüchtlinge erfasst, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind. Bemerkenswert ist, dass der Anteil an Akademikern unter den ukrainischen Geflüchteten deutlich höher ist als in der deutschen Gesamtbevölkerung: Etwa 45 Prozent der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter verfügen über einen Hochschulabschluss von einer Universität oder Fachhochschule. Wie viele davon ausgebildete Juristen mit oftmals langjähriger Berufserfahrung sind, bleibt jedoch eine Dunkelzahl.

Nicht ohne Weiteres haben ukrainische Juristen jedoch einen Zugang zum juristischen Arbeitsmarkt in Deutschland.  Die erste Barriere, die sie überwinden müssen, sind die Sprachkenntnisse. Diese müssen in Wort und Schrift exzellent sein. Schließlich erfordert kaum ein anderer Beruf so hervorragende Sprachfähigkeiten wie der des Juristen. Zudem gibt es nur wenige Deutschkurse, die speziell für Juristen angeboten werden.

Eine weitere, weniger offensichtliche, aber nicht unwichtige Barriere ist das Vorverständnis von Fachbegriffen. Wenn ein Jurist einen Fachbegriff in seine Muttersprache übersetzt, besitzt er sofort ein inneres Verständnis dieses Begriffs, das mit dem Verständnis der eigenen Rechtsordnung verbunden ist. Dieses Verständnis stimmt jedoch nicht unbedingt mit der deutschen Bedeutung überein, obwohl das ukrainische Rechtssystem wie das deutsche zum römisch-germanischen Rechtskreis gehört und bestimmte Ähnlichkeiten aufweist. Um diese Barriere zu überwinden, sind tiefgehende Kenntnisse des deutschen Rechts erforderlich, die durch Studium oder einschlägige Ausbildungen erworben werden können.

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Keine Gleichwertigkeitsprüfung für ukrainische Bewerber

Gemäß § 112a Deutsches Richtergesetz (DRiG) können Bewerber aus dem EU-/EWR-Raum eine sogenannte Gleichwertigkeitsprüfung durchlaufen. Dabei wird geprüft, ob der ausländische Abschluss mit der deutschen ersten juristischen Staatsprüfung vergleichbar ist. Ist dies der Fall, kann sich der Jurist mit ausländischem Abschluss wie jeder deutsche Bewerber um einen Referendariatsplatz bewerben. Andernfalls ist die Ablegung einer "Eignungsprüfung" erforderlich.

Für ukrainische Juristen ist dieser Weg jedoch verschlossen. Möchten sie einen der reglementierten juristischen Berufe in Deutschland ausüben, müssen sie zunächst die Erste juristische Staatsprüfung in Deutschland erfolgreich ablegen. Die Zulassung hierzu setzt jedoch ein Jurastudium in Deutschland voraus.

Einige Landesausbildungs- und Prüfungsordnungen erlauben nunmehr die Anrechnung eines Auslandsstudiums von bis zu drei Semestern (vgl. § 22 Abs. 1 der Bayerischen JAPO). In der Praxis bringt dies jedoch wenig, da für das Examen der gesamte Stoff der ersten bis zehnten Semester beherrscht werden muss. Die Notwendigkeit, sieben bis neun Jahre in die juristische Ausbildung im neuen Land zu investieren, schreckt die meisten ukrainischen Juristen ab.

"Dr. jur." für ukrainische Promovierte nicht erlaubt

Auch ukrainische akademische Grade dürfen in Deutschland nur eingeschränkt geführt werden. Die Umwandlung des ukrainischen Doktorgrades in einen deutschen sowie die Verwendung der deutschen Bezeichnung "Doktor juris“ oder der Abkürzung "Dr. jur." sind nicht erlaubt und können im Falle eines Verstoßes strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Stattdessen müssen ukrainische Hochschulgrade ausschließlich in der transliterierten Originalform geführt werden, wobei die jeweilige ausländische Hochschule angegeben werden muss. Die genauen Regelungen sind in den Landeshochschulgesetzen festgelegt. Bei Verstößen droht die Strafverfolgung wegen Titelanmaßung gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB).

Alternative Einstiegsmöglichkeiten in den juristischen Bereich

Geflüchtete ukrainische Anwälte, die bereits über eine Rechtsanwaltszulassung verfügen, können gemäß § 206 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung auf Antrag in die Rechtsanwaltskammer des entsprechenden Bezirks aufgenommen werden, in dem sie ihren Beruf ausüben. Dies ermöglicht ihnen, weiterhin im ukrainischen und im Völkerrecht zu praktizieren. Dabei dürfen sie ausschließlich die ukrainische Bezeichnung "Advokat" führen. Die Verwendung der deutschen Bezeichnung "Rechtsanwalt" bleibt untersagt und kann im Falle eines Verstoßes strafrechtliche Konsequenzen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB nach sich ziehen.

Da sich die Ukraine seit 2005 dem Bologna-System angeschlossen hat, umfasst das juristische Studium dort einen Bachelor- und einen Masterabschluss. Dies ermöglicht ukrainischen Juristen, in Deutschland ein LL.M.-Studium zu absolvieren und sich als Wirtschaftsjuristen auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren. Hervorragende Deutschkenntnisse bleiben nach wie vor eine Voraussetzung für die Einstellung.

Ausbildung zum ReNo beliebt

Eine weitere Möglichkeit besteht im Bereich der Forschung: Ukrainische Juristen mit dem ukrainischen Pendant zum Doktor, dem "лandydat jurydychnykh nauk" oder "doktor filosofoji", können eine Postdoc-Stelle in der Forschung antreten. Ob eine Person mit einem ausländischen akademischen Grad in Deutschland tatsächlich eingestellt wird, liegt im Ermessen des Arbeitgebers.

Viele ukrainische Juristen entscheiden sich in Deutschland für eine Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten, da hierfür grundsätzlich geringere Anforderungen an die Deutschkenntnisse gestellt werden. Die Ausbildung ist kürzer als ein Studium und ermöglicht eine Vergütung bereits während der Ausbildungszeit, was für diejenigen, die jahrelang ihren Lebensunterhalt im juristischen Beruf verdient haben, auch psychologisch wichtig ist.

Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt

Die Umschulung ukrainischer Juristen zu Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten bietet die Möglichkeit, die rückläufigen Ausbildungszahlen auszugleichen und den Bedarf an diesen wichtigen Berufen zu decken. Ein zusätzlicher Vorteil besteht darin, dass die Auszubildenden bereits zu Beginn ihrer Ausbildung über ein fundiertes Rechtsverständnis verfügen.

Auch der Bedarf an Wirtschaftsjuristen kann effektiv gedeckt werden, da in Deutschland weniger Juristen den Weg eines Bachelor- oder Masterabschlusses wählen im Vergleich zur Anzahl der Studierenden, die klassische Diplomjuristen werden. Bei der Einstellung von Kandidaten mit erstem Staatsexamen besteht weiterhin das Risiko, dass diese ins Referendariat wechseln, was zu einer höheren Fluktuation in diesem Berufsfeld führt.

Selbst die Einführung eines Bachelorabschlusses als Zwischenschritt zum Staatsexamen ändert daran wenig, da dieser primär der Absicherung dient, einen Abschluss zu garantieren, falls das erste Examen nicht erfolgreich verläuft. Die Einstellung von Wirtschaftsjuristen mit Kenntnissen in beiden Rechtsordnungen kann Unternehmen jedoch zusätzliche Vorteile bieten, wie etwa Mehrsprachigkeit und eine über den Tellerrand hinausgehende Denkweise durch die bereits erworbene Erfahrung in einem anderen Rechtssystem.

Dr. Jana Karras ist gebürtige Ukrainerin und eine in der Ukraine sowie in Deutschland ausgebildete Juristin. Seit 2015 lebt sie in Deutschland. Sie studierte Rechtswissenschaften in beiden Ländern, arbeitete als Juristin in der Ukraine und promovierte in Deutschland im Bereich Energieeffizienzrecht und Rechtsvergleichung. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Referentin beim Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. und absolviert ihr Referendariat bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. 

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